Die Peer-J Mitgliedschaft fürs Publizieren

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Versuch einer Aufklärung
Quantensprung

Das wissenschaftliche Onlinejournal PeerJ bietet Forschern für wenig Geld ein lebenslanges Recht dort zu veröffentlichen. Am vergangenen Dienstag gingen die ersten 30 Artikel des neuen Open Access Journals online. Damit startete ein völlig neues Publikationsmodell, über das ich im Vorfeld bereits berichtet hatte und auch die Zweifel darüber.

Es klingt fast unglaublich. Für nur 129 US-Dollar (96 Euro) können auf der neuen Publikationsplattform PeerJ Forscher das lebenslange Recht erwerben, einmal pro Jahr einen Artikel zu publizieren:; für 239 Dollar zweimal pro Jahr. Für nur 349 Dollar gibt es eine Mitgliedschaft, die einem erlaubt, in unbegrenzter Anzahl (sofern der Inhalt stimmt, natürlich) zu publizieren. Ein Preisknüller. Denn während Schriftsteller und Journalisten mit ihrem geschriebenen Wort Geld verdienen, ist es in den Wissenschaften üblich, dass Forscher dafür zahlen müssen, wenn sie die Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlichen – sowohl bei gedruckten Fachmagazinen als auch in anerkannten Online-Journalen. Bei letzteren belaufen sich die Kosten für eine Publikation auf im Schnitt 1000 US-Dollar. Laut PeerJ werden von der Wissensgemeinde weltweit pro Jahr 9,5 Milliarden Dollar für den Zugang zu akademischen Journalen ausgegeben.

Am vergangenen Dienstag wurden also die ersten Artikel aus den Bereichen Evolution – Weshalb Sauropoden einen langen Nacken hatten und Giraffen einen kurzen Nacken haben –, Zellbiologe, Anästhesie oder etwa Schmerzforschung veröffentlicht. Weitere 10 Artikel gingen heute online. Dies soll der Rhythmus in den nächsten Wochen bleiben. Ein Volumen, das so schnell derzeit niemanden schaudern lässt.

Den führenden Köpfen hinter PeerJ, Peter Binfield (ehemals PLoS, Jason Hoyt (ehemals Mendeley) und der Open Access-Größe Tim O’Reilly wird jedoch einiges zugetraut. 800 Akademiker haben sich bereits ins Editorial Board aufnehmen lassen. 20 kluge Köpfe – unter ihnen 5 Nobelpreisträger (Bruce Beutler, Mario R. Capecchi, John Gurdon, Harald zur Hausen, Kurt Wüthrich) – sind im wissenschaftlichen Beirat.

Hier ein Zitat von Harald zur Hausen, das über PeerJ versandt wurde und sehr euphorisch klingt:

“The availability of the Journal PeerJ as an open access journal deserves all of our support. The mode of publication is obviously unique and hopefully will find a broad support”

Ich habe mich an einigen Stellen umhört. Praktisch immer wird gelobt. Die Kommunikation von PeerJ mit den Gremien laufe „hoch professionell“. Es sei tatsächlich gelungen die Eingabemasken für Artikel so einfach wie möglich zu gestalten. Und selbst für Reviewer scheint das System selbsterklärend und gut durchdacht. Die Idee, über eine ausgefeilte Technik im Hintergrund, das grundsätzliche Publikationssystem zu erleichtern, könnte aufgehen.

Wie mir Peter Binfield verriet, zählen sie derzeit bereits über 3000 Mitglieder – von denen das Gros jedoch nur gelistet ist. Echte Mitglieder werden sie erst, wenn sie etwas publizieren wollen. Von den bereits zahlenden Mitgliedern haben sich laut Binfield bis jetzt die meisten für die Option “Zwei Publikationen pro Jahr” entschieden.

Die Idee von PeerJ mit deutlich weniger Geld, dafür aber über eine verpflichtende Mitgliedschaft neue Wege zu gehen, könnte einiges umwälzen. Die Mitglieder sind aufgefordert mindestens einmal jährlich Artikel anderer zu kommentieren, bzw. sich am Review-Prozess zu beteiligen. Sonst erlischt die Mitgliedschaft. Außerdem wird ihnen nahegelegt, einen offenen Review-Prozess zu betreiben. Das heißt, die Autoren erfahren, wer ihre Publikation bewertet hat. Bei der Entscheidung, ob ein Artikel veröffentlicht wird oder nicht, steht ausschließlich die wissenschaftlich inhaltliche Richtigkeit im Vordergrund. Es wird laut Verlautbarung nicht darauf geachtet, welchen Impact der Artikel haben wird. Das Gros der bisherigen Artikel stammt übrigens aus dem Bereich der Molekularbiologie.

Ich werde dennoch das Gefühl nicht los, dass dies alles fast märchenhaft klingt. Einerseits würde ich mich freuen, wenn ein solcher Scientific Community Gedanke im Publikationswesen funktionieren würde. Andererseits zweifle ich doch sehr, ob sich das Ganze finanziell tragen wird.

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Beatrice Lugger ist Diplom-Chemikerin mit Schwerpunkt Ökologische Chemie. Neugierde und die Freude daran, Wissen zu vermitteln, machten aus ihr eine Wissenschaftsjournalistin. Sie absolvierte Praktika bei der ,Süddeutschen Zeitung' und ,Natur', volontierte bei der ,Politischen Ökologie' und blieb dort ein paar Jahre als Redakteurin. Seither ist sie freie Wissenschaftsjournalistin und schreibt für diverse deutsche Medien. Sie war am Aufbau von netdoktor.de beteiligt, hat die deutschen ScienceBlogs.de als Managing Editor gestartet und war viele Jahre Associated Social Media Manager der Lindauer Nobelpreisträgertagung, des Nobel Week Dialogue in 2012/2013 und seit 2013 berät sie das Heidelberg Laureate Forum. Kommunikation über Wissenschaft, deren neue Erkenntnisse, Wert und Rolle in der Gesellschaft, kann aus ihrer Sicht über viele Wege gefördert werden, von Open Access bis hin zu Dialogen von Forschern mit Bürgern auf Augenhöhe. Seit 2012 ist sie am Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation, NaWik - und seit 2015 dessen Wissenschaftliche Direktorin. Sie twittert als @BLugger.

2 Kommentare

  1. N auf einen Streich

    Es will wieder niemand kommentieren?

    Auch das ist “fast unglaublich”. Sie haben immer mit so viel Emphase Wesentliches zu neuen Wegen der Wissensakkumulation beizutragen, deshalb schreibe ich.

    “Ich werde dennoch das Gefühl nicht los, dass dies alles fast märchenhaft klingt.”

    Treffender kann man es nicht ausdrücken. Auch mich beschleicht fast das selbe Gefühl. Träume ich oder wache ich? war mein erster Gedanke als ich Ihren Beitrag las. Wenn man für nur 129 US-Dollar (for a lifetime!) publizieren kann, dann ist das fast mehr als “Tischlein, deck dich” und “Hans im Glück” zusammengenommen. Und selbst da werde ja schon “einigermaßen hoch” gestapelt – behauptet zumindest die pädagogische Chefvorleserin in der Kinderkrippe.

  2. O’Reilly wirds richten

    Auch ich finde diesen neuen Weg märchenhaft. Und PeerJ hat eben mit Tim O’Reilly jemanden, der kein Träumer ist, sondern jemanden, der schon so manchen Traum hat wahr werden lassen. Das muss und wird auch funktionieren.

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