Lesen wir anders?!

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Das menschliche Miteinander auf der Couch
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Input vs. Output, Online vs. Offline, Informationsfülle vs. Informationsmüll – die Debatte über die Veränderungen durch die digitalen Medien ist nicht neu. Bereits im letzten Jahr wurde im Netz über die Gefahr einer beginnenden „Web2.0 Demenz“ diskutiert. Nicholas Carr beschrieb bereits vor einem Jahr die Veränderungen seines Leseverhaltens: „Over the past few years I’ve had an uncomfortable sense that someone, or something, has been tinkering with my brain, remapping the neural circuitry, reprogramming the memory. (…) I can feel it most strongly when I’m reading. Immersing myself in a book or a lengthy article used to be easy. My mind would get caught up in the narrative ort he turns of the argument, and I’d spend hours strolling through long streches of prose. That’s rarely the case anymore. Now my concentration often starts to drift after two or three pages. I get fidgety, lose the thread, begin looking for something else to do. (…)“ Lesen wir keine langen Texte mehr, sondern gucken Informationshäppchen?

Verschiedene Untersuchungen fanden heraus, dass Lesen am Bildschirm anstrengender ist. Die Augen ermüden schneller, weil die Netzhaut durch das Schauen in die Lichtquelle stärker gereizt wird. Die Lesegeschwindigkeit ist langsamer und der Leser unkonzentrierter und weniger genau (Thissen, 2003). Der digitale Text wird auf der Suche nach relevanten Informationen eher gescannt (Apel & Kraft, 2003). An den Universitäten jammern die Studierenden über Menge und Länge der Pflichtlektüre und die Professoren über die mangelnde Verarbeitungstiefe ihrer Schriften. Es wimmelt von Skripten und Kurzlehrbüchern, welche die Lehrinhalte verdichten bis hin zu auswendig lernbaren Stichworten, die kaum noch im Kontext eingebettet sind.

67 Prozent der unter 20jährigen geben an, dass es ihnen egal sei, ob sie einen Text online oder offline lesen, der Inhalt allein entscheide. Der New Yorker Journalist Jeff Jarvis prophezeit, dass in Zukunft die Buchhändler auf jede Kundenfrage nach einem bestimmten Buchtitel mit der Gegenfrage antworten: „Wie hätten Sie’s denn gerne? Gedruckt, digital oder als Hörbuch? Geschnitten, oder am Stück? Ein bestimmtes Kapitel oder das ganze Paket?“

Laut der Stiftung Lesen schlägt sich die Vision vom „Bildschirmlesen als Zerstörer der Lesekultur“ allerdings (noch) nicht in den Zahlen nieder. Obwohl Informationen zum großen Teil längst im Alltag via Monitor konsumiert werden, möchten die meisten trotzdem nicht auf das gedruckte Wort verzichten. Vor allem Ältere vertrauen dem Papier.

 

Bildschirm- und Buchleser kämpfen nicht an unterschiedlichen Fronten, sondern sind Geschwister im Geiste. Beide lieben das Lesen und sind überzeugt, dass sich Informationen hervorragend durch das geschriebene Wort vermitteln lassen. Und unser Alltag war noch nie in diesem Ausmaß von Schrift geprägt wie heute.  

Viele suchen sich die für sie relevanten Informationen präsentiert in einem vielfältigen Medienangebot heraus. Ich lese, optimistisch geschätzt, im Durchschnitt cirka zwei bis drei Bücher im Monat, blättere durch drei verschiedene Zeitungen oder Zeitschriften in der Woche, scanne mehrmals am Tag den Google-Reader und lese meine digitale und analoge Post. Je nach Stimmung freue ich mich über die Informationsvielfalt oder schimpfe über den Informationsmüll. Entscheidend für die Wirkung sind neben den Inhalten vor allem die Art und Weise, in der das Medium genutzt wird. Ich bin davon überzeugt, dass sich neue Lese- und Arbeitsmethoden entwickeln. Von der einsamen Recherche nach der Originalquelle in Bibliotheken und gelegentlicher Kleingruppenarbeit hin zu digitalem Informationsaustausch mit Gleichgesinnten. Unsere Fertigkeiten werden sich hinsichtlich der Effizienz, die Medien adäquat zu nutzen, verbessern. So hoffe ich zumindest. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist Medienkompetenz.

Quelle: Inspiriert durch „Revolution des Lesens“ (Titelgeschichte GEO, Aug. 09)

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Veröffentlicht von

Katja Schwab ist Diplom-Psychologin, Kommunikations- und Verhaltenstrainerin, systemische Körperpsychotherapeutin und zur Zeit in Ausbildung zur tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeutin.

4 Kommentare

  1. Lesen

    Lesen ist eine Tätigkeit wie jede andere auch. Der eine schlappt, der nächste schlurft, einer geht, andere laufen, und ein paar jagen wie die Wilden! Ab und zu auf Rasen, dann wieder die Aschenbahn und immer wieder Asphalt oder (Bord)Stein. Gehen wir seit der Erfindung des Computers krummer?

  2. @ Martin

    Apel, H. & Kraft, S. (2003, Hrsg.) Online lehren, Planung und Gestaltung netzbasierter Weiterbildung. Bielefeld: Bertelsmann Verlag.

    Die andere Quelle muss ich erst raussuchen.

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