Citizen Sciences in Deutschland

BLOG: Quantensprung

Versuch einer Aufklärung
Quantensprung

Bürger beteiligen sich als Artenkartierer, Sternenzähler oder Proteinspieler an aktueller Forschung – meist über das Internet. Ein spannendes Computerspiel lockt seit drei Jahren Tausende ins Netz. Sie puzzeln für die Wissenschaft. Auf Fold.it versuchen sie sich darin, Proteinstränge in die gewünschte Form zu bringen und bauen virtuelle 3-D-Moleküle. Der jüngste bekannte Erfolg war die Strukturaufklärung eines Proteins, das neue Aids-Medikamente ermöglichen soll.

Hunderte Spieler hatten mitgeholfen, ein 3-D-Modell eines Enzyms, das eine wichtige Rolle bei der Vermehrung des Mason Pfizer Monkey Virus (M-PMV) spielt, zu erstellen. Es wurde im September 2011 im Fachmagazin Nature veröffentlicht. Die Spieler hatten in nur drei Wochen erreicht, was Biochemikern der Universität Washington über Jahre nicht gelang. Diese mussten sozusagen nur noch den Feinschliff vornehmen. Zum Dank wurden die am stärksten beteiligten Gruppen Foldit Contenders und Foldit Void als Autoren an dritter und vierter Stelle im Nature-Artikel gelistet.

Die Beteiligung von Bürgern an Forschung ist keine Erfindung des Internetzeitalters. Schon lange werden Vögel gezählt, steigen Hobbypaläontologen in den Steinbruch. Heute werden viele der ermittelten Daten über das Netz geteilt, eingetragen, kartiert. In Deutschland sind beispielsweise die bundesweite Kuckucks-Kartierung, das Tagfalter-Monitoring, das Online Vogelbeobachtungsportal ornitho.de oder etwa das Evolution MegaLab zu nennen, ein Projekt zur Erfassung der Schwarzmündigen Bänderschnecke Capaea nemorlis in Europa.

Tausende Freiwillige in 15 Ländern Europas hatten für das Evolution MegaLab Daten von Gehäusemustern und –farben von über einer halben Million Schnecken bei der entsprechenden Internetplattform eingetragen. Die Forscher konnten diese Populationen zuordnen und mit Daten der Lebensräume kombinieren. „Wir erkannten, dass Veränderungen der Lebensräume und Fressfeinde bei den Schnecken schnelle evolutionäre Anpassungen erzwingen“, so Christian Anton, der die Arbeiten für das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ koordiniert hatte, über ihre Publikation in PLoS im April diesen Jahres.

In den USA werden die Möglichkeiten des Internet noch viel stärker genutzt als hierzulande. Auf der Seite SciStarter finden sich zahlreiche Mitmachprojekte. Beliebt sind auch hier das Zählen von Eichhörnchen oder das Erfassen von Baumbeständen vor Ort. Schulen beteiligen sich über Seiten wie ScienceCheerLeader. Auf Zooniverse helfen Hobbyastronomen bei der Planetensuche oder der Auswertung von Bildern des Hubble Teleskops.

Beim Open Dinosaur Project konnten Laien einen Beitrag zur Paläontologie leisten, indem sie Knochenlängen aus diversen Publikationen in Datenbanken übertrugen. „Wir haben jetzt die technischen Möglichkeiten, die interessierte Öffentlichkeit in die Forschung einzubeziehen“, sagt Klement Tockner, der am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), bereits erste Erfahrungen sammelt.

 


Ergänzend gibt es hier eine schöne Liste zu Top Citizen Science Projekten in 2011 ausgewählt von SciStarter.

Dieser Text ist in gekürzter Fassung im Verbundjournal des Forschungsverbund Berlin erschienen.

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Beatrice Lugger ist Diplom-Chemikerin mit Schwerpunkt Ökologische Chemie. Neugierde und die Freude daran, Wissen zu vermitteln, machten aus ihr eine Wissenschaftsjournalistin. Sie absolvierte Praktika bei der ,Süddeutschen Zeitung' und ,Natur', volontierte bei der ,Politischen Ökologie' und blieb dort ein paar Jahre als Redakteurin. Seither ist sie freie Wissenschaftsjournalistin und schreibt für diverse deutsche Medien. Sie war am Aufbau von netdoktor.de beteiligt, hat die deutschen ScienceBlogs.de als Managing Editor gestartet und war viele Jahre Associated Social Media Manager der Lindauer Nobelpreisträgertagung, des Nobel Week Dialogue in 2012/2013 und seit 2013 berät sie das Heidelberg Laureate Forum. Kommunikation über Wissenschaft, deren neue Erkenntnisse, Wert und Rolle in der Gesellschaft, kann aus ihrer Sicht über viele Wege gefördert werden, von Open Access bis hin zu Dialogen von Forschern mit Bürgern auf Augenhöhe. Seit 2012 ist sie am Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation, NaWik - und seit 2015 dessen Wissenschaftliche Direktorin. Sie twittert als @BLugger.

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