Die Moral von der Geschicht’?

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Wie kann man ein komplexes und vielschichtiges Phänomen, wie die Moral eines ist, erforschen? Ist eine Entwicklung der Moral zu erkennen und lässt sie sich zuverlässig bestimmen? Welche gesellschaftlichen und individuellen Bedingungen sind wirksam? Geht die Moral in lebensbedrohlichen Situationen verloren oder verstärken sie moralisches Handeln? Und welches sind die entscheidenden Voraussetzungen und Bedingungen?

Diese Fragen haben sich der Entwicklungspsychologe Piaget und der Vorreiter der Moralforschung Kohlberg gestellt. Piaget erforschte den Zusammenhang von moralischen Regeln und tatsächlichem Verhalten bereits in den 30iger Jahren. Er ließ seine kleinen Probanden mit Murmeln spielen um zu beobachten, wie die Kinder mit den Spielregeln umgehen, und entwickelte ein Stufenmodell der moralischen Entwicklung. Kohlberg interviewte seine Versuchsteilnehmer zu hypothetischen moralischen Dilemmata in Form von kleinen Geschichten, um Rückschlüsse auf das „Moralniveau“ einer Person zu ziehen.

Stufen der moralischen Entwicklung nach Kohlberg (1963)

  1. Präkonventionelles Niveau: Orientierung an Strafe und Gehorsam (Stufe 1); naiver instrumenteller Hedonismus (Stufe 2)
  2. Konventionelles Niveau: Moral des „braven Kindes“ (Stufe 3), autoritätsgestützte Moral (Stufe 4)
  3. Postkonventionelles Niveau: Moral des Vertrages und des demokratisch akzeptierten Gesetzes (Stufe 5); Moral der individuellen Gewissensgrundsätze (Stufe 6)

Das höchste Niveau ist mit Kants kategorischem Imperativ erreicht. Allerdings wird Wissen nicht unbedingt in Handeln umgesetzt. Voraussetzung für moralisches Denken und Handeln ist das Ich-Bewusstsein, die Unterscheidung in Ich und Andere. Die Fähigkeit eigene Bedürfnisse und Interessen gegenüber Anderen auf der Basis einer gegenseitigen Verantwortung zurückzustellen, ist die Basis für die Bildung gesellschaftlicher Moralvorstellungen.

Moral – eine Frage der Bildung?

Für Kohlberg ist die Fähigkeit zur Abstraktion eine Grundvoraussetzung für die Herausbildung reifer Moral. Lind, der Kohlbergs Ansatz weiterentwickelt, geht noch ein Stück weiter und erklärt die Moral zur Bildungsaufgabe. Seiner Auffassung nach kann erst durch Reflektion erkannt werden, ob eine Handlung moralisch oder amoralisch ist. Das heißt, es kommt auf die jeweilige Begründung für das Verhalten an. In Kohlbergs Geschichte stiehlt Heinz ein Medikament. Er hat allerdings einen guten Grund für sein amoralisches Handeln: er möchte seine kranke Frau retten. Lind erklärt: „Entscheidend ist die Erklärung, die einem Verhalten zugrunde liegt und nicht das Verhalten als solches. Das Verhalten selbst ist weder moralisch noch amoralisch.“ Westerhoff spinnt den Gedanken noch weiter:

Jede Handlung, die als moralisch etikettiert wird, ist demnach begründungspflichtig. Und somit hängt alles von der Qualität der Argumente ab. Die Argumente wiederum sind nur so gut wie das Weltwissen, aus dem sie sich herleiten. Ohne intellektuelles Know-How keine Moral.

Eine Längsschnittuntersuchung (LOGIK), welche die Entwicklung von ca. 200 Kindern seit ihrem vierten Lebensjahr verfolgt, widerspricht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Bereitschaft zu moralischen Handeln nicht mit den elterlichen Werten oder dem Bildungsniveau zusammenhängt. Wird das moralische Denken in jeder Individualentwicklung erneut „erlernt“, so wie jedes Kind den Umgang mit heißen Gegenständen erfahren und speichern muss oder geben wir moralisch wertvolles Verhaltensrepertoire von Generation zu Generation weiter?

Einig scheinen sich die Wissenschaftler in der Annahme zu sein, dass gesellschaftliche Moral- und Wertvorstellungen dem Wandel unterliegen. Hier können wir nur hoffen, dass unsere Fähigkeit Andere wahrzunehmen, ihre Bedürfnisse und Individualität anzuerkennen und zu akzeptieren und das demokratische Denken nicht in dem täglichen Kampf ums Überleben auf der Strecke bleiben. Dass die notwendige Zufriedenheit und Ausgeglichenheit um Anderen wohl gesonnen begegnen zu können nicht in der verstärkten Wahrnehmung des Eigenen untergehen.  

Quelle: Psychologie Heute, Januar 2008, "Ethische Zwickmühlen: Wen retten? Wen opfern?" 

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Veröffentlicht von

Katja Schwab ist Diplom-Psychologin, Kommunikations- und Verhaltenstrainerin, systemische Körperpsychotherapeutin und zur Zeit in Ausbildung zur tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeutin.

3 Kommentare

  1. Dieser Beitrag war für mich ein Volltreffer. Als Laie ist es schwer, dadurch zu dringen. Neben der Frage: Was ist Moral, gibt es ja auch die Frage, die ich ich seltener finde: Warum gibt es Moral.
    Es hat mir Spaß gemacht, dass für mich einmal zu durchdenken. Das Ergebniss deines Anstoßes hier:
    http://menachem.netzforum.de/?p=128

  2. @ Menachem

    Hallo,
    dein Beitrag im Netzforum, hat entweder mit Moral nichts zu tun (außer vieleicht mit persöhnlicher) oder ich verstehe dich überhaupt nicht.

    Moral ist nicht dazu da, einen glücklich zu machen.
    Sie hindert einen im Regelfall daran, Glück auf Kosten anderer zu erlangen.

    Welche zwei Gedanken? Ich sehe da nur einen!

    Zu

    3. Moral ist jegliches manipulative Einwirken auf die Gemeinschaft, die nur dem einen Selbstzweck dient:

    Sicherung und Erhaltung der eigenen Existenz –

    die alles ist, was das eigene Leben erhält und verlängert – materiell/immateriell oder geistig/seelisch.

    Das berschreibt, wie mittels Moralvorstellungen, manipuliert werden kann.

    Wenn das deine Eingebungen zu Moral sind, tut mir deine Umwelt leid.

    Gruß Uwe Kauffmann

    (*Sorry das kommt jetzt hart rüber, aber du kommst auch hart rüber!*)

  3. @uwe: ich vermute das zweite: Du verstehst mich nicht. Es ist der Versuch, Moral auf nur ein Kerngedanken zu reduzieren. Darauf kann wieder aufgebaut werden.
    Oder ist es etwa leichter, aus aller Doppelmoral und Moral dieser Welt alles das herauszustreichen, was keine Moral ist? Das wird eine lange Liste, und sehr wahrscheinlich, nie komplett und wer entscheidet dann, was zur Moral gehört? Der Eskimo nach seiner, der Chinese nach seiner, der Amerikaner, Palästinenser, Kosake…?

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