Kick it like Einstein – USA: Weltmeister im Röntgenlasern
BLOG: Quantenwelt
Als ich im Oktober letzten Jahres während der Messzeitvorbereitung in Kalifornien war, traf ich auf der Rolltreppe von Bloomingdales einen jungen Engländer. Er sprach mich von hinten an:
Junger Engländer: “Are you German?”
Quantenmechaniker: “Yes, I am.”
JE: “We will win!”
Qm: “What?”
JE: “We will win!”
Qm: “What?”
JE: “The World Cup, we will win the Word Cup!”
Qm: “Go ahead.”
Der arme Junge war an einen der wenigen Deutschen geraten, die kein Interesse an Fußball haben.
Unser Bloggewitter soll sich nun aber auch gar nicht mit Fußball beschäftigen, sondern mit Wissenschaft in den Ländern, die für die WM qualifiziert sind. Die USA sind bei der WM dabei. Sie werden am 12. Juni oder June 12th, wie man hier sagt, ihr erstes Spiel gegen das Team des jungen Engländers führen. Ob das eine Erfolgsgeschichte werden wird, kann ich nicht beurteilen. Ich möchte Ihnen von einer anderen Erfolgsgeschichte in den Vereinigten Staaten erzählen.
Die Rede ist vom SLAC National Accelerator Laboratory. Betrieben von der Stanford University für das Energieministerium (DoE) ist das Zentrum seit mehr als 40 Jahren auf Erfolgskurs. Bereits in den 1960er Jahren wurde der drei Kilometer lange Linearbeschleuniger (LINAC) gebaut. Hier konnten Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden und mit einer Energie von 20 Giga-Elektronenvolt auf feste Ziele geschossen werden.
Dieses Experiment war dem Experiment von Rutherford von 1911 nicht unähnlich. Ernest Rutherford hatte Goldfolien mit Alpha-Strahlung beschossen und dabei herausgefunden, dass die aller meisten Alpha-Teilchen (das sind Helium-Kerne) einfach durch die Atome hindurchgehen, die wenigen abgelenkten Alphas aber stark gestreut wurden. Daraus konnte er schließen, dass die Elektronen auf einen harten, schweren Kern des Atoms getroffen sein mussten. Er hatte den Atomkern entdeckt. Ganz analog dazu wurden am SLAC in den 1960ern Elektronen von Atomkernen abgelenkt und man fand, dass diese innere Strukturen mit gedrittelter Ladung haben.
Diese gedrittelten Ladungsträger im Atomkern heißen heute Quarks und konnten 1968 hier am SLAC erstmals nachgewiesen werden. Quarks sind neben den Elektronen die grundlegendsten Bauteile aller Materie und ihre Entdeckung vereinfachte die Elementarteilchen-Physik erheblich. Konnten damit doch die Zahlreichen Mesonen und Baryonen, die einen unübersichtlichen Zoo von Teilchen bilden, auf nur wenige elementare Quarks zurückgeführt werden. Erst 1990 bekam Richard E. Taylor vom SLAC für diese Entdeckung den Nobelpreis.
1972 bekam der LINAC Zuwachs. Es wurde hier ein Speicherring namens SPEAR gebaut. SPEAR steht für Stanford Positron Electron Accelerating Ring. In diesen Ring konnten Elektronen und ihre Antiteilchen mit einer Energie von je 4 Gigaelektronenvolt eingeschossen und zur frontalen Kollision gebracht werden. Dieses Konzept hat sich bis heute in der Teilchenphysik bewährt und wird auch (allerdings mit den 2000 mal schwereren Protonen) am Large Hadron Collider (LHC) am CERN bei Genf eingesetzt.
Spear war eine recht produktive Maschine. Gleich zwei hier gemachte Entdeckungen führten zu Nobelpreisen:
1974 wurde hier – und unabhängig davon beinahe gleichzeitig in Brookhaven – das j/Psi-Teilchen entdeckt. Damals kannte man erst drei der heute bekannten sechs Quarksorten. Diese hießen Up, Down und Strange (seltsam). Das j/Psi-Teilchen war ein Meson, also ein Teilchen, das aus einem Quark und dem Antiteilchen eines Quarks besteht. Mesonen gibt es viele, aber dieses Teilchen war für seine hohe Energie überraschend langlebig. Es zerfiel lange nicht so schnell in leichtere Partikel, wie andere Mesonen. Der Grund dafür ist, dass das j/Psi-Teilchen gar nicht aus den drei leichten Quarks besteht, sondern aus einem bis dahin unbekannten Quark, das wenig später den Namen Charm-Quark bekommen hat.
Die andere große Entdeckung war die des Tau-Teilchens (Tauon). Tau ist der größte Bruder des Elektrons. Es ist mehr als 3400 mal schwerer als das Elektron, unterscheiden sich sonst aber gar nicht von diesem. Ach ja, in einem Punkt unterscheidet es sich dann doch: Es zerfällt sehr schnell in leichtere Elementarteilchen. Zum Beispiel in ein Elektron, ein Myon und vier für das Experiment unsichtbare Neutrinos. Anhand dieses markanten Zerfalls konnte das Tauon dingfest gemacht werden.
Den aufmerksamen unter den Leserinnen und Lesern ist vielleicht aufgefallen, dass die Energie der Teilchen im Speicherring SPEAR deutlich kleiner ist, als die Energie, die der LINAC erreichen kann. Schuld daran ist, dass Elektronen Strahlung erzeugen, wenn sie auf Kreisbahnen gezwungen werden. Und freiwillig würden sie nicht in einem Kreis bleiben, sondern – der Fliehkraft folgend – tangential davon fliegen. SPEAR hat also einige starke Magneten, an denen die Elektronen umgelenkt werden. Und an diesen Magneten entsteht die Synchrotron-Strahlung, die für die Erzeugung energiereicher Teilchenstrahlung ein ziemliches Ärgernis ist. Schließlich muss die abgestrahlte Energie nach jedem Umlauf wieder zugeführt werden und limitiert so die maximale Strahlenergie.
Was dem einen ein Ärgernis ist, ist für andere ein Glücksfall: Wenig später, nämlich 1973, wurde am SLAC ein Projekt zur Nutzung der Synchrotron-Strahlung ins Leben gerufen, das Stanford Synchrotron Radiation Project (SSRP). Die Strahlung, die in Teilchen-Speicherringen entsteht, ist in vielen Punkten anderen Röntgenquellen überlegen. Sie ist extrem intensiv, enthält einen großen, kontinuierlichen Bereich von Wellenlängen, lässt sich hervorragend auf einen kleinen Punkt fokussieren und ist zudem gepulst, erlaubt also zeitlich aufgelöste Messungen.
Ich arbeite seit über zehn Jahren an Synchrotronstrahlungsquellen und bin genau wegen dieser Strahlung hier. 1977 wurde aus dem SSRP-Projekt ein Synchrotronstrahlungs-Labor und noch bis heute firmiert es hier unter dem Namen SSRL. Der Ring wird seit 1990 exklusiv für die Erzeugung von Synchrotronstrahlung betrieben und hat seinen eigenen Vorbeschleuniger, so dass er vom LINAC unabhängig ist. Bevor ich aber auf die neuste Entwicklung der Synchrotronstrahlung zu sprechen komme, möchte ich die Aufmerksamkeit wieder zurück auf die Teilchenphysik am SLAC lenken.
Es gibt drei Möglichkeiten, das Ärgernis der Strahlungsverluste zu reduzieren und Ringe mit größeren Teilchenenergien zu bauen:
Zum ersten hängt die Erzeugung der Strahlung wesentlich vom Krümmungsradius der Teilchenbahn ab. Ein großer Kreis kann höhere Energien erreichen als ein kleiner. Es musste also, um höhere Kollisionsenergien zu ermöglichen, ein größerer Ring her. Ein größerer Ring wurde 1980 unter dem Namen Positron-Electron-Project (PEP) in Betrieb genommen. Dieser Ring untersuchte Details der schwachen Wechselwirkung und wurde Mitte der 1990er Jahre zu einer B-Factory aufgerüstet.
In der B-Factory wurde der Elektronenstrahl auf eine höhere Energie gebracht, als der gegenläufige Positronenstrahl. Die Kollisionsprodukte haben so eine definierte Anfangsgeschwindigkeit mitbekommen, so dass man aus dem Weg, den sie vor ihrem Zerfall zurücklegen konnten, sehr genau die Lebensdauer bestimmen konnte. B-Factory heißt die Maschine deshalb, weil sie energetisch auf die Erzeugung ganz bestimmter Elementarteilchen optimiert ist, die B-Mesonen. B-Mesonen enthalten das fünfte der sechs Quarks, also das zweit schwerste.
Die zweite Möglichkeit, die Energie zu erhöhen, wurde am SLAC nicht angewandt. Sie besteht darin, schwerere Teilchen, wie Protonen oder gar ganze Atomkerne zu beschleunigen.
Die dritte Möglichkeit bringt uns wieder auf die Anfänge von SLAC zurück. Synchrotronstrahlung entsteht nur, wenn die Teilchen in Kurven fliegen. Ein Linearbeschleuniger, wie der LINAC vom SLAC hat dieses Problem nicht. Gerade deshalb hat er schon in den 1960er Jahren so eine hohe Beschleunigung erreichen können. Der LINAC war somit zukunftsweisend: Heute ist klar, dass der nächste Teilchenbeschleuniger für Hochenergiephysik ein Linearbeschleuniger sein muss. Genauer gesagt werden es zwei. Das Konzept hat den Arbeitsnamen International Linear Collider (ILC) und sieht zwei beinahe baugleiche LINACS vor. Mit ihnen werden Elektronen von einer Seite und Positronen von der anderen Seite frontal zur Kollision gebracht und könnten bisher unerreichte Energien erreichen.
Die Details des ILC sind noch unklar. SLAC hat ein Konzept für die Beschleunigung, das auf die Erfahrungen am LINAC aufbauen. DESY in Hamburg hat ein anderes Konzept, das auf supraleitende Beschleuniger aufbaut. Welches Konzept sich am Ende durchsetzt und wo dieser ILC gebaut wird, ist unklar. Die Finanzierung solch eines Projektes ist unvorstellbar schwierig und lässt sich nur in einer internationalen Kooperation realisieren.
Linearbeschleuniger spielen auch in der vierten Generation von Synchrotronstrahlungsquellen eine entscheidende Rolle. Die Strahlung wird schon lange nicht mehr hauptsächlich in den Umlenkmagneten der Speicherringe erzeugt. Heute werden die Röntgenstrahlen fast immer in so genannten Undulatoren erzeugt. Das sind Magnetstrukturen, in denen die Elektronen auf Wellenbahnen gezwungen werden und so die Strahlung kohärent in einer fest definierten Energie erzeugen. Solche Undulatoren können, wenn die Qualität des Elektronenstrahl gut genug ist, auch Laserqualität erreichen. Der LINAC vom SLAC wird seit 2009 als Elektronenquelle für solch einen Freie-Elektronen-Laser verwendet. Die LINAC Coherent Light Source (LCLS) ist zur Zeit der beste Röntgenlaser der Welt. Mindestens einen Weltmeistertitel führt die USA also im Jahr 2010. Selbst wenn es mit dem Soccer Word Cup nicht so gut klappen sollte.