Babylon am Röntgenlaser — Welle statt Photon

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Mit Bildern und deren Macht, mehr zu beschreiben als dem Autor lieb ist, habe ich mich schon vor 1 1/2 Jahren einmal beschäftigt. Mein Fazit zielte damals darauf ab, doch mal auf Bilder zu verzichten und statt dessen mit Worten zu beschreiben, was eine Theorie wirklich aussagt. Doch sind Worte wirklich so untrüglich? Höchstwahrscheinlich nicht. Ein Zweifel an die Klarheit von Worten kam mir aus dem Vergleich englischer und deutscher Kommunikation.

Die Fachsprache der Physik ist Englisch. Besonders wenn man in einer international besetzen Arbeitsgruppe unter der Leitung eines Australiers arbeitet und Strahlzeit am Röntgenlaser LCLS in Stanford hat. Dort ist mir im Dezember schmerzhaft bewusst geworden, wie sehr die Sprache das Denken beeinflusst. Was ist eigentlich ein Strahl? Oder genauer, was ist die Gemeinsamkeit von Wasserstrahl und Röntgenstrahl? “Das ist Einfach!”, wird jeder deutschsprachige Kollege sagen, “Beide sind gerichtet, beide räumlich nahe einer geraden beschränkt.” Bei meinen englischsprachigen Kollegen hat es dagegen Verwirrung ausgelöst, wie ich die Worte jet und beam verwechseln konnte. Ein Jet besteht schließlich aus Materie, in unserem Fall aus Wasser, in dem die zu untersuchenden Kristalle präpariert werden. Einen Beam dagegen bildet die 1800 Elektronenvolt Röntgenstrahlung des Freie-Elektronenlasers. Dass ich also beim Erläutern der Strategie, wie man die beiden Strahlen überlagern kann, mehrfach die Fachbegriffe verwechselt habe und den Wasserstrahl als liquid beam bezeichnete, ist ein Fehler, der nur einem Deutschen passieren kann.

Jet und Beam sind natürlich nicht die einzelnen Begriffe, die auf Deutsch zu einem Wort übersetzt werden. Schon oft musste ich meinem Kollegen erklären, dass ich mit if — vor allem nach langen Nachtschichten — auch when meinen könnte, denn das deutsche Wort wenn bedeutet beides. Aber diese Form der Sprachverwirrung ist trivial und noch relativ harmlos. Viel tiefgreifendere Probleme gibt es, wenn man die Unterschiede zwischen Fachsprache und Alltagssprache betrachtet. So ist ein Impuls alltagssprachlich etwas kurz andauerndes, fachsprachlich dagegen eine Erhaltungsgröße.

Worte können ebenso in die Irre führen, wie Bilder das oft tun. Setze ich auf meiner populärwissenschaftlichen Homepage zu viele Fachbegriffe als bekannt voraus, so verwirre ich mehr als ich erkläre. Ich werde Assoziationen wecken, die den Leser in die Irre führen. Was ist ein Teilchen? In der Physik bezeichnen wir Elektronen, Protonen, Neutrinos und sogar Photonen, selbstverständlich als Teilchen. Dabei denken wir kaum noch darüber nach, wie wenig diese Quantenobjekte tatsächlich mit dem zu tun haben, was man Umgangssprachlich als Teilchen bezeichnen würde. Das Wort Quantenobjekt, mit dem ich mich oft behelfe, ist dagegen recht sperrig und stört ein Wenig den Lesefluss.

Die Unart, Photon zu sagen wo man eigentlich Licht meint, ist weit verbreitet und findet sich in Fachpublikationen und Diskussionen zwischen Physikern ebenso häufig, wie in polulärwissenschaftlichen Zeitschriften. Fast alle Phänomene der Laser- und Quantenphysik lassen sich viel besser im Wellenbild verstehen. Das Licht wird durch eine Schwingung beschrieben, sie dich durch gegenseitige Induktion von elektrischem und magnetischem Feld durch den Raum bewegt. Nur selten haben wir es wirklich mit Feldverteilungen zu tun, die so weit von einer klassischen Welle verschieden sind, dass das Photonenbild eine adäquatere Beschreibung der Verhältnisse ist. Dennoch wird in vielen Veröffentlichungen einfach von Photonen geschrieben. Das ist handlicher, weckt aber sehr leicht die Assoziation von einer Wolke kleiner Partikel, einer Ladung Schrot nicht unähnlich, die vom Laser abgeschossen durch den Raum fliegen. Ein Bild wie es kaum weiter vom zugrunde liegenden Modell entfernt sein könnte. Tatsächlich kann man fast immer das Wort Photon durch Welle ersetzen und liegt näher an der Wahrheit. Versuchen Sie es mal, wenn wie nächstes Mal das Wort Photon in einer Überschrift lesen. Der Artikel wird dann vielleicht ein wenig weniger Rätselhaft aber sicher auch ein gutes Stück verständlicher.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

3 Kommentare

  1. Wort & Idee

    Ein schöner Diskurs über das Thema Worte und die Ideen, die dahinter stehen.

    Warum gibt es kein Wort für den ersten dicken Regentropfen, der einem zu Beginn eines Sommergewitters auf den Kopf fällt? Ein Soplatsch?! Zu unwichtig? Wie seht es mit dem Befriedigungsgefühl des Durstes? Nicht satt, sondern… gelabt, erquickt, sitt?

    Sprache ist seltsam. Sie verhindert nicht Gedanken, aber sie kann sie erschweren. Und letztlich kann das Ziel Gedanken weiter zu geben, immer nur begrenzt gelingen.

  2. Sprachprobleme

    Hallo Joachim,

    das sind aber Sprachprobleme auf einem derart hohen weil speziellem Niveau, dass jeder nichtnative Englischsprechende das mehr als nachvollziehen kann – vielmehr werden umgekehrt Kollegen aus dem Ausland an deutschen Instituten noch viel größere Probleme haben sich fachlich korrekt auszudrücken.
    Vielen Dank jedenfalls für den Bericht, er ist beste Unterhaltung!

    Viele Grüße aus Hamburg,
    Frank

  3. Hallo Joachim,

    du sprichst einen Sachverhalt an, über den ich selbst noch nie wirklich nachgedacht habe. Ich schreibe recht viele Texte im Bereich der Biowissenschaften, besonders eben auch mit populärwissenschaftlichem Hintergrund.

    Der Artikel regt auf jeden Fall einmal zum Überdenken des eigenen Schreibstils an.

    Viele Grüße,
    Manfred H. Clausen

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