Sperrfristen und Wissenschaft: Fehlverhalten beim Exoplaneten Proxima Centauri b?

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Künstlerische Darstellung von Proxima Centauri b
Proxima Centauri b: Symbolbild. Solche künstlerischen Darstellungen sind ein Thema für sich. Bild: ESO/M. Kornmesser

Die Meldung, dass der erdnächste sonnennächste Stern Proxima Centauri einen der Erde nicht ganz unähnlichen Planeten besitzt, hat letzte Woche einiges an  Wellen geschlagen. Auch bei unserer WE-Heraeus-Sommerschule für Astronomen und Lehrer in Florenz (siehe Zu Besuch bei Galileo in Florenz) war die entsprechende Pressekonferenz der Europäischen Südsternwarte im Plenum angekündigt worden, und in den Tagen darauf tauchte der Planet gleich in dem ein oder anderen Vortrag auf. Auf Facebook und Twitter war von den Astronom/innen in meinem Netzwerk häufig so etwas zu lesen wie: “Viele von euch haben mich auf diese Meldung angesprochen, und: ja, das ist wirklich wichtig.” Leseempfehlungen zu einigen Aspekten: mit dem Problem des Hypes um zweite Erden hatte sich Florian Freistetter bereits auseinandergesetzt, mit den Wissenschaftskommunikations-Aspekten meine Kollegin Carolin Liefke hier auf SciLogs. Der Frage, warum man diesen der Erde sehr nahen Planeten nicht schon viel früher gefunden hat, bin ich im Pressemitteilungstext des Max-Planck-Instituts für Astronomie nachgegangen. Zur Frage der Habitabilität solcher Planeten gibt es – hoffentlich bald auch direkt zu Proxima b? – informative Beiträge auf Ludmila Carones Blog Hinterm Mond gleich links. Viele Hintergrundinformationen gibt es direkt auf den Seiten des Projekts, in dessen Rahmen die Entdeckung gelang: Pale Red Dot.

Mir geht es an dieser Stelle um einen Aspekt, der insbesondere die an den Vorbereitungen der diversen Pressemitteilungen zum Thema beteiligten Kollegen beschäftigt hat, mich selbst eingeschlossen: die Vorabmeldung, wenn auch ohne große Details, im Nachrichtenmagazin SPIEGEL am Samstag den 12. August, gedruckt dann am 13. August, zwei Wochen vor der eigentlichen Pressemitteilung. Was war da passiert?

Nachrichten und Sperrfristen

Als Hintergrundinformation zur üblichen Praxis: Eine Vielzahl von Pressemitteilungen zu Forschungsthemen wird heutzutage mit Sperrfrist vorab verschickt. Ausgewählte Journalisten – meist die der größeren Zeitungen, Magazine, Fernseh- und Radiosender sowie einschlägige freie Journalisten – erhalten dabei den Text der Pressemitteilung ein paar Tage vor der Veröffentlichung, und zwar mit der Auflage, ihn nicht vor einem vorgegebenen Datum und Zeitpunkt öffentlich zu machen.

Früher, in Prä-Internet-Zeiten, war dieser Verbreitungsmodus besonders wichtigen Mitteilungen vorbehalten. Heutzutage ist er, soweit ich sehen kann, Routine. Der Nutzen liegt auf der Hand: Wer eine Meldung (mit) als erster veröffentlicht, bekommt mehr Aufmerksamkeit als jemand, der damit einige Stunden oder gar einen ganzen Tag wartet – schlicht weil es beim Abwarten doch Menschen gibt, welche die Meldung dann eben bereits woanders gesehen haben und nicht unbedingt noch einmal darüber lesen möchten.

In Prä-Internet-Zeiten war das nicht ganz so schlimm. Wer in einer Zeitungsredaktion saß und am Vormittag eine interessante Pressemitteilung aus dem Faxgerät zog (ach ja…), der wusste: er hat im wesentlichen den Rest des Tages Zeit, das zu tun, was guter Journalismus erfordert: recherchieren, bei den Beteiligten nachfragen, weitere Meinungen von nicht beteiligten Wissenschaftlern einholen, und derlei Dinge mehr. Die Zeit dafür war vorhanden, denn vor dem nächsten Morgen würde die Nachricht auch in den Konkurrenzblättern nicht zu finden sein. (Die Problematik Morgen- vs. Abendzeitungen lasse ich dabei außen vor – hat einer der Leser hier damit einschlägige Erfahrungen? War die Möglichkeit der berühmten Extrablätter ausschlaggebend dafür, dass es bei besonders wichtigen Mitteilungen, und wohl nur da, Sperrfristen gab?)

Heutzutage ist das anders. Eine ganze Reihe von Medien arbeiten in punkto Pressemitteilungen nicht mehr journalistisch, sondern nach dem Motto: Yay, da kommt kostenloser Content für uns! Ruckzuck wird dann der Pressemitteilungstext eins zu eins übernommen und sofort online gestellt. Mit Journalismus hat das nur noch sehr am Rande zu tun. Und es zeigt den Nutzen von Sperrfristen: Sie sorgen dafür, dass den sorgfältig arbeitenden Medien durch den Zeitaufwand für journalistische Aufarbeitung kein automatischer Nachteil entsteht.

Sperrfristbruch bei Proxima Centauri?

Dieses Vorgehen dürften die meisten Astronomen kennen, die schon einmal an einer Pressemitteilung beteiligt waren. Dementsprechend fand ich nach der Spiegel-Vorabveröffentlichung in meinen Facebook- und Twitter-Mitteilung durchaus einige gelupfte Augenbrauen nach dem Motto: wer hat da die Sperrfrist gebrochen?

Insbesondere der Chefredakteur der Zeitschrift Sterne und Weltraum, Uwe Reichert, ging den betroffenen Kollegen vom SPIEGEL, Olaf Stampf, über sein privates Twitter-Benutzerkonto durchaus hart an:

(Und ganz nebenbei: haben Facebook und Twitter wirklich so unbequeme, unpraktische, unvollständige Suchfunktionen, wie ich das gerade beim Versuch, zumindest einige der damaligen Wortmeldungen zu rekonstruieren, erlebt habe? Oder gibt es da besondere Tricks?)

Aufmerksamkeitsdiebstahl?

Ich hatte eine Art Logenplatz, was die Geschichte von Vorabveröffentlichung und Pressemitteilung angeht. Zum einen war ein Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Astronomie, Martin Kürster, an der Entdeckung beteiligt, und ich hatte mit Martin zusammen in Abstimmung mit der ESO und dem Pale-Red-Dot-Forscherteam ebenfalls eine Pressemitteilung zum Thema Proxima Centauri geschrieben. Zum anderen ist das Haus der Astronomie deutscher Knoten des Science Outreach Network der ESO, der Europäischen Südsternwarte, mit deren Instrumentarium die wichtigsten für den Nachweis des Planeten nötigen Daten aufgenommen wurden, und die bei der Koordination der Pressearbeit federführend waren. Auf diese Weise war ich direkt im Verteiler, als klar wurde, dass die Informationen über die Entdeckung “geleakt” worden waren – knapp zwei Wochen vor dem vorgesehenen Veröffentlichungsdatum, dem Ende der Sperrfrist.

Ich kann und will jetzt natürlich nicht aus den E-Mails zitieren, die damals herumgingen, denn offener Austausch zwischen den Beteiligten ist nur dann möglich, wenn er vertraulich bleibt. Aber den Grundtenor kann man sich auch so denken: zu jenem Zeitpunkt waren eine ganze Reihe Menschen bereits wochenlang damit beschäftigt gewesen, Texte zu schreiben, Bildmaterial und Animationen zu erstellen, zu diskutieren, zu verbessern. Und dann sah es auf einmal so aus, als würde der SPIEGEL dem, was da vorbereitet wurde, einen gehörigen Teil der Aufmerksamkeit stehlen. (Ob das wirklich so war, sei dahingestellt. Letztlich generiert eine Vorabmeldung ihrerseits Aufmerksamkeit, die der eigentlichen Pressemitteilung zugute kommen kann.)

Unkollegiale Wissenschaftler

Gemäß dem, was der Autor des SPIEGEL-Artikels, Olaf Stampf, in einem Kommentar zu dem Blogbeitrag von Carolin Liefke schrieb, stammte die Vorabinformation von zwei Mitgliedern des Forscherteams, das die Entdeckung gemacht hatte. Das schränkt die Zahl der Verdächtigen schon einmal auf 31 ein, denn so viele Autorennamen stehen über dem Fachartikel, in dem die Entdeckung veröffentlicht wurde. (Sich nicht auf eine einzige Quelle zu verlassen, sondern eine zweite unabhängige Quelle hinzuzuziehen, ist solide journalistische Praxis; demnach waren hier zwei Beteiligte nötig, um die Vorabmeldung zu ermöglichen.) [Letzter Teilsatz gestrichen nach dieser Twitter-Diskussion]

Wenn wir in dieser Affäre nach Fehlverhalten suchen, haben wir die beiden Schuldigen damit gefunden, wenn natürlich auch nicht namentlich benannt. Jeder der beteiligten Autoren wusste, dass die entsprechenden Informationen zu einem gegebenem Datum veröffentlicht werden würden und insbesondere: dass es sich nicht um Geheimnisse handelte, zu deren Aufdeckung es eines Whistleblowers bedürft hätte; das wäre eine Situation, die hätte rechtfertigen können, sich über derartige Absprachen hinwegzusetzen. Jeder der beteiligten Autoren dürfte zudem die Standard-E-Mail der Fachzeitschrift Nature erhalten haben, in der detaillierte Informationen zur Sperrfrist stehen, und abschließend der Satz

Nature reserves the right to halt the publication of a paper if these conditions are broken.

Sprich: Wer immer die Informationen herausgab, riskierte, und das offenbar ganz bewusst, die Fachveröffentlichung des Teams in der Zeitschrift Nature komplett zu kippen. Das ist schon die hohe Schule der Unkollegialität. (Oder, aber das wäre eigentlich noch schlimmer, die hohe Schule der Unbedarftheit.)

Schaden für die Wissenschaft

Ganz davon abgesehen lebt Wissenschaft nun einmal von der Zusammenarbeit. Das sieht man gerade bei der Entdeckung von Proxima Centauri b, denn daran waren eine ganze Reihe von Wissenschaftlern beteiligt, die jeweils etwas beizutragen hatten: neben den spektroskopischen Hauptbeobachtungen eine Helligkeits-Überwachung, die wichtig war, um Fehlerquellen (z.B. Sternaktivität) auszuschließen, und im Falle von Martin Kürster vom MPIA frühere Daten, aus denen alleine sich Proxima b zwar nicht nachweisen ließ, die aber die neuen Messungen entscheidend stärkten.

Dass die Bereitschaft, andere Wissenschaftler an solchen Projekten zu beteiligen und umgekehrt auch als Wissenschaftler an solchen gemeinsamen Projekten teilzunehmen, im jetzigen Forschungsklima sehr hoch ist, ist ein großes Plus für die Wissenschaft. Dass es dabei nicht Usus ist, Kooperationen wie die zu Proxima Centauri damit zu beginnen, dass alle Beteiligten eine seitenlange Vertraulichkeitsvereinbarung unterschreiben, ist Ausdruck eines Grundlevels an Vertrauen, der in der Wissenschaft herrscht – sicher nicht zwischen allen Wissenschaftlern, denn selbstverständlich gibt es durchaus harte Konkurrenz zwischen bestimmten Gruppen, aber doch in weiten Teilen der Forschergemeinde. Wer immer da die Vorabinformationen weitergegeben hat, und wer immer sie dem SPIEGEL bestätigt hat, hat dieses Vertrauen missbraucht und damit die Wissenschaft ein wenig geschädigt. Sicher nicht viel, aber wenn man sich Szenarien ausdenkt, wie in der Wissenschaft ein für die Forschung schädlicheres Klima Einzug halten könnte, dann sicher nicht mit einem Paukenschlag, sondern durch die Summe hinreichend vieler solcher Unkollegialitäten.

Insofern war das, was da passiert ist, aus meiner Sicht ganz klar wissenschaftliches Fehlverhalten – auch wenn ich nicht weiß, ob die diversen Kodizes für gute wissenschaftliche Praxis diese Art von Fehlverhalten bereits explizit aufführen. Wenn nicht, wäre jetzt ein guter Anlass gegeben, sie zu ergänzen.

Über die Motivation der betreffenden Wissenschaftler kann man nur spekulieren. Besonders übel wäre natürlich, wenn der Umstand eine Rolle gespielt hätte, dass der Teamleiter Guillem Anglada-Escudé von Anfang an intensive Öffentlichkeitsarbeit inklusive begleitende Blogartikel und Reddit-AMA (“Ask me anything!”) vorgesehen hatte. Wem soviel Engagement (und, klar: auch Eigenwerbung!) in Richtung Öffentlichkeit suspekt ist, für den könnte eine Vorabmeldung natürlich eine willkommene Art und Weise sein, den Kollegen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wissenschaftler, denen jede Art von Öffentlichkeitsarbeit suspekt ist und die meinen, so etwas untergrabe die Ernsthaftigkeit der Forschung, gibt es leider, auch wenn sich die Haltung, dass Öffentlichkeitsarbeit bzw. Outreach wichtiger Teil der Wissenschaft sind, zum Glück immer weiter durchsetzt. Aber letztlich wissen wir in dieser Hinsicht nichts konkretes.

War das korrekter Journalismus?

Gab es umgekehrt Fehlverhalten auf Seiten der beteiligten Journalisten – des Artikelautors Olaf Stampf, des SPIEGEL allgemein? Dafür gibt es aus meiner Sicht derzeit keine Anzeichen. Insbesondere war die Pressemitteilung zum Zeitpunkt der Vorabmeldung noch nicht mit Sperrfrist-Vermerk an den SPIEGEL verschickt worden. Wo kein Sperrfrist-Vermerk, da kein Bruch einer Sperrfrist.

Nun war diese Vorabmeldung sicher nicht das Paradebeispiel für eine Exklusivmeldung. Es wurden schließlich keine Informationen veröffentlicht, die andernfalls unterdrückt worden wären; dass die Existenz vom erdnächsten Exoplaneten zwei Wochen früher publik wurde, dürfte für so gut wie alle Rezipienten keinen Unterschied gemacht haben; eine solide Recherche mit zwei unkollegialen Wissenschaftlern spielt natürlich nicht in derselben Liga wie aufwändige undercover-Nachforschungen.

Aber es war solide journalistische Praxis, effektiv umgesetzt, und gutes Reputations-Management für den SPIEGEL. Die SPIEGEL-Meldung wurde ja vorab bereits ihrerseits unter Sperrfrist an die anderen Medien verschickt, und in den Tagen darauf war in einer Reihe von Meldungen anderer Medien dann eben sinngemäß zu lesen: “wie das Nachrichtenmagazin SPIEGEL meldet, wurde ein Planet bei Proxima Centauri gefunden”.

Journalisten machen selbstverständlich PR

Damit schließt sich für mich der Kreis zu einem anderen Thema, nämlich den von Journalismus, PR und Wissenschaftskommunikation. Zu diesem Thema und den zum Teil doch recht realitätsfremden Auslassungen dazu hatte ich in diesem Blog schon einiges geschrieben, z.B. unter Wissenschaftskommunikation jenseits von PR und Journalismus im März, oder zugespitzt vor ein paar Jahren: Wissenschaft und Journalismus als Marketing / PR.

Als jemand, der Wissenschaftskommunikation, nämlich Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit betreibt und dafür bei einer Wissenschaftsorganisation angestellt ist, finde ich es natürlich auch persönlich ärgerlich, wenn bestimmte Journalisten sich und ihren Berufsstand idealisieren und alle anderen Kommunikatoren mit Werbung und PR in einen (minderwertigen) Topf werfen. Zuletzt war das ein Thema aufgrund der Jahrestagung des Netzwerks Recherche (nr), über die z.B. auf ndr Zapp berichtet wurde. nr-Vorsitzende Julia Stein, die in dem kurzen Video zuerst befragt wird, liefert per Zitat ein schönes Beispiel für die Selbstüberhöhung, die da bisweilen im Spiel ist, wenn sie sagt: “Journalismus und PR schließen sich natürlicherweise aus, weil: die einen sind auf der Suche nach der Wahrheit und die anderen verführen eher, um eine bestimmte Information irgendwo unterzubringen.”

Dementsprechend hatten die Netzwerkmitglieder beschlossen, den Satz “Journalisten machen keine PR” in ihrem Kodex nicht abzuändern, wie von einer Reihe jüngerer Teilnehmer beantragt war, sondern unverändert stehen zu lassen. Dass die Diskussion die Frage beinhaltete, warum die freien Journalisten, die mit dem Geld nicht hinkämen und deswegen auch PR-Aufträge annähmen, stattdessen nicht lieber putzen gingen, passt gut ins Gesamtbild.

Darauf, dass die Lage komplizierter ist, haben bereits andere Kommentatoren hingewiesen, jüngst Nicola Wessinghage auf ihrem Blog. Denn selbstverständlich machen Journalisten PR, und der SPIEGEL-Artikel über Proxima Centauri b ist ein schönes Beispiel, das in dieser Debatte gerade zur rechten Zeit kommt. Wenn der erwähnte Zapp-Beitrag formuliert, der große Unterschied zwischen Journalisten und PRlern sei “Journalisten arbeiten für die Öffentlichkeit, PR’ler für Unternehmen, die Politik oder Lobbyorganisationen”, dann ist das schlicht falsch. Auch eine Zeitung und ein Nachrichtenmagazin sind Teile von Unternehmen, nämlich der entsprechenden Verlage. Die Proxima Centauri-Planeten-Nachricht zwei Wochen früher zu bringen als alle anderen hat der Öffentlichkeit vernachlässigbar geringen Mehrwert gebracht, dem Spiegel-Verlag dagegen ganz substanziellen Mehrwert – der SPIEGEL war der erste, der die Nachricht gebracht hat; wer die Meldung übernahm, musste sich auf den SPIEGEL berufen; insbesondere durch die englische Version der SPIEGEL-Meldung fand die Vorabmeldung und die besondere Stellung des SPIEGEL durchaus international Verbreitung. (Interessant ist vor diesem Hintergrund auch, wer die Proxima Centauri-Vorabmeldung alles nicht übernahm, nämlich offenbar FAZ, Süddeutsche und ZEIT.) [Nachträgliche Korrektur via Olaf Stampf: Die Süddeutsche hat die Meldung offenbar in der gedruckten Zeitung übernommen.]

Diese Art von PR ist gerade nicht anrüchig, sondern durchaus damit vereinbar, dass die betreffende Meldung solider Journalismus war. Im Gegenteil: Markenbildung von Zeitungen, Magazinen, Sendungen ist ein wichtiger Teil der Qualitätssicherung im Journalismus. Erst wer sich einen Ruf erarbeitet hat, hat einen Ruf zu verlieren.

Der Umstand, dass z.B. der Spiegel-Verlag ein kommerzielles Unternehmen ist, ist wiederum ein wichtiger Faktor journalistischer Unabhängigkeit – das Geld kommt auf diese Weise nicht von einer Stiftung oder einem Gremium, sondern von einer so großen Vielzahl an Einzelpersonen, dass sich der Einfluss jedes einzelnen Geldgebers auf die Verlagsgruppe bis zur Bedeutungslosigkeit verdünnt.

Dass bestimmte Entscheidungen vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund getroffen werden, ist Teil des Systems, und völlig legitim. Der Wettbewerb zwischen den Medienunternehmen ist auch ein marktwirtschaftlicher Wettbewerb, und das ist gut so. Dieser Hintergrund zeigt aber auch, dass es müßig ist, in der Wissenschaftskommunikation zu unterscheiden zwischen reinem Wissenschaftsjournalismus hie und anrüchiger PR bei allen anderen. PR ist immer im Spiel, hie wie dort, bei allen Akteuren. Und die Frage kann jeweils nur heißen – bei Clickbait-Medien ebenso wie im Qualitätsjournalismus, bei Pressebeauftragten ebenso wie bei den verschiedenen Sorten von Bloggern – was für Stärken und Schwächen die jeweilige Form von PR für die jeweilige Sorte von Akteur bedeuten, und was das wiederum für die bunte und vielfältige Wissenschafts-Kommunikationslandschaft heißt.

Wenn Beispiele wie das von Proxima Centauri b helfen können, dass wir über das Verhältnis von Wissenschaftskommunikation, PR und Journalismus in Zukunft etwas realistischer diskutieren, ohne Schwarz-Weiß-Trennung, dann ist schon viel gewonnen.

Fazit

Wenn wir bei Proxima Centauri b nach Fehlverhalten suchen, dann muss sich die Wissenschaft an die eigene Nase fassen. Das einzige Fehlverhalten, von dem wir beim jetzigen Stand wissen, war auf Seiten der beiden Informanten, die sich – warum auch immer – unkollegial verhalten, ohne erkennbaren Nutzen für die Allgemeinheit die Ablehnung des Fachartikels riskiert, und das Kooperationsklima in der Wissenschaft allgemein geschädigt haben. Von Seiten des Journalismus ist alles gelaufen, wie es sollte – ein Marketing-Coup in bester Tradition der “Scoops”, der “Solokarpfen” des Egon Erwin Kisch.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

6 Kommentare

  1. Was die beiden “Informanten” aus dem Pale-Red-Dot-Team – weiß man eigentlich, ob die aktiv an den Spiegel heran traten oder dieser sie bearbeitet hat? – umtrieb, sei mal dahin gestellt, aber das gesamte Team ist m.E. auch ein bisschen selbst Schuld an dem Leak: Schließlich hatte man mit dem Projekt-Blog von Anfang an den Eindruck erweckt, die Öffentlichkeit könne hier mal ganz nah an lebendiger Astrophysik dran sein. Dieser moderne und löblich Anspruch kollidierte dann massiv mit den ‘old ways’ der Wissenschafts-Publikation mit militant verteidigten Embargos, als es ans formelle Publizieren der gelungenen Entdeckung ging.

    Vielleicht hätte man’s ja auch ganz anders machen können: Dass es da ein mögliches RV-Signal eines Exoplaneten bei Proxima gab, war immerhin seit mehreren Jahren bekannt und schließlich genau die Motivation für die PRD-Kampagne gewesen. Und dass ein x-beliebiger Roter Zwerg einen Planeten hat, dafür liegt die Wahrscheinlichkeit bei 5 bis 10 Prozent (hat mir der Projektchef erzählt). Das klare Positiv-Ergebnis jetzt ist also weder eine große Überraschung noch wissenschaftliches Neuland: Das Tolle ist, dass es den sonnennächsten Stern überhaupt betrifft, was Folgebeobachtungen neuer Art ermöglichen wird.

    Was also wäre der Schaden gewesen, wenn man die Öffentlichkeit am Erkenntnisprozess der Wissenschaftler selbst hätte wirklich live teilhaben lassen, also wie mit jeder Woche neuer RV-Messungen das Signal des Planeten deutlicher wurde, bis zu dem Moment, wo alle wussten, wir haben ihn? Jetzt wird dieses Abenteuer Monate später in Press Releases nacherzählt – aber es hätte stattdessen ein tolles und extrem spannendes Lehrstück für Astronomie (und Statistik!) live sein können. Doch dass traut sich die Wissenschaft heute immer noch nicht – und dann knallt’s eben manchmal.

    • Gerade jenem Aspekt hat sich Carolin Liefke ja in “Wissenschaft live – oder doch nicht” ausführlich gewidmet.

      Das in “ein bisschen selbst Schuld an dem Leak” zu verdrehen halte ich allerdings für absurd. Die Vorabmeldung ohne Details macht den Prozess ja nun wirklich Null transparenter, und rechtfertigt den Vertrauensbruch innerhalb des Teams überhaupt nicht.

      Dass Guillem Anglada-Escudé dann doch die Möglichkeit, einen (karriereförderlichen) Nature-Artikel zu bekommen über die Liveberichterstattung gestellt hat, ist sein gutes Recht. Im Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit schade, und natürlich im Widerspruch zum Anspruch, aber so kann’s gehen.

    • Die allermeisten Leser verstehen vermutlich, dass der Alltags-Sprachgebrauch gemeint ist, aber: klar, sollte man vermutlich an der Stelle klarer ausdrücken. Danke für den Hinweis.

  2. Das Fehlverhalten liegt hier also bei Wissenschaftlern, die Mitglieder des veröffentlichenden Teams waren. Wie ist ein solches Fehlverhalten einzustufen? Sind es Trittbrettfahrer, Geheimnisverräter aus narzisstischen Motiven oder nahmen die Informanten gar bewusst in Kauf, dass die Arbeit wegen Verletzung von Vorbedingungen nicht akzeptiert würde, weil sie einen Neid gegenüber dem Hauptautor verspürten. Schwierig zu sagen. Jedenfalls ergibt sich die Frage wie das Team damit umgehen soll. Soll es eine interne Untersuchung einleiten, einfach darüber hinweggehen oder soll der (zuständige?) Astronomenverband eine Untersuchung einleiten? Eine allgemeine Antwort darauf gibt es wohl nicht.

  3. Mimimi. Kein normaler Mensch versteht, was hier das Problem sein soll. Irgend jemandes Privatregeln wurden verletzt – so what?