Gas, Plasma, Stundenkilometer: Die Untiefen wissenschaftlichen Sprachgebrauchs

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… aber nicht einfacher
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Es gibt ein Vorurteil gegenüber der Wissenschaft, das so tut, als sei in der Wissenschaft alles bis in den letzten Winkel hinein logisch: Die Wissenschaftler selbst, ihre Motivation, wie sie auf neue Ideen kommen, sämtliche wissenschaftlichen Sprachregelungen und, und, und.

Natürlich ist Logik in der Wissenschaft essenziell. Wer argumentiert, warum seine Daten eine bestimmte Hypothese oder Theorie stützen (oder dagegen sprechen!), der sollte tunlichst logisch argumentieren. Wer Hypothesen oder Theorien formuliert, sollte eindeutig definierte Begriffe benutzen, damit jeder andere Wissenschaftler (zumindest des entsprechenden Fachgebiets!) weiß, was gemeint ist.

Aber jenseits dieser für die Kommunikation und für die richtige Beurteilung von Daten und Theorien nötige Logik gibt es viel Spielraum für Kreativität und unkonventionelles Vorgehen. Ich war in Hat Wissenschaft Methode? bereits darauf eingegangen: Ob einem die guten Ideen im Traum, beim Spazierengehen, durch Meditation oder wie auch immer ins Hirn kommen, ist vollkommen egal – solange man sie, wenn es gilt, sie den anderen Wissenschaftlern vorzustellen, in eine logische und prüfbare Form gebracht hat.

Ein anderes Gebiet, in dem wir es in der Wissenschaft nicht mit purer Logik zu tun haben, ist die Fachsprache. Zwar ist Fachsprache ungleich logischer aufgebaut, und ihre Begriffe sind ungleich klarer definiert als Alltagssprache – das ist für die wissenschaftliche Kommunikation ganz zentral. Aber auch Fachsprache ist Sprache, und es ist ein wichtiger Teil des Wissenschafts-Wissens, sich bewusst zu sein, dass auch Wissenschaftssprache nicht Sprache gewordene Logik ist, sondern mit gewachsenen Sprachen einiges an (mitunter nicht logischer) Konventionalität teilt.

Ein Gebiet, in dem das wichtig wird, sind Grenzregionen zur Alltagssprache. Mein Lieblingsbeispiel ist der “Stundenkilometer”. Ich habe zu keinem anderen Teil der allgemeinverständlichen Seiten Einstein Online so verärgerte Zuschriften bekommen wie zu der Seite Die konstante Lichtgeschwindigkeit.

Warum? Weil ich dort schreibe, eine bestimmte Geschwindigkeitsmessung habe den Wert “100 Stundenkilometer” ergeben. Das sei doch nicht richtig, es müsse doch heißen “Kilometer pro Stunde”, kommen dann die Zuschriften (typischerweise von Physiklehrern), und es sei überhaupt ein Unding, dass Einstein Online die Jugend so verdumme, wir sollten uns etwas schämen und so weiter und so fort.

Meine Meinung dazu ist: Gerade der Stundenkilometer ist ein wichtiges Beispiel dafür, dass Alltagslogik und Fachlogik manchmal unterschiedliche Wege gehen. “Stundenkilometer” ist wohl so etwas wie eine Genitiv-Konstruktion, also “der Kilometer der Stunde = Kilometer pro Stunde”; ähnliches gibt es ja auch bei “Stundenlohn”, “Monatspensum”, “Jahressoll” und so weiter. Im Rahmen dieser Konvention ist die Wortbildung “Stundenkilometer” vollkommen nachvollziehbar und logisch.

Bei physikalischen Einheiten gibt es eine andere Konvention: dort werden aneinandergehängte Wörter als Produkt gelesen. “Newtonmeter” beispielsweise ist die Krafteinheit Newton, malgenommen mit der Längeneinheit Meter. “Joulesekunde” ist die Energieeinheit Joule, malgenommen mit der Zeiteinheit Sekunde. Dieser Konvention nach wären “Stundenkilometer” die Zeiteinheit Stunde mal die Längeneinheit Kilometer, und das ist natürlich keine vernünftige Einheit für eine Geschwindigkeit.

Diese unterschiedlichen Konventionen sollte man – das ist aus meiner Sicht wichtiger Teil physikalischer Grundbildung! – beide kennen, und sich möglicher Missverständnisse bewusst sein. Physiklehrer, die ihren Schülern und Schülerinnen einpauken, die Produkt-Konvention sei richtig und die Genitiv-Konvention falsch, tun ihren Schützlingen damit keinen Gefallen.

Es sind, schlicht, zwei unterschiedliche Konventionen. Wer nicht weiß, dass es solche unterschiedlichen Konventionen gibt, dem fehlt ein Stück physikalischer Bildung. Wer bei einer Aussage “eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern” an der Produkt-Konvention kleben bleibt und in Panik erstarrt, ohne aus dem Kontext (das Wort “Geschwindigkeit”!) zu erschließen, worum es geht, der hat nicht verstanden, worum es geht. Und wer im Zusammenhang mit allgemeinverständlichen Texten, die sich zwangsläufig zwischen Alltags- und Fachwelt bewegen, den “Stundenkilometer” als falsch brandmarkt, auch nicht.

Ähnlich ist es übrigens mit zwei weiteren physikalischen Größen: Masse und Gewicht. Masse wird in der Physik in der Einheit Kilogramm gemessen, während Gewicht eine Kraft ist (synonym: Gewichtskraft) und damit in einer Krafteinheit wie Newton gemessen wird. Auf der Erdoberfläche sind Gewicht und Masse proportional. Das nutzen wir nicht nur zur Massenmessung aus – unsere Waagen messen Masse üblicherweise über die Gewichtskraft, und würden z.B. auf dem Mond ganz falsche Werte anzeigen. Es schlägt sich auch in unserer Sprache nieder: wenn ich sage, ich wöge 84 Kilogramm, dann heißt das der Alltagskonvention nach “ich habe eine Masse von 84 Kilogramm” und “meine Gewichtskraft entspricht der Gewichtskraft von 84 Kilogramm Masse nahe der Erdoberfläche”.

Ist meine Aussage, ich wöge 84 Kilogramm, falsch? Ich finde im Gegenteil, dass Menschen, die das behaupten, einen viel größeren Fehler begehen, indem sie das Wort “falsch” in so verschiedenen Arten und Weisen verwenden. Meine Aussage ist im Zusammenhang (Alltagsbezug für Situation nahe der Erdoberfläche) für jeden, der sich mit den begrifflichen Grundlagen auskennt, verständlich. Dass jemand, der sagen will, sie entspräche nicht der Basis-Konvention für physikalische Einheiten, das Wort “falsch” verwendet und solche Konventions-Probleme damit auf die gleiche Stufe der Falschheit stellt wie wenn ich sagen würde “ich habe eine Masse von 400 Gramm”, finde ich viel problematischer als die sprachliche Unschärfe im Umgang mit Alltags- und Fachkonvention.

Konventionen-Konflikte gibt es übrigens nicht nur zwischen Alltags- und Fachsprache, sondern auch in der Fachsprache selbst. Mir fallen dabei naturgemäß Unterschiede zwischen dem astronomischen und dem physikalischen oder chemischen Sprachgebrauch am ehesten ins Auge. Ein bekanntes Beispiel betrifft den Begriff “Metall”. In der Astronomie ist “Metalle” ein Sammelbegriff für alle chemischen Elemente jenseits des Heliums. In einem Universum, das vor allem aus Wasserstoff, zu rund einem Viertel aus Helium und nur aus Bruchteilen von anderen chemischen Elementen besteht, ist es nützlich, für den ganzen Rest einen Sammelbegriff zu haben, und dafür hat sich eben der Begriff “Metalle” eingebürgert.

(Aus dieser Dreiteilung leiten sich übrigens auch die Symbole für den Stoffgehalt her, den z.B. ein Stern hat: Wasserstoff X, Helium Y, Metalle Z.)

In der Chemie sind Metalle dagegen nur diejenigen Elemente, die bestimmte Eigenschaften (elektrische und Wärmeleitfähigkeit, Formbarkeit, metallischer Glanz) teilen – immer noch die überwiegende Mehrzahl, aber bei weitem nicht alle astronomischen Metalle.

Ein weiteres, weniger scharf definiertes Beispiel: Wenn in der Physik von Aggregatzuständen die Rede ist, dann wird zwischen dem klassischen Aggregatzustand “Gas” (Atome bzw. Moleküle fliegen frei durcheinander) und dem nicht-klassischen Zustand “Plasma” (Atome sind zum Teil oder ganz in Elektronen und Atomrümpfe bzw. -kerne aufgespalten, also ionisiert) unterschieden. In der Astronomie, wo Plasmen recht häufig auftreten, hat sich “Gas” stattdessen als Sammelbegriff für klassische Gase (Atome/Moleküle) und Plasma (“ionisierte Gase”) eingebürgert.

Die Gruppe “They Might Be Giants” (TMBG) hatte 1993 auf gleichnamiger Single ein Lied namens “Why does the Sun shine?” herausgebracht, das mit den Worten “The Sun is a Mass of Incandescent Gas” beginnt:

Als die Band das Lied für ihr Album “Here Comes Science” (erschien 2009) wieder aufnahm, war zwischendurch noch ein Fact-Checker am Werk gewesen, nämlich Eric Siegel von der “New York Hall of Science”, der sich über die Verwendung des Wortes “Gas” beschwerte. Dem TMBG-Wiki nach:

The original “Why Does the Sun Shine?” was recorded in the 1950s and based on encyclopedic facts from the time, which were later discovered to be incorrect; rather than being made of gas, the sun exists mostly in the fourth state of matter—plasma.

Da wird’s dann richtig falsch, denn dass die Sonnenmaterie ionisiert ist, wussten die Astronomen natürlich auch schon 1950. Es geht nicht darum, dass wir etwas dazugelernt hätten, sondern dass es unterschiedliche Konventionen gibt. TMBG haben dann auf “Here Comes Science” noch ein Korrektur-Lied hinzugefügt, nämlich “The Sun is a Miasma of Incandescent Plasma”:

Aber so sympathisch ich die Idee eines Erratum-Songs finde: Am Kern der Sache geht Korrektur vorbei. Der besteht darin, dass Astronomen unter Gas etwas anderes verstehen als das Gas der drei klassischen Aggregatzustände. Wer das nicht weiß, wird auch bei Lektüre der astronomischen Literatur verwirrt werden, denn da ist Gas in der Regel im allgemeineren, plasma-umfassenden Sinn gemeint.

Wie gehen wir mit solchen unterschiedlichen Konventionen um? Dort, wo es darum geht, Schüler/innen oder Studierenden systematisch Fachwissen beizubringen, sollte man explizit auf den unterschiedlichen Sprachgebrauch hinweisen – sei es bei Metall, Gas/Plasma oder Stundenkilometern. Das Wissen darum, dass es solche nicht perfekt vereinheitlichten Konventionen gibt, ist wichtig.

Bei allgemeinverständlichen Texten dürfte die systematische Klärung in den meisten Fällen vom eigentlichen Thema ablenken, aber man sollte das Problem zumindest im Hinterkopf haben. Bei Einstein Online haben wir auf der betreffenden Seite in der Abbildung die Einheitenabkürzung “km/h” hingeschrieben und das Wort “Stundenkilometer” außerdem auf einen erklärenden Glossareintrag verlinkt. Wenn in einer Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie von Metallen die Rede ist wie z.B. hier, dann füge ich die Erklärung im Nebensatz hinzu. Bei Gas vs. Plasma habe ich bislang schlicht von Gas geredet, weil ich vermute, dass dieser Begriff nicht zu Verwirrung führt – oder liege ich da falsch? Wenn ja, kann ich natürlich auch da eine Fußnote einführen.

Solche Rücksichtnahme halte ich für sinnvoll und richtig. Die richtige Wortwahl ist wichtig, und mögliche Missverständnisse frühzeitig zu erkennen und nach Möglichkeit durch geeignete Formulierungen zu vermeiden ist ein wichtiges Element allgemeinverständlichen Schreibens. Beschwerden, “Metalle” oder “Gas” oder “Stundenkilometer” seien schlicht falsch, halte ich dagegen für nicht zielführend und Physikunterricht, in dem so etwas gelehrt wird, sogar für schädlich. Ein Gefühl für die Fachsprache ist Teil wissenschaftlicher Bildung – und dazu gehört auch, dass man das Nebeneinander unterschiedlicher Konventionen aushalten kann.

 

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

35 Kommentare

  1. Ein Gefühl für die Fachsprache ist Teil wissenschaftlicher Bildung – und dazu gehört auch, dass man das Nebeneinander unterschiedlicher Konventionen aushalten kann.

    Die Stu-Kis waren mal ein wichtiger Parameter, wenn unter Kindern nicht nur “Quartett” gespielt worden ist, sondern in einem Vergleich-Spiel Leistungsparameter verglichen wurden, wobei die Wahl unter verschiedenen Parametern möglich war und die höhere Zahl gewann. Das war insofern wichtig, weil bei den “Quartett”-Karten unterschiedliche Parametertypen angegeben waren und die Wahl dem Spieler oblag. was wiederum eine gewisses Gesamtverständnis voraussetzte.

    Äh, ansonsten, die Fachsprache darf und soll gerne konventionell gebunden sein, das macht sie einfacher, die Alltagssprache soll explizit nicht derart gebunden sein.

    MFG
    Dr. W

  2. ein anderes beispiel ist “masse”. wenn z.B. ein teilchenphysiker von masse spricht, dann meint er immer die invariante masse. ist aber nicht dasselbe wie das, was den schülern über E=mc² beigebracht wird.

    • Reggid schrieb (13. April 2014 14:00):
      > ein anderes beispiel ist “masse”. wenn z.B. ein teilchenphysiker von masse spricht, dann meint er immer die invariante masse.

      Ganz recht. Eventuelle andere Gebräuche des Wortes “Masse”, z.B. mit historischem Bezug, werden zur Unterscheidung als “improper” gekennzeichnet (und damit auch abgewertet).

      Ein anderes Beispiel ist das Wort “Lebensdauer”, das sich bei sorgfältigem, unter Physikern üblichen Gebrauch konkret auf die Dauer desjenigen (z.B. eines bestimmten instabilen Teilchens) bezieht, dessen Leben dadurch eigentlich bemessen ist; und nicht improper auf die Dauern irgendwelcher anderer Beteiligter (Rennstrecken, Labore, o. Ä.).

      Ein weiteres Beispiel ist “Länge eines Zuges” …

  3. Wenn Begriffe in unterschiedlichen Zusammenhängen klar unterschiedliche Bedeutungen haben, sehe ich keine Probleme. Das gibt es überall wo Sprache verwendet wird.
    Problematischer wird es, wenn Begriffe ausgeweitet werden und beispielsweise Physik mit Metaphysik vermengt wird. Viele Begriffe mit physikalischer Bedeutung haben auch eine metaphysische Bedeutung, man denke nur an die Begriffe Kraft und Energie, Begriffe, die gerade Esoteriker lieben und die sie dann für sich vereinnahmen, sogar wenn es um Physik geht.
    Hier ein paar Aussschnitte aus obigem Link

    Alles, was es gibt, ist Energie in unterschiedlichen Schwingungsgraden oder genauer eine Ausformung derselben Urenergie im Sinne nicht nur einer Kraft, sondern eines Urstoffes.

    Die Urenergie, aus der alles hervorgeht und die alles durchwirkt, ist ewig und zyklisch fließend. Sie ist das Absolute und Göttliche in einem pantheistischen Sinne.

    Der nicht selten technische Sprachgebrauch und der Einsatz technisch anmutender energiemedizinischer Geräte zeigen an, dass die Energie in der Esoterik heute „physikalistisch“ verstanden wird (Wolf). Die esoterische Idee der Lebensenergie steht damit in der Gefahr, seelische Vorgänge physikalisch verzerrt zu verstehen. Wichtig ist eine genaue Unterscheidung zwischen den Energiebegriffen der Physik und der Esoterik.

    Nun das wäre immer noch nicht so tragisch, wenn diese begrifflichen Unfälle klar den Esoterikern zuzuordnen wäre. Doch selbst beim Paläontologen, Philosophen, Theologen und Kosmologen Theilhard de Chardin (immerhin von Karl Ratzinger für sein Werk gelobt) finden sich solche mehrdeutige Verwendungen des Begriffs Energie:

    “The Universal Energy must be a Thinking Energy if it is not to be less highly evolved than the ends animated by its action. And consequently … the attributes of cosmic value with which it is surrounded in our modern eyes do not affect in the slightest the necessity obliging us to recognize in it a transcendent form of Personality

      • Schade Herr Pössel,
        Für einen, der sich für seriös hält, war dieser Kommentar überflüssig.
        Sie bekunden mit diesem nur ihre Zugehörigkeit und Loyalität – völlig unkritisch und abhängig. In jedem Fall nicht eines Wissenschaftlers würdig.

        Seriösität entsteht nicht dadurch, dass man das Gegenteil immer wieder zum Thema macht.

        Das ist ein Detail, was ich an Ransdorf so schätze. So oft ich bei ihm Kommentiert habe, der ist nicht von der Sache abgewichen und hat dafür nur seine Opposition bemängelt (also auch mich etwa – zuweilen). Da verfängt man sich auch nicht in Trollereien – wie hier etwa, wo geradezu dazu aufgefordert wird.
        Zum Esoteriker-bashing (was auch trollen ist – nur eben zusätzlich mit Konfrontationsangst, weil hinterm Rücken)) im Kommentar an Holzherr lesen.

        • Anstatt das Ganze in persönliches Mäkeln und Unterstellungen umzumünzen, sagen Sie doch einfach mal etwas zur Sache: Aus welchem Grund glauben Sie, dass z.B. der Begriff Energie außerhalb der Physik so beliebt geworden ist? Völlig unabhängig vom physikalischen Sprachgebrauch? Oder sich doch irgendwie daran anhängend?

          • Das kann jeder an sich selbst beobachten. Nämlich an der Tagesform. “Energiegeladen” zu sein, ist keine Esoterik oder dummes geschwätz, sondern kann jeder spüren, wenn es da ist.

          • Es gibt auch keine Probleme. Wenn sie (und andere hier und anderswo) Probleme zu haben scheinen, sind sie eingebildet. Zumindest so, wie sie dann verbalisiert werden.
            Der Esoterik-Schwurbler schwurbelt? Lasst ihn doch. Stattdessen versucht herrauszufinden, was er eigendlich sagen will – worüber er da redet. Denn er berichtet (im idealfall) aus seinen eigenen Erfahrungen. Und wer wollte ihm diese absprechen und leugnen?
            Ja, die Deutungshoheit der akademischen Elite – die ihre Weißheiten nach ästhetischen Eingangsannahmen konstruiert – damit aber kaum die ganze Bandbreite aller real existierender Phänomene einbezieht. Man belügt sich selbst. Bitte schön, dass darf jeder machen. Aber damit gibt es kein Recht, das “Andere” in Form der Anderen (ad personam) zu denunzieren, wenn man selbst eigendlich keine Ahnung von dem hat, was kritisiert wird. Begebt euch herrab aus dem Elfenbeinturm. Hört auf euren Stand abzuschirmen und eure eigene Lebensleistung zu überzeichnen.

            Anyway, diese Aussagen werden das Problem auch nicht auflösen.

          • Zumindest dem letzten, selbstbeschreibenden Satz in Ihrem Kommentar kann ich ohne Vorbehalt zustimmen 🙂

            Die anderen wecken bei mir jetzt nicht die Hoffnung auf vorurteilsfreie Diskussion; da scheinen sich bei Ihnen doch ziemlich negative Vorurteile gegen die Wissenschaft verfestigt zu haben, und wo nach so niedriger Schwelle schon schweres Geschütz wie “denunzieren” aufgefahren wird, dürften Hopfen und Malz weitgehend verloren sein.

    • Herr Holzherr hat Befindlichkeiten. Jemand klaut ihm seine Fachbegriffe. Ach und ervwendet sie auch noch. Ist doch völlig egal. Du weisst was deine Version des Begriffs bedeutet und damit müsste dir genüge getan sein.

      Ansonsten habe ich noch nicht gehört, dass es ein “Bedeutungsrecht” gibt, das vorschreibt, wie welcher Begriff nur zu verwenden sei.

      Darüber hinaus sind Kommunikationsprobleme immerzu Ursache für Krisen in der Wissenschaft. Gerade erst wieder in der Neurowissenschaft. Dazu im Podcast zu Scobel die jüngsten Beiträge anschauen. Dort spricht jemand kritisch über die Probleme der Interdisziplinarität. Weil eben jede ihre eigene “Sprache” und Imagination und gar den eigenen Gegenstand hat und sich darauf beschrenken, als gäbe es nichts anderes auf der Welt.
      Das aber allerhand offensichtlich unterschiedliche Gegenstände ihren Zusammenhang haben müssen – irgendwie und wo, wird nicht so recht wahrgenommen. Man mutmaßt sogar, dass sie sich nicht verstehen – weil sie eben die unterschiedlichen Perspektiven auf die Gegenstände und daraus folgend andere Sprache entwickelt haben.

      Und die “Esoteriker” sind doch für dich auch nur Prügelknaben. Mit den echten Problemen willst du dich doch auch gar nicht beschäftigen. Dir ist die Welt “schön” genug? Wozu dann deine ständigen Kommentare?

      • Wenn Esoteriker von Energie sprechen und damit sowohl Ihre göttliche Urenergie als auch die physikalische Energie meinen, so ergibt sich damit kein Kommunikationsproblem für Naturwissenschaftler, denn die wissen, dass es sich – wie Herr Pössel das so schön ausgedrückt hat – um Geschwurbel handelt.
        Doch nicht nur Naturwissenschaftler werden solches Esoteriker-Geraune als Geschwurbel erkennen, sondern fast jeder geistig gesunde Mensch. Ich jedenfalls habe mich schon als 16-Jähriger am Geschwurbel von Teilhard de Chardin wahnsinnig gestört und jeden der darauf hereinfiel für minderbemittelt gehalten. Ich denke zu Recht.

        • Falls du und die Wissenschaft daran was nicht verstehen, ist der Fehler nicht zwingend beim Erklärer. Das liegt zwar nahe, ist aber nicht immer der Fall.

          Dann gäbe es eben das Kommunikationsproblem. Und nun ist es so, dass Phänomene auf der Welt existieren, diese aber von der so grandiosen anerkannten Wissenschaft nicht gesehen werden wollen. Passt irgendwie nicht in ihre Weltsicht – die so schön mechanistisch kontrollierbar ist. Alles, was sonst noch ist, bekommt man offenbar nicht in seine Perspektive eingebaut. Die ist wohl zu eingeschränkt?
          Anyway, Es ist natürlich blöd, wenn man einen Begrff für offensichtlich zwei Gegenstände verwendet.
          Aber es ist auch nicht einzusehen, warum die Wissenschaft den sogenannten “pseudowissenschaftlern” bei der Begriffsfindung nicht behilflich ist!

          de chardin kenne ich jetzt nichts von – glaube ich. Ich kenne auch nicht besonders viel esoterisches Geschwurbel. Dass sich das ganze zuweilen sehr geschwurbelt anhört, kann ich verstehen. Aber bei mir läuft mit zunehmender Lektüre eine Übersetzungsmaschine im Hinterkopf. Bei ihnen nicht?

          • Zum nicht verstehen: Seine Erkenntnisse so zu kommunizieren, dass sie von denen, die sie prüfen sollen/können, verstanden werden, gehört schon mit zu den Pflichten, wenn man Wissenschaft betreibt. Darüber hatte ich hier ja auch näheres geschrieben.

            Zu den von der etablierten Wissenschaft nicht anerkannten Phänomenen: In den Fällen, in dem ich entsprechenden Berichten/Behauptungen mal weiter nachgegangen bin, hat sich jeweils herausgestellt, dass an den Behauptungen in der Tat herzlich wenig dran war. Das speist meine jetzige skeptische Grundhaltung gegenüber solchen Behauptungen.

            Zum “schön mechanistisch kontrollierbar[en]” Weltbild der herkömmlichen Wissenschaft: auweia, wie kommen denn solche Aussagen zustande? Das hat mit der Realität herzlich wenig zu tun.

          • @ Markus Pössel
            15. April 2014 7:55

            -> Ja schon recht. Wer den Mund zum Reden aufmacht, sollte Wörter sprechen.
            Dazu aber wieder der Hinweis auf den Kommentar an Holzherr:
            …wenn schwurbler seriösen Fachdisziplinen die Begriffe klauen…!
            Wie gesagt: Seriösität entsteht nicht dadurch, dass man seinen (vermeindlichen) Gegner denunziert und diskreditiert. In dieser Gesellschaft hat nicht der Autonormallaie die Pflicht Begriffe und Formeln und Funtkionen zu (er)finden und erklären, sondern die Wissenschaft. Die tut aber nichts. Wer ist schuld?
            Wer mit verleugnenden Prämissen an eine vermeindliche Phänomenologie herrangeht (Vorurteil), der wird mit Sicherheit auch nichts finden (wollen). Also findet er nichts.

            Andererseits die Leugnung ja die Wahrung des Standes sei (und ganz empfindliche meinen sogar die Bewahrung der Hochkultur – meinen aber das Herrschaftssystem). Der “Stand” hier im Sinne auch von Seriösität der akademischen Systeme und Institutionen. Sowas fällt dann auch immer leicht – zu leicht.

      • Ganz so klar ist die Lage nicht. Im Deutschen Wörterbuch der Grimms (auch ja ungefähr diese Zeit) habe ich das Wort “Energie” noch gar nicht gefunden. Zumindest was deutsche Alltags- und Fachsprache angeht, könnte der Fachgebrauch da also durchaus der frühere sein. Im Englischen scheint der Alltagsgebrauch voranzugehen; da ist Energy z.B. schon im Webster von 1850 aufgeführt.

        • Soweit ich es sagen kann, geht die fachsprachliche Verwendung von Energie im wesentlichen auf Lord Kelvin und William J. M. Rankine zurück, das war so 1851/52. Im nachfolgend verlinkten Text ist noch ein Hinweis darauf, dass Thomas Young bereits anno 1800 von Energie im physikal. Kontext gesprochen hat, ohne dass dies sich durchgesetzt hätte.
          http://www.energie-grundlagen.de/01.html

          Im deutschen etymologischen Wörterbuch von Friedrich Schmitthenner (1834) findet sich ein Eintrag zu Energie (in der Bedeutung von Kraft, Wirksamkeit).
          http://books.google.com/books?id=NuRIAAAAcAAJ

        • Hier:

          http://www.dwds.de/?qu=Energie

          findet sich folgender Eintrag:

          “Energie f. ‘Tatkraft, Nachdruck’, als naturwissenschaftlicher Terminus ‘Arbeitsvermögen physikalischer Systeme’. Griech. enérgeia (ἐνέργεια) ‘Wirksamkeit, wirkende Kraft’, zum Adjektiv griech. energḗs (ἐνεργής) ‘wirkend, kräftig’, einer Bildung zu griech. érgon (ἔργον) ‘Werk, Sache’ (verwandt mit Werk, s. d.), wird über gleichbed. spätlat. energīa als énergie ins Frz. entlehnt und von dort in der 1. Hälfte des 18. Jhs. ins Dt. übernommen. Hier findet es im letzten Drittel des 18. Jhs. bes. durch Herder sowie unter dem Einfluß von französischen Revolutionsschriften, die frz. énergie als Schlagwort bekannt machen, allgemeine Verbreitung. In der Physik setzt sich Energie in der 2. Hälfte des 19. Jhs. gegenüber älterem lebendige Kraft als Fachausdruck durch (engl. energy jedoch schon bei Young 1807). – energisch Adj. ‘voller Tatkraft, nachdrücklich’, nach gleichbed. frz. énergique (2. Hälfte 18. Jh.). ”

          Das Worterbuch von H. Paul gibt unter dem STW energisch u.a. folgendes Zitat:
          “Und den durstigen Blick labt das energische Licht” (Schiller).

        • Herbert Bregers Artikel Die Entstehung des Energiebegri s im 19. Jahrhundert beschäftigt sich intensiv mit der Geschichte des Begriffs Energie. Er beginnt mit dem Satz:

          Der Energiebegri ff der heutigen Physik wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts
          von verschiedenen Wissenschaftlern gleichzeitig mit dem Gedanken der Erhaltung dieser Energie formuliert.

          Im übrigen kann der Begriff Energie in verschiedenem Kontext verschieden gebraucht werden und dann verschiedene Bedeutungen haben. Problematisch wird es wenn Esoteriker den Energiebegriff der Physiker usurpieren und mit ihrem eigenen Begriff vermengen.

        • @Martin Holzherr »Problematisch wird es wenn Esoteriker den Energiebegriff der Physiker usurpieren und mit ihrem eigenen Begriff vermengen.«

          Das stimmt schon. Es stimmt konsequenterweise aber auch dann, wenn Philosophen dergleichen tun, und insbesondere wenn Richard Feynmans epistemologisches Problem (nämlich als Physiker nicht sagen zu können, was Energie ist), kurzerhand zu einem ontologischen erklärt und somit dem logisch-empirischen Bereich gleichsam entzogen wird.

          Because it is ubiquitous, the concept of energy must be philosophical and, in particular, metaphysical (or ontological). […] Assuming that the general concept of energy is indeed philosophical, let us proceed to analyzing it in philosophical terms. […] We start by identifying energy with changeability.

          doi: 10.1007/978-94-007-4408-0_14

          In diesem Fall, so schätze ich, werden Sie wohl aus weltanschaulichen Gründen dennoch keinen Protest erheben wollen.

          • Entscheidend ist der Anspruch, den man für seine Aussagen erhebt. Wer die ganze Welt erklären will und dazu einen mystischen Energiebegriff verwendet und dabei auch noch unsauber argumentiert, den sollte man ins Leere laufen lassen. Viele Phyisker (heute gibts aber auch andere) ziehen sich ja in sicheres Gebiet zurück, wollen nur darüber sprechen, was durch Experimente erhärtet ist oder nur Theorien akzeptieren, die eine gewisse Zwangsläufigkeit und Erklärungsmacht haben. Insbesondere wollen sie sich aus ideologischen und philosophischen Debatten heraushalten, denn ein Naturwissenschaftler beschäftigt sich mit einem Sachverhalt und nicht mit Poltiik.
            Andererseits gibt es ja nur eine Welt und in dieser Welt hängt alles mit allem zusammen. Erkenntnisse die man in der Naturwissenschaft gewonnen hat, sagen also auch etwas über die Beschaffenheit dieser Welt aus. Insoweit haben physikalische Erkenntnisse auch philosophische Implikationen. Das sehen scheinbar auch Gegner des Szientismus und Naturalismus so. Gerade auf siclogs wurden schon mehrere Verwünschungen gegen Szientisten und Naturalisten ausgestossen, was ja nichts anderes heisst als dass diejenigen, die diese Verwünschungen ausstossen auch an eine Welt glauben in der alles zusammenhängt, aber diese Welt wird ihrer Ansicht nach nicht allein durch Naturgesetze regiert und die Naturwissenschaftler sollen sich doch bitte raushalten aus allem was wirklich wichtig ist, denn in ihren Augen liefern die Naturwissenschaftler allenfalls die Grundlagen für den Techniker, der das Fernsehgerät flickt, nicht aber für die Erklärung der Welt.

          • @Martin Holzherr

            Unter dem von Ihnen weiter oben angegeben EKD Link heisst es in der Tat, “Der Begriff Energie etablierte sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts in der Physik und tauchte auch erst dann in der Esoterik und ihr verwandten Feldern auf.” (Hervorhebung von mir.) In der Historie der Esoterik bin ich nun nicht sonderlich bewandert, doch wenn das so stimmen sollte, dann spricht das freilich für eine Beeinflussung durch die physikal. Begriffsbildung.

            Für Esoteriker ist der Begriff vermutlich so populär, weil sie dahinter ein irgendwie mysteriöses Agens zu erkennen glauben, wohingegen Energie in der Wiss. wegen des damit assoziierten Erhaltungsprinzips eine eminente Bedeutung zukommt. Was es mit der Energieerhaltung auf sich hat, wurde von Poincaré bereits demystifiziert, aber das ist wiederum ein Thema für sich.

          • @Martin Holzherr »Erkenntnisse die man in der Naturwissenschaft gewonnen hat, sagen also auch etwas über die Beschaffenheit dieser Welt aus. Insoweit haben physikalische Erkenntnisse auch philosophische Implikationen. Das sehen scheinbar auch Gegner des Szientismus und Naturalismus so. Gerade auf siclogs wurden schon mehrere Verwünschungen gegen Szientisten und Naturalisten ausgestossen, was ja nichts anderes heisst als dass diejenigen, die diese Verwünschungen ausstossen auch an eine Welt glauben in der alles zusammenhängt, aber diese Welt wird ihrer Ansicht nach nicht allein durch Naturgesetze regiert …«

            Da argumentieren Sie wie Mahner, der jegliche Vorbehalte gegen seine und Bunges Sicht pauschal als unwissenschaftlich disqualifizieren will. Beispielsweise schreibt er [hier]:

            Metaphysical or ontological naturalism […] is the view that all that exists is our lawful spatiotemporal world. Its negation is of course supernaturalism: the view that our lawful spatiotemporal world is not all that exists because there is another non spatiotemporal world transcending the natural one, whose inhabitants—usually considered to be intentional beings—are not subject to natural laws.

            Hinter dem “all that exists” lauert allerdings eine sprachliche Untiefe, geradezu ein logisch-linguistischer Malstrøm. In der Tat lässt sich von einer allumfassenden Gesamtheit (der “Welt”) nicht als einem wohldefinierten Objekt reden, d.h., als einem Gegenstand, von dem prinzipiell entscheidbar wäre, ob eine ihn betreffende Behauptung entweder wahr oder falsch ist. Sie selbst hatten doch bei früherer Gelegenheit einmal den Philosophen Peter Gabriel ins Spiel gebracht, für den “es die Welt nicht gibt”. Wenn ich mich recht entsinne im wesentlichen mit dem Argument, dass uns die “Welt” als etwas Allumfassendes stets nur als echte Klasse, aber nicht als Menge begreifbar ist. Von einer Klasse ist nicht gefordert, dass sie frei von Paradoxien zu sein hat, das ist eben bei der “Welt” nicht anders als bei der vermeintlichen “Allmenge”.

            Weiters gebraucht Mahner hier, übereinstimmend mit Bunges Ontologie, ganz wesentlich Existenz als Prädikat. Das hatten wir auch schon mal in der Diskussion, dass dies mit der modernen Logik völlig unvereinbar ist. Wenn Mahner nun meint, jede ablehnende Haltung gegenüber seiner Vermischung von Wissenschaft mit Ontologie sei zwangsláufig auch Ausdruck eines Hangs zur Spökenkiekerei, dann ist das ein Strohmann-Argument.

            Mahner beansprucht überdies, seine Auffassung sei nicht dogmatisch, sondern so etwas wie Nullhypothese, die zu widerlegen man ja versuchen könne. Man kann es nicht widerlegen, doch liegt das schlicht daran, dass die logische Analyse das Urteil der Sinnlosigkeit über sein “all that exists” spricht. Und Sinnloses lässt sich halt nicht widerlegen, das ist also auch nur ein rhetorischer Trick.

  4. Bestimmte Konventionen zum ausschließlichen Lernziel zu machen, halte ich für ein oft übersehenes Problem. Zu den Schlüsselqualifikationen gehört m. E. gerade die Fähigkeit zum Umgang mit mehreren Konventionen. Erst kürzlich ist mir das bei einer geologisch-naturkundlichen Exkursion wieder begegnet, als mich ein Teilnehmer etwas vorwurfsvoll darauf aufmerksam machte, dass der von mir mehrfach vorgestellte ‘Lahnmarmor’ gar kein solcher sei, sondern ein Massenkalk. Aus Sicht des Geologen ist die Kritik berechtigt, denn der Begriff ‘Marmor’ ist hier für metamorphe Carbonatgesteine reserviert. Für einen Steinmetz dagegen ist ein polierfähiger Massenkalk ‘Marmor’ und wurde daher auch als solcher gehandelt. Aus diesem Grund wurde der Stein unter seinem Populärnamen bekannt und letztlich ließ sich dies auch zwanglos allen Exkursionsteilnehmern vermitteln. Schlimm wird es dann, wenn Pädagogen eine bestimmte Konvention zwanghaft und sanktionsbewehrt (Punktabzug) durchsetzen. Mein Deutschlehrer ließ den von mir ‘Nachsatz’ titulierten nachgestellten Nebensatz ebenso wenig als Synonym für den von ihm favorisierten ‘Hintersatz’ (bei dem Begriff würde ich heute eher an ein Orgelregister denken 😉 gelten wie die Grundschullehrerin meiner Nichte ‘Nebenwurzeln’ als Alternative zu ‘Seitenwurzeln’ (die Google-Umfrage geht heuer übrigens 7:4 zugunsten ersterer aus).

  5. Ich habe ziemlich viel Zeit dafür benötigt, einer Freundin zu erklären, dass die potentielle Energie keine möglicherweise vorhandene Energie ist, sondern dass die potentielle Energie immer ganz real vorhanden ist.

    Eher erheiternd ist es, dass die Molekularbiologen unter Plasma und Substrat etwas ganz anderes verstehen, als die Mikroelektroniker.

    • Etwa so, wie auch stets eine ganz reale Blende [1] zwischen einer gegebenen Lichtquelle und einem gegebenen Bildschirm vorhanden ist;
      wobei es “eben auch nur” Versuch für Versuch gilt herauszufinden (und mit eventuell schon
      vorhandenen Erwartungen zu vergleichen), ob, wie viele, und wie große bzw. wie verteilte Schlitze
      [2], Löcher [3], Ringe [4] o.Ä. jeweils “in der Blende” waren.

      Link-Ersatz-Liste:

      [1: http://de.wikipedia.org/wiki/Beugung_(Physik)#Beugung_an_Blenden ]
      [2: http://de.wikipedia.org/wiki/Schlitzblende ]
      [3: http://de.wikipedia.org/wiki/Lochblende ]
      [4: http://de.wikipedia.org/w/index.php?search=Ringblende&title=Spezial%3ASuche ]

      • p.s.

        Frank Wappler schrieb (16. April 2014 9:32):
        > Etwa so, wie […]

        Dieser (vorstehende) Kommentar war in Antwort darauf, dass

        Karl Bednarik schrieb (14. April 2014 6:44):
        > […] dass die potentielle Energie immer ganz real vorhanden ist.

  6. Sehr interessanter Blog-Artikel! Ich schreibe über die Fachsprache der Astronomie nämlich meine Masterarbeit (Angewandte Linguistik). Mich würde einmal interessieren, ob es sich in der englischen Fachsprache ähnlich verschwommen in Bezug auf Begriffe wie beispielsweise “Masse” oder “Energie” verhält?

    In der Linguistik spricht man übrigens vom sogenannte semiotischen Dreieck. Nehmen wir beispielsweise das Wort Metall. Der “Begriff” beschreibt ein Konzept – Metall im chemischen Sinn oder Metall im physikalischen Sinn. Die “Benennung”, nämlich das eigentliche Wort “Metall” ist aber dieselbe und jenachdem, in welchem Fachgebiet man sich gerade bewegt, ändert sich das Konzept des Begriffes. Was die Stundenkilometer betrifft, so ist das nicht “falsch”, sondern schlicht die umgangsprachliche Variante von Kilometer pro Stunde.

    • Die Masterarbeit würde mich sehr interessieren – kann man die dann irgendwo online einsehen?

      Die sprachliche Problematik mit Masse und Energie dürfte in der englischen Fachsprache dieselbe sein wie in der deutschen. Die deutsche Fachsprache hängt ja ingesamt sehr an der englischen (geht soweit, dass man sich für einige Begriffe mühsam deutsche Entsprechungen überlegen muss, weil man sie mit Kollegen nur auf Englisch verwendet). Nicht-übertragbare Probleme gibt es wohl nur in seltenen Fällen (z.B. “Geschwindigkeit”, wo das englische die zwei getrennten Wörter “velocity” vs. “speed” verwenden kann).

  7. Momentan befinde ich mich noch in der Recherchephase. Im Zuge dessen ich auch auf Ihren Blog gestoßen bin. Eigentlich wollte ich deutsche und englische Fachtexte vergleichen, aber es scheint, dass mittlerweile nur noch auf Englisch geschrieben wird, außer natürlich populärwissenschaftliche Artikel. Wird in der Astronomie/Astrophysik überhaupt noch etwas auf Deutsch publiziert?

    Was die Terminologie betrifft, gibt es schon eine Masterarbeit “Terminologiearbeit zur Astronomie/Astrophysik unter besonderer Berücksichtigung der Teilgebiete Stellare Astrophysik und Galaktische und extragalaktische Astronomie in den Sprachen Deutsch, Englisch und Italienisch.”
    Allerdings ist sie leider nicht online einsehbar.

    • Deutsche Fachtexte gibt es in der Tat kaum noch. Am nächsten dürften dem noch Lehrbücher kommen, die sich ja immerhin an den fachlichen Nachwuchs richten. Auch Jahresberichte von Instituten, die oft oberhalb dem populärwissenschaftlichen Niveau liegen – weil eben die spezielle Arbeit des Instituts dargestellt werden soll – gibt es zumindest zum Teil in deutscher Version.

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