Sonst noch was? – Die Abstellkammer der polizeilichen Erfassung politisch motivierter Kriminalität
BLOG: Rechtsextremismus

Jedes Jahr im Mai stellt das Bundesinneministerium die neuen Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) vor. Grundlage dafür sind die Daten, die dem Bundeskriminalamt (BKA) durch die Landeskriminalämter übermittelt wurden. Strukturiert werden die Meldungen durch die Vorgaben des Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK), der festlegt, wie politisch motivierte Taten erfasst werden sollen.
Erkennen Polizeibeamt*innen in einer Tat ein politisches Motiv, muss die Tat laut der Richtlinien unter anderem einem Phänomenbereich zugeordnet werden: PMK-rechts, PMK-links, PMK-ausländische Ideologie oder PMK-religiöse Ideologie. Lässt sich eine Tat nicht eindeutig in eine der vorgesehen Phänomenbereiche einordnen, wir diese unter PMK-sonstige Zuordnungen erfasst1.
Das Problem mit den “sonstigen Zuordnungen”
Der Kategorie der „sonstigen Zuordnungen“ wird, im Gegensatz zu den Phänomenbereichen, häufig nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei lassen sich an anhand dieser einige zentrale Probleme der Erfassung politisch motivierter Kriminalität aufzeigen. Dass der Auffangkategorie mehr Beachtung geschenkt werden sollte, veranschaulicht die Entwicklung der Fallzahlen. Bis auf eine leichte Schwankung im Jahr 2017 zeigt sich für die vergangenen 10 Jahre ein kontinuierlicher Anstieg der „sonstigen Zuordnungen“, der 2022 seinen Höhepunkt erreichte, als etwa 40 % der erfassten Fälle politisch motivierter Kriminalität keinem der vier anderen Phänomenbereiche zugeordnet wurden2. Zurückgeführt wurde dieser Anstieg primär auf das Protestgeschehen während der Corona-Pandemie. Doch auch nach einem Rückgang 2023 und 2024 pendelte sich der Anteil der „sonstigen Zuordnungen“ am Gesamtstraftatenaufkommen politisch motivierter Kriminalität auf einem hohen Niveau ein. Zuletzt wurden 2024 rund ein Viertel (26 %) der registrierten Fälle politisch motivierter Kriminalität in den Bereich der „sonstigen Zuordnungen“ kategorisiert, womit dieser nach dem Phänomenbereich PMK-rechts der zweitgrößte war3.
Um sich vom Extremismus-Konzept zu lösen und eine bundesweit einheitliche Erfassung zu etablieren, wurde das PMK-Definitionssystem 2001 umfassend überarbeitet. Dies sollte insbesondere durch einen neu eingeführten Themenfeldkatalog erreicht werden, in dessen Rahmen durch Oberfeldthemen und Unterfeldthemen die tatauslösende Motivation der Täter*innen genauer erfasst werden kann. Gesellschaftlicher Entwicklungen entsprechend werden die Themenfelder und ihnen zugeordnete Unterthemenfelder fortwährend angepasst und erweitert. Aktuell umfasst der Themenfeldkatalog 25 Oberfeldthemen und 114 Unterfeldthemen sowie einen politischen Kalender. Speziell die Betrachtung des Oberfeldthemas „Hasskriminalität“ und den zur Kategorisierung vorgesehenen Unterfeldthemen offenbart, dass die Abgrenzungen, speziell der Unterfeldthemen, stellenweise unpräzise sind. Beispielhaft dafür kann das Nebeneinanderstehen der Unterfeldthemen „Ausländerfeindlich“, „Fremdenfeindlich“ und „Rassismus“ angeführt werden. Neben der kritisch zu bewertenden Verwendungung der Begriffe „fremdenfeindlich“ und „ausländerfeindlich“, kann die Abgrenzungsproblematik zu unterschiedlichen Erfassungspraxen führen und so die statistische Aussagekraft schwächen. Da die Kategorisierung einer politisch motivierten Tat maßgeblich von der (subjektiven) Bewertung in der polizeilichen Praxis abhängt, sollte die einheitliche Erfassung durch aussagekräftige und abgrenzbare Kategorien erleichtert und nicht erschwert werden.
Zusätzlich zu den Unstimmigkeiten der oben genannten Unterfeldthemen lässt sich am 2022 eingeführten Unterfeldthema „Geschlechterbezogene Diversität“ die Entkopplung des Themenfeldes „Hasskriminalität“ von den Phänomenbereichen illustrieren. Im Unterfeldthema „Geschlechterbezogene Diversität“, werden Taten „[…] gegen Menschen, deren geschlechtliche Identität vom biologischen Geschlecht abweicht sowie intersexuelle Menschen bzw. das Geschlecht gerichtet, welches nicht eindeutig als männlich oder weiblich zu bestimmen ist“4 erfasst. Mehr als die Hälfte (55 %) der registrierten Fälle in diesem Unterthemenfeld wurden 2024 im Phänomenbereich der „Sonstigen“ zugeordnet, während insgesamt 41 % der Fälle dem Phänomenbereich PMK-rechts zugeordnet werden konnten5.
Allerdings ist, wie sich auch immer wieder in Einstellungsumfragen zeigt, Transfeindlichkeit vor allem, aber nicht nur im politisch rechten Spektrum zu verorten. Zuletzt offenbarte die Leipziger Autoritarismus-Studie, dass 35 % der Personen, die sich selbst in der politischen Mitte verorten, ein geschlossen transfeindliches Weltbild haben6. Transfeindlichkeit lässt sich damit nicht nur an den politischen Rändern (mit denen das PMK-Definitionssystem zugrundeliegende Extremismus-Konzept operiert) lokalisieren. Diese Befunde auf der Einstellungsebene können als Indiz dafür gewertet werden, dass für die Begehung einer vorurteilsmotivierten transfeindlichen Tat keine gefestigte ideologische Überzeugung oder ein explizites politisches Ziel vorliegen muss.
Die Ausdehnung der Kategorie „sonstige Zuordnungen“, sowohl auf Ebene der Einordnung in Phänomenbereiche als auch in das Unterfeldthema „geschlechterbezogene Diversität“, verdeutlichen die Grenzen und Schwächen des aktuellen PMK-Definitionssystems. Für die Begehung einer durch Ungleichwertigkeitsideologien motivierten Straftat ist keine gefestigte Ideologie notwendig, die sich trennscharf in einer der vier anderen Phänomenbereiche verorten ließe. Die Auffangkategorie der „sonstigen Zuordnungen“ verdeutlicht dies.
Die Definition politisch motivierter Kriminalität auf dem Prüfstand
Das nach wie vor am Extremismus-Konzept orientierte Definitionssystem politisch motivierter Kriminalität, mit seinen nicht trennscharfen Kategorien, ist damit nur eingeschränkt dazu geeignet Polizeibeamt*innen eine klare Orientierung bei der Kategorisierung an die Hand zu geben. Damit wird das Ziel einer adäquaten, und bundesweit einheitlichen Erfassung politisch motivierter Kriminalität sowie die Abbildung ihrer ideologischen Hintergründe unterlaufen.
Es sollte kritisch geprüft werden, ob das zugrunde gelegte Extremismus-Konzept und die darauf basierenden Phänomenbereiche politisch motivierte Kriminalität noch angemessen abbilden. Zielführender könnte es sein, Vorurteilskriminalität als von gefestigten ideologischen Überzeugungen und expliziten politischen Zielen, unabhängiges Phänomen zu erfassen. Im Zuge dessen sollte auch die Perspektive der Opfer bei der Beurteilung der Motivation stärker berücksichtigt werden.
Daneben ist eine Aktualisierung und Neustrukturierung des Themenfeldkataloges notwendig. Exemplarisch hierfür stehen die Unterfeldthemen „Ausländerfeindlich“ und „Fremdenfeindlich“, die zugunsten eines Unterfeldthemas „Rassismus“ abgeschafft werden sollten, um zum einen die sprachliche Übernahme der Täter*innenperspektive zu beenden und zum anderen die statistische Aussagekraft zu erhöhen. Denn auch wenn es sich bei der PMK-Statistik um eine Statistik handelt, die in erster Linie Auskunft über die polizeiliche Arbeitsweise und Erfassungspraxis gibt, prägt sie durch ihre mediale und gesellschaftliche Rezeption die gesellschaftliche Wahrnehmung politisch motivierter Kriminalität. Zudem werden auf ihrer Grundlage Lagebilder erstellt und politische Entscheidungsprozesse angestoßen. Insbesondere wenn die jährlichen Fallzahlen den Ausgangspunkt für die Entwicklung von Repressions- und Präventionsstrategien darstellen, wiegen die Schwächen des PMK-Definitionssystems schwer.
- (BKA, 2022, S. 9) ↩︎
- (BMI, 2023, S. 4) ↩︎
- (BMI, 2025, S. 4) ↩︎
- (BKA, 2023, S. 4) ↩︎
- (BMI, 2025, S. 15) ↩︎
- (Decker et al., 2024, S. 170) ↩︎
Quellen:
Bundeskriminalamt (Hrsg.). (2022). Definitionssystem Politisch motivierte Kriminalität.
Bundeskriminalamt (Hrsg.). (2023). Themenfeldkatalog zur Kriminaltaktischen Anfrage in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KTA-PMK).
Bundesministerium des Innern (Hrsg.). (2016). Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2015. Bundesweite Fallzahlen.
Bundesministerium des Innern und für Heimat (Hrsg.). (2023). Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2022. Bundesweite Fallzahlen.
Bundesministerium des Innern und für Heimat (Hrsg.). (2025). Bundesweite Fallzahlen 2024. Politisch motivierte Kriminalität.
Decker, O., Kiess, J., Heller, A., & Brähler, E. (Hrsg.). (2024). Vereint im Ressentiment: Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen/Leipziger Autoritarismus Studie 2024. Psychosozial-Verlag. https://doi.org/10.30820/9783837962864