Tödliches Geflecht – Ein Wissenschaftsroman

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Wissenschaftliche und polupärwissenschaftliche Literatur beschränkt sich meistens darauf, Theorien und Messwerte zu beschreiben. Auf die menschliche Komponente geht sie, wenn überhaupt, nur am Rande ein. Eine großartige Möglichkeit, diese Lücke zu schließen, wäre ein wissenschaftlicher Roman. Ich habe ein Rezensionsexemplar des Biothrillers Tödliches Geflecht in die Hand bekommen und mich gespannt auf die Suche gemacht. Auf die Suche nach der menschlichen Komponente der Wissenschaft.

Der Molekularbotaniker Axel Brennicke hat sich für seinen Thriller ein spannendes Horrorszenario ausgedacht. Durch eine zufällige Mutation entsteht aus dem Pilz, der das Mutterkorn bei Roggen veruracht, eine sich schnell verbreitende Pest. Der gewöhnliche Pilz ist auf Roggen spezialisiert und bildet klebrige Sporen, die vorwiegend durch Insekten weitergetragten werden. Der mutierte Pilz im Biothriller verschmäht dagegen auch Weizen und Mais nicht und bildet staubtrockene Sporen, die sich buchstäblich in Windeseile verbreiten. Diese Mutante tritt in der Nähe von Bordeaux erstmals auf und verbreitet sich schnell über ganz Frankreich und beginnt recht bald auch Deutschland, Belgien und Polen zu bedrohen. Dabei vernichtet sie nicht nur die gesamte Getreideernte, sondern erzeugt außerdem einen hochgiftigen Staub, der viele Todesopfer fordert.

Tödliches Geflecht ist die Geschichte von der Suche nach einem Gegenmittel. Diese Suche findet hauptsächlich in Molekularbiologischen Laboren in Ulm und Bordeaux statt. In Ulm lernen wir den Gruppenleiter German Nördlich und seine Doktoranden Felix und Anne kennen. Die Gruppe in Bordeaux wird von François Bertrand geleitet. Seine Doktorandin Nicole macht die Arbeit.

Die ersten Kapitel haben mich durch die sehr realistische Darstellung des Forschungsalltags begeistert. Die Atmosphere im ulmer Labor ist locker. Der Chef wird geduzt, man scherzt miteinander und der Laborleiter ist so mit Lehre und Verwaltung beschäftigt, dass ihm zu eigener Laborarbeit kaum Zeit bleibt. Die Doktorandin Anne leidet unter dem Unverständnis ihres Freundes, der nicht versteht, warum sie für ein bescheidenes Gehalt so viele Stunden im Labor verbringt. Felix dagegen ist frei und ungebunden. Die richtige Voraussetzung für eine Romanze mit der schönen Nicole. Zudem berichtet der Autor von der Freundschaft zwischen den beiden Laborleitern und von dem Misstrauen, das der ulmer Laborleiter German zu Bill empfindet, einem Konkurrenten aus Stanford. Es gibt also genug Stoff in diesem Roman, um die menschlichen Seiten der Wissenschaft zu zeigen und den Leser in die Gefühls- und Gedankenwelt von Forschern hineinzunehmen.

Leider macht Axel Brennicke im Verlauf des Romans hiervon kaum gebrauch. Die Protagonisten bleiben anonym und die Beschreibung ihrer Beweggründe beschränkt sich auf das offensichtliche. Bis auf wenige kursiv gedruckte Gedanken erfahren wir nichts davon, was Felix oder Nicole bei ihrer Suche nach einem Gegenmittel denken. Andere Charaktere bleiben ganz unbeschrieben.

Die fehlende Einfühlsamkeit dieses Romans ist aus zwei Gründen schade. Erstens vertut der Autor damit die Chance, die Wissenschaft einmal aus einer Innensicht zu beschreiben. Forscher sind Menschen. Sie haben Wünsche und Ängste. Sie befinden sich nicht selten in einem Spannungsfeld aus Freundschaft und Konkurrenz. Nicht zuletzt teilen viele Wissenschaftler das Problem mit der Doktorandin Anne, dass Privatleben und Forschungsalltag nicht immer leicht zusammenzubringen sind. Gerade die Vereinbarung von Forschung und Partnerschaft ist oft konfliktbeladen. Es ist mir ein Rätsel, warum der Autor solche Punkte zwar anspricht aber nicht zu einer interessanten Geschichte verarbeitet.

Das andere Problem mit der skizzenhaften Beschreibung der Personen ist, dass ich als Leser in einer distanzierten Außensicht gehalten werde. Das gespenstische Szenerio von mit grauem Pilzsstaub überdeckten Getreidefeldern und einem von Hunger und Vergiftung bedrohten Europa ist nicht so recht auf mich übergesprungen. Es ist schwer sich mit den oberflächlich beschriebenen Personen Felix und Nicole zu identifizieren. Dadurch verliert das Geschehen an Dringlichkeit. Es kommt keine Stimmung auf. Dazu kommt, dass die Lösung recht eindimensional angegangen wird. Auf der Suche nach einem Gegenmittel gegen den gefährlichen Pilz gehen die Wissenschaftler direkt auf die Lösung zu. Es gibt keine Fehlschläge, keine Komplikationen. Mögliche Widerstände durch Behörden und Umweltorganisationen werden den Protagonisten durch die Laborleiter aus dem Weg geschaffen. Der Leser bekommt keinen Einblick in die Entscheidungsprozesse und Gewissenskonflike der Verantwortlichen.

Der Ansatz einen Biothriller zu schreiben, der den Laboralltag realistisch widergibt, ist lobenswert. Das Buch liest sich insgesamt sehr flüssig und schnell, dürfte aber auch schnell wieder vergessen sein. Wer ein einfaches Lesevergnügen ohne viel Gefühl und Abschweifung sucht, könnte an diesem Roman gefallen finden. Ich war eher enttäuscht.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

5 Kommentare

  1. Wissenschaftsprosa

    Vielen Dank für die Rezension, es klingt zwar teilweise so, dass ich eher nicht lesen will, aber ich denke du hast mich jetzt zu neugierig auf das Genre Biothriller gemacht 🙂

    Wie wäre es denn, wenn wir mal eine Liste von Wissenschaftsprosa erstellen mit entsprechenden Empfehlungen oder dringenden Abratungen? Oder hat hier schon jemand eine solche Liste?

  2. Wissenschaftsprosa

    Greg Bear hat als Science-Fiction-Autor recht viele Bücher im Bereich Science-Fiction mit Fokus Biologie/Genetik veröffentlicht, “Blutmusik” hat’s in die Veröffentlichungsreihe “Meisterwerke der Science Fiction” des Heyne-Verlags geschafft (hier eine unvollständige Liste). Im Buch gehts um einen Biochemiker, der sich “umprogrammierte” intelligente Lymphozyten selbst-injiziert.

    Von Greg Bear gibts auch “Das Darwin-Virus” (doofer Titel) in dem Introns als Erklärung für beschleunigte Evolution herhalten müssen, hat 2000 den Nebula Award gewonnen.

    Passend find ich auch “Oryx und Crake” von Margaret Atwood, in der ein einsamer Genetiker sich eine neue Menschheit schafft.

    Thomas Lehr’s 42, in der eine Gruppe Wissenschaftler und Journalisten aufgrund des CERNs in der Zeit stecken bleiben, fand ich auch sehr gut. Mehr philosophisch als Wissenschafts-thriller.

    Wie würde man den Bereich “Wissenschaftsprosa” umreißen? Selbst in den schlechtesten Perry Rhodan Büchern, die ich auf dem Speicher meiner Eltern ausgegraben hab, sind Protagonisten Wissenschaftler, auch wenn die Handlung mit Wissenschaft meist wenig zu tun hat.

  3. Wissenschaftlicher Enthüllungsthriller

    Aufgrund der Rezension werde ich das vorgestellte Buch vermutlich nicht lesen. Vielleicht hätte sich der Autor für die Beschreibung der zwischenmenschlichen Aspekte einen Koautor oder besser eine Koautorin suchen sollen. Es ist schade, dass in solchen Büchern zwar die technischen Aspekte gut beschrieben werden, aber die Protagonisten oft recht holzschnittartig und blutleer daherkommen.
    Aus aktuellem Anlass möchte ich den Triller der “Der Aurora Effekt” von Rainer Wolf vorschlagen. Dabei geht es um das tatsächlich existierende HAARP-Projekt, das Anlass für vielerlei Verschwörungstheorien bietet. Momentan vermutet ein Generalleutnant der russischen Raketentruppen die starke elektromagnetische Strahlung des geheimen US-Forschungsprojekts könnte die Schaltkreise der Marssonde Phobos-Grunt irritiert haben und für ihren Ausfall verantwortlich sein.

  4. @Mona

    Ich denke ja eher nicht, dass es darauf ankommt, ob eine Koautorin oder ein Koautor beteiligt werden. Ich habe schon recht gefühlvolle Literatur von Männern wie Frauen gelesen.

    Das Problem ist wohl eher, dass wir Wissenschaftler uns meist einen sehr sachlichen Stil zugelegt haben. Über Gefühle zu schreiben muss man lernen. Diese Fähigkeit unterscheidet meines Erachtens gute Romanautoren von guten Sachbuchautoren.

    Das Buch “Der Aurora Effekt” habe ich mir mal als Leseprobe für den Kindle runtergeladen. Danke für den Tipp.

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