Der Drei-Kilometer-Laser

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Heute möchte ich einmal von einem Teilchenbeschleuniger berichten, der weniger in der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, als der Large Hadron Collider (LHC) in Genf. Mit dieser Maschine, an deren Nutzertreffen ich gerade teilgenommen habe, soll nicht nach neuartigen Teilchen gesucht werden. Man wird keine Elementarteilchen miteinander kollidieren lassen. Vielmehr wird man Röntgenstrahlung mit bisher nicht erreichten Eigenschaften erzeugen.

Die Rede ist vom Europäischen XFEL, dessen Bau gerade begonnen hat. Im Vergleich zum LHC wird dieser Röntgenlaser eine recht überschaubare Maschine. Ein Tunnel wird vom Gelände des Forschungszentrums DESY im Hamburger Westen etwa drei Kilometer weit ins Schleswig-Holsteinische Schenefeld gegraben. In diesem Tunnel werden dann Beschleunigerstrukturen installiert, die sehr kurze Elektronenpakete auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigen. Am Ende der Beschleunigungsstrecke wird der Elektronenstrahl dann mit Magneten in eines von fünf Tunnelsegmenten geleitet, in denen lange Undulatoren die Energie der Elektronen in kurze, intensive Röntgenblitze umwandeln. Schließlich wird jeder Röntgenblitz über ein Spiegelsystem in eines von zehn Experiment-Stationen geleitet werden, an denen die eigentliche Forschung stattfinden wird.

Im Wesentlichen wird dieser Laser durch drei Eigenschaften zu einer nützlichen Maschine: Die Wellenlänge, die Pulsenergie und die Zeitstruktur.

Der Europäische XFEL wird Wellenlängen im Ångström-Bereich erzeugen. Ångström ist eine Längeneinheit, die man im Schwedischen mit Anlaut wie Onkel und einem scharfen st spricht und die mit einem zehnmillionstel Millimeter im Bereich atomarer Abstände liegt. Mit Wellenlängen im Ångström-Bereich können wir Mikroskope konstruieren, die einzelne Atome in einem Molekülverband sichtbar machen. Es besteht also berechtigte Hoffnung, dass man mit dem XFEL tatsächlich Bilder von Molekülen aufnehmen können wird, in denen einzelne Atome sichtbar sind. Heute sind solche Bilder noch nicht möglich, weil einzelne Moleküle für Röntgenstrahlung fast durchsichtig sind und weil Röntgenstrahlung die Moleküle zerstören kann. Mit bestehenden Röntgenquellen müsste man so lange belichten, dass Strahlenschäden unvermeidbar sind.

Hier schafft die hohe Pulsenergie des XFEL Abhilfe. In einem einzelnen Lichtblitz dieser Maschine werden sich so viele Photonen befinden, wie sie in einer modernen herkömmlichen Quelle, einem Speicherring der dritten Generation, in einer Sekunde zu finden sind. Und das bei einer Pulslänge von weniger als 100 Femtosekunden. Die Pulsenergie des XFEL wird groß genug sein, um ein Molekülbild in einem einzigen Schnappschuss aufzunehmen. Was also bei herkömmlichen Quellen eine Ewigkeit dauert, (schon millionstel Sekunden sind sehr lange für ein Atom) wird am XFEL in einem Augenblick erledigt sein.

Dieser Augenblick wird weniger als 100 Femtosekunden betragen. Das ist eine zehnmillonstel Mikrosekunde, also auch für ein Molekül eine relativ kurze Zeit. Elektronen können sich innerhalb weniger Femtosekunden bewegen, aber ganze Atome sind zu träge. Bewegungen der Atome sind auf dieser kurzen Zeitspanne eingefroren. So wird eine Momentaufnahme eines Moleküls realisierbar. Selbst wenn in einem einzigen Puls genug Energie ist um das untersuchte Molekül vollständig zu zerstören, wird die Zeit nicht lang genug sein, dass sich die Atome bewegen können. Wir werden also Sportfotografie an Molekülen betreiben können.

Fotografie von Molekülen wird nicht die einzige Anwendung dieser Maschine sein. So kann man statt den Ort der Atome zu bestimmen, die Wellenlänge des Lasers auf spezifische atomare Resonanzen abstimmen. Man bekommt so Informationen über die elektronische Struktur der Moleküle und ihre spezifische Reaktion auf Lichtanregung. Man wird die hohe Intensität nutzen um so genannte warme, dichte Materie zu erzeugen. Das ist Materie, wie sie im Erdkern oder in den großen Planeten wie Jupiter und Saturn besteht. Und man wird die Zeitabläufe von magnetischen Effekten oder von schmelzenden Oberflächen unter die Lupe nehmen.

Der Europäische XFEL wird 2013 fertig gestellt sein, schon Ende dieses Jahres wird ein ähnlicher Laser, die Linac Coherent Light Source (LCLS) in Stanford (Kalifornien) erstes Licht geben. Ich freue mich jetzt schon auf unser erstes Experiment dort.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

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