Kinder sind Teil der Gesellschaft

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Heute habe ich einen interessanten Artikel zur exerimentellen Gender-Forschung bei Spektrum Direkt gefunden. Zwerge im Zickenkrieg lautet der Artikel von Antje Findeklee und kommentiert eine Arbeit aus der Zeitschrift Animal Behaviour. Animal Behavior? Die Untersuchung um die es sich geht beschäftigt sich mit dem geschlechtsspezifischen Verhalten von insgesamt 29 vierjährigen Kindern. Der Erklärungsansatz zieht jedoch nicht in Betracht, dass es auch bei vierjährigen schon kulturelle Einflüsse gibt. Er argumentiert rein genetisch.

Festgestellt haben die Forscher, dass sich Mädchen beim Spielen anders verhalten als Jungs. Streiten sich drei Kinder um ein Spielzeug, so verbünden sich Mädchen eher mit dem dritten Kind um an das Spielzeug des ersten zu gelangen. Jungs gehen dagegen individualistischer vor, versuchen also direkt dem ersten Kind das Spielzug wegzunehmen. Überrascht bin ich von dieser Untersuchung nicht. Ich kenne genügend Kinder um zu wissen, dass es in der Regel so ist. Überraschend finde ich aber, dass die Forscher im Abstract direkt auf biologische Geschlechterunterschiede schließen und gesellschaftliche kaum in betracht ziehen. Gibt diese Untersuchung Hinweise darauf, ob die demonstrierten Geschlechterrollen genetisch oder gesellschaftlich verankert sind? Meines Erachtens kaum.

Die Theorie lautet: “Theoretically, mammalian males generally gain more than females from using riskier strategies, whereas females have more to lose.” Das ist wohl richtig. Aber es hängt von der Gesellschaftsstruktur ab. Auch Männer sind ja von Kooperationen abhängig. Und nicht nur die. Auch männliche Rudeltiere tun gut daran, sich sozial erwünscht zu verhalten. Ein aus dem Rudel ausgeschlossener Wolf, hat durch sein gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten auch einiges verloren. Die Untersuchung könnte unter diesem Licht auch ganz anders gedeutet werden: Unsere Gesellschaft fördert immer noch anderes Verhalten bei Jungs als bei Mädchen. Auch das ist eine Tatsache, die mich nicht überrascht. Und es muss ja auch nicht verkehrt sein. Aber wir sollten nicht die Augen davor verschließen, dass sich gesellschaftliche Normen auch schon auf vierjährige auswirken und dass darauf nicht nur die Eltern und die Kindergartenerzieher Einfluss haben.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

5 Kommentare

  1. Zustimmung

    Und da man Kinder von derartigen sozialen Einflüssen nicht abschirmen kann, dürfte es schwer sein, den Einfluss rauszusortieren. Zumal ich den Verdacht habe, dass die meisten Kulturen hier ziemlich ähnlich funktionieren, so dass man den Effekt auch durch Vergleichsstudien nicht eliminieren kann.

  2. keine Zustimmung

    Warum sollte man biologische Einflüsse ausschließen und alles auf die kulturellen schieben? So als ob wir alle ein leeres Blatt Papier sind auf dem geschrieben wird. Die Gene sorgen jedenfalls dafür, daß Mann und Frau unterschiedliche Körper mit unterschiedlichen Eigenschaften haben. Warum also sollte unterschiedliches Verhalten nicht auch genetisch bedingt sein? Weil Körper und Verhalten zwei verschiedene Paar Schuhe sind? Die Trennung von Körper, Geist und Seele läßt sich ja nicht mehr so halten (-> psychosomatische Krankheiten, Placebo usw.). Von daher denke ich, daß sich nicht nur die Körper der Geschlechter unterscheiden.

  3. @ Martin: Nichts ausschließen

    Hallo Martin,

    mein Punkt ist nicht, dass man körperliche Einflüsse ausschließen soll, sondern dass man kulturelle nicht ausschließen darf.

    Zunächst geht es mir um die Feststellung, dass diese Studie über die Gründe schlicht nichts aussagt.

    Wollte man der Sache auf den Grund gehen, so wären interkulturelle Studien nötig, aber da gilt die Einschränkung von Lars: So unterschiedlich sind die meisten Kulturen gar nicht. Man könnte auch Untersuchungen in Kindergärten mit verschiedenen Konzepten durchführen und versuchen zu bestimmen, wie universell das Verhalten wirklich ist.

  4. Natur und Kultur

    Danke für den feinen Artikel.

    Ich möchte nur ergänzen, dass in der modernen Evolutionsbiologie (auch des Menschen) gerade der Natur – Kultur – Gegensatz so polar längst nicht mehr gemacht wird.

    Unser Verhalten bestimmt sich nicht aus Genen “oder” Kultur, sondern aus Kulturen auf genetischer Grundlage. Rudeltiere bilden z.B. wiederum ganz andere Lebensumwelten aus als Individualisten und die Kindererziehung wird stark von vorbewußten, auch biologischen Prägungen beeinflusst – Müttermütter unterstüptzen z.B. Enkel durchschnittlich intensiver als Vätermütter (Investmentunsicherheit) – und prompt haben wir tiefe, kulturelle Erzählungen über den Frau – Schwiegermutter – Konflikt etc.

    Selbst bei den religiösen Präferenzen können wir ja inzwischen klare Geschlechterunterschiede feststellen – während umgekehrt natürlich kein Zweifel besteht, dass Religionen wiederum Geschlechterrollen prägen usw.
    http://www.wissenslogs.de/…religi-se-frauen-dumm

    Kurz: All unsere Gesellschafts- und Gemeinschaftsformen haben wiederum auch biologische Grundlagen. Wir sind als Menschen nie Natur oder Kultur, immer beides.

    PS: Vor kurzem habe ich (in Spektrum oder Bild der Wissenschaft?) von einer Studie über das unterschiedliche Spielverhalten weiblicher und männlicher Jungaffen gelesen. Vielleicht eine Blogidee (die ich in Religionswissenschaft aber kaum schlüssig reinkriege 😉 )?

  5. Ok, das hat sich zuerst anders angehört.

    Da fällt mir eine Geschichte ein. Ist schon Jahre her und ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern. Mein Bruder hatte eine Zeitschrift aus England und da wurde von einem Kind berichtet. Die Eltern haben den Jungen als Mädchen erzogen (ich meine sogar, sie hätten ihn operieren lassen, aber das weiß ich leider nicht mehr genau). Der Junge dachte auch immer, er wäre ein Mädchen, doch er fühlte sich in seiner Haut nicht wohl, er litt daran ein Mädchen zu sein. Irgendwann kam dann raus, daß er ein Junge ist und kein Mädchen.

    Leider bekomme ich nicht mehr zusammen, wie das genau war, ich habe mir nur gemerkt, daß sich seine Männlichkeit durchgesetzt hat. Das ist nur ein Einzelfall und nicht repräsentativ, aber schon bemerkenswert.

    So, und nun habe ich etwas dazu im Internet gefunden. Ist ein interessanter Artikel.

    Der Junge, der ein Mädchen sein musste

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