Gravitationswellen: Neues von LIGO

Seit dem ersten direkten Nachweis von Gravitationswellen sind nun schon vier Monate vergangen. (Ich hatte hier die Grundlagen von Gravitationswellen beschrieben, hier die Detektoren, hier die Quellen, hier die Pressekonferenz mit der Bekanntgabe.)

In der Zwischenzeit hat sich durchaus einiges getan. LISA Pathfinder beispielsweise, die Testplattform für die Technik eines weltraumgestützten Gravitationswellendetektors, hat ihre erste Testreihe abgeschlossen und konnte nachweisen, dass die technischen Voraussetzungen für solch einen Detektor gegeben sind – man kann zwei Testmassen hinreichend ungestört frei fallen lassen, dass ein Nachweis gelingen kann (hier die ESA-Meldung, hier das Paper).

Der zweite direkte Nachweis

Heute um 19:15 Uhr gab es dann eine weitere Pressekonferenz der LIGO-Collaboration, und zwar auf der Konferenz der American Astronomical Society (AAS), die derzeit in San Diego läuft.

Gabriela Gonzalez als Sprecherin der LIGO-Collaboration kam gleich zu den Faktor: Am 26. Dezember 2015 hatten die LIGO-Detektoren ein weiteres Signal nachgewiesen, wieder von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern. Diesmal in einem Abstand von 1.4 Milliarden Lichtjahren, ein Loch mit 14, das andere mit 8 Sonnenmassen. Bei der Verschmelzung wurde rund 1 Sonnenmasse an Energie in Form von Gravitationswellen freigesetzt. Das Signal kam zuerst am LIGO-Detektor in Livingston an, 1.1 Millisekunden später dann auch am Hanford-Detektor.

Entsprechend der Namenskonventionen heißt das Signal GW151226.

Hier ist die LIGO-Pressemitteilung. Hier ist der (in Physical Review Letters veröffentlichte) Artikel.

Diesmal war das Signal, als es auf der Erde ankam, noch rund drei Mal schwächer als für den ersten direkten Nachweis. Vereinfacht gesagt verzerrte die Gravitationswelle die Abstände frei fallender Teilchen um drei 1022tel.

Kurve im Rauschen

Fulvio Ricci, Sprecher der Virgo-Kollaboration (also des europäischen Gravitationswellendetektors, der mit LIGO gemeinsame Suche macht), ging auf die Details des Nachweise ein: Im Gegensatz zum ersten direkten Nachweis war GW151226 nicht mit dem bloßen Auge sichtbar. Hier sind die entsprechenden Kurven:

secondLIGOsignalGanz oben ist zu sehen, dass man mit dem bloßen Auge gar nichts sieht. Dass das erste Signal so extrem deutlich gewesen war, hatte die Gravitationswellenforscher auch eher überrascht; eigentlich geht ihre Datenanalyse anders, nämlich wie hier: Der Output des Detektors wird mit bestimmten Mustern verglichen, nämlich den Wellenformen, die sich aus den Simulationen der numerischen Relativitätstheorie ergeben.

Dann ist es eine Frage der Statistik: Wie gut passt ein bestimmtes Modell zum Signal?

Erstes Kriterium ist das “Signal-zu-Rauschen-Verhältnis”, abgekürzt S/N vom englischen “Signal to Noise”. Für das hier benutzte Muster ist die Übereinstimmung so groß, dass das Signal am Hanford-Detektor 11 mal größer war als die Rauscheinflüsse, beim Livingston-Detektor immerhin 8.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, eine solche Übereinstimmung zufällig, aus den bekannten (und ihrerseits gut vermessenen) Störquellen von LIGO zu erhalten? Wie beim ersten Nachweis ergeben sich Werte von besser als 5 Sigma, sprich: man müsste hunderttausende Jahre warten, bis man eine zufällige Kombination von Rauschen erleben würde, die das Signal nachahmt.

Hier sind drei Signale im Vergleich zu sehen (Anfangspunkt ist jeweils die Zeit, zu der das Signal die Frequenz von 30 Hz erreicht und damit für die LIGO-Detektoren nachweisbar wird):

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Ganz oben ist GW150914 zu sehen, dass im Februar veröffentlichte erste direkt nachgewiesene Signal. In der Mitte LVT151012, wahrscheinlich auch ein Gravitationswellensignal, aber statistisch nicht sicher genug belegt, um als mehr als ein Kandidat geführt zu werden. Ganz unten GW151226, von dem rund 30 Umläufe nachgewiesen werden konnten.

Wie geht es weiter?

Am Ende erzählte David Reitze, geschäftsführender Direktor von LIGO, von der Zukunft: Im Herbst soll LIGO seinen nächsten Beobachtungslauf beginnen, und zwar mit rund 25% Prozent verbesserter Empfindlichkeit. Damit wird es möglich, eine Quelle gegebener “Gravitationswellenhelligkeit” bei 25% größerer Entfernung nachzuweisen, und das wiederum verdoppelt das Suchvolumen. Innerhalb eines halben Jahres erwartet man dann, sechs bis acht weitere Signale von verschmelzenden Schwarzen Löchern nachweisen zu können.

Dann hat die Gravitationswellenphysik wirklich begonnen. Man kann statistische Untersuchungen zur Verteilung der Massen von Schwarzen Lochen anstellen, und das wiederum interessiert z.B. auch die Forscher, die sich für die Sternentstehung und -entwicklung interessieren und deren Modelle mit der beobachteten Häufigkeit von Schwarzen Löchern übereinstimmen müssen.

Anfang 2017 soll Virgo in Betrieb gehen. Dann hat man schon 3 Detektoren, und damit wird es einfacher, am Himmel zu lokalisieren, aus welcher Richtung das Signal gekommen ist. David Reitze zeigte zwei interessante Grafiken, nämlich zuerst die Lokalisierungen der drei obigen Signale allein aufgrund der zwei LIGO-Detektoren:

localization-ligoDas sind ziemlich langgezogene Flecken am Himmel, und das behindert die Suche nach elektromagnetischer Strahlung, die bei einem Verschmelzungs-Ereignis entstehen können. Dann zeigte Reitze eine Simulation, wie gut die Lokalisierung hätte gelingen sollen, wenn der Virgo-Detektor bereits mit der geplanten Empfindlichkeit in Betrieb gewesen wäre und die betreffenden Signale nachgewiesen hätte:

localization-ligo-virgoFür GW150914 ist das Areal deutlich zusammengeschrumpft – von rund dem 1000fachen der scheinbaren Größe des Vollmonds am Himmel auf das nur noch 50fache. Das ist astronomisch gesehen immer noch recht ungenau, aber deutlich besser als vorher.

Solche Lokalisierung wird insbesondere wichtig, wenn man dann mal die Verschmelzung zweier Neutronensterne nachweist. Dabei erwartet man nämlich in der Tat auch einen elektromagnetischen Blitz, den herkömmliche astronomische Teleskope sehen könnten. Bei GW151226, so ergab eine Nachfrage auf der Pressekonferenz, hatten Nachbeobachtungen keine herkömmlichen elektromagnetischen Signale ergeben.

Es geht weiter voran. Wir sind zwar noch nicht in dem Zeitalter angelangt, wo das Gravitationswellensignal verschmelzender Schwarzer Löcher keinen Journalisten mehr hinter dem Ofen hervorlockt, aber wir sind wieder einen Schritt näher daran.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

7 Kommentare

  1. Alle paar Monate verschmelzen also zwei schwarze Löcher von mindestens 10 Sonnenmassen miteinander. Und dies innerhalb eines Radius von 1.4 Milliarden Lichtjahren um uns herum – natürlich eine gewagte Hochrechnung, wenn man nur 2 Ereignisse hat.
    Ich hätte eigentlich mehr erwartet, denn es gibt bereits mehr als 3 Millionen Galaxien und mehr als 250 Billiarden Sterne in diesem Raumbereich. Das kann nur bedeuten, dass binäre Systeme mit zwei schwarzen Löchern recht selten sind.

    Faszinierend an der Gravitationswellenastronomie finde ich unter anderem auch, dass sie – wenn einmal auf ihrer vollen Empfindlichkeit – sehr zuverlässige statistische Aussagen über unser Universum erlaubt, denn innerhalb ihres Empfindlicheitsbereichs entgeht der Gravitationswellenastronomie nichts. Egal wo das Ereignis stattfindet, wenn es genügend stark ist, wird es registiert. Es gibt keine dunklen Gasnebel oder überhaupt irgend etwas, was die Gravitationswellen verschlucken könnte.

    • Die Statistik kommt nicht von LIGO. Aus der bisher bekannten Evolution von Galaxien hat man hochgerechnet, wieviel potentielle Pärchen SL/SL SL/NS NS/NS derzeit vorhanden sein könnten und mit welcher Rate diese demnächst im Empfindlichkeitsbereich von LIGO “mergern”.
      In den letzten Monaten waren auf arxiv einige Rechnungen, habe aber keinen link.
      Wenn wir jetzt mit LIGO eine repräsentative Statistik über eine bestimmten Raumbereich, also in die Vergangenheit bekommen, lassen sich diese Modelle auch prüfen.

      • Zwischen 2 und 400 Black-Hole-Mergers pro KubikGigaparsec und Jahr sind zu erwarten. Dies nach Durchsicht einiger Arxiv-Artikel und dem Übersichtsartikel LIGO Discovers the Merger of Two Black Holes Diese Artikel wurden allerdings noch vor der jetztigen Meldung von GW151226 geschrieben.

        Ein Kubikgigaparsec ist ein Würfel mit der Seitenlänge 3.26 Milliarden Lichtjahre. Angenommen wurden Black-Hole-Massen in einem ähnlichen Bereich wie von LIGO bei GW150914 gefunden.

  2. kleine Korrektur: bei “Vereinfacht gesagt verzerrte die Gravitationswelle die Abstände frei fallender Teilchen um drei” entweder 10 hoch -22 oder tel.

      • Verstehe den Einwand schon, richtig sind drei Zehn-hoch-Zweinundzwanzig-stel. Denn die Million ist Zehn-hoch-sechs, nicht Zehn-hoch-minus-sechs. Also sind drei Millionstel drei Zehn-hoch-sechs-stel.