Das vierte Pion und das neunte Gluon

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

In meinem vorletzten Beitrag über die sechsunddreißig Quarks und acht Gluonen ist eine Frage übrig geblieben: Gibt es noch ein neuntes Gluon? Die Antwort ist – ich nehme es gerne vorweg – Nein. Aber zunächst möchte ich die Fragestellung mit einer Analogie erklären, die auch aus der Teilchenwelt kommt und zum morgigen Pi-Tag passt, dem Pi-Meson. Zum Schluss erkläre ich, warum es zwar ein viertes Pi-Meson aber kein neuntes Gluon gibt.

Bevor die komplizierte Farbwechselwirkung der Quarks bekannt war, gab es eine andere Erklärung dafür, dass die Teilchen im Atomkern, die Protonen und Neutronen zusammenhaften. Protonen und Neutronen haben unterschiedliche elektrische Ladungen. Die des Protons ist einfach positiv, und die des Neutrons ist Neutrall. Gleiche Ladungen stoßen einander elektrisch ab und deshalb müsste ein Atomkern auseinander fliegen, wenn er mehr als ein Proton enthält. Es braucht also eine zusätzliche Kraft, die zwischen Protonen und Protonen, aber auch zwischen Neutronen und Neutronen und Protonen und Neutronen, anziehend wirkt. Da aber Kerne verschiedener Atome einander nicht anziehen, sondern nur noch elektrische Kräfte aufeinander ausüben, muss diese Kraft eine kurze Reichweite haben.

Auf eine Idee, wie das gehen könnte, kam 1935 Hideki Yukawa, theoretischer Physiker und Nobelpreisträger 1949.

Seine Annahme war, dass die Kernbauteile untereinander Elementarteilchen austauschen, die nicht nur Kräfte übertragen, sondern auch ein Neutron in ein Proton und ein Proton in ein Neutron umwandeln können. Dazu müssen diese Austauschteilchen Ladung haben. Ein Teilchen, das ein Proton in ein Neutron umwandelt, muss die positive Ladung des Protons mitnehmen, wenn es abgegeben wird. Ein Proton kann also ein positiv geladenes Teilchen abgeben und dabei zu einem Neutron werden. Oder es kann ein negatives Teilchen aufnehmen und ebenfalls zu einem Neutron werden. Ein Neutron dagegen kann ein negatives Teilchen abgeben oder ein positives aufnehmen um zum Proton zu werden. Die Kraft zwischen den Kernteilchen sollte aber universell sein, auch zwei Neutronen müssten miteinander ein Teilchen austauschen können ohne dass Ladung übertragen wird. Oder zwei Protonen. Es müsste also ein drittes, neutrales Teilchen geben, das ebenfalls Kraft zwischen Kernteilchen überträgt.

Damit die Kraft, die durch diese Teilchen übertragen wird, nicht unendlich weit reicht, führte Yukawa für die Teilchen eine Masse ein. Massive Teilchen reichen im Gegensatz zu den masselosen Photonen nicht so weit. Eine Abschätzung ergab, dass diese Teilchen etwa 200 mal schwerer sein sollten als die Elektronen und damit etwa ein Zehntel so viel wie Proton oder Neutron wiegen sollten. Wegen ihrer mittleren Masse zwischen den leichten Elektronen und den schweren Kernteilchen, bekamen die von Yukawa vorhergesagten Teilchen den Namen Mesonen, das ist griechisch für “das Mittlere”.

Genauer gesagt hat Yukawa mit den drei Teilchen die Pi-Mesonen, oft auch Pionen genannten Teilchen vorhergesagt. Nachgewiesen wurden diese Teilchen erstmals 1947. Ihre tatsächliche Masse ist etwas höher als abgeschätzt. Etwa 140 Megaelektronenvolt1  für die geladenen Pionen und 135 Megaelektronenvolt für das neutrale.

Wir dürfen uns nicht davon verwirren lassen, dass Protonen und Pionen elektrische Ladungen haben. Die hat mit der Yukawa-Wechselwirkung nichts zu tun. Es ist eine Wechselwirkung zwischen ein Paar Elementarteilchen, dem Neutron und dem Proton. Zwischen anderen geladenen Teilchen, wie den Elektronen, gibt es diese Wechselwirkung nicht. Die Pionen koppeln also nicht an die Ladung der Protonen, sondern an eine weitere Eigenschaft, die man Isospin nennt.

Drei für Zwei

Neutron und Proton sind ein sogenanntes Isospin-Dublett. Sie sind aus Sicht der Starken Kernkraft zwei Seiten derselben Medaille. Um die Wechselwirkung zwischen solchen Teilchen zu beschreiben, die in zwei verschiedenen Ausprägungen vorkommen, ist ein Triplett, also ein Dreigespann aus kraftübertragenden Teilchen nötig. Das lässt sich verallgemeinern: Für eine Welchselwirkung mit zwei Komponenten, ist pro Komponente ein Austauschteilchen nötig, das diese Komponente in die andere Umwandelt. Zudem ist ein Austauschteilchen nötig, dass die Komponenten unberührt lässt und die Phase der Wellenfunktion zwischen ihren verändert. Wir haben also 2+1=3 solcher Austauschteilchen. Es gibt drei Pi-Mesonen.

Acht für Drei

Wenden wir diese Regel jetzt für eine Kraft an, die drei Komponenten kennt, so braucht wieder jede der drei Komponenten je ein Austauschteilchen, das diese Komponente in eine der beiden anderen umwandelt. Das macht also 2 mal 3 gibt 6 Austauschteilchen. Außerdem gibt es zwischen drei Wellenfunktionen zwei relative Phasen2 Insgesamt werden also 6+2=8 Austauschteilchen benötigt. Ein sogenanntes Oktett.

Diese Regel lässt sich beliebig verallgemeinern: Für 4 Komponenten braucht es 12+3=15 Austauschteilchen; für 5 Komponenten brauchen wir 20+4=24 Austauschteilchen; Bei 6 Komponenten bekommen wir es mit 30+5=35 Austauschteilchen zu tun.3

Quark-Wechselwirkung

Nun ist die Starkte Kernkraft tatsächlich keine Wechselwirkung zwischen Protonen und Neutronen, sondern eine zwischen den Quarks, aus denen Protonen und Neutronen bestehen. Der Austausch von Pionen ist nur eine Näherung für die komplexere Wechselwirkung zwischen Quarks. Quarks interagieren nun zum Glück nicht mit den sechs Arten von Quarks, Up-, Down-, Strange-, Charm-, Bottom- und Top-Quark. Wenn das der Fall wäre, müsste die Wechselwirkung durch 35 Gluonen erfolgen. Im Gegenteil, die Starke Kernkraft ist gar nicht in der Lage, den Typ von Quarks zu verändern. Statt dessen setzen Gluonen an die drei Farbkomponenten jeder Quarkart an. Eine Kraft, die an drei Komponenten ansetzt, braucht genau acht Gluonen.

16 mögliche Mesonen aus Quark und Antiquark.
In der Zeichnung, die ich schon im vorletzten Beitrag zeigte, sehen Sie neben dem neutralen Pion das Eta-Teilchen. Weil hier auch Strange- und Charm-Quark berücksichtigt sind, gibt es außerdem ein Eta-Strich und ein Eta-c.
Aus J. Beringer et al. (Particle Data Group), Phys. Rev. D86, 010001 (2012)

Das vierte Pion

Wenn Pionen nicht die Austauschteilchen der starken Kernkraft sind, was sind sie dann? Nun, es handelt sich bei ihnen um relativ langlebige Teilchen, die aus einem Quark-Antiquark-Paar bestehen. Das positiv geladene Pion besteht aus Up-Quark (2/3 positiv geladen) und Antidown-Quark (1/3 positiv geladen). Das negativ geladene Pion besteht aus Down-Quark (1/3 negativ geladen) und Antiup-Quark (2/3 negativ geladen). Das neutrale Pion ist eine bestimmte Überlagerung von Up-Antiup- und Down-Antidown-Quark.

Nun ist es eine quantenmechanische Gesetzmäßigkeit, dass es von grundlegenden Quantenzuständen beliebige Überlagerungen geben kann, dass aber die Zahl der möglichen Zustände durch Überlagerung nicht geändert werden kann. Wenn also das neutrale Pion eine Überlagerung zweier grundlegender Quark-Antiquark-Zustände ist, muss es neben dieser Überlagerung noch eine zweite, komplementäre geben. Die gibt es tatsächlich: Eine weitere Überlagerung von Up-Antiup- und Down-Antidown-Quark ist das Eta-Teilchen. Es ist ungefähr viermal schwerer als das neutrale Pion und lässt sich in Teilchenbeschleunigern erzeugen und detailliert untersuchen.

Kein neuntes Gluon

Jetzt kann ich endlich erklären, warum es kein neuntes Gluon geben muss. Im Gegensatz zu Pionen sind Gluonen nach unserem besten Wissen nicht aus grundlegenderen Elementarteilchen zusammengebaut. Die Farbladungen, die sie tragen, sind keine eigenständigen Quantenobjekte, aus denen man ein neuntes Gluon bastelt könnte. Mathematisch ist das freilich möglich, aber es gibt keinen physikalischen Grund, warum ein neuntes Gluon existieren sollte. Ihre Eigenschaft als Kraftüberträger macht nur das Gluonen-Oktett notwendig. Denn drei Farbladungen brauchen acht Kraftüberträger.

Anmerkungen:
1. Das Elektron hat eine Masse von 0,511 Megaelektronenvolt. Dass das die Telefonvorwahl von Hannover ist, ist vermutlich Zufall.
2. Absolute Phasen von Wellen haben in der Quantenmechanik grundsätzlich keine Bedeutung, weil die Schwingung der Wellenfunktion nur im Vergleich zu anderen wahrgenommen werden kann.
3. Falls Sie eine Formel möchten: Bei N Komponenten gibt es N*(N-1) Austauschteilchen, die eine der N Komponenten in einer der N-1 anderen ändern, und N-1 Austauschteilchen, die nur eine relative Phase ändern. Das gibt N*(N-1)+N-1=N²-1 Austauschteilchen.
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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

1 Kommentar

  1. Natürlich gibt es einen tiefer liegenden Grund, warum die Masse des Elektrons und die Telefonvorwahl von Hannover identisch sind. Hans-Georg pro Ton, der maßgeblich an der Etablierung der Einheit Elektronenvolt beteiligt war, war Wahlhannoveraner. 😉

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