Mit den Augen besser lernen – Eyetracking

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Versuch einer Aufklärung
Quantensprung

Journalisten haben schon oft vom “Eye-Tracking” gehört. Mittels dieser Technik wird verfolgt, wo die Augen von Lesern hinwandern; was sie zuerst lesen; wo der jeweilige Leser aussteigt und den Blick schweifen lässt, umblättert, weiterliest. Dafür bekommen Probanden eine spezielle Maske durch die sie Buchstaben und Bilder betrachten.

Michael Dorr beim HLF14 - Bild: Lugger
Michael Dorr beim HLF14 – Bild: Lugger

Michael Dorr macht das heute eleganter. Seine Probanden müssen durch keine Maske mehr blicken, wie der Nachwuchswissenschaftler am Rande des HLF14 erzählt. Er und das Team vom Institut für Neuro- und Bioinformatik an der Universität Lübeck nutzen heute Bildschirme, die dem Betrachter Filme oder Spiele zeigen und gleichzeitig über Sensoren festhalten, wohin der Blick der Betrachter gerade fokussiert.

Das funktioniert, weil Menschen immer eine selektive Wahrnehmung haben und auch nur in einem kleinen Teil des Gesichtsfeldes wirklich scharf sehen können. “So machen wir zwei bis drei Augenbewegungen pro Sekunde, mit denen wir das Zentrum des scharfen Sehens, die Fovea, immer dorthin richten, wo wir etwas verarbeiten wollen”, erläutert Dorr. Insofern verrate der Blickort, welche Information das Gehirn gerade verarbeitet und welche Bilder besondere Aufmerksamkeit erzeugen.

Entenflug über einem Kanal nahe Lübeck - auf die Punkte
Entenflug über einem Kanal nahe Lübeck – Die Punkte zeigen, wohin die Betrachter besonders geblickt haben.

Dorr möchte diese Technik nicht nur für Auswertungen nutzen, sondern mittels der Auswertungen Filme optimieren und Lerneffekte beschleunigen. Dazu baut er auf Forschungskooperationen:

“Es ist wichtig, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die sich in Gebieten auskennen, von denen man selbst nicht so viel versteht.”

Beispiel 1: Fische

So haben er und sein Team mit Biologiestudenten zusammengearbeitet, die im Rahmen ihrer Forschung erkennen und festhalten mussten, wie Fische schwimmen; welche Flosse, wie schwingt. “Zuerst haben wir einen Professor gebeten, sich unsere Videos von Fischen anzusehen und dabei seine Augenbewegungen aufgezeichnet. Denn er, der Experte, hat dies oft gemacht und weiß, worauf er achten muss”, erzählt Dorr.

Anschließend haben sie die Filme bearbeitet und die offensichtlich unwichtigen Bereiche verschwommen dargestellt. Begeistert berichtet Dorr vom Lernfortschritt: “Wenn wir diese Filme Studenten zeigen, so können sie später aus neuen Filmen wesentlich schneller die zentralen Merkmale erkennen.”

Von den Fischen
Vom Hawaiischen Staatsfisch Humuhumunukunuku’apua’a ist der Großteil verschwommen. Die Studenten blicken auf das Wesentliche.

 

Beispiel 2: Fahranfänger

Es gibt viele Bereiche in denen bekannt ist, dass Experten andere Blickstrategien verfolgen, als Anfänger. Warum sollte diese Methode also nicht auch Fahranfängern helfen? Wer Erfahrung hat, kann einschätzen, wie weit die nächste Ampel weg ist, wann sie von gelb auf rot schaltet und wie weit entfernt nachfolgende Fahrzeuge im Rückspiegel sind. Eine Idee wäre also, Fahrschülern ein Augentraining für den Alltag im Verkehr anzubieten. Denn Anfänger streuen ihre Blicke und versuchen damit, sich in alle Richtungen abzusichern, das stört die Konzentration.

Beispiel 3: Schlaganfallpatienten

Aktuell läuft an der Uni Lübeck in enger Zusammenarbeit mit Neurologen eine Studie zu Aufmerksamkeitsstörungen nach einem Schlaganfall, dem sogenannten Neglect. Durch diese Störung, nehmen Schlaganfallpatienten nicht selten für einige Zeit eine Hälfte des Gesichtsfelds teils oder gar nicht mehr wahr. Eine Störung, die in der Regel im Laufe eines halben Jahres wieder zurückgeht. Die Patienten können im Prinzip die andere Seite sehen, nur richten sie ihre Aufmerksamkeit nicht dahin. Bislang haben Dorr und Co in Studien erfasst, was in den raren Momenten geschieht, in denen die Patienten in die Mitte oder ein wenig auf die andere Seite blicken. “Meist war dann auf der anderen Seite deutlich mehr Aktivität und das hat den Blick dorthin gelenkt. Wenn wir nun Filme schaffen, in denen wir die Blicke der Patienten gezielt häufiger auf die andere Seite lenken, könnte das den Heilungsprozess eventuell beschleunigen”, beschreibt der Grenzgänger zwischen Informatik und Neurologie die Hoffnung der Forscher.


Alle Bilder, bis auf das Portrait entstammen der Website des Forschungskonsortiums GazeCom – Michael Dorr hat mir erlaubt, sie zu verwenden. Künftig wird er seine Forschung am Institut für Mensch-Maschine-Kommunikation an der TU München fortsetzen.


Dieser Beitrag erschien zuerst im offiziellen Blog des Heidelberg Laureate Forums 2014, bei dem 24 Abel-, Fields-, Turing- und Nevanlinna Laureaten mit 200 Nachwuchswissenschaftlern aus der Mathematik und Informatik eine Woche gemeinsam diskutiert haben. Der Titel und Text wurden etwas geändert.

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Beatrice Lugger ist Diplom-Chemikerin mit Schwerpunkt Ökologische Chemie. Neugierde und die Freude daran, Wissen zu vermitteln, machten aus ihr eine Wissenschaftsjournalistin. Sie absolvierte Praktika bei der ,Süddeutschen Zeitung' und ,Natur', volontierte bei der ,Politischen Ökologie' und blieb dort ein paar Jahre als Redakteurin. Seither ist sie freie Wissenschaftsjournalistin und schreibt für diverse deutsche Medien. Sie war am Aufbau von netdoktor.de beteiligt, hat die deutschen ScienceBlogs.de als Managing Editor gestartet und war viele Jahre Associated Social Media Manager der Lindauer Nobelpreisträgertagung, des Nobel Week Dialogue in 2012/2013 und seit 2013 berät sie das Heidelberg Laureate Forum. Kommunikation über Wissenschaft, deren neue Erkenntnisse, Wert und Rolle in der Gesellschaft, kann aus ihrer Sicht über viele Wege gefördert werden, von Open Access bis hin zu Dialogen von Forschern mit Bürgern auf Augenhöhe. Seit 2012 ist sie am Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation, NaWik - und seit 2015 dessen Wissenschaftliche Direktorin. Sie twittert als @BLugger.

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