Klimakrisen-Wahlempfehlung 4: Weil wir mit Hebelwirkungen vorsichtig umgehen sollten

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… aber nicht einfacher
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Willkommen bei Teil 4 meiner kleinen Serie “Klimakrisen-Wahlempfehlung” – einem persönlich geprägten Blick auf die Physik der Klimakrise, motiviert durch meine Sorgen darüber, dass weite Teile der deutschen Politik- und Medienlandschaft die Klimakrise nicht ernst genug nehmen.

Ich war in Teil 2 auf die Größenordnungen an Energiefluss eingegangen, um die es geht; darauf, dass die entsprechenden Energien weit jenseits der Mengen liegen, die wir technisch gezielt manipulieren können, und darauf, welcher Umstand überhaupt erst dazu geführt hat, dass wir als Menschheit trotz dieses Missverhältnisses die Klimakrise herbeiführen konnten: dass wir mit Hilfe einer gewaltigen Hebelwirkung verändert haben, welcher Anteil des enormen Energiestroms der Sonne seine Energie in Atmosphäre und Ozeanen deponiert. Auf diese Hebelwirkung will ich in diesem Teil genauer eingehen.

Was uns diesen überproportionalen Einfluss überhaupt erst erlaubt hat, ist der Umstand, dass CO2 und andere Treibhausgase ungemein effektiv darin sind, bestimmte Arten von Strahlung zu streuen und damit am Durchkommen zu hindern. Man darf sich dabei von scheinbar kleinen Zahlen wie “420 ppm” (salopp gesagt: teile ich eine Luftregion in eine Million gleich große Teilvolumina, finde ich in genau 420 davon CO2-Moleküle) nicht ins Boxhorn jagen lassen. Es gibt  alltagsnähere Beispiele, mit denen man sich selbst davon überzeugen kann, dass solche vergleichsweise kleinen Zahlen keineswegs gleichbedeutend sind mit “zu wenig, um eine merkliche Wirkung zu haben”.

Tinte im Glas

Ein Beispiel, das viele hier direkt nachstellen könnten, wenn sie wollten: Lasse ich einen Tropfen Tinte (Durchmesser rund 4 mm, Volumen also 34 μl) in ein normal großes Wasserglas (300 ml) fallen, sind das rund 100 ppm. Nach vier Tropfen bin ich bei 400 ppm. Dann sieht das Wasser so aus wie in dem Bild rechts:

Zwei Bilder eines Glases mit Wasser. Links ist das Glas mit klarem Wasser gefüllt. Im rechten Bild ist das Wasser deutlich blau eingefärbt.

Die 400 ppm an Tinte entsprechen ja sogar noch einem deutlich geringeren Anteil an Farbstoff, denn die Tinte besteht ihrerseits überwiegend aus Wasser. Und doch hat der minimale Farbstoff-Anteil ausgereicht, das Wasser sichtbar blau einzufärben. Schaue ich mir für eine grobe Abschätzung die Farbwerte der unter denselben Bedingungen gemachten Digitalfotos an, dann komme ich darauf, dass im Vergleich zu vorher nur noch rund ein Drittel des Lichts durch das gefärbte Wasser dringt. Der Rotanteil wird so gut wie komplett herausgefiltert, der Grünanteil des Lichts geviertelt, während der Blauanteil so gut wie unverändert bleibt.

Und dabei musste das Licht in diesem Falle lediglich 8 cm durch das gefärbte Wasser zurücklegen. Bei der doppelten Weglänge, zwei Wassergläsern hintereinander, wären nur noch 11% des ursprünglichen Lichtes übrig. Nach 80 cm, entsprechend 10 Wassergläsern, wären es nur noch rund 2 Hunderttausendstel. Und selbst wenn wir annehmen würden, ich hätte mich in meiner Abschätzung total verschätzt, in Wirklichkeit würden – komplett entgegen der Aussage der Bilder – beim Durchqueren des Glases lediglich 10% des Lichts von den Tintenfarbstoffen absorbiert: Selbst dann wären nach 100 Gläsern, entsprechend der moderaten Distanz von 8 Metern, nur noch 3 Hunderttausendstel übrig. Und im Falle der Atmosphäre reden wir ja über ungleich größere Distanzen. Nach 500 Metern (also in Höhen, wo der Luftdruck immerhin noch knapp 94% des Oberflächenwerts hat, wir also noch keine nennenswerte Verdünnung haben) hätte hypothetische 10%-Absorption-über-8-cm-hinweg das Licht komplett herausgefiltert (OK, nicht ganz: jedes 10286te Photon wäre noch übrig). 

Eine kleine Mengen an Streuzentren genügt ganz offenbar, um den Lichtdurchgang merklich zu beeinflussen. Wer das einmal nachvollzogen hat, kann anschließend nicht mehr guten Gewissens behaupten, ein so zahlenmäßig winziger Anteil wie beim CO2 sei doch einfach nicht groß genug, um hindurchgehende Strahlung merklich zu beeinflussen.

Wolken

Ein weiteres Beispiel: Das flüssige Wasser macht bei Kumulus-Wolken nur rund 0.4 Gramm pro Kubikmeter aus (Tabelle 1a in Hess et al. 1998). Das entspricht einem Wasservolumen von 0.4 Kubikzentimetern, entsprechend einem Volumenanteil von sogar nur 0.4 ppm. Und doch reicht dieser geringe Anteil aus, um die Kumulus-Wolken, die wir da sehen, für uns komplett undurchsichtig zu machen. Das dürften die allermeisten Leser*innen ebenfalls direkt aus dem Alltag kennen. Hier ein Bild von Bärbel Miemietz, Cumuluswolken über Stuttgart, Lizenz CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons:

Blick über die Häuser einer Stadt; am Himmel sind weiß-graue undurchsichtige Wolken. Bild: Bäbel Miemitz, Cumuluswolken über Stuttgart, Lizenz CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Für ein Verständnis der Physik des Treibhauseffekts ist deswegen, das mag manche überraschen, mitnichten eine Schwierigkeit, dass die Wirkung von CO2 irgendwie besonders gering wäre. Ganz im Gegenteil ist die Treibhauseffekt-Erklärung dadurch, dass CO2 so effektiv wirkt, etwas komplizierter als es bei schwächerer Wirkung wäre. Bei schwächerer Wirkung könnten wir uns nämlich einfach vorstellen, die Atmosphäre sei im wesentlichen durchsichtig, dieser Umstand würde durch das CO2 ein wenig eingeschränkt, und die Erwärmung ergäbe sich aus der Notwendigkeit, diese Einschränkung auszugleichen. In Wirklichkeit ist die Wirkung des CO2 so groß, dass weite Teile der Atmosphäre in dem für CO2 charakteristischen Infrarotbereich komplett undurchsichtig sind. Um ein physikalisch angemessenes Modell zu formulieren, muss man deswegen im Gegenteil berechnen, wie tief man in den betreffenden Wellenlängenbereichen überhaupt von außen “in die Atmosphäre hineinsehen” kann. Diese Tiefe bestimmt, aus welchen Atmosphärenregionen, und damit bei welcher Temperatur, die entsprechende Infrarotstrahlung in den Weltraum abgegeben wird, und aus der Verschiebung jener Tiefe ergibt sich das unterschiedliche Abstrahlungsverhalten bei unterschiedlichem CO2-Gehalt. Ich gehe darauf im nächsten Teil ein (Rechnungen dazu finden sich in Jeevanjee 2023, Nelson 2023).

Fazit

Lassen Sie sich durch die scheinbar kleinen Zahlen entsprechend nicht verwirren. (Und ja, “Argumente” dieser Art, dass nämlich jene Zahlen so klein wären, hört man von einigen Klimawandel-Verharmlosern oder -leugnern durchaus.) Absorptions- bzw. Streuzentren entfalten eine beachtlche Hebelwirkung, und das lässt sich beim Durchgang von Strahlung durch Medien (Tinte, Wolken) an entsprechenden Beispielen direkt beobachten. Dass diese Hbelwirkung auch beim Treibhauseffekt (als Treiber der Klimakrise) eine Rolle spielt, sollte uns allein deswegen nicht überraschen. Zumindest wenn Sie schon einmal undurchsichtige Wolken am Himmel gesehen haben, sind Hebelwirkungen dieser Art Teil Ihrer Alltagserfahrungen. Und falls Sie bislang ohne Wahrnehmung von Wolken durch’s Leben gegangen sind, lassen Sie einfach ein paar Tropfen Tinte in ein Wasserglas fallen.

An der Stelle verlassen wir dann wieder die Physik und gehen zu Kategorien wie Verantwortung und richtigem Handeln über. Mit mächtigen Hebeln sollte man tunlichst verantwortungsvoll umgehen. Das haben wir als Menschheit in den letzten Jahrzehnten mitnichten getan. Die Stärke des Hebels, mit dem wir da zauberlehrlingshaft hantieren – bzw. eigentlich noch schlimmer, denn der Zauberlehrling versucht ja sofort aufzuhören, sobald er mitbekommt, was er da anrichtet – ist ein weiterer Grund für mich, die Klimakrise als gefährlich und dringlich einzustufen, und entsprechend jedem/jeder zu raten, dem Thema bei der anstehenden Wahlentscheidung zur Bundestagswahl mit angemessenem Gewicht zu berücksichtigen. Ich sehe angesichts der Zeitskalen jeden und jede von uns in der Verantwortung, so zu wählen, dass wir der Klimakrise so entschieden wie möglich begegnen. Sprich: Von der Wahl von Parteien, die die Klimakrise als Ganzes leugnen, aber auch von Parteien, die sich bei eigener Regierungsbeteiligung oder von den öffentlichen Aussagen her als Klimakrisen-Abwiegler und/oder Klimaschutz-Verzögerer hervorgetan haben, rate ich dringend ab. (Tipp: Es ist durchaus aufschlussreich, sich anzuschauen, welche prominenten Parteimitglieder sich wie über die Klimakrise äußern. Wenn jemand sich fast nur zum Thema äußert,  um ein langsameres Tempo anzumahnen, nimmt der oder die die Klimakrise meiner Einschätzung nach nicht ernst genug.)

Themenübersicht

Ich habe mir für diese Serie die folgenden Themen überlegt:

Die Themenauswahl spiegelt wieder, was ich selbst für mein Verständnis der Klimakrise für entscheidend halte – und damit für den Umstand, dass ich die Klimakrise als extrem dringend einstufe. Dass die Themen physik-basiert sind, ergibt sich aus meinem persönlichen Hintergrund. Ich nähere mich dem Thema eben von der Physik her.

Damit die Diskussion in den Kommentaren nicht ins unübersichtlch-unkonstruktive abgleitet, die bei mir bei potenziell kontroversen Themen üblichen Regeln: keine Beleidigungen oder beleidigende Unterstellungen/Pauschalisierungen; bitte nur Beiträge mit direktem Bezug zum Inhalt des Blogbeitrags (kein allgemeines Forum); bitte respektieren Sie die Lesezeit der Mitlesenden und fassen Sie sich so kurz wie möglich; bitte keine Tatsachenbehauptungen ohne entsprechende Quelle bzw. entsprechendes Link. Beiträge, die sich nicht an die Regeln halten, schalte ich ggf. gar nicht erst frei. 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

5 Kommentare

  1. Über die Physik sagen sie hier viel Richtiges, doch die grossen Unterschiede in der beabsichtigten Klimapolitik der potenziellen Regierungsparteien, die sie zu beobachten meinen, die kann ich aufgrund meiner Lektüre nicht bestätigen. SPD, Grüne und CDU/CSU halten alle am Dekarbonisierungsziel 2045 fest und die CDU/CSU will die bisherigen Pläne wie etwa den Bau von vielen dutzend auf Wasserstoff umrüstbaren Gaskraftwerken festhalten. Wenn es einen Unterschied gibt, dann wohl in der Priorität. Die CDU/CSU will die Ambitionen sicher nicht erhöhen, sie will nur gerade die bestehenden Pläne fortführen (siehe hier). Das scheint mir dann doch ein kleinerer Unterschied als sie in ihrem Text andeuten (Zitat: “von den öffentlichen Aussagen her als Klimakrisen-Abwiegler und/oder Klimaschutz-Verzögerer hervorgetan haben, rate ich dringend ab“)

    • Schließen Sie das aus den Parteiprogrammen? Meine von Ihnen zitierte Aussage bezieht sich ja ausdrücklich auf öffentliche Aussagen, als Indikator dafür, wie groß die Priorität des Themas bei den betreffenden Politiker*innen ist. Schauen Sie sich doch mal die jüngeren öffentlichen Aussagen z.B. der Spitzenkandidat*innen zum Thema an. Da wird recht deutlich, von wessen Seite Aussagen pro Klimaschutz kommen und wer öffentlich äußern zu müssen meint, Klimaschutz sei als Thema überbewertet. Und wem zum Klimaschutz vor allem die Einschränkungen einfallen (“dürfen den Leuten nicht wehtun”).

  2. Aus der Zusammenfassung der Schlussrunde der TV-Debatten zur Bundestagswahl wird ganz klar, welche Parteien definitiv keinen ausreichenden Klimaschutz betreiben möchten: Union, FDP, BSW, AfD.

    “Zuletzt wurde über ein Thema gesprochen, das im Wahlkampf häufig keinen Platz fand: Klima. Van Aken plädierte für konsequenten Klimaschutz. “Das Klima nicht zu schützen, kostet uns viel mehr Geld”, sagte er. Bisher seien die Klimamaßnahmen nicht sozial gedacht, sondern “mit der Gießkanne” verteilt worden, sodass Menschen mit wenig Einkommen kaum unterstützt wurden. Klimaschutzmaßnahmen müssten immer sozial unterstützt werden. “Ich glaube, dann bekommen wir endlich wieder mehr Zustimmung für Klimamaßnahmen.” Er wies zudem darauf hin, dass Superreiche um ein Vielfaches mehr CO₂ verursachten als ärmere Menschen. Er forderte, dass besonders Wohlhabende über eine Vermögenssteuer an den Kosten der Klimakrise beteiligt werden.

    Die BSW-Vorsitzende sprach sich dagegen gegen feste Ziele aus. “Ich halte nichts davon, dass Klimaschutz dadurch vorangetrieben wird, dass man den Menschen das Leben verteuert, wenn sie oft gar keine Alternative haben”, sagte Wagenknecht. Plakative Ziele dürfe es nicht geben. Auch Union und FDP stellten sich gegen strikte Klimaschutzvorgaben. Die Union kündigte zudem an, das Heizungsgesetz wieder abschaffen zu wollen.

    Weidel beantwortete die Frage, warum die AfD eigentlich die Klimakrise leugne, nicht und kritisierte stattdessen erneut die Energiepreise.”

    http://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-02/schlussrunde-tv-debatte-ard-zdf-bundestagswahl-baerbock-lindner-weidel-wagenknecht

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