Älter und verliebt (Teil 2)

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Das menschliche Miteinander auf der Couch
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Katrin, 53 Jahre, geschieden nach zwei Ehejahren, zwei erwachsene Kinder, drei Enkelkinder, niedergelassene Ärztin
Hans, 49 Jahre, nie verheiratet, zwei Kinder lebend bei der Mutter, Dipl.-Ingenieur

Katrin und Hans sind seit einem Jahr und zwei Monaten ein Paar. Wegen der räumlichen Entfernung sehen sie sich nur am Wochenende.

Liebe im Herbst des Lebens Hans: Katrin hat unseren Jahrestag vergessen. Es hat mich ein wenig enttäuscht, dass dieser Tag für sie eine geringere Bedeutung hat als für mich. Und ich befürchte, dass auch unsere Beziehung für sie eine andere Bedeutung haben könnte als für mich.

Katrin: Wirklich? Du weißt nicht, was unsere Beziehung für einen Stellenwert für mich hat?

Hans: So wie du in einem unserer früheren Gespräche über unseren Jahrestag hinweg gegangen bist, schien das Thema für dich eher belanglos zu sein.

Katrin: Ich bin richtig erstaunt, dass du das an dieser Stelle noch einmal aufgreifst. Eben weil wir doch darüber gesprochen hatten. In Südafrika. Du hattest, aus meiner Sicht, mein Versäumen unseres Jahrestages doch auch nicht als so wichtig angesehen. Wir waren lange unterwegs, herausgerissen aus dem Alltag. Ich habe in unserem wochenlangen Urlaub einfach nicht an den Jahrestag gedacht, und es tut mir auch leid. Zweifelst du etwa an meinen Gefühlen zu dir?

Hans: Ja, schon. Bereits vor unserer Reise habe ich mir deswegen Gedanken gemacht. Du weißt ja, ich hätte fast unsere Reise abgesagt, weil ich damals nicht wusste, welche Rolle ich in deinem Leben spiele. Ich fühlte mich emotional vernachlässigt. An den gemeinsamen Wochenenden hast du deinen Kindern und Enkelkindern mehr Beachtung geschenkt als mir. Ich freue mich ja, dass du eine so wundervolle Beziehung zu deinen Kindern hast. Und ich habe dem zuerst wenig Aufmerksamkeit geschenkt, aber nach einigen Monaten stellte ich zunehmend eine innere Verstimmung fest, die mich verunsicherte und die ich nicht einordnen konnte. Aber nachdem ich mich damit länger auseinandergesetzt habe, stellte ich fest, dass ich mich in großer Konkurrenz befand. Katrins Interesse für ihre Familie geht von ihrem Interesse an mir ab. Ich fühlte mich gekränkt und zurückgesetzt. Für mich war das ein großer Konflikt und es war mir auch klar, dass es für Katrin einen noch größeren Konflikt darstellt.

Katrin: Uns war ja von Anfang an klar, dass das Zusammenlegen unserer beider Leben ziemlich schwierig werden könnte. Ich habe zu meinen Kindern ein sehr enges Verhältnis, da ich viele Jahre allein mit ihnen gelebt habe. Es war für mich bis jetzt immer so, dass meine Kinder den größten Stellenwert für mich hatten. Und das wird auch so bleiben. Aber mir ist anhand unserer Situation klar geworden, dass ich mit diesen verschiedenen Beziehungsebenen anders umgehen lernen muss. Für mich war es gut, dass du damals so heftig reagiert hast. Du hattest völlig Recht. Um es auf den Punkt zu bringen: Während ich alle Entscheidungen mit meinen Kindern abgestimmt habe, hatte Hans nur die Wahl mitzumachen oder in seinem Leben zu bleiben. Daher konnte ich sein Gefühl, dass die Kinder immer vorgehen, nachvollziehen. Ich habe überhaupt nicht darüber nachgedacht und daher war es für mich völlig ausgeschlossen, erst mit dir als meinen Partner die Entscheidungen abzustimmen und sie dann gemeinsam mit den Kindern zu treffen. Aber das konnte ich vorher auch nicht so sehen, weil Hans im ganzen ersten halben Jahr seine Autonomiewünsche betont hat. Es gab Situationen, in denen er darüber sprach eine Auszeit zu brauchen und sein früheres Leben zu vermissen. Ich hatte das Gefühl mehr Ballast zu sein … als eine Freundin, Geliebte oder Partnerin. Mir war gar nicht klar, dass er so stark an meinem Leben teilhaben wollte.

Hans: Es stimmt, es fiel mir in den ersten sechs Monaten schwer, die enorme Intensität unserer Beziehung auszuhalten, da sie mich zunehmend erschöpfte. Von meinem bisherigen vertrauten und sicheren Leben blieben nur noch Fragmente. Manchmal sehnte ich mich nach Begegnungen mit alten Freunden und Bekannten, die ich unter der Woche wegen Arbeit und anderen Verpflichtungen nicht sehen konnte. Ich war mir nicht sicher, ob ich unsere Beziehung in dieser Intensität durchhalten kann. Sie nimmt einen großen Raum in meinem Alltag ein. Wir telefonieren fast jeden Abend und ich bin in Gedanken oft bei ihr. Ich hatte die Sorge mein bisheriges vertrautes Leben fast ganz zu verlieren.

Katrin: Aber du hättest doch deine Freunde treffen oder dir mal eine Auszeit für ein Wochenende nehmen können. Es hat mich verunsichert, dass du öfters von dem Wunsch nach einer Auszeit gesprochen, sie dir aber nie genommen hast. Mir ging es ähnlich. Ich hätte mir manchmal gewünscht, du wärest nicht gekommen. Ich habe mich aber nicht getraut, es dir zu sagen, um die Beziehung nicht zu gefährden. Ich hatte das Gefühl, dass unsere Beziehung nicht stabil genug ist und jeder von uns bei längerer Pause wieder in sein altes Leben zurückkehrt, und die Beziehung daran zerbricht. Hätte Hans sich zurückgezogen, hätte ich wieder mein autonomes und zufriedenes Lebensgefühl gesucht, um Angst und Schmerz vor dem vermeintlichen Verlust zu vermeiden.

Hans: Das habe ich genauso erlebt wie Katrin und mich aus diesem Gefühl heraus überhaupt nicht für eine Auszeit entscheiden können. Und wenn ich ein Wochenende zu Hause geblieben wäre, hätte ich es nicht genießen können, weil ich ohnehin in Gedanken bei ihr gewesen wäre.

Katrin: Als uns bewusst geworden ist, dass diese ständige Angst vor einer möglichen Trennung oder dem emotionalen Rückzug ins Altbekannte uns so einengt und in Anspannung hält, hat ja unsere Idee erst einmal eine Nichttrennungsklausel einzuführen, sehr geholfen. Das klingt wahrscheinlich merkwürdig und konstruiert, aber mir hat es die Möglichkeit gegeben, mich emotional offener und auch ehrlicher Hans gegenüber zu zeigen. Ich musste nicht mehr perfekt in all meinen Reaktionen ihm gegenüber sein. Ich glaube auch, dass ein klares Ja dem Partner gegenüber eine Grundvoraussetzung für eine stabile Beziehung ist.

Hans: Also mir ging es da genauso. Ich fühlte mich total erleichtert und hatte nicht mehr die innere Anspannung, mich ständig beweisen zu müssen. Es gab mir mehr innere emotionale Stabilität, die mir durchaus manchmal in vorherigen Beziehungen gefehlt hatte. Bevor ich Katrin kennen lernte, war meine Verlustangst mittlerweile so groß, dass ich Schwierigkeiten hatte, mich überhaupt wieder auf eine Beziehung einzulassen. Meine dadurch geschaffene innere Autonomie ließ mich in meinem vertrauten und vernunftbetonten Leben verharren. Jetzt war eine schnelle Trennung durch die schon erwähnte Klausel nicht mehr möglich, weder von ihrer noch von meiner Seite. Das fühlte sich an als hätten wir eine neue Beziehungsebene betreten. Meine Angst hat sich gelegt und ich konnte Katrin wesentlich entspannter in ihren Wünschen und Bedürfnissen wahrnehmen, weil ich nicht mehr so mit mir und meiner Bedeutung für sie beschäftigt war.

Katrin: Aber ganz ist das Thema der Bedeutungsintensität ja noch nicht vom Tisch siehe Jahrestag … Aber ich weiß noch, wie oft ich vor dieser Klausel bei Spannungen gedacht hatte, das tust du dir nicht mehr an. Wenn es schmerzte und ich nur noch weinen wollte, kam bei mir immer der Gedanke die Beziehung zu beenden. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf Kränkungen und Verletzungen, die ja leider in einer Beziehung nicht ausbleiben. Trotzdem merke ich, dass ich und auch Hans nach wie vor vorsichtig mit unerwarteten Reaktionen des anderen umgehen. Mir gelingt es dann immer noch nicht, mich ihm wirklich mitzuteilen. Habe ich früher mit einem verständnisvollen Ok. nach außen reagiert, frage ich jetzt eher nach, ziehe mich unauffälliger zurück und sitze es aus – in der Hoffnung, Hans spricht das leidige Thema noch einmal an. Klappt nicht immer … So bleibt Ungeklärtes, Unverstandenes auch unausgesprochen und ich schaue mir die Beziehung etwas distanzierter an. Vielleicht geht es in Beziehungen auch gar nicht anders. Der überzogene Wunsch nach Verstandenwerden, sich auf einer Ebene zu erleben und immer wieder Harmonie und Symbiose zu erreichen, bleibt nur eine unerfüllte Sehnsucht.

Hans: Mir ist gerade deutlich geworden, dass der Jahrestag so wichtig für mich ist, weil ich immer noch die Bestätigung ihrer Liebe brauche. Die Klausel hat scheinbar entspannt, aber nicht die Angst vor Verlust beseitigt. Ich merke, wie ich auf ihrer Reaktion bzw. Nichtreaktion sitzen bleibe. Habe ich wirklich weniger Bedeutung für Katrin oder bin ich gefangen in den Altlasten der früheren Beziehungen? Gleichzeitig ist bei mir durch den runden Geburtstag meines Vaters und die erwartete Rede von mir das Vaterthema hochgekommen … und meine unsägliche Traurigkeit auf den nicht vorhandenen Vater … hat da der Verlust begonnen? Ich muss darüber in Ruhe für mich nachdenken. Eines weiß ich jedenfalls, dass ich mich nicht von Katrin trennen möchte – weil ich sie liebe und brauche.

Katrin: Ich finde, wir haben eine richtig gute Chance, unsere Beziehung zu leben und die Veränderungen zu überleben. Diese Reflektionen sind mir unheimlich wichtig. Hans wird mir dadurch viel näher, erfahrbarer und es wird klarer, dass die gefühlten Kränkungen nicht vorsätzlich gegen den anderen gerichtet werden. Für mich hat unsere Beziehung etwas Einzigartiges. Das begann für mich bereits mit unserer absolut ungewöhnlichen Kennenlernsituation auf dieser kleinen Insel vor über einem Jahr. In unseren Alltagssituationen wären wir vielleicht nicht aufeinander aufmerksam geworden und hätten uns wohl auch anders wahrgenommen. Ich bin gespannt und zur Zeit entspannt, wie sich der Umgang miteinander und die Gefühle füreinander in unserer Beziehung entwickeln und verändern werden.

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Katja Schwab ist Diplom-Psychologin, Kommunikations- und Verhaltenstrainerin, systemische Körperpsychotherapeutin und zur Zeit in Ausbildung zur tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeutin.

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