Einzelfälle machen keine Gesetze

BLOG: Quantenwelt

Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Das ohmsche Gesetz kennen Sie, oder? In einem ohmschen Widerstand ist der Strom proportional zur Spannung. Oder das hookesche Gesetz: Die Kraft einer ausgelenkten Feder ist proportional zum Weg der Auslenkung. Beide Gesetze haben eines gemeinsam, sie sind keine Gesetze. Das erste ist eine Definition, das zweite eine Näherung.

Ich möchte hier nicht auf die Frage eingehen, ob Naturgesetze gefunden oder erfunden werden. Ob es Gesetzlichkeiten in der Natur gibt, die wir in der Wissenschaft finden, oder ob wir diese Gesetze konstruieren ist jetzt nicht mein Thema. In meinem Lexikon finde ich die Definition: “Die sich auf die reale Welt beziehenden Naturgesetze erhält man durch generalisierende (unvollständige) Induktion aus beobachteten Einzelfällen.”1 Sind das ohmsche und das hookesche Gesetz Naturgesetze in diesem Sinne? Lassen sie sich aus Beobachtungen verallgemeinern? Sowohl Robert Hooke (1635-1703) als auch Georg Simon Ohm (1789-1854) haben das sicher so gesehen. Aber können wir die beiden historisch so genannten Gesetze heute noch als Naturgesetze verstehen?

Der elektrische Widerstand eines elektronischen Bauteils ist definiert als das Verhältnis von anliegender Spannung zu hindurchfließendem Strom2 Je größer der Widerstand ist, desto mehr Spannung fällt an dem Bauteil bei gegebenem Strom ab oder desto weniger Strom kann bei gegebener Spannung fließen. Messen wir für ein bestimmtes Bauteil den Strom in Abhängigkeit von der Spannung, so erhalten wir eine sogenannte Kennlinie. Diese Kennlinie geht bei passiven Bauteilen immer durch den Nullpunkt. Ohne Spannung fließt kein Strom.

Eine Kennlinie kann eine Kurve sein, die für große Spannungen und Ströme flacher oder steiler wird. Sie kann temperaturabhängig sein oder von anderen äußeren Einflüssen abhängen. In dem Spezialfall, dass die Kennlinie eine Gerade ist, nennen wir das elektronische Bauteil einen ohmschen Widerstand. Das ohmsche Gesetz ist eine Definition: Bauteile, die diesem Gesetz folgen, sind ohmsche Widerstände. Für andere Bauteile gilt es einfach nicht.

Das hookesche Gesetz ist sehr praktisch für die Schulphysik. Es besagt, dass die rücktreibende Kraft einer Feder proportional zu ihrer Auslenkung ist.3 Nun ist die Beschleunigung eines Objekts proportional zur Kraft und damit bekommt man für eine Federschwingung die Regel, dass die Beschleunigung zu jeder Zeit proportional zur Auslenkung und dieser entgegen gerichtet ist.4 Um die Bewegungsgleichung5 zu lösen, muss man eine Funktion suchen, deren zweite Ableitung genau das Negative ihres aktuellen Wertes ist. Diese Bedingungen erfüllen Sinus- und Kosinusfunktion.

Schwingungen, bei denen das hookesche Gesetz erfüllt ist, lassen sich also in dem Modell des mathematischen Pendels beschreiben und durch eine Sinusfunktion analytisch darstellen. Alle anderen Schwingungen sind komplizierter. Das hookesche Gesetz beschreibt einen besonders einfachen Fall mechanischer Schwingsysteme, die mit Schulphysik beschrieben werden können.

Natürlich gilt das hookesche Gesetz näherungsweise für kleine Auslenkungen realer Federn. Das liegt daran, dass die Kraft in aller Regel tatsächlich mit der Auslenkung zunimmt, und dass das erste Glied einer Reihenentwicklung fast immer der lineare Term ist. Das Verhalten einer realen Feder lässt sich immer mit einer Reihe F=-k1x-k2x2-k3x3-… beschreiben. Für kleine x ist der erste Term, der dem hookeschen Gesetz entspricht, am wichtigsten. Das hookesche Gesetz ist eine Näherung.

Wenn wir jetzt wieder zu der Brockhaus-Definition von Naturgesetzen als “generalisierende (unvollständige) Induktion aus beobachteten Einzelfällen” zurückkehren, sehen wir, wie gefährlich induktives Schließen aus Beobachtungen sein kann.

Selbstverständlich lassen sich ohmsches Gesetz und hookesches Gesetz aus sorgfältigen Messungen herleiten. Und selbstverständlich gelten sie jeweils für eine weite Klasse ähnlicher Vorgänge. Das ohmsche Gesetz für alle ohmschen Widerstände; das hookesche Gesetz näherungsweise für kleine Auslenkungen. Aber sie als grundlegende Gesetze der Natur zu generalisieren ist zu weit gegriffen. Die Natur ist komplexer als solche linearen Gesetze uns weis machen wollen.

Anmerkungen:
1. Brockhaus in fünfzehn Bänden, Band 5, 1997 aus dem Eintrag Gesetz
2. R=U/I mit R: Widerstand, U: Spannung, I: Strom
3. F=-kx mit F: Kraft, x: Auslenkung, k: Federkonstante.
4. F=ma mit m: Masse und a: Beschleunigung. Damit ergibt sich durch Gleichsetzen der Kräfte: a=-(k/m)x
5. a=-(k/m)x nennt man Bewegungsgleichung
Avatar-Foto

Veröffentlicht von

www.quantenwelt.de/

Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

20 Kommentare

  1. In dem o.g. Satz “Bauteile, die diesem Gesetz folgen, sind ohmsche Widerstände.” ist die Formulierung “… die diesem Gesetz folgen …” nicht in Übereinstimmung mit den Ausführungen dieses Artikels.

  2. Was wäre denn dann ein Beispiel für ein bekanntes Naturgesetz? Wenn man so strenge Bedingungen an diesen Begriff anlegt, befürchte ich, dass wir möglicherweise nie ein Naturgesetz finden werden. Und wenn wir es finden, können wir nicht wissen ob wir richtig liegen.

    • Ich würde zum Beispiel dem archimedischen Prinzip durchaus den Status eines Naturgesetzes geben. Dass der Auftrieb eines Körpers in einem Fluid gleich der verdrängten Fluidmasse ist, gilt tatsächlich für alle Körper und alle Fluide.

      Hier kann ich vielleicht auch eine Verwirrung aufklären, die bei einigen Kommentaren durchscheint: Warum nenne ich den Zusammenhang U/I=konstant weiterhin “ohmsches Gesetz”, obwohl ich es ihn nicht für ein Naturgesetz halte? Nun, unter diesem Namen ist der Zusammenhang nunmal bekannt.

      • Der Auftrieb ist nicht gleich der Masse, sondern wenn überhaupt gleich der Gewichtskraft. Aber selbst das stimmt nicht wirklich, da es sich um eine vektorielle Größe handelt.

        Außerdem würde ich sagen, dass auch das nur eine sehr gute Näherung ist. Wir kennen ja nicht einmal den genauen Wert der Gravitationskonstante. Wissen wir überhaupt, ob sie eine rationale Zahl ist? Wenn sie transzendent ist, dann wäre das Archimedische Prinzip a priori eine Näherung.

        • Wieso soll die Zahlentheorie (im 10er-System) Auswirkungen auf Naturgesetze haben? Auch transzendente Zahlen sind doch “normal” definiert, und die Gravitationskonstante kürzt sich raus.

          • Wir beschreiben die Natur mit mathematischen Gleichungen und Konstanten und nennen diese dann Naturgesetze. Ob die Natur selbst Gesetzen folgt, können wir nie wissen. Selbst wenn wir vermeintliche Gesetze messen, wäre die Schlussfolgerung, dass die Natur Gesetzen folgt, ein induktiver Fehlschluss, es ist lediglich eine gut begründete Annahme.

            Ich habe nicht geschrieben, dass die Zahlentheorie Auswirkungen auf Naturgesetze hat. Ich verstehe die Frage also nicht. In wie fern sich die Gravitationskonstante rauskürzt (bei welcher Rechnung überhaupt?) verstehe ich auch nicht. Ich würde mich freuen, wenn sie ihren Beitrag nochmal verständlicher formulieren würden.

          • Mein “wieso”: was hat die Gravitationskonstante mit Archimedes zu tun?
            Die ist doch auf dem Deckel dieselbe wie unter dem Boden, oder ?
            Und transzendente Zahlen sind keine Näherung U=pi*R, also pi=U/R.
            Die Reihenentwicklung vor oo hat ein kleines Epsilon, aber einen Grenzwert.

          • Sie steckt in der Gewichtskraft!?

            Die Welt ist quantisiert, eine transzendente Zahl ist unendlich, die Welt ist nicht unendlich bzw. nicht kontinuierlich (beschreibbar). Ergo kann da was nicht stimmen mit der Gravitationskonstante, falls sie transzendent ist. Hinzu kommt, dass wir nicht einmal wissen, ob sie konstant ist.

  3. Das ohmsche Gesetz als reine Definition abzutun tut dem armen Ohm ziemlich unrecht. Wäre es nur eine Definition, wäre nichts darüber gesagt, ob es in der Natur überhaupt ohmsche Widerstände gibt. Aber tatsächlich hat Ohm, und das wohl für damalige Verhältnisse sehr erfolgreich, gemessen und aus seinen Einzelmessungen an verschiedenen Stoffen eine allgemeinere Gesetzmäßigkeit abgeleitet. Das ist mehr als eine bloße Definition, denn es schließt Aussagen darüber ein, auf welche Materialien und unter welchen Umständen der entsprechend Zusammenhang zutrifft.

    • Der “arme Ohm” wäre vermutlich ziemlich begeistert, wenn er wüsste, dass sein Gesetz heute Teil jeden Anfängerpraktikums für Physik ist und wie genau dort die Studierenden schon messen können. Tatsächlich braucht es Drähte aus einer bestimmten Legierung, dem Konstantan, um Widerstände herzustellen, der dem ohmschen Gesetz genau genug folgen.

    • Ja, das ist beides richtig.

      Mich irritiert eine Formulierung Schulz’, er schreibt im Fettdruck »Das ohmsche Gesetz ist eine Definition:«. Gesetze sind aber Aussagen bzw. Aussageformen, Definitionen sind aber nur metasprachlich Aussagen. Objektsprachlich handelt es sich um Abkürzungen, “R” wird als Abkürzung für “U/I” eingeführt. Da passt also etwas nicht.

      Auch wenn das ohmsche Gesetz eine Definition ist, müsste man doch fragen: Was ist das Definiendum und was ist das Definiens?

      “R=U/I” ist eine Definition aber dabei handelt es sich nicht um das Ohmsche Gesetz.

  4. Ich bin mal stutzig: Warum soll Ohm Definition und Hooke Näherung sein?
    Für beides sehe ich auch beides, es sind Sonderfälle von (allgemeineren) Gleichungen. Als man diese (speziellen) Zusammenhänge fand, sagte man einfach Gesetz plus Namen.

    • Guter Punkt! Dass das ohmsche Gesetz auch als Näherung verstanden werden kann, leuchtet mir unmittelbar ein. Für die Definition möchte ich zu bedenken geben, dass der ohmsche Widerstand tatsächlich ein wichtiges Bauteil in der Elektrotechnik und ein ideal in der theoretischen Elektrotechnik mit eigenem Schaltsymbol ist. Der Begriff der hookeschen Feder ist mir dagegen nicht geläufig, auch wenn ich zugeben muss, dass es einige Berechtigung hätte, eine Feder, die nahezu linear reagiert, so zu bezeichnen.

      Dass die Forscher im 17. und 19. Jahrhundert das Wort Gesetz einfach mal so verwendet haben, halte ich für unwahrscheinlich. Ich bin ziemlich sicher, dass Hooke und Ohm durchaus auf der Suche nach allgemein gültigen Gesetzen waren.

  5. Der Ohmsche Widerstand ist bei unterschiedlichen Temperaturen auch wieder nicht konstant. Sogesehen also auch nur eine “Näherung”. Aber das spielt in der Technik keine so große Rolle, weil Betriebsbedingungen diese variable Konstante nicht erheblich ausreizen, sodass hier extra darauf eingegangen werden muß. Sollte es doch Probleme geben, besteht sowieso eine Fehlkonstruktion der Schaltung. Dass sind dann immer die sogenannten “eingebauten Sollbruchstellen” – die eingeplante Obsoleszens. Aber man bekommt eben nur, was man bezahlt.

    Die Unterscheidung zwischen Definition und Näherung will mir auch nicht so recht einleuchten. Allerdings ist ein wesendlicher Unterschied, dass eine Feder aus Metall ist und mechanisch belastet wird. Und Metal wird dadurch “müde”, wenn es in Grenzbereiche beansprucht wird. Dann sind die Werte der Gleichung nicht mehr gültig, weil das Material sich anders verhält – also eine Näherung.
    Stromfluß ist aber auch eine mechanische Belastung. Und ein Widerstand, den ich stundenlang überlastet habe, bringt auch nicht mehr den konstanten Wert. Ich kann den Unterschied Definition vs Näherung einfach nicht erkennen.

    • Wenn sie den Widerstand als R=U/I definieren, dann erhalten sie eine Gleichung, die aussagt, wie man R berechnet, nicht aber ein Naturgesetz, denn dieses “Gesetz” sagt nichts über die Natur aus.

  6. Das Verhältnis aus Spannung und Stromstärke bezeichnet man sinnvoll als Widerstand: R:=U/I
    (Das umgekehrte Verhältnis als Leitwert.)

    Man beobachtet:
    Es gibt Werkstoffe, bei denen dieses Verhältnis (innerhalb gewisser Grenzen) konstant ist.

    Die Aussagen
    – das Verhältnis U/I ist konstant
    – U ist proportional zu I
    – die Kennlinie ist eine Ursprungsgerade
    sind äquivalent.

    Widerstände, auf die dieses zutrifft, nennt man ohmsche Widerstände.

    Was um alles in der Welt hat das mit einem Gesetz zu tun?

  7. //Was um alles in der Welt hat das mit einem Gesetz zu tun?//

    Relativisten sind sehr stark religiös geprägt und leiden unter Einsteins monotheistischen Einfluss auf die Wissenschaft. Sie sehen nicht die Naturphänomene als Funktionen der Materie, die sich je nach Umständen auch verändern können, aber als “Gesetze”.

Schreibe einen Kommentar