Formate der Wissenschaftskommunikation

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… aber nicht einfacher
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Nach dem ich mich, wie hier beschrieben, jüngst über einen Artikel auf Wissenschaftskommunikation.de geärgert hatte, der aus meiner Sicht wichtige Teile der Arten und Weisen, wie Wissenschaftler direkt mit der Öffentlichkeit kommunizieren, ausblendete oder zumindest kleinredete (wenn auch, wie in den Kommentaren klar wurde, in einer von der Autorin nicht intendierten Weise), habe ich mich interessehalber mal auf der betreffenden Webseite umgeschaut, was denn dort überhaupt für Formate der Wissenschaftskommunikation in deren Datenbank beschrieben werden

Mein Fazit: gemischt. Da steht zwar vieles an eher neuen Formaten, oft mit den entsprechenden englischen Bezeichnungen (Bar Camp, Worldcafe etc.), aber dafür glänzen eine Reihe der Klassiker der Wissenschaftskommunikation, durch ihre Abwesenheit – anders gesagt: wenn ich mir so anschaue, was die Forschungsinstitute, die ich so kenne, konkret in Richtung Outreach und Wissenschaftskommunikation machen, dann fehlen die meisten dieser direkt aus der Wissenschaft kommenden Formate in der Liste.

Aber immerhin werden Nutzerinnen in “Über uns” explizit eingeladen, “an der Plattform mitzuwirken, indem sie etwa neue Formate zur Vorstellung vorschlagen”. Ich interpretiere “neu” mal so, dass das auch alte, klassische Formate betrifft, die in der noch in der Entwicklung befindlichen Format-Datenbank fehlen.

Vortragsreihen

Eines der ältesten Formate: Vorlesung
Michael Faraday bei einer Weihnachtsvorlesung im Jahre 1855. Bild: Alexander Blaikley via Wikimedia Commons

Es muss nicht immer die Lunch Lecture sein (die kommt als Spezialfall vor!), und diesen Klassiker gab’s auch schon lange vor TedX (das kommt auch vor): die gute alte Vortragsreihe. Die gibt’s seit mittlerweile mehr als 200 Jahren, wenn man die Juvenile Lectures der Royal Institution mit dazuzählt. Und es gibt sie immer noch: in Planetarien, Wissenschaftsmuseen, bei uns am Haus der Astronomie, an anderen Instituten, an Institutionen wie der Urania in Berlin. Interaktiv ist dann die Fragerunde am Ende. Zielgruppe etc. ungefähr wie bei den Lunch Lectures.

Tag der Offenen Tür

Ein weiterer Klassiker: Tage der Offenen Tür. Einen Tag lang öffnet das Institut oder sogar ein ganzer Campus seine Pforten und die Mitarbeiter zeigen in ihren Labors und an ihren eigenen Arbeitsplätzen, an Exponaten und Originalgerätschaften was sie so arbeiten. Je nach Institut, Lage und Anlass kommen dabei durchaus einige Besucher zusammen, die den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Löcher in den Bauch fragen. Hier mal eine Impression vom letzten Tag der Offenen Tür am Max-Planck-Institut für Astronomie:

Wer ansonsten so ein Institut besuchen will, muss aber auch nicht draußen bleiben. Viele Institute bieten nämlich das folgende an: regelmäßige

Institutsführungen

Bei vielen Instituten oder Forschungseinrichtungen sind ja bereits die Labors und Forschungsgeräte beeindruckend – und in vielen Institutionen gibt es die Möglichkeit, sich diese Dinge direkt im Rahmen einer Führung anzusehen. Oft sind es Studierende oder jüngere Wissenschaftler, die solche Führungen veranstalten, manchmal auch die Öffentlichkeitsbeauftragten. Ich habe damals als Schüler an mehreren DESY-Führungen teilgenommen, weil ich das so spannend fand. Hier hat jemand von der astronomischen Gesellschaft Magdeburg mal aufgezeichnet, wie eine solche DESY-Führung aussieht:

Besucherzentrum

Ergänzend zur Führung kann man Besuchern auch einen kleinen Bereich anbieten – mehr oder weniger aufwändig gestaltet – in dem sie selbst anhand von Exponaten erkunden können, welche Wissenschaft hier gemacht wird. Die Kollegen vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn haben beispielsweise einen kleinen Besucherpavillon direkt an ihrem großen Radioteleskop, in dem Vorträge für Besucher stattfinden:

Besucherpavillion am Radioteleskop Effelsberg. Hier fanden z.B. zum Astronomietag 2017 Vorträge statt. Außerdem sind solche Vorträge Teil der regelmäßigen Führungen in Effelsberg. Bild: Norbert Junkes, MPIfR

Das DESY hat ebenfalls ein sehr schönes Besucherzentrum mit Exponaten – Originalteile und z.B. eine schöne Funkenkammer, die live Elementarteilchenspuren sichtbar macht. Zahlreiche andere Institute haben im Eingangsbereich ähnliches: Modelle und Bilder, an denen man sehen kann, was im Institut vor sich geht.

Populärwissenschaftliche Artikel

Formate: Populärwissenschaftliche Artikel
Manchmal kann man seinen populärwissenschaftlichen Artikel auch über Nichts schreiben.

Ihr listet zwar das populärwissenschaftliche Buch auf, und sogar die Gattung Bildband hat bei euch einen eigenen Extra-Eintrag erhalten, aber es gibt ja auch noch eine viel häufigere Gattung von populärwissenschaftlichen Texten, nämlich die populärwissenschaftlichen Artikel. Bei Scientific American und Spektrum der Wissenschaft gehörte es ja seit jeher zum Geschäftsmodell, die Wissenschaftler selbst mir ihren Texten zu Wort kommen zu lassen. Der Aufwand ist deutlich geringer als für ein ganzes Buch. Insofern: Vielleicht durchaus eine Empfehlung wert für die Menschen, denen ihr mögliche Formate aufzeigen wollt, oder?

Einen Bereich, den ihr fast ganz ausspart, ist der Bildungsbereich. Schade, denn zum einen sind wir uns vermutlich einig, dass junge Menschen eine besonders interessante Zielgruppe für die Wissenschaftskommunikation sind, und zum anderen hat man im Bildungsbereich als Wissenschaftskommunikator wertvolle, natürliche Verbündete, nämlich die Lehrer. Aber das kann ja alles noch kommen. In punkto Effizienz ein wichtiges Bündel Formate für die Wissenschaftskommunikation:

Schülerworkshops

Schülerworkshops finden meist im Klassenverband statt: eine Schulklasse besucht das Institut und hat mehrere Stunden die Möglichkeit, sich mit einem wissenschaftlichen Thema auseinanderzusetzen – nicht passiv, sondern “Hands on”, also aktiv bastelnd oder experimentierend. Ein richtiggehendes Schülerlabor, also eigene Räumlichkeiten, sind da bereits die hohe Schule – Workshops sind aber auch mit deutlich weniger Aufwand in den meisten Instituten möglich. Und sei es im eigenen Seminarraum. Mir fallen da zum Beispiel die Kollegen vom Max-Planck-Institut für Ornithologie ein; wir selbst am Haus der Astronomie machen das natürlich auch.

Lehrerfortbildungen

Lehrerinnen und Lehrer sind, wie gesagt, natürliche Verbündete – sie haben Interesse daran, den Unterricht so interessant wie möglich zu gestalten, und aktueller Forschungsbezug bietet Schülerinnen und Schülern genau das: interessante, aktuelle Themen. Da diese Themen aber nicht Teil der Lehramtsausbildung waren und sind, die ja zudem bei den Lehrern oft länger zurückliegt, bieten Lehrerfortbildungen die Möglichkeit, die Brücke zwischen aktueller Forschung und Unterricht zu schlagen. Das kann in Form von interaktiven Workshops geschehen, bei denen z.B. Materialien vorgestellt werden…

…oder in Form von Vorträgen…

…und man sollte auch nicht unterschätzen, wie wichtig es ist, den Teilnehmern abseits der formalen Veranstaltungen einfach nur die Möglichkeit zu lebhaften Diskussionen zu bieten:

 

Die Bilder oben stammen von unserer W E Heraeus-Lehrerfortbildung Astronomie aus dem Jahre 2013. Lehrerfortbildungen gibt es je nach Bundesländern auch von zentraler Stelle aus, oder organisiert von Organisationen wie dem Verband zur Förderung des MINT-Unterrichts (MNU), von Fachgesellschaften wie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft oder als Teil von wissenschaftlichen Tagungen, etwa bei der Jahrestagung der Astronomischen Gesellschaft.

Sommerschulen

Für noch intensivere Fortbildung bietet sich ein Format an, das ursprünglich aus der Wissenschaft kommt: Sommerschulen, auf denen eine Woche lang intensiv Fachwissen vermittelt wird. Das funktioniert auch für Lehrer und Lehramtsstudenten, ist aber aufgrund des damit verbundenen Aufwandes eher selten. Dank der WE Heraeus-Stiftung machen wir aber z.B. seit 2013 jedes Jahr eine deutsch-italienische Sommerschule “Astronomy from Four Perspectives” mit Kollegen aus Heidelberg, Padua, Jena und Florenz. Letztes Jahr waren wir mit dieser Sommerschule in Florenz und haben mit den Teilnehmern u.a. den Gravitationswellendetektor VIRGO besucht:

Das war natürlich ein Highlight; Teil der Sommerschule waren natürlich aber auch traditionellere Elemente wie Vorlesungen und praktische Workshops.

Schülerakademien

Stratosphären-Ballonfahrt auf einer Schülerakademie. Bild oben: C. Liefke, HdA, unten: Geophysik-Kurs der JuniorAkademie Baden-Württemberg 2014.

Entsprechendes gibt es auch für Schüler/innen: Sommerschulen, genannt Schülerakademien, in denen interessierte Schülerinnen und Schüler zusammen mit Wissenschaftlern interessante Themen erarbeiten. Die Deutsche Schülerakademie bietet entsprechende Veranstaltungen an; in Baden-Württemberg gibt es zusätzlich noch die Science Academy.  Eine schöne Gelegenheit für Wissenschaftler, sich zu engagieren – und für die Jugendlichen, während zweier oder dreier Wochen mit Gleichgesinnten tiefer in ein Forschungsthema einzusteigen.

Praktika

Tiefer einsteigen kann man natürlich insbesondere auch, wenn man selbst erlebt, wie Forschung funktioniert. Dafür bieten verschiedene wissenschaftliche Institute Praktika an – zum Teil eigenständige schülertaugliche Forschungsprojekte, zum Teil einwöchige Praktika mit vorgegebenem Programm inklusive eigener Experimente. Mir fallen als erstes natürlich immer unsere eigenen Praktika ein, aber so etwas gibt es an vielen Instituten: bei Fraunhofer zum Beispiel, oder beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, oder beim DESY, oder bei den Physikalischen Instituten der Uni Gießen, oder beim Senckenberg-Museum usw. usf.

Girls’ Day

Girls’ Day am Haus der Astronoie 2015: Die ersten Beobachtungen mit per Internet steuerbaren Teleskopen laufen auf den Laptops der Teilnehmerinnen auf.

Eine besondere Form des Praktikums ist der Girls’ Day – der bundesweite Mädchen-Zukunftstag, der Schülerinnen die Möglichkeit geben soll, in Berufe hineinzuschnuppern, in denen Frauen unterrepräsentiert sind. Physik und Astronomie gehören auf alle Fälle dazu.

Jugend forscht / Schüler experimentieren

Jugendliche Forscher beim Auftakt des Jugend-forscht-Bundeswettbewerbs 2016 in Paderborn: Carina Ka­nitz mit Glaspipetten, Tobias Gerbracht mit einem selbstgebauten Projektions-Hilfsmittel für Augmented Reality. Bild: Jugend forscht-Pressemitteilung

Apropos Einstieg in die Forschung: für zahlreiche Jugendliche liefern die Wettbewerbe “Jugend forscht” (ab 15) bzw. für die jüngeren Forscher “Schüler experimentieren” die Möglichkeit, eigene Forschungen durchzuführen und zu präsentieren. Die eigentliche Forschung müssen die Schülerinnen und Schüler natürlich selbst durchführen, aber wissenschaftliche Mentoren, die das Projekt mit Rat und dem Zugriff auf geeignete Geräte unterstützen haben schon so manches Schülerforschungsprojekt enorm gefördert. Eine weitere Möglichkeit für Wissenschaftler/innen, sich im Bereich Bildung zu engagieren.

Schülerforschungszentrum

An einigen Standorten haben sich sogar Schülerforschungszentren etabliert, die Schülerinnen und Schülern eigene Forschungen ermöglichen und sie dabei unter anderem direkt auf Wettbewerbe wie Jugend forscht vorbereiten. Das Schülerforschungszentrum Südwürttemberg in Bad Saulgau und mit inzwischen ganzen sieben weiteren Standorten ist eine entsprechende Erfolgsgeschichte. Auch in diese Richtung können sich Wissenschaftler oder ganze Institute gewinnbringend engagieren – sozusagen der Spitzenförderungs-Anteil der Wissenschaftskommunikation.

Eine Frage der Formate

Ich will damit gar nichts gegen die Formate sagen, die ihr in eurer Datenbank bereits auflistet. Natürlich sind Instagram, Unterhausdebatte, Science Slam, Barquiz und so weiter cool. Aber ich glaube, wenn man eine ganz systematische Liste aufstellen würde, in welchem Ausmaß, in welcher Häufigkeit und mit welcher Zielgruppengröße aus der Wissenschaft selbst heraus kommuniziert wird, dann würden diese Formate eher nicht auf den vordersten Plätzen landen. Institutsführungen beispielsweise mögen an sich nichts neues sein, aber sie sind eben ein recht häufiges (und von jeher interaktives!) Format, um Wissenschaft vor Ort zu zeigen.

Insofern: Schaut doch mal, dass ihr den hier genannten Klassikern in Zukunft auch etwas Raum gebt. Derzeit habe ich den Eindruck, dass die Wissenschaftskommunikation direkt aus den Instituten heraus, direkt von den Wissenschaftlern, bei euch noch etwas unterrepräsentiert ist.

Avatar-Foto

Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

3 Kommentare

  1. Im positiven Sinn ein kunterbuntes Bild der Berührungspunkte von Wissenschaft und Öffentlichkeit.
    Jugend forscht, Science Fair und Matheolympiaden sind wohl allen, auch allen Schülern bekannt und vielleicht das, was Jugendliche heute zum frühesten Zeitpunkt bewusst macht, dass auch eine wissenschaftliche Laufbahn möglich wäre. In den USA scheint Science Fair so stark im öffentlichen Bewusstsein verankert, dass es (laut Wikipedia) in mehreren Filmen auftaucht.

  2. Lieber Markus,
    super, das kann uns wirklich die Arbeit erleichtern!
    Denn wir haben auf wissenschaftskommunikation.de bislang bei weitem noch nicht alle Formate gelistet. Die KollegInnen vom kleinen, aber feinen und sehr engagierten Redaktionsteam haben neben den bislang veröffentlichten Formaten noch eine mindestens ebenso lange To-Do-Liste. Wenn auch noch unvollkommen (auch an anderen Stellen der Website), haben wir uns trotzdem bewusst im Dezember für einen Soft-Launch der Seite entschieden. So ist das eben, wenn man mit etwas beginnt. Es ist nicht vollkommen, aber ein guter Anfang.
    In der Formatedatenbank haben wir übrigens extra oben die Auswahlfunktion und damit von unserer Seite her keinerlei Gewichtung vorgenommen.
    Und wir füllen weiter auf. Versprochen!