Meine Heizung hat einen freien Willen?
BLOG: Quantenwelt
Ein Heizkörperthermostat ist ein gutes Beispiel für ein deterministisches System, das Entscheidungen fällen kann und die Freiheit hat, diese Entscheidungen in die Tat umzusetzen. Er hat einen äußeren Anlass zu handeln, nämlich die Änderung der Temperatur. Er hat innere Zustände, die sein Handeln bestimmen, nämlich den Stellwert und die Hyterese. Und zu guter Letzt hat er durch das angeschlossene Ventil die Möglichkeit, warmes Wasser in den Radiator zu lassen, wenn es kühl wird, und das Wasser abzusperren, wenn die gewünschte Wärme erreicht ist.
Ich war einigermaßen überrascht, als ich im von mir sehr geschätzten Nachbarblog von Edgar Dahl lesen konnte, dass die letzt genannte Fähigkeit des Thermostats, seine eigene rationale Entscheidung in die Tat umzusetzen, eine ausreichende Begründung für einen freien Willen sein soll: Wir sind frei, denn alles ist vorherbestimmt. lautet dort die These vom Gastautor Andreas Müller. Ich kann dieser Argumentation nicht folgen.
Richtig ist die Argumentation, dass Zufall kein freier Wille ist. Ich habe zum Thema Zufall ist kein freier Wille einmal selbst einen Blogbeitrag geschrieben. Unserem Thermostaten würde wahrscheinlich kaum jemand einen freien Willen zugestehen. Er hat eine gewisse Handlungsfreiheit, denn es unterliegt ihm, das Ventil bei Bedarf zu öffnen und zu schließen. Aber er hat keine Willensfreiheit, er hat nicht die Wahl sich am Schwellwert willkürlich gegen die Ventilöffnung zu entscheiden. Und er wird wahrscheinlich auch nicht die Freiheit spüren, das zu tun.
Um diese gefühlte Freiheit geht es aber in der Diskussion der Willensfreiheit. Andreas Müller greift hier zu kurz, wenn er meint:
Rationale Akteure haben aufgrund ihrer Natur als rationale Akteure einen Eindruck, dass sie ihre Entscheidungen auf Grundlage ihrer eigenen Überlegungen treffen können.
Auch der Thermostat trifft die Entscheidung auf der Grundlage einer eigenen Überlegung. Im Sinne des Determinismus ist eine Überlegung nämlich nichts weiter als Datenverarbeitung: Die zur Verfügung stehenden Informationen über äußere Gegebenheiten (Temperatur) werden zusammengenommen und unter Hinzunahme innerer Einflussgrößen (Stellwert) zu einem Resultat verarbeitet. All das macht ein Thermostat, um die Entscheidung zur Ventilöffnung zu treffen, oder ein Schachcomputer, um auf den Zug des menschlichen Gegners adäquat zu reagieren. Diese Systeme haben Entscheidungsfreiheit.
Menschen empfinden aber eine größere Freiheit, nämlich die, ihre Beweggründe selbst zu finden oder sogar einmal eine Entscheidung ohne Gründe oder gegen besseren Wissens zu treffen. Das ist Willensfreiheit. Die gilt es zu erklären.
Lassen sie mich aber erstmal auf die Frage Determinismus oder Zufall zurückkommen. Andreas Müller bekämpft ja die Vertreter der Willensfreiheit mit dem Argument, dass eine zufällige Entscheidung nicht frei sei. Recht hat er. Nur bekämpft er hier einen Strohmann. Wenn ein Mensch eine Entscheidung trifft, dann hat er in der Regel weder den Eindruck, durch die Überlegungen, die er zuvor getätigt hat, an eine logische Entscheidung gebunden zu sein, noch hat er den Eindruck, es würde ihn ein äußerer Grund zu einer logischen oder unlogischen Handlung zwingen. Die Entscheidung, so scheint es, kommt von dem Menschen selbst. Und es ist offenbar eine Frage der eigenen Persönlichkeit, ob sich der Proband eher für logisch fundierte oder eher für Bauchentscheidungen entschließen wird.
Die Diskussion um echten Zufall oder reinen Determinismus, die in Kommentaren zu Blogbeiträgen über Willensfreiheit eigentlich immer ausbricht, wird uns kein Stück weiter bringen. Echten Zufall gibt es. Man sehe sich nur die Ergebnisse der modernen quantenoptischen Experimente an. Diese lassen da wenig Spielraum: Wenn man die Zufälligkeit des Messausgangs nicht akzeptieren möchte, dann bleiben nur noch radikalere Weltsichten übrig. Solche mit über Raum und Zeit unlokalisierten Zuständen. Zustände, die nicht nur an vielen Orten, sondern auch zu vielen Zeiten zugleich sind. Ich sehe im reinen Zufall kein echtes logisches Problem. Aber er löst die Frage nach dem freien Willen nicht.
Nehmen wir an, die Welt sei völlig deterministisch. Alles was passieren wird und je passiert ist, war von Beginn an durch die Anfangsbedingungen vorgegeben. In dem Fall gibt es tatsächlich keine moralische Schuld. Jeder macht, was die Naturgesetze ihn machen lassen. Und wenn jemand für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird, dann nicht aus moralischen Gründen, sondern streng deterministisch. Das Rechtssystem und unsere Moralvorstellungen sind ebenfalls einfach in dem Zustand, der sich aus den Anfangsbedingungen entwickeln musste, und funktionieren ohne jede Alternative.
Nehmen wir nun zufällige Ereignisse hinzu. Beachten wir also, dass der Zeitpunkt einer atomaren Zustandsänderung nicht determiniert ist, sondern statistischen Gesetzen folgt. Hierdurch ändert sich die Situation nur wenig. Zwar sind die Ereignisse nun nicht mehr für alle Zeit festgelegt, aber die schiere Menge an Atomen, die für jede Handlung in der makroskopischen Welt entscheidend sind, sorgt für ziemlich exakt vorherbestimmte Abläufe. Lässt man einen tropfen Tinte in ein Wasserglas fallen, so ist die Bewegung jedes einzelnen Atoms völlig unbestimmt. Was aber mit der Tinte passiert, ist vorhersagbar. Sie wird sich im Wasserglas verteilen. Ähnlich gut vorhersagbar sind alle Abläufe in den Nervenzellen. Wenn Gedanken durch biochemische Abläufe in den Nervenzellen bestimmt ist, wird quantenmechanischer Zufall nicht einen einzigen Gedanken ändern. Dieser bekannte Zufall ist zu schwach, um unvorhersehbare Änderungen in der Verhaltensweise von Lebewesen hervorzurufen.
Nun können wir einmal Spekulieren, welche Auswirkungen es hätte, wenn es einen makroskopischen echten Zufall gäbe. Was wäre, wenn tatsächlich ausreichend Neuronen rein zufällig eine chemische Reaktion auslösen könnten und wenn diese Reaktion den Ausschlag gäbe, ob eine Person eine Handlung begeht oder nicht. Würde das irgend eine echte Freiheit des Individuums begründen? Selbstverständlich nicht. Es wäre die selbe Freiheit, die jemand hätte, der vor jeder Entscheidung eine Münze wirft und sich an den Ausgang des Münzwurfes gebunden fühlt. Das Gefühl der Willensfreiheit wäre durch Zufall nicht gerechtfertigt.
Weder echter Zufall noch Determinismus ergeben also letztlich Willensfreiheit. Willensfreiheit muss, wenn sie denn existiert, etwas drittes sein. Ich nenne es einmal Willkür. Willkür ist weder deterministisch noch zufällig, sondern sie verfolgt Ziele, die sich eine Person selbst gesetzt hat. Diese Ziele können weitblickend sein, sie können aber auch einfach eine Laune sein. Und sie sind offenbar persönlich: Manche Menschen entscheiden sich öfter dafür, das logische zu tun, andere lieben es spontan etwa Verrücktes zu tun.
Ich bin kein Freund von Esoterik. Ich glaube daran, dass Willkür, wenn es sie denn gibt, wissenschaftlichen Methoden nicht unzugänglich sein kann. Wissenschaft ist schließlich ergebnisoffen, sie fragt nur nach Reproduzierbarkeit. Man muss sich also nach einer Methode umsehen, mit der man zufällige von willkürlich gewählten Zahlenreihen unterscheidet. Mir ist dazu allerdings bisher nichts gescheites eingefallen. Deshalb muss mein Blogartikel hier enden. Aber nicht bevor ich klar gestellt habe:
Dieser Beitrag soll kein neues Dogma schaffen. Ich behaupte keineswegs, dass es neben Zufall und Determinismus noch die Willkür gibt. Es ist sehr gut vorstellbar, dass ein deterministisch arbeitendes Gehirn uns das Gefühl der Freiheit nur vorspielt. Es gibt keinen wissenschaftlich belastbaren Hinweis, dass Willkür existiert. Aber es gibt ein Phänomen: Die gefühlte Willensfreiheit. Und es ist eine Aufgabe von Naturwissenschaft, Phänomene zu untersuchen. Ich bin sehr gespannt, ob es da in absehbarer Zeit Fortschritte geben wird.
Der Freie Wille im Sinne Robert Havemann
Im Bild von Tinte und Wasserglas entspräche in der “Dialektik ohne Dogma” Robert Havemanns das freie Subjekt dem Tinten-Molekül: es ist nicht vorhersehbar, wie es sich entwickelt, aber hinterher ist das Wasser blau und ungenießbar. Eine kleine dialektische Morgen-Replik auf Ihren interessanten Beitrag gibt’s deshalb heute auf Czyslansky: http://www.czyslansky.net/?p=2968.
Willkür – als Zeichen von Freiheit
Dass der “Student (Germanistik, Anglistik)” Andreas Müller einen Strohmann bemüht, um ihn wortreich in lodernde Flammen versetzen und so weithin sichtbar abfackeln zu können (ich spiele auf die URL seines Blogs “Aufklärung 2.0” an, in der er sich luziferisch zum “Feuerbringer” erklärt), ist in der Diskussion zu seinem Beitrag auch hier festgestellt worden.
Diese Argumentationsfigur stammt bloß nicht von ihm. Seit Jahren wird sie zu demselben Zweck von gestandenen und angesehenen Professoren aus der Hirnforschung benutzt. Gerhard Roth führt sie z.B. hier vor (Replikhier).
Ich finde es beeindruckend und erfreulich, dass Sie hier auf unsere selten angesprochene, aber hochbedeutsame Fähigkeit zur WILLKÜR oder Beliebigkeit zu sprechen kommen, zu der wir imstande sind. In meinem “Beweis” oder genauer gesagt, empirisch-psychologischen Nachweis der Existenz unserer Willensfreiheit hier habe ich darauf hingewiesen, dass sie “in der Tat” Ausdruck unserer “Freiheit” ist: angefangen von Gedankenfreiheit bis hin zur Willensbildung, bei der wir uns genau deswegen eigens bemühen müssen, sie “vernünftig” zu gestalten…
“Man muss sich also nach einer Methode umsehen, mit der man zufällige von willkürlich gewählten Zahlenreihen unterscheidet.”
Das tut man auch 😉
Und es gibt durchaus gute methodische Ansätze …
Was die Schwierigkeit anbelangt, den Auflösungsweg der Tinte zu modellieren – ist es nicht erlaubt, an einer zu hohen Komplexität zu scheitern? Muss ich das dann sofort Zufall, oder noch brutaler, ‘reinen’ Zufall nennen?
Zufall, Determinismus, Willensfreiheit
Frage: Welcher Begriff passt nicht in diese Reihe?
@Joachim Schulz
» Weder echter Zufall noch Determinismus ergeben also letztlich Willensfreiheit. Willensfreiheit muss, wenn sie denn existiert, etwas drittes sein. Ich nenne es einmal Willkür.«
Das hilft m.E. auch nicht weiter. Zufall und Kausalität sind beobachtbare Naturphänomene. Willensfreiheit oder Willkür hingegen sind philosophisch-psychologische Konstrukte, das fällt in eine ganz andere Kategorie. Die Frage, warum der Wille “frei” sein muss und was “frei” im Zusammenhang mit dem Willen überhaupt bedeutet, lässt sich mit naturwissenschaftlichen Methoden wohl kaum klären.
» Es ist sehr gut vorstellbar, dass ein deterministisch arbeitendes Gehirn uns das Gefühl der Freiheit nur vorspielt.«
Eben. Diese Vorstellung ist so nahe liegend und schlüssig, dass viele Neurobiologen das schon als Fakt nehmen. Denn tatsächlich kann ein deterministisch arbeitendes Gehirn Verhalten steuern, ohne dass ein Freiheitsgefühl vorhanden sein muss.
» Es gibt keinen wissenschaftlich belastbaren Hinweis, dass Willkür existiert. Aber es gibt ein Phänomen: Die gefühlte Willensfreiheit.«
Dann wäre also zu untersuchen, wieso wir das Gefühl haben können, bei manchen unserer Entscheidungen frei zu sein.
» Nehmen wir nun zufällige Ereignisse hinzu. Beachten wir also, dass der Zeitpunkt einer atomaren Zustandsänderung nicht determiniert ist, sondern statistischen Gesetzen folgt. Hierdurch ändert sich die Situation nur wenig. «
Das bestreite ich für die belebte Natur(und um die geht es hier ja). In der Biologie können einzelne (mikroskopische) Zufallsereignisse sehr wohl dramatische Auswirkungen haben. Man denke etwa an Mutationen…
Zunächst mein Dank an Joachim, der, wenn vermutlich auch ohen Absicht 😉 meine Meinung genau auf den Punkt gebracht hat. Nur würde ich anstatt von “Willkür” lieber vom “Selbst” sprechen.
Joachim: » Es gibt keinen wissenschaftlich belastbaren Hinweis, dass Willkür existiert. Aber es gibt ein Phänomen: Die gefühlte Willensfreiheit.«
Belanus: “Dann wäre also zu untersuchen, wieso wir das Gefühl haben können, bei manchen unserer Entscheidungen frei zu sein.”
Meiner Ansicht nach gibt es diesen wissenschaftlich belastbaren Hinweis, dass Willkür, der (bedingt) freie Wille oder das Selbst, wie immer man es nennen will, sehr wohl existiert: Man kann es beeinflussen und man kann es temporär zerstören.
Alkohol ist eine bewusstseinseinschräkende Chemikalie. Wessen Bewusstsein durch Alkohol eingeschränkt ist, der verfügt nur noch über einen verminderten freien Willen.
Es gibt andere psychisch wirksame Chemikalien (Geständnismittel, Plauderdrogen), die das Bewusstsein kaum einschränken, aber den freien Willen drastisch einschränken. So beeinflusste Menschen verfügen nicht nur über einen drastisch eingeschränkten freien Willen, sie merken auch diese Einschränkung. Diese Menschen “bilden sich nicht mehr ein”, einen freien Willen zu haben, oder besser gesagt, wissen, dass sie momentan keinen freien Willen haben.
Was man beeinflussen und zerstören kann, das muss es doch wohl auch geben, oder?
mfg
Luchs
Was ist freiheit? Was ist Aufklärung?
Ein sehr guter blogbeitrag!
Die haupt schwierigkeit besteht also darin überhaupt ersteinmal befriedigend zu definieren, was willensfreiheit überhaupt meinen soll. Gibt es also überhaupt eine denkmöglichkeit des freien willens? Ich finde immer noch die Kantsche perspektive befruchtend, die einfach eine andere perspektive einnimmt uns so das dilemma zwischen zufall und notwendigkeit vermeidet.
„Der Wille ist ein Vermögen, nur dasjenige auszuwählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung als gut erkennt.“
Damit kann ich konkret etwas anfangen: Gibt es die möglichkeit einer entscheidung, die nur auf (vernünftigen) sachgerechten überlegnungen ruht? Gibt es also die möglichkeit sich durch übung und erwägung für eine sache zu entscheiden, auch wenn meine neigungen eine andere sprache sprechen. Das heisst nicht, dass nur entscheidungen gegen das bauchgefühl gute entscheidungen sind, ganz gewiss nicht, aber solche fälle könnten eine „nagelprobe“ für die möglichkeit freier entscheidungen sein. Freiheit ist also die befreiung von sachfremden gründen, und nicht überhaupt von gründen!
Meine intuition geht dahin, dass nüchternheit, rationalität und vernunft eingeübt werden müssen. Vielleicht sind auch einige formen der meditation geeignet sich von fremden einflüssen zu befreien: fremd im sinne von für die angelegenheit fremd. Ist es möglich dass wir uns individuell für handlungen entscheiden, die das wohl des ganzen planeten im auge haben, ohne in depressionen zu verfallen?
Ein beispiel: Ich möchte mobilität: Soll ich ein auto kaufen? Welche eigenschaften bestimmen meine entscheidung? Der satte sound? Die form? Der motor? Die erwartete bewunderung durch freunde?
Der begriff der freiheit macht in meinen augen nur in diesem sinn der autonomie und mündigkeit einer entscheidung einen sinn. Dabei könnten durchaus unbewusste prozesse entscheident sein. Das ist für diese unterscheidung nicht erheblich, ob prozesse des bewusstsein oder unterbewusstsein dominieren. Trotzdem könnten bewusstwerdungen von sachfremden gründen eine wichtige rolle spielen.
Es könnt auch sein, dass dankbarkeit, versöhnung und wohlwollen die befreiung von befangenheit erleichtert.
Dies wären hypothesen, aber die Kant¨sche definition ist – glaube ich – ein hebel um derlei überprüfbar zu machen.
Oder?
@Luchs
Ich glaube nicht, dass bewustseinsverändernde drogen hier einen brauchbaren versuch hergeben. Vielmehr krankt die diskussion an einer verwendbaren hypothese.
Neurologisch könnten spontane kompartimentierungen von zuständigkeiten eine rolle spielen: zum einen die fähigkeit „störgeräusche“ auszublenden und zum anderen mentale konflikte zugunsten der vernunft zu entscheiden.
@Kittel
Die alte bedeutung von Willkür als freie wahl und gutdünken hatte etwas mit unserem thema zu tun. Die heutige bedeutung im sinne von beliebig und grundlos wohl ehr nicht.
Freiheit muss also nicht durch vernunft gebändigt werden, sondern die vernunft ist die grundlage von freiheit.
Wenn ich aber den naiven willkürlichkeitsbegriff aufgreife, fühl ich mich an eine aussage erinnert: Zinédine Zidane sei technisch so perfekt, dass er es sich erlauben könne nicht zu wissen was er als nächstes tuen wird. Tasächlich ist eine solche willkürlichkeit sogar im tierreich teil einer strategie: Einige falter scheinen einen zufallsgenerator für richtungsentscheidungen zu verwenden, wenn sie über freie flächen fliegen: ein effektiver schutz vor vögeln.
Ist das freiheit?
@Wilhem Druben
Wilhelm: „Ich glaube nicht, dass bewustseinsverändernde drogen hier einen brauchbaren versuch hergeben. Vielmehr krankt die diskussion an einer verwendbaren hypothese.“
Ich denke schon, dass das Experimentieren mit Geständnismitteln (wo im Gehirn und über welche Neurotransmitter genau wirken diese) ein fruchtbarer Weg für die moderne Hirnforschung sein kann und helfen kann uns klarzumachen, was der freie Wille ist.
Eine Hypothese – grübel, stutz. Leben ist selbstbestimmte Aktivität. Der (bedingt) freie Wille (oder das Selbst) ist exakt der prinzipielle Unterschied zwischen einem Lebewesen und einem toten Gegenstand. Auch Bakterien haben eine freien Willen, wenn auch nur einen winzig kleinen.
Dagegen hilft MIR die Kantsche Definition in keiner Weise weiter:
„Der Wille ist ein Vermögen, nur dasjenige auszuwählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung als gut erkennt.“ ?!
Die Vernunft ist doch lediglich ein Teil der Neigung! Der Wille ist für mich das Vermögen ein Selbst entstehen lassen (als Teil der Hardware Gehirn) und dieses Selbst entscheiden zu lassen, und nicht die Entscheidungsgewalt ausschließlich der Umwelt und dem Zufall zu überlassen.
mfg
Luchs
Willkür oder Selbst
Danke für den spannenden Blogbeitrag!
Unstrittig scheint doch auch zu sein, dass die Vorstellung eines “fühlbaren Selbst” bei ganz einfachen Lebensformen noch nicht voraus gesetzt werden kann und sich auch bei Säugetieren (z.B. Affen) unterschiedlich stark ausgeprägt hat. Ich würde dazu tendieren, hier ein Emergenzphänomen anzunehmen, das sich aus grundlegenden Bestandteilen zu einem neuen und funktionalen System verbunden hat. Es hätte dann schon eine eigenständige Rückwirkung, wie ja z.B. auch “Leben” auf die physische Realität der belebten Objekte rückwirkt.
@Balanus: Konstrukte
“Zufall und Kausalität sind beobachtbare Naturphänomene. Willensfreiheit oder Willkür hingegen sind philosophisch-psychologische Konstrukte, das fällt in eine ganz andere Kategorie.”
Nein, das stimmt nicht. Zufall und Kausalität sind ebenfalls philosophische Konstrukte. Naturphänomene sind der radioaktive Zerfall oder des sich Verteilen der Tinte. Die Begriffe Zufall und Kausalität werden verwendet um die Naturphänomene einzuordnen und zu verstehen. So gibt es, wie Tolya Glaukos ganz richtig anmerkt, keine direkte Möglichkeit durch direkte Beobachtung zwischen deterministischem Chaos einerseits und echtem Zufall andererseits zu unterscheiden. Weder Zufall noch Kausalität sind beobachtbar, sie sind Ansätze zur Erklärung von Naturphänomenen.
Dass es echten Zufall tatsächlich gibt, wissen wir nur, weil es Teilchenpaare gibt, die zusätzlich zu ihrem statistischen Verhalten auch noch eine Quanteneigenschaft namens Verschränkung tragen. Nur die Auswertung der Korrelationen zwischen verschränkten Teilchen, gibt uns überhaupt einen Hebel, Kausalität von Zufall zu unterscheiden. Für das Beispiel der Tinte im Wasserglas sind Zufall und Kausalität alternative Erklärungsansätze.
@Balanus: Mutation
“Das bestreite ich für die belebte Natur(und um die geht es hier ja). In der Biologie können einzelne (mikroskopische) Zufallsereignisse sehr wohl dramatische Auswirkungen haben. Man denke etwa an Mutationen…”
Dieses Beispiel bestätigt meine Aussage eher als das es sie widerlegt. Der quantenmechanische Zufall spielt nur dort eine Rolle, wo es auf einzelne oder sehr wenige Moleküle ankommt. Das ist bei Mutationen der Fall, die ja erst im Zeitraum von Generationen Auswirkungen haben. Beim Verhalten von Nervenzellen, an dem eine makroskopische Zahl von Molekülen beteiligt ist und das einzelne keinen Einfluss hat, spielt der Zufall keine Rolle.
Die Stärke eines Einflusses spiegelt sich meist in der Zeitskala wieder. Auf der Zeitskala von Generationen sind Mutationen wichtig. In den Millisekunden, die es braucht, eine Entscheidung zu fällen, hat Zufall keinen Einfluss.
Zustimmung und Anmerkungen
Erst einmal Gruß an den Physiker-Kollegen 😉
Wie nicht anders zu erwarten, stimme ich im Großen und Ganzen zu – mit folgenden kleinen Anmerkungen/Ausnahmen:
a) Die Quantenmechanik ist nicht die einzige Theorie, die den strengen Determinismus zu Fall bringt:
http://de.wikipedia.org/…r_D%C3%A4mon#Diskussion
Ich halte z.B. das Deterministische Chaos ebenfalls für einen überzeugenden Einwand, denn man kann leicht belegen, dass es in unserem Universum Grenzen gibt, die dies nicht nur zu einem hypothetischen Einwand machen.
b) Ich finde es alles andere als offensichtlich, dass in einem komplexen System Quanteneffekte keinen Einfluss auf makroskopische Systeme haben sollen. Gerade für hochgradig nichtlineare Systeme wie z.B. den Neuronen in unserem Gehirn erwarte ich große Auswirkungen vom Quanten-Rauschen. Ich brauche überhaupt keinen Ljapunow-Exponenten auszurechen, um zu wissen, dass der “Quanten-Zufall” in Verbindung mit deterministischem Chaos sehrwohl im Makrokosmos beobachtbar sein sollte.
c) Sich gleich mit der Willensfreiheit zu beschäftigen, scheint mir ein wenig ambitioniert (ob der Freie Wille mit Determinismus vereinbar ist oder nicht, ebenso). Anstatt mit der Tür ins Haus zu fallen, könnte man sich doch erst einmal näher mit Teilaspekten beschäftigen. Wie z.b. mit der Viele-Welten-Theorie oder Bohmschen Mechanik, die meiner Meinung nach fälschlicherweise den Anspruch erhebt, den Determinismus zu retten.
vielleicht sind es nur….
veraltete Vorstellungen, die zu falschen Fragen führen. Aber das beste erst zum Schluss.
Ich habe diese althergebrachte Diskussion schon oft geführt und bisher niemanden gefunden der auf meine Deutungen zufriedenstellende Antworten geben konnte.
Wenn man mal betrachtet was Unfreiheit bedeuten soll, so ist es für mich in einer
Version A: Eine Zwangssituation von Äußeren Umständen die jemanden in einen beschränkten Handlungsspielraum zwingt.
Version B: Eine Zwangsituation von Inneren Umständen, die jemandne in einen beschränkten Handlungsspielraum zwingt.
Anmerkungen:
1. Man kann zu beiden Versionen hinzufügen: Eine Zwangssituation die weiter als die natürlichen beschränkungen geht.
da natürlichkeit ein äußerst schwammiger begriff ist, stark wertend, schlecht definierbar, aber leicht formbar, eigentlich weiß niemand was es genau bedeutet, vgl. dazu den ausdruck etwas ist nicht normal, bzw. es wird austauschbar zu normal benutzt etc pp
2. man kann zu beiden Versionen hinzufügen: Eine Zwangssituation die weiter als die Naturgesetze beschränkt.
Für die aktuelle Frage interessiert nur Version B in beiden Varianten, mit und ohne naturwissenschaftlichen Grenzen. Natürlichkeit (wie auch andere Begriffe aus der klassischen Philosophie) halte ich für nicht sinnvoll, unter anderem wegen den genannten Gründen aus Anmerkung 1.
Ich möchte nicht bestreiten, dass es noch andere und bessere Definitionen gibt, halte diese aber momentan für notwendig und hinreichend.
Wenn man nun versucht diese Definitionen auf das aktuelle Problem anzuwenden komme ich zu folgenden Möglichkeiten.
1a. Ich bin Unfrei, weil mich meine Inneren psychologischen Zwänge, bspw. eine Sucht dazu zwingt dies und jenes bspw. Drogen zu nehmen oder zu essen. (psychologische süchte)
1b. (als steigerung zu 1a) Ich bin Unfrei, weil mich meine Hormone über die ich keine Kontrolle habe zu Handlungen Stimmungen etc. tendieren lassen.
1c. (noch eine Steigerung) Ich bin Unfrei, weil mich mein Gehirn und seine Verschaltung zu diesem und jenem Handeln zwingen und ich garnicht anders kann. Ich sitze quasi wie ein Beifahrer in meinem Körper und schaue meinem Gehirn zu, wie es mich steuert.
Hinter all diesen Aussagen steckt eine schlechte Definition des Ichs, die zu einer Misidentifikation, Unterscheidung zwischen Körper Psyche und des Ichs führt. Es ist die alte Vorstellung, das ein Geist,Seele in unserem Körper ruht und unser Körper steuert und obwohl wir wissen, dass das so nicht stimmt, existiert immernoch der Begriff Ich nach diesem Model. Deswegen kommen wir zu solchen Paradoxien wenn wir uns fragen wie wir zu unserm Handeln kommen.
Es liegt auch in der Natur unseres Gehirns das wir verschiedene Emotionen haben und uns von Außen betrachten können, das sollte aber nciht zu der Vorstellung führen man könne das gehirn in Ich-Teil und Gehirnteil trennen. Der Grund in dieser Empfindung liegt in der enormen parallelen Konstruktion unseres Gehirns. Die auch zu extrem assoziativem Verhalten führt.(Deswegen sind auch die allzu häufigen vergleiche mit Computern hinfällig)
Ich hoffe der Autor kann mir befriedigend auf diesen Kommentar antworten
@Joachim Schulz
Konstrukte
»Die Begriffe Zufall und Kausalität werden verwendet um die Naturphänomene einzuordnen und zu verstehen. «
Kein Einwand, mit diesen Begriffen beschreiben wir beobachtete Naturphänomene. Anders beim “freien” Willen, da geht es um etwas Gefühltes, Empfundenes, quasi um eine introspektive “Beobachtung”. Deshalb bleibe ich dabei, die “Willensfreiheit” als rein philosophisch-psychologisches Konstrukt kann kein Gegenstand der naturwissenschaftlichen Beobachtung sein.
Mutationen
» Das ist bei Mutationen der Fall, die ja erst im Zeitraum von Generationen Auswirkungen haben. «
Eine einzelne Mutation kann aus einer gesunden Zelle schlagartige eine Krebszelle machen.
» Beim Verhalten von Nervenzellen, an dem eine makroskopische Zahl von Molekülen beteiligt ist und das einzelne keinen Einfluss hat, spielt der Zufall keine Rolle.«
Doch, auch bei Nervenzellen spielt der quantenmechanische Zufall eine Rolle. Siehe @Physikers Anmerkung (b).
Ergänzend dazu: Es wird ja gerne behauptet, Tiere würden sich, im Unterschied zu uns Menschen, nur nach dem Reiz-Reaktion-Schema verhalten.
Was aber sagen die Beobachtungen? Martin Heisenberg erwähnt in seinem Essay (Nature 459, 164-165; 14 May 2009) Versuche mit Fruchtfliegen. Der Einfachheit halber hier ein Auszug im Wortlaut:
“For example, my lab has demonstrated that fruit flies, in situations they have never encountered, can modify their expectations about the consequences of their actions. They can solve problems that no individual fly in the evolutionary history of the species has solved before. Our experiments show that they actively initiate behaviour.”
Und weiter schreibt er, dass die Aktivierung von Verhaltensmodulen auf einem Wechselspiel zwischen Zufall und Gesetzmäßigkeiten im Gehirn beruht. Die Tiere müssen bei mangelnder Ausstattung und mangelnden Informationen möglichst schnell ein passendes (adaptives) Verhaltensmodul finden. In einer Art “random-walk” präaktivieren, verwerfen und rekonfigurieren die Fliegenhirne fortlaufend ihre Optionen und bewerten deren möglichen Kurzzeit- und Langzeitfolgen.
Was ich mit alldem sagen will, ist, dass (a) die Aktivitäten und Interaktionen von Nervenzellen im Gehirn absolut nicht vergleichbar sind mit den starren Verdrahtungen in einem Computer, und (b), dass selbst Fliegenhirne aus sich heraus Verhalten initiieren können.
Von dort ist es dann nicht mehr weit bis zur Kantschen Freiheit als “Selbstbestimmung”.
Entscheidbarkeit
Der obige Kommentar von Balanus trifft den Nagel eigentlich schon auf den Kopf — es werden hier zunächst einmal Begriffswelten kombiniert, die nicht auf eine offenkundige Weise verträglich sind. Bevor man sich aber womöglich der Frage zuwendet, ob überhaupt und gegebenenfalls wie der Begriff Willkür zu einem naturwissenschaftlichen Verständnis von Zufall und Notwendigkeit passt, sollte man speziell noch in Betracht ziehen, dass das Begriffspaar “stochastisch – deterministisch” keineswegs einen radikalen Gegensatz kennzeichnet.
Insbesondere lässt sich etwa eine beliebig vorgegebene, endliche Folge positiver ganzer Zahlen stets durch ein vollständig deterministisches System exakt reproduzieren[*]. Joachims Frage nach einer Methode, mittels derer zwischen zufälligen und willkürlich gewählten Zahlenreihen unterschieden werden kann, findet somit eine klar negative Antwort — und zwar ganz unabhängig davon, wie eine Definition von “willkürlich” hier auch immer formuliert wird. Echter Zufall oder reiner Determinismus, wir können nicht einmal zwischen diesen beiden theoretisch entscheiden, und insofern helfen diese Begriffe für ein Verständnis von Willensfreiheit wohl auch nicht wirklich weiter.
[*] Als (halbwegs) allgemeinverständliche Literatur dazu sei vielleicht noch genannt:
I. Ekeland. Mathematics and the Unexpected. The University of Chicago Press, Chicago, 1988
@Balanus: Strohmänner
“Doch, auch bei Nervenzellen spielt der quantenmechanische Zufall eine Rolle. Siehe @Physikers Anmerkung (b).”
Physiker hat geschrieben: “Ich finde es alles andere als offensichtlich, dass in einem komplexen System Quanteneffekte keinen Einfluss auf makroskopische Systeme haben sollen.”
Keine Frage: Quanteneffekte haben auf makroskopische Systeme einen Einfluss. Aber nicht auf den Zeitskalen, in denen Reflexe durch die Nevenbahnen gehen. Wir haben es hier mit ionischem Signaltransport durch ein Elektrolyt zu tun. Ob da ein einzelnes Ion durch Brownsche Bewegung etwas weiter nach links oder rechts gedrückt wird, wird das Aktionspotential der Zelle nicht wesentlich beeinflussen. Da hilft auch kein Beweis durch Fußauftrumpfen: “Tut es doch!” Man kann mit Nervenzellen experimentieren und die verhalten sich deterministisch.
Eine Zelle verwandelt sich auch nicht in eine Mikrosekunde in eine Krebszelle. In dem Moment, in dem ein Gen verändert wird, passiert zunächst einmal gar nichts. Erst wenn dieses Gen ausgelesen wird und sich konkret die Proteinkonzentrationen ändern, reagiert die Zelle auf die genetische Veränderung. Und damit daraus dann ein manifester Krebs entsteht, sind viele, viele Zellteilungen notwendig.
“Was ich mit alldem sagen will, ist, dass (a) die Aktivitäten und Interaktionen von Nervenzellen im Gehirn absolut nicht vergleichbar sind mit den starren Verdrahtungen in einem Computer, und (b), dass selbst Fliegenhirne aus sich heraus Verhalten initiieren können.”
Und? Nichts davon habe ich in meinem Beitrag bestritten.
Chrys
“Echter Zufall oder reiner Determinismus, wir können nicht einmal zwischen diesen beiden theoretisch entscheiden, und insofern helfen diese Begriffe für ein Verständnis von Willensfreiheit wohl auch nicht wirklich weiter.”
Doch, das können wir. Und zwar im Fall verschränkter Teilchenpaare mit Hilfe der Bellschen Ungleichungen. Das Gedankenexperiment, mit dem Einstein den echten Zufall zu fall bringen wollte, ist von 1935. Erst 1964 hat Bell ein Verfahren gefunden, zwischen Zufall und Determinismus experimentell zu unterscheiden. Warum sollte man also von annehmen, dass es nie eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit geben wird?
Ich schrieb ja oben schon, dass uns der Zufall nicht weiterbringen wird. Aber nicht, weil er ununterscheidbar vom Determinismus ist, sondern weil er keine Willensfreiheit begründen kann.
Strohmänner /@Joachim Schulz
» Keine Frage: Quanteneffekte haben auf makroskopische Systeme einen Einfluss. Aber nicht auf den Zeitskalen, in denen Reflexe durch die Nevenbahnen gehen. «
Noch einmal: Quanteneffekte in Nervenzellmembranen könnten unmittelbar in der makroskopischen Welt sichtbar werden: Man braucht sich nur vorzustellen, dass sich mehrere Ionenkanäle gleichzeitig zufällig öffnen, so dass ein Aktionspotential entsteht. Oder wenn sich die Mikropotentiale, die durch die zufälligen Ausschüttungen von synaptischen Vesikeln laufend auftreten, zu einer Entladung aufsummieren. Was ich hier anspreche, sind mögliche physiologische Spontanentladungen bzw. –aktivitäten, unmittelbar hervorgerufen durch Quanteneffekte.
» Eine Zelle verwandelt sich auch nicht in eine Mikrosekunde in eine Krebszelle. In dem Moment, in dem ein Gen verändert wird, passiert zunächst einmal gar nichts. «
Jetzt sind wir also schon bei der Mikrosekunde angelangt. In dem Moment, wo die Mutation auftritt, hat sich die Struktur der DNA verändert: Peng! Die Zelle ist fortan strukturell nicht mehr dieselbe.
Aber wir müssen das Spiel nicht weiter treiben, für die “Willensfreiheit” kann der Zufall ohnehin nicht von Bedeutung sein, da widerspreche ich Ihnen doch gar nicht. Aber Zufallsprozesse dürften für die physiologische Funktion des Gehirns unentbehrlich sein, darauf wollte ich hinweisen.
» Und? Nichts davon habe ich in meinem Beitrag bestritten. «
Sorry, diese meine Anmerkung richtete sich an @all 🙂
PS: Bitte vermeiden Sie, soweit es geht, mir gegenüber die Erwähnung von Strohmännern, damit hat mich Ihr Blog-Kollege Stephan Schleim schon ausgiebig genervt 😉
PPS: Schöner Blog hier übrigens, danke dafür 🙂
Wo wurde das beobachtet?
“Noch einmal: Quanteneffekte in Nervenzellmembranen könnten unmittelbar in der makroskopischen Welt sichtbar werden: Man braucht sich nur vorzustellen, dass sich mehrere Ionenkanäle gleichzeitig zufällig öffnen, so dass ein Aktionspotential entsteht.”
Interessant! Wurde das tatsächlich beobachtet? Haben sie eine Veröffentlichung dazu zur Hand? Ich würde darüber gern näheres erfahren. Es wäre sehr überraschend für mich, wenn das nachweisbar wäre.
“In dem Moment, wo die Mutation auftritt, hat sich die Struktur der DNA verändert: Peng! Die Zelle ist fortan strukturell nicht mehr dieselbe.”
Es hat sich in der Regel eine einzige chemische Bindung in der Zelle geändert. Das ist noch lange keine strukturelle Änderung der gesamten Zelle. Die etabliert sich erst sehr verzögert. Zudem passieren die allermeisten Mutationen ganz deterministisch durch chemische Agenzien oder Strahlungsschäden und nicht durch spontane Quantenvorgänge.
@Joachim Schulz
Eine vertiefende Betrachtung über stochastische vs. deterministische dynamische Systeme wäre absolut interessant genug um andernorts separat diskutiert zu werden. Das würde hier aber auch relativ rasch vom Eingangsthema wegführen.
Der Begriff der Lokalität und sein Gebrauch in der Quantenmechanik scheinen mir nicht ganz unproblematisch, und das ist m.E. schon wesentlich für Bell. Und ist auch wesentlich etwa für die Interpretation von scheinbar retrokausalen Effekten bei verschränkten Photonen am Doppelspalt (“Quanten Radierer”). Wenn das alles schon einmal thematisch abgehandelt worden ist dann wäre mir das entgangen, ich habe hier längst nicht alles gelesen. Andernfalls wäre das vielleicht eine Anregung für einen künftigen Blogbeitrag?
Danke für alle Kommentare
“Eine vertiefende Betrachtung über stochastische vs. deterministische dynamische Systeme wäre absolut interessant genug um andernorts separat diskutiert zu werden.”
Absolut. Völlig unabhängig von der Willensdiskussion ist das eine interessante Frage. Ich hoffe jedoch, ausreichend klar gemacht zu haben, warum ich diese Diskussion für unwesentlich in Bezug auf den freien Willen halte.
Hiermit möchte ich mich auch herzlich bei allen für die rege Beteiligung an Diskussionen bedanken. Sie helfen sehr, die richtige Richtung für meinen Blog zu finden.
Ich empfinde Willkür nicht als passenden Begriff und würde Willenfreiheit als Antrieb oder Motivation sehen, die über die grundlegenden Antriebe zur Selbsterhaltung und Reproduktion hinaus gehen und aus der Sebstreflektion und daraus resultierenden Zielsetzungen folgen.
Ich empfinde Willkür nicht als passenden Begriff und würde Willenfreiheit als Antrieb oder Motivation sehen, die über die grundlegenden Antriebe zur Selbsterhaltung und Reproduktion hinaus gehen und aus der Sebstreflektion und daraus resultierenden Zielsetzungen folgen.
Literatur /@Joachim Schulz
» Interessant! Wurde das tatsächlich beobachtet? Haben sie eine Veröffentlichung dazu zur Hand? «
Nicht wirklich. In meinem Post ist durch einen Tippfehler die Hervorhebung von “könnte” verloren gegangen. Richtig hätte es so aussehen sollen: “Noch einmal: Quanteneffekte in Nervenzellmembranen könnten unmittelbar in der makroskopischen Welt sichtbar werden”. Bezogen habe ich mich dabei auf das oben erwähnte Essay von Martin Heisenberg in Nature.
Folgende Publikationen gehen aber in die gemeinte Richtung:
Rony Azouz and Charles M. Gray. Cellular Mechanisms Contributing to Response Variability of Cortical Neurons In Vivo. The Journal of Neuroscience, March 15, 1999, 19(6):2209-2223.
T.H. Brown, R.S. Wong and D.A. Prince. Spontaneous miniature synaptic potentials in hippocampal neurons. Brain Research, 177 (1979) 194-199.
Wenn mich nicht alles täuscht, liegen den dort beschriebenen Beobachtungen (auch) Quanteneffekte zugrunde.
Chaos in neuronalen Netzen
http://arxiv.org/abs/0904.4217
Sorry, ich habe diesen Artikel nur überflogen, aber er scheint genau die gesuchten Antworten zu liefern:
-> der Ljapunov-Exponent ist (für kleine Skalen) größer als Null. D.h. Quantenrauschen wirkt sich massiv auf das Verhalten einzelner Neuronen aus.
-> auf goßen Skalen kann “deterministisches” Verhalten dominieren.
Das Quantenrauschen in Nervenzellen verhält sich also so ähnlich wie der Zufallszahlengenerator beim Simulated Annealing:
-> ohne geht’s nicht
-> das Ergebnis ist nicht komplett zufällig, aber vom Zufall beeinflusst
Naja, etwas anderes wäre sowieso nicht zu erwarten gewesen…
@Balanus und Physiker
Vielen Dank für die Anregungen. Das wäre wohl genug Material um zurückzutreten und erstmal zu lesen und nachzudenken.
Ganz überzeugt bin ich noch nicht. Dass ein Einfluss puren Zufalls auf das Denken denkbar ist, habe ich ja nicht in Abrede gestellt. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass es einzelne Gedanken beeinflusst?
Abgesehen davon ist das eh ein anderes Thema als freier Wille.
@adenosine: Selbstreflexion
Ich habe den Begriff Willkür mit bedacht gewählt. Wilhelm Druben hat es weiter oben gut kommentiert:
“Die alte bedeutung von Willkür als freie wahl und gutdünken hatte etwas mit unserem thema zu tun. Die heutige bedeutung im sinne von beliebig und grundlos wohl ehr nicht.”
Freie Wahl und gutdünken ist was ich mit Willkür meine. Etwas drittes neben Zufall und Determiniertheit.
Das der Wille eines Menschen aus Selbstreflexion erwächst, scheint mir klar. Aber das macht ihn nicht frei. Selbstreflexion kann auch Deterministisch nach streng vorgegebenen Algorithmen oder vielleicht zusätzlich zufällig beeinflusst geschehen. Freiheit bedeutet doch:
1) Was der freie Entscheiden wird, steht vorher nicht fest.
2) Es ist auch nicht zufällig, sonder durch seine Persönlichkeit nach gutdünken gewählt.
Ob es solche Freiheit gibt lass ich, ich höre nicht auf das zu betonen, offen. Denn Beweise habe ich nicht. Weder für noch gegen Willkür, Ich weise nur darauf hin, dass es ohne Willkür keine Freiheit geben kann.
@ Schulz
Das, was da “Willkür” genannt wird, scheint mir ziemlich genau der “empirische Charakter” der Idealisten zu sein.
Schopenhauers “Preisschrift zur Willensfreiheit” (darin alles Nähere zum “empirischen” und “intelligiblen” Charakter) ist imho immer noch lesenswert.
Vor allem wegen der introspektiven Momente. Er schildert da eine, wie ich finde, verstörende Erfahrung. Wenn wir eine SCHWIERIGE Entschidung zu fällen haben, wenn wir tagelang über pro und contra nachdenken, uns die möglichen Entscheidungsgründe klar vor Augen zu führen versuchen, abwägen, schwanken
…
dann fällt irgendwann die Entscheidung, ohne das uns aber der “Akt des Entscheidens” bewusst wird. Die Entscheidung ist einfach da. Retrospektiv sagen wir dann: “Aus diesen und jenen Gründen habe ich…”. Faktisch aber haben wir den “Akt des Entscheidens im Angesicht der Gründe” gar nicht erlebt. ES entschied, etwas entschied, letztlich ohne unser bewusstes Zutun, wir legten ihm die nur die Gründe vor. Und – wenn’s ganz hart auf hart kommt, wenn dieses “ES” sich nicht zu entscheiden vermag, wir aber entscheiden müssen, was machen wir? Wir werfen eine Münze.
Ebenfalls retrospektiv bemerken wir, dass sich in der Summe unserer Entscheidungen ein Muster finden lässt. Wir erkennen uns in ihnen wieder. Dies ist der “empirische Charakter”. Er ist, so meint Schopenhauer, determiniert.
Ob er damit recht hat – das weiss ich nicht so recht. Aber den Introspektionsteil, den find’ ich gut und nachvollziehbar.
Zufall und Determiniertheit /@Schulz
» Dass ein Einfluss puren Zufalls auf das Denken denkbar ist, habe ich ja nicht in Abrede gestellt. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass es einzelne Gedanken beeinflusst? «
Wenn ich von mir ausgehe, ist es sehr wahrscheinlich. Es scheint mir die eleganteste Erklärung für meine chaotische Art zu Denken zu sein.
Wahrscheinlich denken Sie als Quantenmechaniker viel strukturierter und logisch stringenter als ich, weshalb Sie dem Zufall da keinen Raum lassen möchten.
Darüber hinaus könnte ich mir das Hintergrundrauschen bzw. die zufälligen neuronalen Membranpotential-Fluktuationen als Quelle neuer Eingebungen vorstellen, oder als Quelle unvermittelt auftauchender Erinnerungen, oder als Ursache für so genannte Kurzschlusshandlungen.
» Freiheit bedeutet doch:
1) Was der freie Entscheiden wird, steht vorher nicht fest.
2) Es ist auch nicht zufällig, sonder durch seine Persönlichkeit nach gutdünken gewählt. «
Ich dachte, ich hätte einen möglichen Weg zu dieser Art von Freiheit aufgezeigt:
– Die Entscheidung steht vorher nicht fest (u.a. bedingt durch das subzelluläre “Quantenrauschen”)
– Die Entscheidung ist nicht zufällig (bedingt durch das deterministische Verhalten der neuronalen Netze).
An dieser Freiheit, die ja letztlich nicht anderes ist als die Selbstdeterminiertheit, hätten wohl auch Kant und Locke ihre Freude gehabt.
(Und Schopenhauer wahrscheinlich auch!)
Freiheit?
Balanus:
“Ich dachte, ich hätte einen möglichen Weg zu dieser Art von Freiheit aufgezeigt:
– Die Entscheidung steht vorher nicht fest (u.a. bedingt durch das subzelluläre “Quantenrauschen”)
– Die Entscheidung ist nicht zufällig (bedingt durch das deterministische Verhalten der neuronalen Netze).”
Das ist doch wieder nur eine Mischung aus Zufall und Determinismus. Wo soll da die Freiheit herkommen?
Ich selbst neige ja auch zu der Annahme, dass das, was wir als Freiheit wahrnehmen, tatsächlich determiniert ist. (Einen kleinen Beitrag des Quantenrauschens gestehe ich Ihnen vorläufig zu. Dazu werde ich mich nach Lektüre der obigen Veröffentlichungen wieder melden.) Auch ich glaube nicht unbedingt, dass es diese “Willkür” tatsächlich gibt. Aber ohne Willkür gibt es halt keine Freiheit. Das müssen wir uns eingestehen.
Die chaotische Art des Denkens braucht meines Erachtens auch kein Quantenrauschen. Ein deterministisches Rauschen tut das selbe.
Willensfreiheit, Schuld, Verantwortung
Ausgezeichnete Diskussion! Schade, dass ich erst jetzt auf sie gestoßen bin. Wie Joachim bin jedoch auch ich der Meinung, dass sich die Beiträge inzwischen zunehmend vom ursprünglichen Thema entfernen.
Genau wie Joachim meine ich, dass es so oder so keine Willensfreiheit geben kann. Menschliches Denken, Fühlen und Wollen sind Funktionen unseres Gehirns. Unser Gehirn arbeitet entweder deterministisch oder indeterministisch. Arbeitet es deterministisch, bleibt für Freiheit kein Raum. Arbeit es indeterministisch, bleibt zwar Raum für Zufall, aber nicht für Freiheit. Würden sich unsere Handlungen dem Zufall verdanken, wären wir schließlich um keinen Deut freier. Ganz im Gegenteil: Wir wären sogar die Opfer unserer eigenen Taten!
Natürlich kann jemand einen Cartesischen Geist beschwören. Doch meines Erachtens verschiebt sich das Problem dadurch nur. Selbst wenn der Dualismus wahr wäre und wir neben unserem Gehirn noch einen Geist haben sollten, stellte sich sofort wieder die Frage, ob unser Geist auch anders hätte entscheiden können, als er entschieden hat.
Ich fände es schön, wenn wir in dieser Diskussion noch einmal auf das eigentliche Problem der Willensfreiheit zu sprechen kommen könnten. Und dieses eigentliche Problem scheint mir eindeutig in den Kosequenzen der Leugnung der Willensfreiheit zu bestehen. Niemand würde sich derart über die Willensfreiheit ereifern, wenn es nicht um die Frage ginge: Was, wenn wir gar nicht anders handeln konnten, als wir tatsächlich gehandelt haben? Dürfen wir Menschen dann noch für das, was sie tun, zur Verantwortung ziehen? Müssen wir unser Rechtssystem nicht ändern, wenn es so etwas wie Schuld gar nicht gibt?
Kurzum: Inwieweit kann man in einer Welt ohne Willensfreiheit noch vernünftig von Schuld, Verantwortung und Strafe sprechen?
Gibt es Willkür?
Hallo Edgar, schön, dich dabei zu haben:
Ich möchte aber erstmal insistierten. In meinem Beitrag ging es ja um eine Möglichkeit, an die ich zwar selbst nicht recht glaube, die ich aber noch nicht ausschließen kann und will. Vielleicht findest du ja das schlagende Argument:
Warum gibt es nichts drittes?
Determinismus schließt Freiheit aus.
Zufall schließt Freiheit ebenfalls aus.
Gibt es Willkür, die Freiheit erlaubt?
Wenn du schreibst,
“Menschliches Denken, Fühlen und Wollen sind Funktionen unseres Gehirns. Unser Gehirn arbeitet entweder deterministisch oder indeterministisch. Arbeitet es deterministisch, bleibt für Freiheit kein Raum. Arbeit es indeterministisch, bleibt zwar Raum für Zufall, aber nicht für Freiheit.”
begehst du meines Erachtens den Fehler, dass du indeterministisch vorschnell mit zufällig gleichsetzt.
Gehen wir mal Satz für Satz vor:
“Menschliches Denken, Fühlen und Wollen sind Funktionen unseres Gehirns.”
Dem stimme ich zu. Und selbst wenn nicht. Wie du in deinem Blog schriebst, würde die Annahme eines zusätzlichen Geistes das Problem nur verlagern.
“Unser Gehirn arbeitet entweder deterministisch oder indeterministisch.”
Klar, das ist klassische Logik. Entweder gilt A oder nicht-A.
“Arbeitet es deterministisch, bleibt für Freiheit kein Raum.”
Ganz meine Meinung!
“Arbeit es indeterministisch, bleibt zwar Raum für Zufall, aber nicht für Freiheit.”
Hier muss ich einhaken: Warum kann es neben Determinismus nur Zufall geben? Sowohl Freiheit als auch Zufall wären doch indeterministisch. Setzt du nicht durch die Gleichsetzung von indeterministisch mit zufällig gerade das voraus, was du beweisen möchtest?
Willensfreiheit
Das Postulat einer metaphysischen Willensfreiheit/Willkür (das Dritte, das weder deterministisch noch indeterministisch ist) hat sich allem Anschein nach als grandioser Irrtum herausgestellt. Zumindest ist es bis jetzt, soweit ich weiß, noch keinem gelungen, die Existenz dieser Willensfreiheit logisch widerspruchsfrei zu begründen.
Was bleibt, ist einerseits die Freiheit als (graduelle) Selbstdeterminiertheit und die gefühlte Willens-, Handlungs- oder Entscheidungsfreiheit.
Vor allem wegen letzterem, aber auch aufgrund der Selbstbestimmung, können oder könnten wir bei den überkommenen Begriffen von Schuld und Verantwortung bleiben. Wir können sie bloß nicht mehr mit der metaphysischen Willensfreiheit begründen oder rechtfertigen.
@ – Joachim: Willkür
Herzlichen Dank für die prompte Reaktion. Das sind allerdings zwei recht schwere Fragen vor dem Frühstück.
Zunächst zur ersten:
“Determinismus schließt Freiheit aus.
Zufall schließt Freiheit ebenfalls aus.
Gibt es Willkür, die Freiheit erlaubt?”
Nachdem ich gestern alle Beiträge dieses Posts gelesen habe, glaube ich, dass eigentlich nur zwei Leute den Begriff der “Willkür” aufgegriffen haben.
Ich bin mir daher immer noch nicht ganz sicher, was genau mit Willkür gemeint sein soll.
Wenn ich in mein Online-Synonym-Wörterbuch schaue, finde ich allein elf verschiedene Bedeutungen. Darunter etwa:
– Willkür als Anarchie, Gesetzlosigkeit oder Durcheinander
– Willkür als Ungerechtigkeit, Erbarmungslosigkeit oder Grausamkeit
– Willkür als Diktatur, Tyrannei oder Schreckensherrschaft
– Willkür als Einseitigkeit, Unsachlichkeit oder Parteilichkeit
– Willkür als Starrköpfigkeit, Eigenwilligkeit oder Ausässigkeit
und
– Willkür als Belieben, Lust oder Laune
Ich nehme an, Du meinst mit Willkür diese letzte Bedeutung: Belieben, Lust oder Laune, nicht wahr?
Doch wäre Willkür dann nicht ein Handeln ohne Gründe oder ein Handeln aus Gedankenlosigkeit?
Falls ja, würde dieses Handeln nicht nur recht selten, sondern auch nicht “frei” im Sinne der Libertarier sein.
Um einen Übergang zum Problem der Schuld und Verantwortung zu finden, stelle ich mir einen Amokläufer vor, der sich auf einer Anhöhe an der A1 verschanzt und nun nach Belieben auf Autos schießt. Wenn man ihn fragte, warum er das getan habe, würde er antworten: “Ich weiß es nicht. Mir war einfach so!” Ähnlich grundlos war vielleicht, dass er nur auf Citroens oder, sagen wir, rote Autos geschossen hat.
Dies ist mit Sicherheit nicht die Freiheit, nach der Libertarier begehren – die Freiheit, die es ihnen erlaubt, Menschen für ihr Tun verantwortlich zu machen.
@ Dahl
In meinem philosophischen Wörterbuch findet sich: Willkür: die Fähigkeit unter mehreren Willensmotiven zu wählen. Und weiter unter Wille: Willensmotive erzeugen Gegenmotive (Hemmung), von deren Stärke es abhängt, ob der Wille eine Handlung im Gefolge hat.
—
Da der Mensch gegen seine Bedürfnisse handeln kann (sexuelle Enthaltsamkeit, Nahrungsverweigerung bis zum Tode), kann hier von “freiem Willen” gesprochen werden unter der Berücksichtigung, daß er nur im Rahmen seiner Möglichkeiten und in der Auswahl der Motive frei zu nennen ist. Es besteht aber ein Zwang zum Willensmotiv, da die Langenweile als unerträglicher Leerlauf empfunden wird.
@empirischer Hinweis
Belanus: “Das Postulat einer metaphysischen Willensfreiheit/Willkür (das Dritte, das weder deterministisch noch indeterministisch ist) hat sich allem Anschein nach als grandioser Irrtum herausgestellt. Zumindest ist es bis jetzt, soweit ich weiß, noch keinem gelungen, die Existenz dieser Willensfreiheit logisch widerspruchsfrei zu begründen.“
Wieso muss die Willensfreiheit denn metaphysisch sein? Es könnte doch sein, dass wir einfach noch zu wenig von der Quantenmechanik als solche und von der quantenmechanischen Aktivität und Interaktion von Gehirn und Bewusstsein im speziellen wissen, um diese postulierte Willensfreiheit mit unserem physikalischen Weltbild in Einklang bringen zu können.
Ich denke, dass es eine bedingte Willensfreiheit gibt und ich habe hier wiederholt versucht, meine Ansicht zu begründen. Darauf eingegangen ist noch keiner. Deshalb auf ein Neues:
Es gibt Systeme (zumeist Menschen, aber nicht nur Menschen und nicht alle Menschen), die gemäß unserer Beobachtung eine Willensfreiheit zu haben scheinen. Beschränken wir uns mal auf Menschen. Können wir mit diesen Menschen, die anscheinend über einen freien Willen verfügen, kommunizieren, erfahren wir, dass diese Menschen auch gemäß ihrer eigenen Beobachtung über einen freien Willen verfügen.
Wird diesen Menschen nun ein potentes Wahrheitsserum appliziert,
http://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheitsserum
machen sie nach außen nicht mehr den Eindruck über einen freien Willen zu verfügen und haben selber auch nicht mehr den Eindruck, über einen freien Willen zu verfügen. Die modernen Wahrheitsseren (Geständnismittel, Plauderdrogen) beeinflussen dabei kaum das Bewusstsein.
Ich sehe das als ganz starken Hinweis, wenn nicht als empirischen Beweis, dass es den (bedingten) freien Willen wirklich gibt.
Welche naturwissenschaftliche Erklärung könnte es für den freien Willen geben? Dietmar hat uns beigebracht: „Willensmotive erzeugen Gegenmotive (Hemmung), von deren Stärke es abhängt, ob der Wille eine Handlung im Gefolge hat.“ Hierbei kann meiner Ansicht nach die Handlung auch darin bestehen, ein Willensmotiv zu erzeugen, so dass wir bei der Willkür sind: „Willkür: die Fähigkeit unter mehreren Willensmotiven zu wählen.“
Nehmen wir einmal an Willensmotiv A und Willensmotiv B (oder das Gegenmotiv) liegen im Nervensystem zunächst als Superposition vor, und würden ohne Beeinflussung mit einer Wahrscheinlich von 0,8 zu A zerfallen und mit 0,2 zu B. Erzeugt diese Superposition nun ZUGLEICH einen Bewusstseinszustand, dann haben wir eine Verschränkung, so dass gemäß des Quanten-Zenon-Effekts
http://de.wikipedia.org/wiki/Quanten-Zeno-Effekt
die Wahrscheinlichkeiten des Zerfalls durch Beobachtung in die eine oder andere Richtung verschoben werden können.
mfg
Luchs
Korrektur: so dass ANALOG des Quanten-Zeno-Effekts
http://de.wikipedia.org/wiki/Quanten-Zeno-Effekt
die Wahrscheinlichkeiten des Zerfalls durch Beobachtung in die eine oder andere Richtung verschoben werden könnten.
@ – Dietmar Hilsebein: “Willkür”
“In meinem philosophischen Wörterbuch findet sich: Willkür: die Fähigkeit unter mehreren Willensmotiven zu wählen.”
Das klingt für meine Ohren nach echter “Willensfreiheit”.
Dummerweise gibt es ja für die Willensfreiheit im Unterschied zur Handlungsfreiheit keine einheitliche Definition.
Handlungsfreiheit: Die Freiheit, tun und lassen zu können, was man will.
Willensfreiheit: Die Freiheit, nicht nur tun und lassen zu können, was man will, sondern auch wollen zu können, was man will.
Oder anders herum:
Determinist: Menschen konnten nicht anders handeln, als sie tatsächlich gehandelt haben.
Libertarier: Menschen konnten auch anders handeln, als sie gehandelt haben.
Worauf der Determinist erwidert: Sicher, Menschen hätten auch anders handeln können, als sie gehandelt haben – wenn sie nämlich etwas anderes gewollt hätten. Aber sie hätten nichts anderes wollen können.
Und der Libertarier insistierend: Menschen hätten anders handeln können, als sie gehandelt haben, weil sie auch etwas anderes hätten wollen können.
Doch damit sind wir wieder bei dem Problem, dass wir schon einmal am Wickel hatten: Dass wir es uns meiner Meinung nach einfach nicht aussuchen können, was wir wollen. Ja, wir können uns noch nicht einmal die Motive aussuchen, nach denen wir handeln.
Beim letzten Mal habe ich dies am Beispiel des sexuellen Verlangens zu veranschaulichen gesucht. Dieses Mal nehme ich ein viel trivialeres Beispiel:
Könnten Sie sich Ihre Haare grün färben lassen?
Sie werden sagen: Na klar!
Ich werde erwidern: Ja, aber nur, wenn Sie ein Motiv dafür haben, dies zu tun. Ohne ein entsprechendes Motiv können Sie es nicht tun.
Was könnte es Ihnen ermöglichen, das Motiv zu haben, sich die Haare grün färben zu lassen?
Nun, wenn ich Ihnen € 1000 anböte, würden Sie vermutlich ein hinreichendes Motiv haben, sich die Haare grün zu färben.
Doch ohne ein solches Motiv können Sie es nicht.
Wir können uns weder unsere Motive noch unseren Willen aussuchen.
Oder, wie Bertrand Russell es einmal ausdrückte: “Wir können zwar tun, wozu wir Lust haben, aber nicht Lust haben, wozu wir Lust haben.”
@ Dahl
Ich denke, das Problem ist nicht nur, wie man Willensfreiheit definiert, sondern, wie der Wille an sich und für sich definiert wird -also ohne den Zusatz ‘frei’ oder ‘unfrei’. Im selben philosophischen Wörterbuch findet sich unter Wille: “im Gegensatz zu Trieb und Drang ein geistiger Akt, durch den ein (als solcher erkannter) Wert, eine beabsichtigte Handlung, bejaht oder erstrebt wird.” Ich hingegen mache den Unterschied nicht, da ich mit “geistigen Akten” so meine Probleme habe. Vielleicht würde ich eher Freud zustimmen, der von Sublimierung sprach. Unter dieser Sublimierung fällt dann Kulturleistung und “geistige Akte”. Insofern hat Schopenhauer natürlich recht: “Ich kann tun, was ich will, aber nicht wollen, was ich will”. Denn ich bin eben ein Triebwesen. Die einzige Möglichkeit, die mir gegeben ist, ist, dem Willen ein Motiv vorzustellen, das mehr Lust verspricht als die bloße sexuelle Triebabfuhr. Ich muß an dieser Stelle hinzufügen, daß ich im Gegensatz zu H.Wicht Schopenhauers Willensmetaphysik mitmache. Der Wille ist nicht nur “ES” im Sinne Freuds, sondern in allen Erscheinungen gegenwärtig. Da dieser Wille nach Schopenhauer nicht erkannt, sondern nur erfahrbar ist, werden die Diskussionen um den “freien Willen” müßig, da über die Definition des Willens an sich und für sich kein Konsens besteht.
Das Dritte
“Das Postulat einer metaphysischen Willensfreiheit/Willkür (das Dritte, das weder deterministisch noch indeterministisch ist) hat sich allem Anschein nach als grandioser Irrtum herausgestellt. Zumindest ist es bis jetzt, soweit ich weiß, noch keinem gelungen, die Existenz dieser Willensfreiheit logisch widerspruchsfrei zu begründen.”
Zunächst: Die Willkür wäre natürlich nicht weder deterministisch noch indeterministisch. Sie wäre indeterministisch.
Das Argument ist schwach, wenn man bedenkt, dass der selbe Einwand bis in die 1980er Jahre hinein auch für den echten Zufall galt. Dass es Zufall überhaupt gibt, konnte erst von A. Aspect mit Hilfe Verschränkter Teilchen belegt werden. Und auch hier gibt es logische Schlupflöcher, wenn man bereit ist statt des Zufalls nicht-lokale Wechselwirkungen hinzunehmen.
Also auch indeterministischer Zufall ist experimentell ebenso schwer zu fassen zu bekommen. Man konnte ihn überhaupt nur deshalb nachweisen, weil er gemeinsam mit einer weiteren merkwürdigen Quanteneigenschaft auftritt, der Verschränkung. Zufall lässt sich leichter definieren als Willkür, das gebe ich gerne zu. Auch mir entwischt sie immer wieder, wenn ich zu stark zupacke 🙂 Vielleicht weil es sie gar nicht gibt.
Aber Luchs hat ja einen wesentlichen Punkt angesprochen, den ich meines Erachtens auch im Blog herausgearbeitet habe: Wir haben ja Beobachtungen zum freien Willen. Jeder hat die. Und deshalb ist der freie Wille etwas, was man naturwissenschaftlich angehen kann. Ich wehre mich dagegen, eine künstliche Barriere zwischen Geistenswissenschaften und Naturwissenschaften zu schaffen. Und noch weniger gerne würde ich dieses Thema der Esoterik überlassen.
@ – Luchs & Joachim: Willensfreiheit
Sicher, Menschen haben das Gefühl, einen freien Willen zu haben! Doch was beweist das? Gar nichts! Denn wir können uns irren!
Dass wir uns tatsächlich irren können, hat spätestens die Hypnose gezeigt. So kann man Patienten im Zustand der Trance mit Hilfe einer posthypnotischen Suggestion beispielsweise dazu bewegen, zwei Stunden nach dem Erwachen auf ihr Zimmer zu gehen und ihre Koffer zu packen. Wenn man sie fragt, warum sie es tun, rationalisieren sie: Sie geben einen Grund, wie etwa eine dringende Familienangelegenheit, an – nicht wissend, dass sie lediglich einen posthypnotischen Auftrag erfüllen.
Das Gefühl, eine “freie” Entscheidung zu treffen, kann also nachweislich falsch sein!
Die Bedeutung des “Wahrheitsserums” erschließt sich mir nicht. Unter dem Einfluss dieses Serums verlieren die Probanden ihre Selbstkontrolle und plaudern ohne jede Hemmung aus, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Diese Leute haben ihre Selbstbeherrschung verloren, nicht aber ihre “Willensfreiheit”, die es ohnehin nicht zu geben scheint. Alles, was wir haben, ist wohl Handlungsfreiheit.
Frage: Was ist mit “einem (bedingten) freien Willen” gemeint?
“Wahrheitsserum”
Vielleicht kann man den Einfluss des “Wahrheitsserums” noch etwas präziser fassen.
Wir alle haben “Handlungsfreiheit”. Diese Freiheit besteht darin, tun und lassen zu können, was wir wollen. Oder anders ausgedrückt: Sie besteht in der Abwesenheit von Zwang.
Zwang kann sowohl von außen als auch von innen kommen.
Äußerer Zwang beeinträchtigt unsere “äußere Handlungsfreiheit”. Innerer Zwang beeinträchtigt uns unsere “innere Handlungsfreiheit”.
Unsere “äußere Handlungsfreiheit” ist eingeschränkt, wenn wir in Ketten liegen oder uns jemand eine Pistole auf die Brust setzt. Hier ist es ein äußerer Zwang, der uns daran hindert, zu tun, was wir gerne tun möchten.
Unsere “innere Handlungsfreiheit” ist dagegen eingeschränkt, wenn wir unter Neurosen oder Psychosen leiden. Hier ist es ein innerer Zwang, der uns daran hindert, zu tun, was wir tun möchten.
Bezogen auf das Wahrheitsserum könnte man also auch sagen, dass sie die innere Handlungsfreiheit des Betroffenen einschränkt: Er will nichts ausplaudern, tut es aber, weil ihn ein Medikament seiner Selbstbeherrschung beraubt.
@ – Hilsebein: Der Wille
Ich würde sagen, unser “Wille” ist genauso ein Konstrukt wie unser “Ich” oder unser “Selbst”. Es sind Eigenschaften unseres Gehirns und unterliegen damit auch seinen Gesetzmäßigkeiten.
@ Dahl
“Ich würde sagen, unser “Wille” ist genauso ein Konstrukt wie unser “Ich” oder unser “Selbst”. Es sind Eigenschaften unseres Gehirns und unterliegen damit auch seinen Gesetzmäßigkeiten.”
Nicht so schnell, lieber Herr Dahl. Wenn alles nur Konstrukt ist, dann denkt das Hirn mit den Eigenschaften die es besitzt über sich selbst nach und versucht sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf zu ziehen. Ich weiß nicht, ob ich das mitmachen will.
Beobachteter freier Wille /@Joachim
» Wir haben ja Beobachtungen zum freien Willen. «
Die Beobachtungen mit dem Wahrheitsserum oder ähnlich wirkenden Drogen?
Ich hatte Luchs bereits darauf hingewiesen, dass wir den Begriff “Willensfreiheit” durch “Selbstbestimmung” ersetzen können. Dann zeigen die Beobachtungen, dass der Mensch selbstbestimmt handeln kann und dass diese Selbstbestimmung durch Drogen eingeschränkt oder aufgehoben werden kann.
Und “Selbstbestimmung” lässt sich sowohl mit den deterministischen als auch indeterministischen neuronalen Prozessen vereinbaren.
Apropos “indeterministisch”: Da hatte ich Sie bei Ihrer Antwort an Edgar Dahl offenbar missverstanden (“Setzt du nicht durch die Gleichsetzung von indeterministisch mit zufällig gerade das voraus, was du beweisen möchtest?”). Dass nach Ihren Überlegungen auch die “Willkür” indeterministisch sein könnten oder müssten, hatte ich überlesen.
Das Indeterministische, den “echten” Zufall, verorten Sie doch in Quantenwelt. Richtig?
Das Deterministische hingegen verorten Sie in der makroskopischen Welt. Auch richtig?
Lebewesen agieren bekanntlich an der Schnittstelle zwischen Mikro- und Makrowelt, Leben beruht sowohl auf indeterministischen als auch deterministischen Prozessen.
Tierisches Verhalten beruht ebenfalls auf indeterministischen als auch deterministischen Prozessen. Bei Tieren ist Willkür unbekannt.
Wenn dem Menschen die Fähigkeit zur Willkür zugestanden wird, dann offenbar aufgrund seines Ich-Bewusstseins.
Das Ich-Bewusstsein wird allgemein als eine Systemeigenschaft des Gehirns angesehen und lässt sich weder auf der Ebene der Neuronen noch auf der Ebene der Quantenwelt adäquat beschreiben, Bewusstseinsprozesse (Fühlen, Denken) erfordern ein eigenes (metaphysisches) Vokabular.
Die Willkür wäre also ein Aspekt des Bewusstseins und müsste als solcher eigentlich auf indeterministischen und deterministischen Prozessen beruhen, tut er aber nicht, weil es sich ja um einen indeterministischen Teilaspekt des Bewusstseins handeln soll. Somit wären wir von der indeterministischen Ebene der Quantenphänomene über die deterministische Ebene der Neuronennetze schlussendlich wieder auf einer indeterministischen Ebene angelangt.
Da frage ich mich, wozu wir dieses extrem komplexe Gebilde Großhirn eigentlich entwickelt haben, wenn am Ende doch nur indeterministische Willkür herauskommt…
@ – Balanus: Selbstbestimmung
Der Begriff der Selbsbestimmung würde dann aber dem Begriff der Handlungsfreiheit entsprechen.
@Balanus: Zufall in der Quantenwelt
Ich hoffe, ihr habt den 1. April einigermaßen überstanden. Hier dauert er noch etwa eine Stunde an.
“Das Indeterministische, den “echten” Zufall, verorten Sie doch in Quantenwelt. Richtig?
Das Deterministische hingegen verorten Sie in der makroskopischen Welt. Auch richtig?”
Nein, so kann man das nicht sehen. Auch die Quantenmechanik verhält sich zum großen Teil deterministisch. Die Wellenfunktionen entwickeln sich streng deterministisch und jeder kohärente Prozess ist berechenbar. Nur der “Zusammenbruch” einer Wellenfunktion, also der Messprozess trägt eine indeterministische Komponente.
Die Makroskopische Welt merkt von der indeterministischen Natur der Messprozesse meist nichts, weil die meisten makroskopischen Prozesse über viele quantenmechanische Einzelprozesse mitteln und somit wieder die Determiniertheit der Wellenfunktionen durchschlägt. Das ist das Gesetz der großen Zahlen in der Statistik.
Nervenzellen würde ich in der Makroskopischen Welt verorten. Sie sind zwar so klein, dass man ein Mikroskop benötigtn, um sie zu sehen. Das macht sie im Wortsinne mikroskopisch. Aber in vergleich zu einzelnen Atomen und Molekülen sind sie riesig.
Die Veröffentlichungen, die Sie und der Physiker mir empfohlen haben, haben mich nach erstem Überfliegen nicht überzeugt. Wie gesagt kann chaotisches Verhalten, das hier zu erkennen ist, auch deterministisch entstehen.
“Bei Tieren ist Willkür unbekannt.”
Ist das so? Meine Katze verhält sich oft so, als hätte sie auch ihren eigenen Willen. Sie herrscht recht willkürlich über uns 😉
“Da frage ich mich, wozu wir dieses extrem komplexe Gebilde Großhirn eigentlich entwickelt haben, wenn am Ende doch nur indeterministische Willkür herauskommt…”
Im Ernst: Ich habe keinen Anlass, anzunehmen, der Mensch sei das einzige Lebewesen, dass eine Persönlichkeit entwickeln kann. Wenn es soetwas wie Willkür gibt, dann sicher nicht nur bei Menschen.
Ihre Ausführungen in den letzen vier Absätzen finde ich sehr interessant. Darauf zu Antworten erfordert fast einen neuen Blogartikel. Ich stimme hier zum großen Teil mit Ihnen überein.
Jetzt erstmal gute Nacht.
@ – Joachim: Indeterminismus
“Wenn du schreibst: ‘Menschliches Denken, Fühlen und Wollen sind Funktionen unseres Gehirns. Unser Gehirn arbeitet entweder deterministisch oder indeterministisch. Arbeitet es deterministisch, bleibt für Freiheit kein Raum. Arbeit es indeterministisch, bleibt zwar Raum für Zufall, aber nicht für Freiheit’, begehst du meines Erachtens den Fehler, dass du indeterministisch vorschnell mit zufällig gleichsetzt.”
Worin genau besteht der Unterschied zwischen indeterministisch und zufällig?
@ – Joachim: Zufallsgenerator
Vielleicht muss unser Gehirn nicht entweder deterministisch oder aber indeterministisch arbeiten. Ich kann mir gut vorstellen, dass es auf beide Arten arbeitet.
So kann ich mir beispielsweise vorstellen, dass es in unserem Gehirn einen “Zufallsgenerator” geben mag, der immer dann anspringt, wenn wir vor schwierigen Entscheidungen stehen.
Ich denke da an “Buridans Esel”, der zwischen zwei gleich großen Heuhaufen steht und verhungert, weil er sich nicht entscheiden kann, welchem der beiden Haufen er sich zuwenden sollte.
Ein derartiger “Zufallsgenerator” könnte sogar biologisch adaptiv und von der natürlichen Selektion prämiert worden sein.
Vielleicht meist Du mit “Willkür” also Entscheidungen, die mit Hilfe eines Zufallsgenerators getroffen werden!?
Vielleicht bin ich nur neurotisch, doch ich befinde mich öfter in der Situation, dass ich mich einfach nicht entscheiden kann: Kaufe ich im Supermarkt nun die Milch von “Landliebe” oder von “Weihenstephan”?
Um nicht zu viel Zeit zu vertrödeln, macht es irgendwann in meinem Kopf “Klick” und ich greife zu. Wenn man mich fragte, warum ich mich letztlich für, sagen wir, die “Landliebe” entschieden habe, könnte ich es nicht sagen. War es der etwas günstigere Preis? War es die etwas ansprechendere Verpackung? Ich weiß es nicht.
Die Frage ist, ob derartige Handlungen im relevanten Sinne “frei” sind.
Das Dritte?
Es fällt bei der Diskussion doch auf, dass unterschwellig immer wieder folgendes Bild aufscheint:
– Ein determistisches System ist eine Art Uhrwerk mit vorhersagbaren Abläufen.
– Das Unvorhersagbare ist nur als Manifestation des Zufälligen vorstellbar.
Eine solche Sichtweise bleibt aber allzu oberflächlich. Bereits Henri Poincaré hat erkannt, dass deterministische Systeme so gar keine Ähnlichkeit mit einem Uhrwerk zeigen müssen. Dass die Klassische Mechanik sogar eine genuine Entsprechung zum Unschärfeprinzip der Quantenmechanik in sich birgt, das wurde allerdings erst seit den 1980ern klar. Jenseits gewisser mathematischer Fachkreise scheint diese Einsicht jedoch weitestgehend unbekannt geblieben zu sein, und die einzige mir bekannte Erwähnung ausserhalb der Fachliteratur bringt mich hier nochmals zu Ivar Ekeland, vgl. [1, p.111-116]. Sein thematischer Aufhänger ist zwar vordergründig ein anderer als hier debattiert, aber ein Dilemma von Determinismus vs. Indeterminismus tritt ja auch nicht nur bei Betrachtungen zur Willensfreiheit auf.
Ich will hier keineswegs behaupten, dass ein Prinzip der Unschärfe wirklich etwas zur Definition von Willensfreiheit beitragen muss. Ganz sicher enthält die Allgemeinsprache Begriffe, die sich den Methoden der exakten Wissenschaften irgendwie entziehen, und “Willensfreiheit” mag dieser Kategorie zugehören. Andererseits kann ich mir nicht denken, wie man sich dieser Frage überhaupt nähern will, ohne die “Unschärfe” früher oder später begrifflich ins Spiel zu bringen.
[1] http://books.google.com/books?id=a24CHTlkP1MC
Tierische Willensfreiheit /@Joachim
» “Bei Tieren ist Willkür unbekannt.”
Ist das so? Meine Katze verhält sich oft so, als hätte sie auch ihren eigenen Willen. Sie herrscht recht willkürlich über uns 😉«
Interessant, Sie stellen in Frage, dass Willensfreiheit oder Willkür allein dem Menschen zukommt. Verteidiger der Willensfreiheit bestreiten nämlich zumeist, dass Tiere einen “freien” Willen haben könnten. Sie halten die Reflexionsfähigkeit des Menschen für eine unabdingbare Voraussetzung.
Zwar können Tiere nicht in dem Sinne “frei” entscheiden, dass es keine inneren oder äußeren Bedingungen für die Entscheidung gäbe. Aber dass sie einen autonomen Willen haben, eine einmal getroffene Verhaltensentscheidung auch durchzusetzen, würde wohl jeder Tierhalter bestätigen.
Ich fasse noch einmal kurz zusammen, wie ich Sie bezüglich der Willkür verstanden habe:
– Es gibt die gefühlte Willensfreiheit oder Willkür. Diese müsste demzufolge naturwissenschaftlich untersucht werden können.
– Diese Willkür wäre, so es sie denn gäbe, (a) indeterministisch (wie etwa das Zusammenbrechen der Wellenfunktion in der Quantenwelt), (b) nicht zufällig und sie würde (c) Ziele verfolgen.
Nun, nach meinem Empfinden sind das alles Eigenschaften, die nur schwer unter einen Hut zu bringen sind. Dass die Eigenschaften (a) und (b) vereinbar sind, können Sie vielleicht noch erklären, doch wie passen (a) und (c) zusammen? Lediglich (b) und (c) sind in meinen Augen vereinbar.
Wenn man die Ursache für ein Phänomen erforschen will, muss man das Phänomen eindeutig definieren oder beschreiben können, wir müssen wissen, um was es sich genau handelt.
Schmerz ist zum Beispiel auch etwas nur etwas Gefühltes, eine Empfindung. Dennoch kann man leicht Schmerzforschung betreiben, weil alle Prozesse, die der Empfindung vorausgehen, messtechnisch erfassbar sind.
Das Gefühl, bei einer Entscheidung “frei” zu sein, ist offenbar von anderer Qualität als das Schmerzgefühl, Entscheidungsgründe entziehen sich der objektiven Messtechnik. Deshalb habe ich so meine Zweifel, ob wir hier in nächster Zeit Messverfahren entwickeln werden, die diese indeterministische, nicht-zufällige und zielintendierte Willkür irgendwie erfassen können.
» Wie gesagt kann chaotisches Verhalten, das hier [im Antwortverhalten von Nervenzellen] zu erkennen ist, auch deterministisch entstehen. «
Da muss ich doch auch noch einmal nachfragen: Ist das stochastische Öffnen und Schließen von Ionenkanälen nach Ihrem Verständnis nun deterministisch oder indeterministisch? Nach Ihren bisherigen Ausführungen müssten Sie das als deterministische Zufallsereignisse bezeichnen (oder so ähnlich). Wäre mir sehr recht. Je weniger Indeterminismus, desto besser.
Selbstbestimmung /@Edgar
» Der Begriff der Selbsbestimmung würde dann aber dem Begriff der Handlungsfreiheit entsprechen. «
Nur in dem Beispiel mit den Wahrheitsdrogen oder generell?
Ich bin mir ohnehin im Zweifel, ob der Handlungsfreiheit eine “Willensfreiheit” vorgelagert sein muss. Ein Wille schon, aber der muss nicht “frei” sein.
Selbstbestimmung (also Selbstdeterminiertheit) verstehe ich so, dass ein Lebewesen aus sich selbst heraus (autonom) etwas wollen oder tun kann. Einen Willen (oder ein Wollen), der (oder das) nicht auf ein bestimmtes Verhalten ausgerichtet wäre, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Dabei kann sich das Verhalten (speziell beim Menschen) auch alleine im Kopf abspielen und nicht nach außen sichtbar werden (bewusstes Denken etwa). Selbstbestimmung im weitesten Sinne wäre also eine biologische Eigenschaft, die jedem Lebewesen mehr oder weniger innewohnt.
Diese Selbstdeterminiertheit kann nie absolut, also kann auch die als “Freiheit” verstandene Selbstbestimmung nicht absolut sein.
Im Gegensatz dazu wird von den Verteidigern der “Willensfreiheit” diese Freiheit in der Regel als Absolutum gesehen (ein bisschen Willensfreiheit geht irgendwie nicht). Das wiederum deutet darauf hin, dass “Willensfreiheit” zuvörderst ein metaphysischer Begriff.
@Edgar: Indeterministisch
Edgar: “Worin genau besteht der Unterschied zwischen indeterministisch und zufällig?”
Nun, indeterministisch bedeutet einfach, dass etwas nicht deterministisch ist. Das heißt also nicht durch die aktuelle Konstellation bestimmt. Zufällig ist dagegen stärker. Es bedeutet, dass etwas durch gar nichts bestimmt ist, also ohne Ursache.
Die Frage ist nun, ob es etwas drittes gibt, das aus sich selbst heraus ohne Ursache gerichtete Entscheidungen fällt. Also eine Freiheit.
Mir sind aber durch Diskussion mich euch allen ein paar gravierende Schwächen meiner Argumentation aufgefallen. (Und so soll es ja auch sein, sonst müsste man nicht diskutieren.)
Erste Schwäche. Die Erklärung von Willensfreiheit mit Willkür ist letztlich auch nur ein Zirkelschluss: Freiheit gibt es, wenn es Freiheit gibt. Das ist ein kleines Problem, denn ich habe ja den Beitrag unter meiner Kategorie “Experimentelles” geschrieben. Könnte man Freiheit irgendwie festnageln, also experimentell nachweisen, so müsste man ihr Existenz zunächst akzeptieren. Ob man sie nun erklären kann oder nicht.
Schwieriger wiegt das Problem, das Balanus in seinem letzten Beitrag aufgeworfen hat: Willensfreiheit ist ein makroskopisches Phänomen. Der Mensch fühlt sich als ganzes frei. Versuchte man nun Willensfreiheit im Mikroskopischen, also auf Basis einzelner oder weniger Neuronen zu verorten, so wäre der Mensch Sklave vieler Entitäten, die alle ihre eigenen Ziele verfolgen. Das ist nun wirklich nicht, was wir empfinden.
Willensfreiheit muss, wenn sie existiert, ein kollektives Phänomen sein. Die einzige Alternative dazu wäre Dualismus.
“Vielleicht meist Du mit “Willkür” also Entscheidungen, die mit Hilfe eines Zufallsgenerators getroffen werden!?”
Nein, Zufall ist kein Freier Wille. Ich denke, da sind wir uns weitgehend einig.
Aber dein Milchtüten-Beispiel ist interessant.
Ich möchte mich dazu aber Chrys anschließen:
Solch scheinbar chaotisches Verhalten können auch komplexe deterministische Systeme zeigen. Es ist vielleicht so eine Art Lavineneffekt: Dein Bewusstsein versucht noch logisch zwischen den beiden Milchpackungen zu entscheiden, im Unterbewusstsein baut sich aber zunehmend ein Druck auf, einfach die aktuell nächstliegende Entscheidung herbeizuführen. Irgendwann ist der Druck so groß, dass er die bewussten Prozesse unterbricht und du greifst reflexartig nach der Milchtüte, die du zufällt gerade zu dem Zeitpunkt im Fokus hast.
Die beiden Ablaufenden Prozesse sind hierbei nicht miteinander Synchronisiert. Es ist also Zufall, wann die Schwelle erreicht ist, in der der Instinkt eingreift. Es ist also der gleiche Zufall, aufgrund dessen ich einen Bekannten im Einkaufszentrum treffe: Das wir beide dort sind, ist determiniert durch unsere Einkaufsabsichten. Das wir aber gleichzeitig im gleichen Gang sind, war nicht vorhersehbar.
Unschärfe /@Chrys
» Dass die Klassische Mechanik sogar eine genuine Entsprechung zum Unschärfeprinzip der Quantenmechanik in sich birgt, das wurde allerdings erst seit den 1980ern klar. «
Was ist die Ursache dieser “mechanischen Unschärfe”, wenn es nicht Quantenphänomene oder Wärmebewegungen sind?
@ – Balanus: Willensfreiheit
“Ich bin mir ohnehin im Zweifel, ob der Handlungsfreiheit eine “Willensfreiheit” vorgelagert sein muss.”
Nun, mein Punkt ist nicht, dass unserer Handlungsfreiheit eine Willensfreiheit vorgelagert ist. Mein Punkt ist vielmehr, dass es keine Willensfreiheit, sondern nur Handlungsfreiheit gibt. Und die “Selbstbestimmung” fällt begrifflich mit dieser Handlungsfreiheit zusammen. Wie die Selbstbestimmung, so kann auch die Handlungsfreiheit von innen wie von außen beschränkt sein. Daher die Rede von innerer Handlungsfreiheit und äußerer Handlungsfreiheit.
Selbstbestimmung = Handlungsfreiheit? /
» Mein Punkt ist vielmehr, dass es keine Willensfreiheit, sondern nur Handlungsfreiheit gibt. Und die “Selbstbestimmung” fällt begrifflich mit dieser Handlungsfreiheit zusammen. «
Einspruch, Euer Ehren! Selbstbestimmung ist—nach meinem Dafürhalten—der umfassendere Begriff.
Weiter oben in Ihrem Beispiel mit der Wahl der Milchmarke stellen Sie zu Recht die Frage, »ob derartige Handlungen im relevanten Sinne “frei” sind. «
In der geschilderten Situation war die Handlungsfreiheit ja schon alleine dadurch eingeschränkt, dass nur zwei Marken zur Auswahl standen.
Selbstbestimmung bedeutet aber, “dass man selbst seinem Tun den bestimmten Inhalt gibt” (Höffe, Lexikon der Ethik). Bei der Selbstbestimmung sollte die Anzahl der Wahlmöglichkeiten demnach keine Rolle spielen.
Davon abgesehen: Gibt es bei der Handlungs”freiheit” denn nicht ganz ähnliche Probleme wie bei der “Willensfreiheit”?
Im genannten Lexikon lese ich nämlich: “In einem engeren und spezifisch menschlichem Sinn besteht Handlungsfreiheit erst dort, wo jemand einen Spielraum von alternativen Möglichkeiten sieht und einen davon auswählen kann. Freiheit heiß hier, handeln und auch nicht handeln oder das eine und auch ein anderes tun können.”
Da stellt sich doch schon wieder die Determinismus-Frage.
» Niemand würde sich derart über die Willensfreiheit ereifern, wenn es nicht um die Frage ginge: Was, wenn wir gar nicht anders handeln konnten, als wir tatsächlich gehandelt haben? Dürfen wir Menschen dann noch für das, was sie tun, zur Verantwortung ziehen? «
Wissen Sie noch, wer das gefragt hat?
Selbstreflexion
@Joachim Schulz: Ein lernfähiges System kann nach einem Lernvorgang unter gleichen äußeren Bedingungen zu anderen Entscheidungen kommen. Das menschliche Gehirn lernt bereits vor der Entscheidung, es simuliert Umgebung und Zukunft und durch Selbstreflexion auch die Auswirkungen von Entscheidungen auf die eigenen Zielvorgaben und kann auch diese Ziel ändern. Wenn solche Iterationsprozesse mehrstufig ablaufen ist dass Ergebnis in komplexen Systemen bei Entscheidungen, die auf der Kippe stehen, nicht vorhersehbar, fast nicht deterministisch.
Ein Pokerunde wird bei exakt gleichen Anfangsbedingungen immer einen anderen Verlauf nehmen. Wenn man informationsverarbeitende Systeme nach ihrem Freiheitsgrad klassifizieren wollte, hat der Mensch, mit seiner Fähigkeit zu Simulation von Umgebung und der Zukunft und der Fähigkeit die eigenen Entscheidungsparameter zu ändern den wohl höchsten Freiheitsgrad, den ich beschreiben könnte. Er beinhaltet sogar den Freitod.
Freiheitsgrade /@adenosine
» Ein lernfähiges System kann nach einem Lernvorgang unter gleichen äußeren Bedingungen zu anderen Entscheidungen kommen. «
Das sehe ich auch so. Die Frage ist, wieso und warum, vor allem, wenn auch die inneren Anfangsbedingungen gleich sind.
Also angenommen, wir könnten die Zeit zurückdrehen und der Mensch steht noch einmal vor der gleichen Entscheidung unter den exakt gleichen inneren und äußeren Bedingungen, und zwar bis hinunter auf die molekulare und atomare Ebene. Woher kommen die Freiheitsgrade, die zu anderen Ergebnissen führen können?
Komplexität, Dualismus
Balanus: “Also angenommen, wir könnten die Zeit zurückdrehen und der Mensch steht noch einmal vor der gleichen Entscheidung unter den exakt gleichen inneren und äußeren Bedingungen.”
Hier scheint mir auch der wesentliche Unterschied zum Heizungsthermostat zu liegen. Für diesen können tatsächlich die exakt gleichen Bedingungen wiederholt bestehen, zumindest was die entscheidungsrelevanten betrifft. Für Lebewesen geht das häufig nicht, weil sie dafür viel zu komplex sind. Sie unterscheiden sich eben von unbelebter Natur durch ihren Komplexitätsgrad. Und nicht durch eine Vis vitalis oder gar eine unsterbliche Seele.
Joachim Schulz: “Willensfreiheit muss, wenn sie existiert, ein kollektives Phänomen sein. Die einzige Alternative dazu wäre Dualismus.”
Dem würde ich zustimmen. Es scheint mir konsequent, daß der hoch verehrte Karl Popper, der den Indeterminismus als Grundlage der Willensfreiheit ansah, sich für einen Dualismus engagiert hat.
Für mich besteht, auch nach der bisherigen ausgezeichneten Diskussion hier und bei Edgar, die einzige Alternative darin, die Willensfreiheit (nicht aber die Handlungsfreiheit) als Illusion anzusehen.
Unschärfe / Selbstreflexion
@Balanus
Diese klassische Entsprechung des Unschärfeprinzips steckt bereits in den Hamiltonschen Bewgungsgleichungen. Genauer gesagt, es ist in der geometrischen Struktur begründet, die den Hamiltonschen Systemen verallgemeinernd zugrundeliegt (symplektische Geometrie). Hinzufügen möchte ich noch, dass das englische Wikipedia zum Unschärfeprinzip den Sachverhalt aktuell in einem Satz erwähnt, aber die Aussage ist in der gegebenen Formulierung leider schlicht falsch (http://en.wikipedia.org/…ple#Symplectic_geometry).
I. Ekeland bringt es in seinem letztgenannten Büchlein hingegen recht gut hin, anhand einer speziellen Klasse von Systemen, den Billiards, exemplarisch einen Eindruck dieses Phänomens zu vermitteln, ganz ohne seine Leser mit symplektischer Geometrie zu strapazieren.
@adenosine
Das ist mir auch sehr plausibel, dass ein Gehirn die absehbaren Folgen einer möglichen Entscheidung zunächst iterativ simuliert, bevor es tatsächlich eine Entscheidung trifft. Der Punkt mit der Lernfähigkeit scheint mir wichtig: Das Gehirn ist ein System mit Gedächtnis, es schleppt seine individuelle Vorgeschichte mit sich herum und bringt diese in seine Simulationen ein. De facto lassen sich also niemals die exakt gleichen Ausgangsbedingungen wiederholen, weil die Vorgeschichte bei jeder Wiederholung eines Experimentes eine andere ist.
Willensbildung /@Jürgen Bolt
» Für mich besteht … die einzige Alternative darin, die Willensfreiheit (nicht aber die Handlungsfreiheit) als Illusion anzusehen. «
Wenn aber doch die Handlung durch die nicht freie Willensbildung bedingt ist, wie kann dann die gewollte Handlung wirklich frei sein?
Ich bin inzwischen zu der Auffassung gelangt, dass der Begriff “Freiheit” aus dem Vokabular zu streichen ist, wenn es um biologische Sachverhalte geht (wie beispielsweise Entscheidungsprozesse im zentralen Nervensystem).
Nur auf einer höheren Betrachtungsebene, also philosophisch, psychologisch, soziologisch etc., kann der Freiheitsbegriff m.E. Sinn machen.
@Chrys
Danke für die Antwort.
Eigentlich wollte ich nur wissen, ob es eine physikalische Grundlage für diese (theoretische? / messtechnische?) “Unschärfe” gibt und wie diese dann aussähe.
“Symplektische Geometrie”—was es alles gibt… 😉
@Balanus: Betrachtungsebene
Das sehe ich genauso wie Sie. Und auch, wie Sie weiter oben schrieben, daß Wille und Handlung mentale Konzepte sind und primär auf dieser Ebene (und nicht auf z.B. quantenmechanischer) untersucht werden sollten.
Systeme haben eben emergente Eigenschaften. Man kann beim Roulette nicht vorhersagen, wohin die Kugel fallen wird, wohl aber, daß am Ende des Tages die Bank gewinnt. Auf der Ebene des einzelnen Spiels ist es sinnvoll, das Konzept des Zufalls anzuwenden, auf der Ebene des Roulettes insgesamt nicht.
Allerdings bin ich soweit Reduktionist, daß ich denke, die Ebenen müssen kongruent sein. Ich kann nicht ein mentales Konzept behaupten, das von unserem Nervensystem gar nicht konstruiert werden kann. Wenn ich den Willen unter diesem Blickwinkel betrachte, kann er nicht frei sein. Und unser Handeln natürlich auch nicht.
Mir scheint aber, daß wir Handlungsfreiheit üblicherweise nicht so verstehen. Wir denken eher daran, zwischen Alternativen wählen oder Pläne realisieren zu können. Und das können wir.
Sie haben aber recht: wenn ich überlege, warum ich mich für diese Option und gegen jene entschieden oder genau diesen Plan gefaßt habe, dann gelange ich unvermeidlich zu Konzepten der Notwendigkeit, mögen diese nun Muster von Aktionspotentialen oder Schicksal, Biographie oder Gene heißen.
Ich gebe zu, daß ich die Linie zwischen determiniertem Willen und freier Handlung ein bißchen willkürlich ziehe, und werde Ihnen nicht widersprechen, wenn Sie das anders handhaben möchten.
schon vorbei?
Sehr geehrte Diskussionsteilnehmer,
Jürgen Bolt schreibt: “Allerdings bin ich soweit Reduktionist, daß ich denke, die Ebenen müssen kongruent sein. Ich kann nicht ein mentales Konzept behaupten, das von unserem Nervensystem gar nicht konstruiert werden kann. Wenn ich den Willen unter diesem Blickwinkel betrachte, kann er nicht frei sein. Und unser Handeln natürlich auch nicht.“
Ist denn der (bedingte) freie Wille wirklich nur ein mentales Konzept? [der bedingte freie Wille ist die Annahme, dass die meisten unserer Willensentscheidungen deterministisch oder zufällig bestimmt sind, aber einige wenige auch durch unser Selbst] Was alles ist angeblich nichts weiter als ein mentales Konzept, z.B.
Angeblich die Zeit, denn ohne das Gedächtnis gebe es nur die Gegenwart,
die Farbe Rot, denn das was wir mit der Farbe Rot verbinden, habe nichts mit der elektromagnetischen Schwingung von 650nm zu tun, was Rot im physikalischen Sinn bedeute,
das Ich und die Sexualität, denn diese Begriffe seien nur Zusammenfassungen mehrerer Verhaltensweisen, Vorstellungen und Abbildungen im Hirn,
das Bewusstsein, denn unser Hirn wäre nichts weiter als ein Schaltkreis, der einen Informationsinput sinnvoll verarbeitet, prinzipiell nichts weiter als ein Computer,
die imaginären und komplexen Zahlen, denn sie fänden in der Natur keine Entsprechung,
u.s.w.
Die Bedeutungsbelegung einer Entität als bloßes mentales Konzept, ist meiner Ansicht nach oft ein Resignieren vor der Schwierigkeit diese Entität gedanklich zu erfassen und naturwissenschaftlich zu hinterfragen. Ich denke, dass auch der bedingte freie Wille eine materielle Äquivalenz hat und dass unser Nervensystem durchaus in der Lage ist, diesen zu konstruieren. Um meine Meinung zu belegen, will ich zunächst noch einmal auf das Thema Wahrheitsserum (Geständnismittel, Plauderdroge) und Hypnose zu sprechen kommen.
Der Wikipedia-Artikel
http://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheitsserum
zeugt nicht von allzu viel Fachwissen, wobei ich gestehen muss, selber nur geringe Kenntnisse über das Phänomen zu besitzen. Und selbst diese geringen Kenntnisse sollte ich besser zum Schutz vor kriminellen Machenschaften nur bedingt mitteilen. So wird in dem Wikipedia-Artikel z.B. behauptet: „Neben Alkohol und Pflanzenextrakten, wie zum Beispiel Scopolamin, …“
Für ein Wahrheitsserum werden IMMER wenigstens zwei Mittel benötigt. Der Attentäter von Sarajewo, Gavrilo Princip,
http://de.wikipedia.org/wiki/Gavrilo_Princip
wurde nicht unter dem Einfluss von Scololamin verhört, sondern von Mischinfusionen aus Scololamin und Morphium. (Gegen Folter konnte man damals schon einen Agenten mittels posthypnotischer Befehle/Suggestionen immunisieren.)
Weiterhin heißt es in einer älteren Version des Wikipedia-Artikel (und wurde von Wikipedia schon selber herausgenommen): „Es ist jedoch ein verbreiteter Irrglaube, dass die Anwendung eines Wahrheitsserums einen Menschen automatisch dazu verleitet, die Wahrheit zu sagen. Die unter dem Einfluss der Droge stehende Person kann genauso lügen wie zuvor, sie wird jedoch anfälliger für [[Suggestion|Suggestionen]].“
Auch das stimmt so nicht. Die Person wird anfällig für hypnotische Befehle und kann dann gegebenenfalls NICHT mehr lügen.
Edgar Dahl schreibt: „Dass wir uns tatsächlich irren können, hat spätestens die Hypnose gezeigt. So kann man Patienten im Zustand der Trance mit Hilfe einer posthypnotischen Suggestion beispielsweise dazu bewegen, zwei Stunden nach dem Erwachen auf ihr Zimmer zu gehen und ihre Koffer zu packen. Wenn man sie fragt, warum sie es tun, rationalisieren sie: Sie geben einen Grund, wie etwa eine dringende Familienangelegenheit, an – nicht wissend, dass sie lediglich einen posthypnotischen Auftrag erfüllen.“
Wenn man diese Patienten aber eingehender befragt, werden diese feststellen, dass ihre Handlung zuvor doch irgendwie komisch und andersartig war – spontan ohne nachzudenken. Man kann mittels posthypnotischer Suggestion eine Person nur dazu bringen, für sie belanglose Aktivitäten auszuführen. Kaum eine Person wird z.B. dazu zu bewegen sein, sich auf dem Marktplatz auszuziehen und selbst zu befriedigen. Erst wenn die Person zusätzlich zum posthynotischen Befehl auch unter dem Einfluss seines Wahrheitsserum steht, wird sie diesen posthypnotischen Befehl ausführen.
Vielleicht erinnert sich hier der ein oder andere, dass vor einigen Jahren von einem Verbrechen zu lesen war. Eine Frau war unter dem Einfluss eines Wahrheitsserums – und wie ich vermute eines posthypnotischen Befehls – dazu bewegt worden, ihre Konten leerzuräumen und das Geld den Verbrechern auszuhändigen. Die Bankangestellten sagten später aus, dass ihnen der psychische Zustand der geschädigten Frau zwar irgendwie komisch vorkam, diese aber auch auf Nachfrage keine Zwangssituation zu erkennen gab. Nach allem was ich über Wahrheitsseren und ihre Anwendung gelernt habe, hätte man die Frau nur zu fragen brauchen, ob sie zur Zeit über ihren freien Willen verfüge. Die Antwort wäre ein klares „Nein“ gewesen, es sei denn, die Täter hätten auch die Möglichkeit dieser Frage zuvor berücksichtigt.
Wie könnte das Nervensystem einen bedingten freien Willen realisieren? Durch den Aufbau eines Selbst, den ich als autokatalytischen Prozess verstehe. Bleibt nur die Frage zu klären, wie das erste Selbst manifestiert werden konnte. Hier ist mein Favorit immer noch der Quanten-Zeno-Effekt
http://de.wikipedia.org/wiki/Quanten-Zeno-Effekt
Der es denkbar macht, dass das Selbst aus vielen Wurzeln gleichzeitig erwachsen kann.
mfg
Luchs
sorry
Scololamin soll Scopolamin heißen
Interessantes über die Zerstörung des freien Willens weiß auch die Voodoo-Religion zu berichten:
http://de.wikipedia.org/wiki/Zombie
„Eine verbreitete Idee ist, dass dabei ein Pulver eine wichtige Rolle spielt. Es werde gebraucht, um das Opfer in einen hirntodähnlichen Zustand zu versetzen, etwa vermischt mit Juckpulver auf die Haut des Opfers geblasen, die dann das Gift in kleinen Wunden beim Kratzen aufnimmt. Das Gift ruft schnell krankheitsähnliche Symptome hervor, an denen das Opfer scheinbar stirbt. In dem Glauben, an dem sowohl die Gemeinde als auch das Opfer selbst teilhaben, dass dieser Mensch nun tot sei, wird er begraben. Nach einer bestimmten Zeit taucht der Zauberer am Grab auf, wo er sein Opfer ausgräbt und ihm ein Gegenmittel verabreicht. Dieses Mittel soll ein starkes Gift, etwa Atropin beziehungsweise Hyoscyamin, sein, das dem Betroffenen beim Aufwachen seine Sinne und sein Bewusstsein raubt. Häufig soll das Opfer begleitend zur Verabreichung des Giftes von den Gehilfen des Zauberers verprügelt werden und durch andere Anwendungen von Gewalt und Einschüchterung von seiner neuen Rolle als Zombie überzeugt werden. Der Zombie soll dann seinem neuen Herren hörig sein und ab sofort Schwerstarbeiten verrichten. Zu diesem Zweck sollen derartige Zombies als Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, meist in weit entfernte Gebiete der Insel, verkauft werden, wo sie unter menschenunwürdigen Bedingungen gehalten werden.
Der Kulturanthropologe Wolf-Dieter Storl schreibt, dass es ursprünglich nicht zu resozialisierende Kriminelle waren, die auf diese Weise gleichzeitig unschädlich gemacht und bestraft wurden. Durch regelmäßige Gaben von Atropin sei der willenlose Zustand der Zombies aufrechterhalten worden. Diese Art der Bestrafung sei ein Werkzeug des Justizsystems in West- und Zentralafrika (gewesen).“
Bedingte Willensfreiheit /@Luchs
» Ist denn der (bedingte) freie Wille wirklich nur ein mentales Konzept? [der bedingte freie Wille ist die Annahme, dass die meisten unserer Willensentscheidungen deterministisch oder zufällig bestimmt sind, aber einige wenige auch durch unser Selbst] «
Laut Wikipedia ist die bedingte Willensfreiheit ein bisschen was anderes (und eigentlich gar nicht wirklich “frei”):
http://de.wikipedia.org/…edingte_Willensfreiheit
Aber Du sagst, dass unser “Selbst” einige wenige Entscheidungen treffen kann. Für dieses “Selbst” gibt es doch sicherlich auch ein neuronales Korrelat, oder nicht?
Scopolamin dämpft das Zentralnervensystem und kann “Willenlosigkeit” bewirken. Wenn man nun statt “bedingter freier Wille” einfach nur “Wille” sagt (weil der “bedingte freie Wille” letztlich einfach nur der “Wille” ist), dann passt das doch.
Wäre doch auch merkwürdig, wenn ein Pharmakon etwas ausschalten könnte, was per Definition “frei”, also unbedingt, unabhängig, nicht determiniert und nicht kausal ist.
» Wenn man diese Patienten aber eingehender befragt, werden diese feststellen, dass ihre Handlung zuvor doch irgendwie komisch und andersartig war… «
Was berichten Menschen eigentlich, wenn sie durch Scopolamin willenlos gemacht wurden, wie haben sie ihre Willenlosigkeit erlebt und empfunden?
Bedingte Willensfreiheit
@Balanus:
Wikiedia sagt auch: “es ist nur fraglich, ob der Ausdruck Freiheit hier angebracht ist, wo es zu dem tatsächlichen Wollen keine Alternative gibt.” Und das ist genau der Punkt den ich verneine. Bedingte Willensfreiheit ist durch das Selbst beeinflusst, ja. Aber sie ist keine Freiheit.
Deshalb nenne ich “das Dritte” auch ungern “Selbst”, denn wie Balanus sagt: “Für dieses “Selbst” gibt es doch sicherlich auch ein neuronales Korrelat”
Das ist gut möglich. Und wenn es so ist, dann ist das selbst ein Teil des inneren Zustands unseres Gehirns, wie der Schaltpunkt des Heizkörperthermostats nur deutlich komplexer. Oder wo seht ihr den Qualitativen Unterschied?
Joachim: “Wikiedia sagt auch: “es ist nur fraglich, ob der Ausdruck Freiheit hier angebracht ist, wo es zu dem tatsächlichen Wollen keine Alternative gibt.” Und das ist genau der Punkt den ich verneine. Bedingte Willensfreiheit ist durch das Selbst beeinflusst, ja. Aber sie ist keine Freiheit.”
Aber das Selbst muss zuvor langsam, mühevoll aufgebaut worden sein. WER baut denn das Selbst auf? Dies kann wiederum nur durch das Selbst aufgebaut werden, ein autokatalytischer Prozess. Woher kommt das erste Selbst? Hier ist mein Favorit immer noch der Quanten-Zeno-Effekt
http://de.wikipedia.org/wiki/Quanten-Zeno-Effekt
der es denkbar macht, dass das Selbst aus vielen Wurzeln gleichzeitig erwachsen kann.
mfg
Luchs
Hallo Belanus,
Du schreibst: „Aber Du sagst, dass unser “Selbst” einige wenige Entscheidungen treffen kann. Für dieses “Selbst” gibt es doch sicherlich auch ein neuronales Korrelat, oder nicht?“
Ich denke auch, dass es für dieses Selbst ein neuronales Korrelat gibt, vermutlich über das gesamte Gehirn verteilt. Meiner Ansicht nach besteht hier noch echter naturwissenschaftlicher Forschungsbedarf (siehe bei 1.).
Du schreibst: „Scopolamin dämpft das Zentralnervensystem und kann “Willenlosigkeit” bewirken. Wenn man nun statt “bedingter freier Wille” einfach nur “Wille” sagt (weil der “bedingte freie Wille” letztlich einfach nur der “Wille” ist), dann passt das doch.“
O.k. Aber so viel ich weiß, reicht Scopolamin alleine dazu nicht aus (auch nicht bei den anderen Tropanalkaloiden Atropin oder Hyoscyamin, wie vielfach behauptet). Man braucht zugleich immer ein “schräges” Antidot zu den Tropanalkaloiden. Mit Valium, Diazepam oder Physiostigmin als zweitem Mittel funktioniert es nicht, mit Opiaten schon, aber mittlerweile gibt es Wirksamers, was ich aber nicht nennen will.
Du schreibst: „Wäre doch auch merkwürdig, wenn ein Pharmakon etwas ausschalten könnte, was per Definition “frei”, also unbedingt, unabhängig, nicht determiniert und nicht kausal ist.“
1. Es wird die Freiheit ausgeschaltet, den Willen auf selbsterzeugten Hirnstrukturen basieren zu lassen. Wenn ein Mann z.B. denkt, dass sein Penis zu klein ist, braucht er sich bekanntlich lediglich alle 2 Std. für ca. 2 min vorzustellen, wie sein Penis wächst. Wird während dieser Meditation die Hirnaktivität im PET über einen Zeitraum von ca. 10 Tagen gemessen, stellt man fest, wie sich von den aktiven Hirnbereichen zumindest einer innerhalb dieser 10 Tage bzgl. seiner Größe mehr als verdoppelt. Der vergrößerte Teil dieses Bereichs ist dann eine selbsterzeugte Hirnstruktur. Nach einiger Zeit folgt der vergrößerten Hirnstruktur die gezielte Ausschüttung von Wachstumshormonen und anabolen Prozessen.
Luchs: » Wenn man diese Patienten aber eingehender befragt, werden diese feststellen, dass ihre Handlung zuvor doch irgendwie komisch und andersartig war… «
Belanus: „Was berichten Menschen eigentlich, wenn sie durch Scopolamin willenlos gemacht wurden, wie haben sie ihre Willenlosigkeit erlebt und empfunden?“
Meine Aussage bezog sich auf einen posthypnothischen Befehl. Mit Hypnose und Posthypnose lässt sich die Handlungsfreiheit ausschalten. Ich denke, hier sind wir uns einig. Mit Hypnose und Posthypnose lässt sich nur sehr bedingt die Willensfreiheit ausschalten – mein Beispiel mit der Person, die sich nicht auf einem belebten Marktplatz ausziehen würde und selbst befriedigen. Mit Wahrheitsseren lässt sich der Wille ausschalten. Die beeinflusste Person merkt dies zumeist erst in der Erinnerung, dass sie zum fraglichen Zeitpunkt über keinen (eigenen) Willen mehr verfügt hat, sondern schlicht den Befehlen des Vernehmers gefolgt ist, außer, wenn sie gezielt danach befragt wird.
mfg
Luchs
Zeno-Effekt
Hallo Luchs,
den Quanten-Zeno-Effekt kenne ich gut. Ich habe in einer Arbeitsgruppe Diplomiert, in der dieser Effekt studiert wurde. Mir leuchtet jedoch nicht ein, was er mit der Bildung des “Selbst” zu tun haben könnte.
Kannst du das näher erläutern? Klingt nach einem guten Blogartikel.
Meine Meinung:
http://de.wikipedia.org/…edingte_Willensfreiheit
Zitatanfang: „Der zentrale Streitpunkt zwischen den verschiedenen Freiheitskonzepten ist die Frage, wovon der Wille eines Menschen frei zu sein hat, damit von einem freien Willen oder Freiwilligkeit gesprochen werden kann.“ Zitatende
Der Wille ist frei, wenn er nicht ausschließlich deterministisch oder zufällig bestimmt ist, sozusagen von außen. Hierbei bildet der Begriff `indeterministisch´ einen Oberbegriff für die Begriffe `zufällig´ und `frei´ im Sinne von `selbstbestimmt´. Die Problematik kann mit folgender Frage verdeutlicht werden: Sind unsere Gedanken mit der Bewegung eines Steins im Flussbett vergleichbar, oder eher mit der Bewegung eines Fisches im Flussbett?
Zitatanfang: „Bedingte Willensfreiheit … In derselben Entscheidungssituation ist es derselben Person also nicht möglich, unterschiedliche Entscheidungen zu treffen.“ Zitatende
Nicht ganz. In einigen wenigen Situationen hätte die Person unter Anstrengung auch anders entscheiden können. Aber die Person hätte ZUVOR ein anderes Selbst aufbauen können. Das Selbst vergrößert sich selbst und entwickelt sich in die von ihm selbst bevorzugte Richtung. Erst im hohen Alter baut es sich wieder ab. Das Selbst kann durch Anstrengung und Konzentration in verschiedene Auf- und Abbaurichtungen gelenkt werden. Aber WER ist es, der da in die ein oder andere Richtung lenkt und WIE macht er das? Über das WIE hatte ich schon mehrfach meine Spekulation mitgeteilt (Quanten-Zeno-Effekt). Über das WER kann man meines Erachtens nur unter Rückgriff auf religiöse Konzepte spekulieren. Hier bevorzuge ich den Panentheismus.
Zitatanfang: „Bedingte Willensfreiheit … Aufgrund der Komplexität der Umstände, die zur Willensbildung führen, ist die Entscheidung zwar für uns nicht vorhersehbar, aber objektiv steht im Vorhinein fest, welchen Willen wir fassen werden.“ Zitatende
Das steht meiner Ansicht nach eben nicht immer im vorhinein fest (Quanten-Zeno-Effekt). Außerdem hätte das Selbst zuvor anders aufgebaut werden können.
mfg
Luchs
Hallo Joachim,
ich muss zunächst gestehen, dass ich von QM nur so viel Ahnung habe, wie ein (guter) Chemiker eben hat. Auf den Quanten-Zeno-Effekt wurde ich durch die Diskussion mit einem Mediziner (habilitiert in Neurophysiologie) aufmerksam gemacht, der zugleich überzeugter Christ war. Auch ich bin der Ansicht, obwohl ich mich fast als Atheisten bezeichnen würde, dass man bei dieser Problematik ziemlich schnell auf religiöse oder esoterische Konzepte stößt.
Was meiner Ansicht nach wahr sein könnte:
Der Mensch baut sich langsam ein Selbst auf, um sich von seiner äußeren Beeinflussung durch Erziehung, Umwelt und Sinneseinflüsse und von seiner inneren Beeinflussung durch Gene und deren Expression möglichst unabhängig zu machen. Er wird zunehmend versuchen, seine Willensentscheidungen auf diesem Selbst basieren zu lassen. Nun wird dieses Selbst zweifellos ausschließlich auf den vorgegebenen inneren und äußeren Beeinflussungen basieren, also nichts selbstgemachtes sein, oder?
Nein. Das aktuelle Selbst basiert AUCH auf vorangegangenem Selbst.
Aber wenn das vorangegangene Selbst auch wiederum auf vorgegebenen inneren und äußeren Beeinflussungen und einem noch früheren Selbst basiert, dann kann es im Hirn wirklich nichts selbstgemachtes geben, denn woher käme das ERSTE Selbst?
Jetzt kommt der Quanten-Zeno-Effekt ins Spiel. Dietmar hat uns beigebracht: „Willensmotive erzeugen Gegenmotive (Hemmung), von deren Stärke es abhängt, ob der Wille eine Handlung im Gefolge hat.“ Hierbei kann meiner Ansicht nach die Handlung auch darin bestehen, ein Willensmotiv zu erzeugen, so dass wir bei der Willkür sind: „Willkür: die Fähigkeit unter mehreren Willensmotiven zu wählen.“
Nehmen wir einmal an Willensmotiv A und Willensmotiv B (oder das Gegenmotiv) liegen im Nervensystem zunächst als Superposition vor, und würden ohne Beeinflussung mit einer Wahrscheinlich von 0,8 zu A zerfallen und mit 0,2 zu B. Erzeugt diese Superposition nun ZUGLEICH einen Bewusstseinszustand (oder modifiziert sie ein Bewusstsein), dann haben wir eine Verschränkung, so dass ANALOG des Quanten-Zeno-Effekts
http://de.wikipedia.org/wiki/Quanten-Zeno-Effekt
die Wahrscheinlichkeiten des Zerfalls durch Beobachtung (was Anstrengung und Konzentration beinhaltet) in die eine oder andere Richtung verschoben werden könnten.
Durch die Beobachtung oder Konzentration auf Möglichkeit B entscheiden wir uns nicht mehr mit der zunächst vorgegebenen Wahrscheinlichkeit von 0,8 zu A, sondern vielleicht nur noch mit 0,5 zu A. Jede Entscheidung geht ein in die Bildung und Wachstumsrichtung neuen Selbst. Die Umstände die zur Willensbildung geführt haben, beinhalten hier deterministische, zufällige und selbstbestimmte Faktoren.
Das Selbst kann durch BEWUSSTE Anstrengung und Konzentration in verschiedene Auf- und Abbaurichtungen gelenkt werden. WIE das geschehen könnte, habe ich oben versucht darzulegen. Aber WER ist es, der da in die ein oder andere Richtung lenkt?
mfg
Luchs
Hallo Leute!
Was glaubt ihr wohl, warum die russische Polizei (die noch immer in der Tradition des KGB steht) so schnell erfolgreich war?
http://www.spiegel.de/…and/0,1518,688693,00.html
Vielleicht Folter? Hier kennt sich auch die CIA ganz gut aus.
http://www.welt.de/…am-fuer-Terror-Verhoere.html
Das Problem ist nur, dass man mittels Hypnose und Posthypnose einen Agenten, insbesondere einen fanatischen Glaubensanhänger, gegen Folter recht gut immunisieren kann. Mir scheint, dass die CIA dies immer noch nicht wahrhaben will. Deshalb haben sie im Irak und in Afghanistan auch nur wenig Erfolg; der Erfolg den sie haben, kommt aus der Überlegenheit ihrer Waffensysteme.
Wer wirklich wissen will, wie sich Handlungsfreiheit und Willensfreiheit bei einigermaßen intaktem Bewusstsein ausschalten lassen, und was die Befragten dabei empfunden haben, der muss mit einen alten Verhörspezialisten der Stasi reden. Ich bin kein solcher Verhörspezialist und konnte auch noch mit keinem reden. Ich habe lediglich mit Menschen geredet, die mit solchen Verhörspezialisten geredet haben.
mfg
Luchs
@Luchs: Quanten-Zeno-Effekt
Ich verstehe immer noch nicht, was hier der Quanten-Zeno-Effekt bewirken soll. Selbst wenn dieser Effekt in neuronalen Vorgängen eine Rolle spielen sollte, was ich bezweifle, kann ich nicht erkennen, wo hier aus Zufall und Determinismus etwas drittes entstehen soll. Das Erzwingen einer Option durch fortwährende Beobachtung, wie es im Quanten-Zeno-Effekt beobachtet wird, würde einen sonst zufälligen Ablauf wieder deterministisch machen. Etwas drittes, was Willensfreiheit begründen könnte, erkenne ich hier nicht.
Hallo Joachim,
Du schreibst: „Ich verstehe immer noch nicht, was hier der Quanten-Zeno-Effekt bewirken soll. … Das Erzwingen einer Option durch fortwährende Beobachtung, wie es im Quanten-Zeno-Effekt beobachtet wird, würde einen sonst zufälligen Ablauf wieder deterministisch machen. Etwas drittes, was Willensfreiheit begründen könnte, erkenne ich hier nicht.“
Der Quanten-Zeno-Effekt wurde von mir als möglicher Mechanismus genannt, über den das Dritte auf die Materie einwirken könnte, sozusagen die Schnittstelle zwischen Geist und Materie, er ist wohl nicht das Dritte selber.
Ich möchte zunächst bekräftigen, dass ich Deine Argumentation für zutreffend halte: Wenn Andreas Recht hätte, dann müsste man konsequenterweise auch einem Heizungssystem (oder zumindest einem Schachprogramm) einen freien Willen zuschreiben. Und unser Empfinden dass wir einen freien Willen haben, ist ein gutes Argument, dass es diesen möglicherweise gibt. Ein weiteres Argument für die Existenz des freien Willens ist das Nichtempfinden eines freien Willens, bei Personen die mittels Hypnose und Wahrheitsseren zumindest aus einer Außenperspektive über keinen Willen verfügen. Aber in einem stimme ich Andreas zu. Er schreibt:
http://feuerbringer.com/…e-welt-der-libertarier/
Zitatanfang:
Joachim: „Willensfreiheit muss, wenn sie denn existiert, etwas drittes sein. Ich nenne es einmal Willkür. Willkür ist weder deterministisch noch zufällig, sondern sie verfolgt Ziele, die sich eine Person selbst gesetzt hat. Diese Ziele können weitblickend sein, sie können aber auch einfach eine Laune sein.“
Andreas: „Willkür ist also eine fremde Macht, die unsere Ziele verfolgt? Welch ein Albtraum! Ist Willkür eine Art von Bodysnatcher oder kann man die Willkür eher vergleichen mit den Goa’uld aus Stargate? Kleine Würmer, die an unserem Rückenmark festkleben und die von dort Macht über uns ausüben können. Na, wenigstens verfolgen die Willkür-Goa’uld unsere eigenen Ziele für uns.
Zitatende
Diese `kleinen Würmer´ müssten auch gemäß meiner Meinung, sofern Willensfreiheit existiert, ebenfalls existieren. Aber gegenüber Andreas, der deren Nichtexistenz postuliert, gehe ich von deren Existenz aus. Ich stimme Andreas auch darin zu, dass die Diskussion dann schnell ins Religiöse abgleitet. Ich halte den Panentheismus für möglicherweise weiterführend. Demnach ist alles Bewusstsein eine autarke Abspaltung des großen Bewusstseins, das üblicherweise Gott genannt wird. Das Universum ist der Traum Gottes. Wenn wir Menschen im Traum mit einer Person kommunizieren, so ist diese Person natürlich auch nur eine Abspaltung unseres Bewusstseins, obwohl sie für uns nach außen hin autark agiert. Unser Hirn kann unser Bewusstsein nur verformen, aber nicht erzeugen.
mfg
Luchs
Dualismus
Hallo Fuchs,
OK, jetzt sehe ich, was du meinst.
Der Quanten-Zeno-Effekt ist deiner Ansicht nach der Mechanismus, über dem die Seele aus der geistigen Welt Einfluss auf die körperliche Welt nehmen kann. Dazu habe ich einige Einwände:
1) Ich bin überzeugt, dass Quanteneffekte viel zu schwach sind, um Einfluss auf konkrete Entscheidungen nehmen zu können. Der Gedankenablauf funktioniert größtenteils nicht-kohärent über Ionen-Diffusion. Es wird niemals zu einer quantenmechanischen Überlagerung zweier Entscheidungsmöglichkeiten kommen, so dass der Zeno-Effekt auf Entscheidungsbasis nicht zum Tragen kommen kann.
2) Ich halte Dualismus für unwahrscheinlich. Wenn es eine geistige Welt gibt, aus der heraus Entscheidungen für den Körper gefällt werden können, dann sollte das doch im EEG sichtbar sein. Gedanken würden aus dem Nichts zu entstehen scheinen, wenn die andere Welt Einfluss nimmt.
3) Wenn WIR einen freien Willen haben, dürfen die Entscheidungen natürlich nicht von einer anderen Instanz als unserem eigenen Bewusstsein getroffen werden. Sonst wären wir ja nicht frei zu wollen, was wir wollen. Der Willen würde uns von einer anderen Entität aufgezwungen. Die Willkür muss in unserem eigenen Bewusstsein entstehen. Falls es sie gibt. Und unser eigenes Bewusstsein würde ich – so weit bin ich Materialist – in unserem Gehirn und nirgends anders suchen.
Andreas hat natürlich recht, wenn er einwendet, dass ein Heizungssystem keinen freien Willen haben kann, weil es gar nicht komplex genug ist, um überhaupt ein Bewusstsein zu haben. Implizit sieht er Bewusstsein als notwendiges Kriterium für freien Willen. Darin stimme ich mit ihm überein. Man müsste also seine Überschrift erweitern:
“Wir sind frei, denn alles ist vorherbestimmt UND wir haben ein Bewusstsein.”
Dann könnte ich nicht mehr mit dem Thermostat kommen, denn die Reaktion des Thermostats ist zwar vorherbestimmt, aber es hat kein Bewusstsein.
Aber selbst in der erweiterten Form stimme ich nicht zu, denn Bewusstsein ist kein hinreichendes Kriterium für Freiheit. Unser Bewusstsein kann Knecht seiner selbst sein in dem Sinne, dass der aktuelle Zustand des Bewusstseins zusammen mit den externen Reizen eine Reaktion eindeutig bestimmt.
Alle notwendigen Zutaten eines Bewusstseins: Lernfähigkeit, Selbstreflexion, Persönlichkeit, uvm können determiniert und damit unfrei sein.
Ich glaube dass zwischen meiner und Andreas’ Position gar kein so großer Unterschied ist. Er definiert nur Freiheit etwas großzügiger.
Hallo Joachim,
Du schreibst: „1) Ich bin überzeugt, dass Quanteneffekte viel zu schwach sind, um Einfluss auf konkrete Entscheidungen nehmen zu können. Der Gedankenablauf funktioniert größtenteils nicht-kohärent über Ionen-Diffusion. Es wird niemals zu einer quantenmechanischen Überlagerung zweier Entscheidungsmöglichkeiten kommen, so dass der Zeno-Effekt auf Entscheidungsbasis nicht zum Tragen kommen kann.“
Eine interessante Diskussion dazu findet sich hier:
http://www.drillingsraum.de/…?tid=330&page=2
Zitatanfang: „Z.B. gibt es Phänomene wie z.B. die Kohärenz von EEG-Signalen, die sich nicht so ohne weiteres mit der klassischen Physik erklären lassen. Grund hierfür ist, daß die chemischen und elektrischen Prozesse im Gehirn eigentlich zu langsam sind, um eine solche Kohärenz erzeugen zu können. Für dieses Phänomen gibt es ein Modell eines Quantengehirnes, welches von quantenphysikalisch verschränkten Zuständen im Gehirn ausgeht. Das Modell wurde von Stuart Hameroff auf Basis von Roger Penrose’ Interpretation der Quantenphysik entwickelt. Zitatende
Ich brauche erst mal ein paar Tage zum Nachdenken. Es wäre unredlich von mir, hier noch einige esoterische Gedanken zum besten zu geben. Ich betrachte mich mehr oder weniger als Atheisten, obwohl ich strenggenommen ein panentheistischer Agnostiker bin. Es ist schon komisch, dass wir hier als Atheisten gestartet sind, Edgar, Andreas, Belanus, Du und auch ich, und jetzt diskutieren wir einen Gottesbeweis. Michael wird sich vor Lachen kaum halten können 😉
mfg
Luchs