Bürger und Patienten als Ratgeber von Forschern III

BLOG: Quantensprung

Versuch einer Aufklärung
Quantensprung

„Laiengutachten sind eine Art Frühwarnsystem für die Wissenschaft“, urteilte Henning Arp, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in München, nach der Lektüre des GAMBA-Laiengutachtens Deutschland 2012, das Patienten und Bürger über das EU-Forschungsprojekt GAMBA (Genaktivierte Matrizen zur Knochen- und Knorpelregeneration bei Arthrose) erstellt haben (Hintergrund dazu in Teil I und Teil II). Arp zeigte sich beeindruckt, welche klaren und profunden Urteile die Laien trotz des relativ begrenzten Zeiteinsatzes für die Erstellung des Gutachtens trafen. Vor allem gefiel ihm, dass die Laien offenkundig über das Projekt weit hinaus gedacht hätten. „Sie mahnen, dass wir die Prävention vor lauter neuen Therapien nicht vergessen dürfen und vor allem auch, dass neue Therapien am Ende auch erschwinglich sein müssen“, fasste Arp bei der Abschlussveranstaltung am vergangenen Mittwoch, 25. April, im Klinikum rechts der Isar der TU München zusammen.

Was die ‚Laien’, als die ich die Teilnehmer der Patienten- und Bürgerforen inzwischen nicht mehr bezeichnen möchte, anmerkten, ist wirklich interessant. Einige der Anmerkungen und Wünsche zu dem umfangreichen Grundlagenforschungsprojekt zur Entwicklung neuer Arthrosetherapien mittels einer Kombination aus Stammzell- und Gentherapie sowie Nanomedizin stellten die Sprecher der Foren bei der Abschlussveranstaltung besonders heraus.

Forschungsansatz wird grundsätzlich begrüßt.
Es können neue Therapien entstehen und zudem bringt Grundlagenforschung auch für andere Forschungsfelder Erkenntnisse.

Kritik an Ethikkommissionen, die über medizinische Forschungsprojekte wachen.
Die Zeit, die Ethikkommissionen bei ihren Sitzungen zur Beurteilung eines Forschungsansatzes etwa zur Genehmigung von Tierversuchen oder klinischen Studien aufbringen, ist mit nur 20-30 Minuten deutlich zu gering*. Zudem gibt es den dezidierten Wunsch nach einer anderen Zusammensetzung der Kommissionen, denn bisher dominieren Fachleute (etwa Mediziner). Ethikkommissionen sollten zusammengesetzt sein: Paritätisch Männer und Frauen. Nicht mehr als 50% Mediziner. Neben Statistikern, Ethikern oder Theologen sollte auch immer ein ‚informierter Laie’ dabei sein.
 

Es sollen Stammzellen von über 45-Jährigen untersucht werden.
Das Forschungsprojekt will eine Therapie entwickeln, bei der körpereigene Stammzellen zum Einsatz kommen. Da sich aber Stammzellen in der Regel leichter teilen und im Labor vermehren lassen, wenn sie von noch jüngeren Menschen entnommen wurden, wurden bei GAMBA bislang ausschließlich ‚junge’ Stammzellen verwendet. Arthrose-Patienten sind jedoch größtenteils über 45 Jahre alt. Was nützt also ein Therapieansatz, der den Patienten voraussichtlich mehrheitlich nicht zugute kommen wird?
In diesem Punkt gab es bereits Rückkopplung beim letzten Treffen des GAMBA-Forschungskonsortiums. „Jetzt wird auch mit Stammzellen von über 45-Jährigen geforscht“, berichtet Prof. Christian Plank vom GAMBA-Projekt.

Keine voreiligen Heilungsversprechen
Der Forschungsansatz GAMBA klinge auf den ersten Blick machbar und bestechend. Schließlich solle demnach dereinst eine alleinige Spritze mit der richtigen Stammzell-Gen und Nanomixtur in das erkrankte Gelenk eine Heilung von innen bewirken. Den Teilnehmern wurde sehr schnell klar, dass erstens nicht gesagt ist, dass dieser Ansatz jemals Realität wird (frühestens zwei Jahrzehnte) und selbst wenn, dann werden auch hiermit Risiken verbunden sein.

Sorgfältiges Abwägen von Risiken
Potenzielle Risiken wie Krebsentstehung oder Immunreaktionen und einige Nebenwirkungen mehr sind aus den einzelnen Forschungsfeldern (Gentherapie, Nanomedizin, Stammzelltherapie) bekannt. Der Forschungsansatz GAMBA berge aber nicht zuletzt wegen seines vielfältigen Ansatzes aus Stammzell-Gen-Nanomedizin zahlreiche Risiken, die sich gegenseitig potenzieren könnten. Denn je komplexer ein System, desto risikoanfälliger sei es. Alleine zu den Stammzellen merkte Prof. Jürgen Hescheler Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Stammzellforschung im Rahmen der Abschlussveranstaltung an: „Die Komplexität einer einzigen Zelle übersteigt die unseres gesamten Kommunikationssystems.”

Mut zur Fehler-Kommunikation
Die Teilnehmer wünschen sich, dass die Forscher den kritischen Blick bewahren und mehr Mut zur Kommunikation über Fehler und Fehlschläge aufbringen.

Forschung und Therapien als eine Einheit sehen
Wichtig sei es auch die Präventionsbeitschaft sowie Eigenverantwortung potenzieller Patienten zu fördern. Gerade in der medizinischen Forschung sei es wichtig, nicht nur auf Therapien zu zielen. Außerdem sollten Alternativen stets berücksichtigt werden.

Transparentere und unabhängigere Forschung(sförderung)
Sowohl in der Forschungspoltitik als auch in der Forschungsförderung wird mehr Transparenz erwünscht.
Forschung, insbesondere Grundlagenforschung soll mehr Unabhängigkeit bekommen. Tatjana Logan, Sprecherin des Bürgerforums sagte zum Abschluss: „Grundlagenforschung ist wichtig für unsere moderne Gesellschaft.
Deshalb ist reine Erkenntnis orientierte Grundlagenforschung weiter zu fördern und zu finanzieren. Diese darf also nicht Ergebnis orientiert sein.“ Außerdem sei mehr Interdisziplinarität erwünscht.

Vor ersten klinischen Test ist ein weiterer Dialog notwendig
Später muss aus Sicht der Forenteilnehmer eine weitere Bewertung erfolgen, ehe es zu ersten klinischen Versuchen am Menschen kommt – vor allem in Hinblick auf Ethik und Risiken. Bislang ist so etwas nicht vorgesehen und auch gar nicht Teil des GAMBA-Projekts.

Mehr Dialoge erwünscht
Nach der positiven Erfahrung aus diesem Dialogprojekt wünschen sich die Teilnehmer, dass grundsätzlich mehr derartige Dialogprojekte stattfinden, bei denen Bürger frühzeitig in neue Entwicklungen oder Entscheidungen einbezogen werden.

An der Abschlussveranstaltung nahmen auch etliche Forscher teil, die nicht am GAMBA-projekt beteiltigt waren – u.a. Gentherapie-Expertin Hildegard Büning, Genexperte Patrick Cramer, Nanoexperte Ernst Wagner oder die Stammzellexperten Jürgen Hescheler und Michael Heke sowie der Ethiker Arne Manzeschke. Auch sie zeigten sich unisono beeindruckt von dem Gutachten und plädierten für mehr derartige Dialoge. Ich empfehle Auszüge aus dem Laiengutachten oder das Laiengutachten selbst zur Nachlese. 

 


* Manche Entscheidung wird laut Berichten von Mitgliedern solcher Kommissionen auch in nur wenigen Minuten durchgewunken. 20-30 Minuten sind demnach bislang eher das Maximum.

 

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Beatrice Lugger ist Diplom-Chemikerin mit Schwerpunkt Ökologische Chemie. Neugierde und die Freude daran, Wissen zu vermitteln, machten aus ihr eine Wissenschaftsjournalistin. Sie absolvierte Praktika bei der ,Süddeutschen Zeitung' und ,Natur', volontierte bei der ,Politischen Ökologie' und blieb dort ein paar Jahre als Redakteurin. Seither ist sie freie Wissenschaftsjournalistin und schreibt für diverse deutsche Medien. Sie war am Aufbau von netdoktor.de beteiligt, hat die deutschen ScienceBlogs.de als Managing Editor gestartet und war viele Jahre Associated Social Media Manager der Lindauer Nobelpreisträgertagung, des Nobel Week Dialogue in 2012/2013 und seit 2013 berät sie das Heidelberg Laureate Forum. Kommunikation über Wissenschaft, deren neue Erkenntnisse, Wert und Rolle in der Gesellschaft, kann aus ihrer Sicht über viele Wege gefördert werden, von Open Access bis hin zu Dialogen von Forschern mit Bürgern auf Augenhöhe. Seit 2012 ist sie am Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation, NaWik - und seit 2015 dessen Wissenschaftliche Direktorin. Sie twittert als @BLugger.

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