Wissenschaft im Krimi
BLOG: Psychologieblog
Mit „Kritik der mörderischen Vernunft“ von Jens Johler und „Der fremde Wille“ von Schulte von Drach sind in diesem Jahr zwei sehr gute Wissenschaftsthriller auf dem deutschen Buchmarkt gelandet. Beide Bücher bewegen sich im Spannungsfeld der Debatte um Determinismus und Willensfreiheit.
Johlers Titel spielt bereits auf Kants Werk "Kritik der reinen Vernunft" an. Der Mörder nennt sich Kant und tötet renommierte Hirnforscher. Das Motiv bleibt zunächst im Dunkeln. Wollen sich Tierschützer für die Tierversuche rächen, die im Rahmen hirnphysiologischer Forschung in Kauf genommen werden? Geht es um geheime Tests an Menschen im Auftrag einer elitären Verschwörung? Oder haben wir es in diesem Krimi mit einem durchgeknallten Spinner zu tun? Fakt ist, dass sich der Mörder seine Opfer im Umfeld der Hirnforschung sucht und seine Morde mit Passagen aus dem Buch „Terror der Wissenschaft“ des Wissenschaftsjournalisten Troller unterlegt. Troller und seine Freundin Jane freuen sich wenig über die unerwartete Publicity und beginnen mit den Ermittlungen, um den Unbekannten zu stoppen.
Schulte von Drach beginnt sein Buch, abgesehen von der einführenden Szene im kongolesischen Dschungel, im Sinne des Genres klassisch mit dem Fund einer weiblichen Leiche im englischen Garten. Und es deutet nichts darauf hin, dass die „Schwabinger Bestie“ ihr Morden einstellt. Der Autor führt seine Leser auf des Täters Spuren vom Kongo nach München über Hawaii, Schottland und die USA. Verschiedene Ermittlerteams arbeiten international zusammen, um den Mörder zu fassen. … weiter
Hinweis: Vorsicht, in den Kommentaren wird bereits weiter über das Buch "Der fremde Wille" berichtet. Für diejenigen, die es noch lesen möchten, könnten die Kommentare zu viel Information preisgeben.
Rezension zu „Der fremde Wille“ von Marcus C. Schulte von Drach (2009). Köln: Verlag Kiepenheuer & Witsch
„Kritik der mörderischen Vernunft“ (2009) von Jens Johler
Hinweise und Ergänzungen
Der interessante und differenzierte Thriller von Jens Johler geht inzwischen in die dritte Auflage. Stephan Schleim hat ihn Anfang des Jahres in seinem Blog hier schon vorgestellt. (Textauszug hier, eingehende Besprechungen hier und insb. hier, in entscheidende Details gehende Expertenkritik hier!)
In Ergänzung der sachlich wenig ergiebigen und in einem nicht ganz unerheblichen Detail leider sogar falschen Rezension des Krimis von Markus Schulte von Drach ist zu sagen, dass dieser Biologe und SZ-Wissenschaftsredakteur seinen Roman auf die umwerfende Idee aufbaut, dass Hirnparasiten Menschen – wie man umgangssprachlich so sagen kann – “ihren Willen aufdrücken”, also Mikroorganismen uns “kontrollieren” und mit uns “machen” könnten, was sie wollen, uns etwa zu reißenden Bestien werden lassen, wie Schulte von Drach sich vorstellt. Er spielt damit die reichlich spekulativen, um nicht zu sagen abwegigen Ideen des Parasitologen Kevin Lafferty durch, über die vor zwei Jahren Schulte von Drach’s Kollege Marcus Anhäuser unter gleichem Titel in diesem SZ-Artikel berichtet hat und das bereits mit Seitenblick auf ihre dramaturgische Potenz “für einen bizarren Science-Fiction-Schocker”.
An dem Roman imponiert am meisten, dass der Plot dazu dienen soll, den schon im griechischen Altertum von den Stoikern vertretenen philosophischen Determinismus plausibel erscheinen zu lassen, den Schulte von Drach in seinem Buch durchspielt: in Tateinheit mit hartnäckigen Metaphysikern und solchen Naturwissenschaftlern, die sonst jedes Apriori-Denken als Lehnstuhlphilosophie ablehnen, aber auf genau diese Weise von einer Naturgesetzlichkeit der Natur, Welt oder Wirklichkeit und damit von einer durchgehenden Kausalität der gesamten “Realität” ausgehen, von der in Sonntagszeitungen wie hier und insb. hier berichtet wird, die weitestgehende Einsicht von Physikern sei heute, dass wir die Wirklichkeit als solche nicht einmal kennen können – und die wir “natürlich” schon gar nicht in Gänze zu überblicken imstande sind, wie zu ergänzen ist.
Vielen Dank für die Ergänzungen. Ich hatte bewusst auf weitere Ausführungen verzichtet, um Lesern, die das Buch “Der fremde Wille” noch nicht gelesen haben, den Spass nicht zu nehmen.