Doppelter Abstand, viertel Dosisleistung?

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Da ich es immer mal wieder in Kommentaren zum Castortransport gelesen habe, möchte ich kurz eine Warnung aussprechen: Die Regel, nach der die durch eine Strahlungsquelle verursachte Dosis quadratisch mit dem Abstand abnimmt, gilt nur für Punktquellen in großem Abstand.

Während des Transport der Castor-Behälter durch Frankreich und Deutschland habe ich hin und wieder Meldungen gehört, nach denen Demonstranten die Dosisleistung der Castoren gemessen und für zu hoch befunden haben. Oft stand in den Kommentaren dann darunter, dass die Messung in zwei Metern Abstand ja nicht Aussagekräftig sei und dass man in vier Metern Abstand bereits nur ein Viertel der Dosisleistung habe. Das stimmt so einfach leider nicht.

Die Regel “Doppelter Abstand, halbe Dosisleistung” stimmt exakt nur für Punktquellen in großem Abstand. Eine punktförmige (das ist Physiker-Sprache für sehr klein) Strahlungsquelle verstrahlt die radioaktive Strahlung gleichmäßig in alle Richtungen des dreidimensionalen Raums. Steht man nun irgendwo in der Nähe dieses Strahlers, dann deckt man einen gewissen Raumwinkelbereich ab. Das ist die normierte Querschnittsfläche, die man dieser Strahlungsquelle entgegenbringt. Befinden wir uns also fünf Meter von einer Quelle entfernt und decken etwa eine Schulterbreite von 40cm und eine Höhe von 1,80m ab, so bringen wir es auf eine Querschnittsfläche von etwa 0,7 Quadratmetern. Die gesamte Kugeloberfläche der Strahlung beträgt in (sagen wir) fünf Meter Entfernung nun 314,2 Quadratmeter. Wir fangen also 2 Promill der Strahlung ab, das meiste geht vorbei. Bei einer Entfernung von 10 Metern ist die Strahlungskugel-Oberfläche schon vier mal so groß: 1256,6m². Also bekommen wir nur noch einen halben Promill, einen Viertel der Dosisleistung bei 5 Meter Abstand ab.

Diese einfache Rechnung gilt nicht mehr, wenn man sehr nah an die Punktquelle herangeht. Dann gilt nämlich für jeden unserer Körperteile ein anderer Abstand und die Strahlung trifft auch nicht mehr nahezu senkrecht ein. Nach der 1/r²-Formel müsste die Strahlenbelastung für den Abstand Null unendlich groß werden. Aber faktisch können wir natürlich maximal die gesamte Dosisleistung einer Strahlungsquelle aufnehmen. Dann nämlich, wenn wir sie mit unserem Körper umschließen.

Die Rechnung gilt auch dann nicht, wenn die Strahlungsquelle ausgedehnt ist. Von einer unendlich großen strahlenden Wand würden wir abstandsunabhängig immer die selbe Doisisleistung registrieren. Das kann man über Integralrechnung durch gedankliches Zerlegen in unendlich viele Punktstrahler beweisen. Man kann es sich aber auch klar machen, indem man sich überlegt, wo denn die Strahlung sonst hingehen soll. In jedem Abstand der unendlich großen Wand muss ja die gestamt Dosisleistung noch vorhanden sein. Es gibt vor einer unendlich ausgedehnten Wand auch keinen Grund, warum an einem Punkt mehr Strahlung sein sollte, als an einem anderen im gleichen Abstand. Also die die Strahlung in jedem Abstand gleickmässig verteilt und insgesamt gleich stark, also auch punktweise gleich stark.

So ein Castorbehälter ist nun ein recht großes Objekt. Er ist größer als ein Punkt und kleiner als eine unendlich ausgedehnte Wand. Die Dosisleistung wird also mit steigendem Abstand abnehmen. Aber von zwei auf vier Meter sicher noch nicht quadratisch. Von zwei auf vier Kilometer nimmt die Dosisleistung schon eher quadratisch ab, aber in der Entfernung kann man eh nichts mehr von der Strahlung feststellen.

 

Nachtrag:

Ich habe auf Google+ einen guten Kommentar hierzu bekommen: Das Gesetz vom inversen Abstand zum Quadrat gilt tatsächlich nicht nur für Punkte, sondern auch für homogene Kugeln. Ein Castor ist nun ein Zylinder, was gilt da?

Für einen unendlich ausgedehnten, perfekten, homogen gefüllten Zylinder gilt auch nicht das Abstands-Quadrat-Gesetz. Hier nimmt die Dosisleistung nur linear mit dem Abstand ab. Also doppelter Abstand, halbe Dosisleistung. Das ist vermutlich für die Castoren in kleinem Abstand ungefähr in der Mitte eine gute Annahme. Exakt stimmt es aber auch nicht, weil die Castoren nicht homogen gefüllt sind. Da sind die Glaskokillen von der Wiederaufbereitsungsanlage drin, keine gleichmässig strahlende Flüssigkeit.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

8 Kommentare

  1. homogen?

    noch entscheideder ist die Abschirmung, der Castor strahlt unterschiedlich da die Versiegelung ungleichmäßig dick ist.

  2. Aufenthaltsdauer wohl am wichtigsten

    Die Dosisleistung, also die aufgenommene Leistung der Dosis pro Zeiteinheit spielt nach immer noch geltender Auffassung der stochastischen Wirkung der Strahlung, in der es einen linearen Zusammenhang zwischen aufgenommener Dosisenergie und Folgeschäden gibt nicht die entscheidende Rolle. Nach dieser Auffassung kann man sich sehr hohen Dosisleistungen aussetzen, vorausgesetzt es geschieht nur kurz.
    Allerdings gibt es experimentelle Hinweise sowohl beim Tier als auch beim Mensch, dass dieser lineare Zusammenhang zwischen applizierter Dosisenergie und Folgeschäden nur begrenzt zutrifft. Mittlere – das heisst weder zu kleine noch zu hohe – Dosen scheinen über eine Aktivierung von Reparatursystemen proportional kleinere Folgeschäden zu haben als hohe Dosen, die in kurzer Zeit appliziert werden. Kurios wirkt zum Beispiel eine Studie, die zeigt, dass von Rauchern, die in einer Doppelblindstude entweder einer konventionellen Lungenradiographie oder aber einer CT-Untersuchung unterworfen wurden, die CT-untersuchten weniger häufig an Lungenkrebs erkrankten.
    Die einzig plausible Erklärung ist ein postiver Effekt der Strahlendosis einer CT-Untersuchung. Die Strahlendosis einer normalen Radiographie scheint dagegen zu klein zu sein, um das Reparatursystem zu aktivieren, womit der protektive Effekt entfällt.

  3. Absorption

    Zusätzlich zu den hier erwähnten geometrischen Zusammenhängen gibt es auch noch die Absorption der Strahlung im mit Materie erfüllten Raum.

    Geladene Teilchen mit Ruhemasse und einheitlicher Energie haben eine bestimmte, begrenzte Reichweite.

    Die Intensität der elektromagnetischen Strahlung sinkt exponentiell mit der Schichtdicke der Materie ab, so dass man von Halbwertsschichten sprechen kann.

    Wie dick die Halbwertsschichten für Gammastrahlung in Luft sind, das hängt von ihrer Energie ab.

    Leider weiss ich nicht genau, wie weit neutrale Teilchen mit Ruhemasse in Materie kommen, aber vermutlich haben Neutronen keine bestimmte, begrenzte Reichweite.

  4. Ein konkretes Beispiel

    Wenn man in Luft vor einer sehr grossen Fläche (mindestens 1000 m Durchmesser) steht, die Gamma-Strahlung von 100 keV Energie aussendet, dann sinkt die Strahlungs-Intensität mit jedem zusätzlichen Abstand von 35,6 m um eine weitere Hälfte ab.

    In Vakuum würde die Strahlungs-Intensität in jedem Abstand (der kleiner als 100 m ist) konstant sein.

  5. @Martin Holzherr: Dosisleistung

    Merkwürdig, zu welchen Reaktionen ein reines Stichwort führen kann.

    Ihre Ausführungen sind sicher interessant, aber hier gar nicht erheblich. Die Dosisleistung pro Zeit, angegeben in Mikrosievert pro Stunde ist hier einfach deshalb wichtig, weil das die erhobene Messgröße ist.

    Natürlich hätten die Aktivisten statt eines Zählrohrs auch ein Dosimeter mitführen können und uns nach der Aktion ihre Gesamtdosis mitteilen. Haben sie aber nicht.

  6. @Karl Bednarik: Neutronen

    Für Neuronenstrahlung ist es tatsächlich etwas komplizierter. Relativ schnelle Neutronen können an den leichteren Atomenkernen in Materie inelastisch gestreut werden und dabei Schaden anrichten ohne vollständig absorbiert zu werden. Sie fliegen dann mit verminderter Energie aber immer noch schädlich weiter. Aber grundsätzlich gibt es natürlich auch für Neutronen eine begrenzte Reichweite in Luft.

  7. Neutronen

    Bei 20 °C haben Neutronen eine mittlere thermische Geschwindigkeit von 2700 Metern pro Sekunde.

    Der wirksame Durchmesser von Neutronen ist wesentlich kleiner als der von atomarem Wasserstoff.

    Die mittlere freie Weglänge von Neutronen in Materie ist daher vermutlich auch viel grösser als die von atomarem Wasserstoff.

    Bei einer Halbwertszeit von ungefähr 15 Minuten können die Neutronen ziemlich weit herum kommen.

    Vermutlich richten die Neutronen dabei aber keine grossen Schäden an.

    Sind meine Überlegungen richtig?

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