Eine astronomische Kanonenkugel – der Neutronenstern PSR J0002+6216

Im Universum gibt es nicht viele Arten von Objekte, die noch extremer sind als Neutronensterne. Doch die folgende Aufnahme, deren Entdeckung dank Citizen Science zustande kam, hat es in sich. Wie wäre es also mit einem Neutronenstern, der einen galaktischen Nebel durchschlug und dabei einen sichtbaren Streifen hinter sich herzog?
Der Neutronenstern, das Ende einer Ära
Neutronensterne, das waren einmal sehr massereiche Sterne, die ihr Leben quasi im Schnelldurchlauf passierten und mit einem grossen Knall ihren Abschied gaben. Bei dieser Explosion, einer Supernova Typ II oder auch Kernkollaps Supernova genannt, zieht sich zuerst der Stern unter seiner eigenen Gravitation blitzartig zusammen. Dies rührt daher, dass im Innern des Stern die Kernfusion nicht mehr weitermachen kann, da alles Brennmaterial aufgebraucht wurde. Vereinfacht gesagt, halten sich in einem stabilen Stern der Strahlungsdruck der Kernfusion und die Gravitation die Waagschale.

Fällt der Gegendruck durch die Kernfusion aber weg, steht der Gravitation nichts mehr im Weg. Der Stern wird zusammenzugepresst. Dieser Kollaps ist so extrem, dass sogar die Elektronen in die Atomkerne hereingepresst werden. Dadurch bleiben nur noch elektrisch neutrale Neutronen übrig, welche sich nicht mehr gegenseitig abstossen und somit viel näher aneinanderrücken können, als es bei gewöhnliche Atomen der Fall ist. Dadurch wird ein Neutronenstern viel dichter als ein gewöhnlicher Stern. Der Neutronenstern hat etwa noch einen Durchmesser von 10 Kilomenter, was etwa Mannheim entspricht. Dabei enthält dieser Stern aber etwa eine bis zwei Sonnenmassen (was widerrum 300’000 bis 600’000 Erdmassen oder zwei bis vier Quadrilliarden Tonnen entspricht).
Ein Grosser Knall
Der Neutronenstern ist geboren. Nach der Implosion folgt der eigentliche Knall. Der Stern setzt gewaltige Energien frei und wirft seine Schale ab, welche noch Jahrtausende später beobachtet werden kann. Der berühmte Krabbennebel ist ein typisches Beispiel eines ebensolchen Überrests einer Supernova.

Die Neutronenstern Kanone, fertig zum abfeuern
Häufig finden wir in solchen Nebeln dann auch ein Neutronenstern, wie es auch im Krabbennebel der Fall ist. Falls die Explosion aber sehr asymmetrisch stattfindet, kann der Neutronenstern sprichwörtlich herausgefeuert werden. Wie das im nächsten Bild eindrücklich ersichtlich wird.

In diesem Bild sehen wir den kugelförmigen Nebel, sowie einen nadelförmigen Streifen, an dessen Spitze sich ein Neutronenstern befindet. Denken wir uns diesen Streifen in Richtung Nebel zurück, dann sehen wir, dass dieser genau zur Mitte der Schale zeigt. Es ist also einfach anzunehmen, dass der Neutronenstern sich früher im Zentrum der Schale befand.

Wir kennen jetzt also den Tatort und können die Geschichte des Sternes rekonstruieren. Sie lautet in etwa so: Vor 10’000 Jahren explodierte ein massereiche Stern, der circa zehn mal so schwer war wie die Sonne, als Kernkollaps Supernova. Der Stern warf dabei seine Schale ab und wurde selbst durch die asymmetrische Explosion abgefeuert. Anfänglich dehnte sich die kugelförmige Schale jedoch schneller aus als sich der Neutronenstern bewegte. Durch interstellares Material wurde die Schale aber so stark abgebremst, bis der Neutronenstern vor etwa 5000 Jahren die Schale doch noch überholte und komplett durchschlug. Der Neutronenstern führte dannach 5000 weitere Jahre schnurstracks seinen Weg fort und befindet sich nun an der Position, an der wir ihn heute sehen. Seit der Neutronenstern die Schale durschlug, hinterlässt er einen eindrücklichen Streifen, der verblüffende Ähnlichkeiten zu Kondensstreifen von Flugzeugen aufweist.
Im Moment fliegt der Neutronenstern mit einer Geschwindigkeit von etwa 1100 km/s durch die Galaxie. Dies ist eine aussergewöhnlich hohe Geschwindigkeit für einen Stern, denn die meisten Sterne in der Milchstrasse weisen eine Geschwindigkeit von etwa 200 km/s auf. Diese hohe Geschwindigkeit führt zu noch einem weiteren faszinierenden Ergebnis: da sich der Stern schneller bewegt als die Fluchtgeschwindigkeit der Milchstrasse beträgt, wird er irgendwann einmal unser galaktisches System verlassen und nie wieder zurückkehren.
Lebe Wohl, PSR J0002+6216.
Citizen Science, ein Segen für die Wissenschaft und alle können mitmachen
Im übrigen kann jeder und jede dazu beitragen, dass solche oder ähnlich spannende Objekte entdeckt werden. Dieser Neutronenstern wurde mithilfe des sogenannten Einstein@Home Projekt gefunden. Bei diesem Projekt wird der eigene Computer der Wissenschaft zur Verfügung gestellt, wenn man ihn gerade nicht braucht, um wissenschaftliche Daten von LIGO – dem Gravitationswellendetektor – oder anderen Instrumenten auszuwerten. Das Interesse geweckt? Dann nichts wie los, schon über 500’000 Personen haben sich angemeldet!
Literatur:
News Release der NRAO.
Dieser Artikel ist eine überarbeitete Version eines Blogeintrags auf meinem alten Astronomie Blog.
Geschwindigkeit von Sternen – relativ wozu wird sie gemessen?
fragt
Simpl
Das ist eine sehr gute Frage und kommt tatsächlich auf den Kontext an. Wenn wir von 200 km/s sprechen, dann meinen wir meistens die Bahngeschwindigkeit um das Zentrum der Milchstrasse. Messen können wir vorallem die Geschwindigkeiten entlang unserer Sichtlinie. Mit der Veränderung der Position am Nachthimmel (z.B. durch den GAIA Satelliten) kriegen wir noch zusätzlich die tangentielle Komponente, womit wir dann die “echte” Geschwindigkeit der Sterne messen können.
Zitat:
Frage: ist der Streifen, den PSR J0002+6216 hinter sich her zieht, das Überbleibsel einer Bugschockwelle, die ja entsteht, wenn ein Stern oder Planet (oder besser gesagt die Magnetosphäre des Sterns oder des Planeten) sich im interstellaren Medium mit supersonarer Geschwindigkeit bewegt. Ich beziehe mich dabei auf den Wikipedia-Eintrag Bow shocks in astrophysics (siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Bow_shocks_in_astrophysics) und denke dabei auch an die intensiven magnetischen Felder auf der Oberfläche von Neutronensternen von 10^4 bis 10^11 Tesla (vom Menschen hergestellte Magnete erreichen gerade Mal 100 Tesla im Extremfall). Falls ja, würde das bedeuten, dass der Neutronenstern seine eigene Bugwelle überholt oder wohl besser gesagt, das Materisl überholt, das von der Bugwelle geshreddert wurde.
@Oliver: Im Bezug auf was da gemessenwurde hast Du uns aber jetzt nicht verraten 😉
Genau, der “Kondensstreifen” ist eine Bugschockwelle.
Stimmt, die Frage war aber auch sehr generisch gestellt. 🙂
Gemessen wurden “Proper-Motions”, also Positionsveränderungen am Himmel. Aus diesen Winkelsänderungen kann dann mithilfe der Trigonometrie eine Geschwindigkeit berechnet werden, falls man die Distanz zu dem Objekt kennt.