Die Jugend im Web2.0

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Das menschliche Miteinander auf der Couch
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Génération exhibition

Dokumentation „Google zeigt mich, also bin ich“ von Stéphanie Kalm, 2006 Diese Sendung lief gestern Abend zum Thema Jugend. Ich habe sie mit Interesse verfolgt und fasse die Thesen in diesem Beitrag zusammen. Jeder fünfte Jugendliche sitze täglich zehn Stunden am Computer. Die Jugend halte sich mit Vorliebe in der Parallelwelt des Internets auf. Der Computer sei ihr bester Freund. Das Internet als Medium der stillen Revolution der Jugend. Ein Raum, der zum ersten

Mal komplett von der Erwachsenenwelt gelöst sei.

Ein kleiner Einblick in die Abgründe der Teenagerseele

Eine Auswahl selbst gedrehter Videos von Jugendlichen wird gezeigt, die der Zuschauer wahrscheinlich mit Irrsinn assoziiert. Kalm zählt auf: Öffentliche Zurschaustellung, Verherrlichung von Gewalt, Knallkörper im Hintern. Nichts ist unmöglich im Internet. Ist dies das Gesicht der Revolution der Jugend von heute?

Das erste Fallbeispiel zeigt Jugendliche im geschätzten Alter von 12 bis 16, die große Fans der populären MTV-Show Jackass zu sein scheinen, denn sie fügen sich und ihren Kumpels vor der Kamera Schmerzen zu und stellen diese Videos online. Sie erklären: „Wir provozieren unsere Eltern“, „Sie (die Eltern) sehen ja nicht, was ich tue“ und „Es gibt keine Grenzen – vor der Kamera ist man mutiger“. Der Vater eines Teenagers vermutet „Sie (die Jugendlichen) wollen zeigen, dass sie existieren“ und interpretiert die Aktionen seines Sohnes als eine „Provokation der Gesellschaft“.

Hinter jedem Klick lauert die Gefahr

Die ausgesuchten Fallbeispiele lassen keine Gefahr aus: das essgestörte Mädchen, welches mit Gleichgesinnten auf pro-Anorexie-Seiten ihre Krankheit vorantreibt. Für jeden Teenager frei zugängliche Pornographie. „Was kann ich dafür, wenn das Internet voller Pornos ist?“ fragt ein Jugendlicher, der Stunden im www zubringt. Mädchen, die nackt im Netz posieren und ihre Motivation erklären: „Man fühlt sich einfach anerkannt“ und „Das ist einfach gut fürs Ego“.

Der Traum vom Star – über dass Internet berühmt werden. Eine Mutter filmt ihre Töchter seit frühester Kindheit: das erste Mal hinter’m Steuer, Disko, Singen.

Aber auch die Gefahren für die Sprache werden thematisiert. Der „Abkürzungswahn“ durch SMS und Chat führt zum Verlernen der Rechtschreibung: „Ich beschränke mich immer auf das kurze i, weil es einfach schneller zu schreiben ist.“

Parallelwelt Internet

In Frankreich hat jeder zweite Jugendliche ein Blog. 61 Prozent der Jugendlichen surfen lieber anstatt Fernzusehen.

Das ganze junge Leben wird in Bildern festgehalten und online gestellt. „So kann man sich ein Bild von uns und unserem Leben machen“ sagt ein junges Mädchen. Und: „Wenn ich jemand gern habe, dann schreibe ich einen Artikel über ihn.“ Heute braucht man sich nicht mehr zu treffen, um Freundschaften zu schließen.

Eine kurze Erwähnung von Second Life gipfelt in der bangen Frage: Was, wenn unsere Jugendlichen dem virtuellen Land den Vorzug vor der Realität geben?

Fazit: Das böse Internet

Die einseitige Berichterstattung über die heutige Jugend und ihr Umgang mit dem Internet ist ärgerlich. Das Netz scheint dem Bösen Tür und Tor zu öffnen. Die Dokumentation problematisiert stärker als dass sie für die Gefahren des Internets sensibilisiert. Das gerade in der Zukunft wichtige Thema Datenschutz und die möglicherweise negativen Auswirkungen des privat-öffentlichen Lebens wurden nicht angesprochen.

Sicherlich ist das Internet ein Medium, dessen Umgang die Jugendlichen erlernen müssen. Doch unsere Jugend erscheint mir keinesfalls so orientierungslos, gefallsüchtig, narzisstisch wie sie in diesem Beitrag dargestellt wurde. Die vorherrschenden Motivationen für die Aktivität im Web2.0 sind laut Kalm Narzismus, Unterstützung, Anerkennung – leider alles anhand von Negativbeispielen illustriert. Diese Dokumentation hätte z.B. durch eine klare Überschrift deutlicher machen können, dass sie sich mit den Schattenseiten und Gefahren des Internets in Bezug auf die Jugend auseinandersetzt. Oder eine ausgewogenere Betrachtung anstreben müssen.

(kat)

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Veröffentlicht von

Katja Schwab ist Diplom-Psychologin, Kommunikations- und Verhaltenstrainerin, systemische Körperpsychotherapeutin und zur Zeit in Ausbildung zur tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeutin.

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