• Von Markus Pössel
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Astronomie, Physik, Chemie und der erste Weltkrieg (und Virginia Trimble)

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… aber nicht einfacher
RELATIV EINFACH
Henry_Moseley
Das hier ist nicht Virginia Trimble. (Bild in der Public Domain via Wikimedia Commons.)

Ich bin der Astronomin Virginia Trimble schon an vielen Stellen begegnet: In den über die Jahre hinweg immer ausführlicheren Jahresrückblicken zur Astrophysik, die sie zwischen 1991 und 2006 veröffentlicht hat (1991, 1992, 1993, 1994, 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, 2000, 2001, 2002, 2003, 2004, 2005, 2006) und die ich seit einiger Zeit mit Zeitversetzung und großem Gewinn lese; der Einleitungssatz des ersten Rückblicks ist bereits charakteristisch:

Science, notoriously, progresses amoeba-like, thrusting out pseudopods in unpredictable directions and dragging the rest of the body after or, occasionally, retreating in disorder. This review attempts to shine a narrow and not unprejudiced beam of light on areas of astrophysics where the author believes that something interesting happened in 1991.

Leider endet die Serie mit der Ausgabe für 2006; einzige Ausnahme ist die Ausgabe für 2049, die anscheinend durch ein Zeitloch gefallen ist. Auf andere von Trimbles Artikeln traf ich im Zusammenhang mit meiner Beschäftigung mit Relativitätstheorien und Kosmologie. Ihre Beschreibung der Texas-Symposia on Relativistic Astrophysics etwa – das erste traf mit dem Einzug der richtigen relativistischen Physik (sprich: nicht nur kleine Korrekturen zu Newton) in die Astronomie zusammen, nämlich mit der Schwarze-Loch-Erklärung für aktive Galaxienkerne (die ich in Astronomisches Grundwissen Teil 7 kurz beschreibe), und die weiteren Symposia zeichneten dann auch recht getreulich die Entwicklung der relativistischen Astrophysik nach. In Eponyms, Hubble’s Law, and the three princes of parallax und Anybody but Hubble! hatte sie sich mit der Frage beschäftigt, ob die berühmte Hubble-Relation (verkürzt: je weiter eine Galaxie von uns entfernt ist, umso größer ist die Geschwindigkeit, mit der sie sich von uns entfernt – heute als Anzeichen für die Expansion des Raums interpretiert) schon andere Wissenschaftler vor Hubble gefunden hatten oder ob sie ihren Namen zurecht trägt. Auch für Einstein Online hat sie freundlicherweise einen Artikel geschrieben, Weiße Zwerge und Gravitations-Rotverschiebung, zusammen mit Martin Barstow, der derzeit Präsident der Royal Astronomical Society ist.

Daneben hat sich Trimble noch über einer Reihe anderer Dinge abseits der üblichen Pfade Gedanken gemacht – sei es über Symmetrien in der Astrophysik, andere kosmische Hintergründe als die üblichen Verdächtigen oder die Wirkung astronomischer Institutionen, erschlossen aus den Zitationszahlen der mit ihrer Hilfe entstandenen Fachartikel. In den letzten Jahren spielt die Astronomiegeschichte bei Trimble eine immer größere Rolle – vom Belegschaftswechsel unter den Astronomen der Yale-Universität bis zu den Grenzüberschreitungen zwischen Physik, Astronomie und Chemie wie in Blurring the boundaries among astronomy, chemistry, and physics: the Moseley centenary beschäftigt.

Und mit Moseley sind wir dann immerhin schon beim Thema des Vortrags, den Virginia Trimble letzten Montag am Astronomischen Rechen-Institut (ARI) in Heidelberg (einem der Institute des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg) gehalten hat. Der Vortrag kam eigentlich über Zeitschriftenartikel zustande, bzw. über das Gegenteil von Zeitschriftenartikeln, nämlich keinen Zeitschriftenartikeln. Trimble hatte sich gefragt, wie es sich in anderen Wissenschaftsfeldern mit dem exponentiellen Anstieg wissenschaftlicher Fachartikel verhält, ablesbar an der Dicke der Jahresbände wissenschaftlicher Zeitschriften, wie man sie beim Vorbeigehen am Zeitschriftenregal in einer Bibliothek direkt erfahren kann. An der Dicke der Bände sah man freilich auch unverkennbar die Zäsuren, mit zwischenzeitlich sehr dünnen Bändchen in den Kriegsjahren des ersten und zweiten Weltkriegs.

Mit dem ersten Weltkrieg und dessen Bezug zu den Wissenschaften begann Trimble sich dann näher zu beschäftigen, und zu diesem Thema hat sie dann im ARI vorgetragen – deutlich unsystematischer als ein geschriebener Artikel, aber mit vielen interessanten Einzelheiten und Anstößen, und besonders interessant jenseits desjenigen Themas, das vermutlich jedem als erstes einfällt, wenn von Wissenschaft im 1. Weltkrieg die Rede ist (nämlich dem Gaskrieg).

Einige Schlaglichter liefert Teil II dieses Beitrags, der voraussichtlich morgen fertig ist.

 

 

 

 

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.