Höhenrausch

BLOG: Promotion mit Interferenzen

Auf dem Weg zum Profi-Astronomen
Promotion mit Interferenzen

Gestern ging meine vorerst letzte Beobachtungsnacht am VLT dank guter Wetterbedingungen erfolgreich zu Ende. Insgesamt habe ich von knapp 20 geplanten Messungen bis auf eine alle durchführen können und nun ein große Sammlung an Daten, mit denen ich einige Wochen bis Monate beschäftigt sein werde…

Ich war als Beobachter für zwei Programme (Proposals) am Paranal:

1) Ein so genanntes "Open Time"-Proposal zur Untersuchung des Zentrums der nahen Radiogalaxie Centaurus A. Ein Open-Time-Proposal muss sich der Konkurrenz aller anderen Proposals stellen und daher eine sehr gute wissenschaftliche Begründung haben, um akzeptiert zu werden.
Dieses Programm bestand aus vier so genannten "Runs", denn wir wollten unser Objekt (Centaurus A) mit vier verschiedenen Baselines beobachten. Da das Wechseln zwischen verschiedenen Baselines etwas Zeit in Anspruch nimmt, wird am VLTI normalerweise pro Nacht nur eine Baseline angeboten. Es kommt aber durchaus öfter vor, dass nach der VLTI-Beobachtung die Teleskope wieder an die Teleskop-Nachtastronomen zurückgegeben werden und Einzelteleskop-Beobachtungen durchgeführt werden.


Abends sieht die Wolkendecke über dem Pazifik, die fast immer den Ozean komplett bedeckt, vom Paranal aus besonders beeindruckend aus. Nach dem Sonnenuntergang zelebrieren die Astronomen das "dome opening" und warten dann im Kontrollraum bis es ausreichend dunkel geworden ist.

2) Das zweite Proposal, für das ich als Beobachter zum Paranal gereist bin, war ein Proposal mit GTO-Zeit: Guaranteed Time of Observation. Diese garantierte Zeit erhalten Forschungsgruppen, wenn sie sich bereit erklären für ein ESO-Teleskop ein Instrument zu bauen. Dabei zahlt die ESO die Sachkosten, aber das Institut kommt für die Personalkosten auf — und erhält im Gegenzug garantierte Beobachtungszeit. Der Mitt-Infrarot-Interferometer MIDI ist am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg unter der Führung von Dr. Christoph Leinert gebaut worden. Daher erhielt dieses Institut zusammen mit den beteiligten Partnern von der ESO Beobachtungszeit, die unter anderem für etwas spekulativere Beobachtungen verwendet wird, die wegen des großen Risikos in offener Zeit oft nicht genehmigt würden. Im Rahmen dieses GTO-Proposals haben wir zwei sehr schwer zu beobachtende Galaxien untersucht:

  1. Den Quasar 3C 273: Dieser ist nur etwa ein Drittel so hell wie die offizielle Helligkeitsuntergrenze der ESO für Beobachtungen mit MIDI und daher äußerst schwierig zu beobachten. Wir haben einen schwachen "Fringe" davon gesehen, die genaue Auswertung der Daten wird aber nicht leicht sein.
  2. Die Seyfert-Galaxie NGC 4151. Diese Galaxie ist die hellste Seyfert-Galaxie bei der man Teile des innersten Bereichs sieht und außerdem eine auch von anderen Gruppen sehr gut studierte Galaxie. Sie war besonders schwierig zu beobachten, weil sie vom Paranal aus gesehen nie höher als etwa 25 Grad über den Horizont kommt. Das offizielle Pointing-Limit der Teleskope ist aber 30 Grad Elevation. Darunter werden die 23 Tonnen schweren und 8,2 Meter großen Hauptspiegel der großen "Unit Telescopes" so stark verzerrt, dass die Aktive Optik, die diese Verzerrungen ansonsten korrigiert, unter Umständen nicht mehr funktioniert. Wir sind dann bei der Beobachtung auch tatsächlich an die Grenzen der Aktiven Optik gestoßen — aber: Es hat geklappt! Wir konnten diese Galaxie anschauen — und das sogar in zwei unterschiedlichen Nächten mit zwei unterschiedlichen Baselines. Die ersten Ergebnisse sehen vielversprechend aus und unsere Kollaborationspartner haben sich sehr über meine E-Mail am Ende der Beobachtungsnacht gefreut, dass wir diese Galaxie sehen konnten…


Beobachtungsplanung: Die genaue Planung des Beobachtungsablaufs erforderte einiges an Vorbereitung.

Da aber Beobachtungen im Infrarot vom Erdboden aus mit so vielen Störquellen zu kämpfen haben, wird die Auswertung der Daten, die so genannte Datenreduktion, noch eine Weile in Anspruch nehmen. In einer Stunde Beobachtungszeit nehmen wir mit MIDI etwa 2,5 GB an Daten auf. Insgesamt habe ich nun etwa zwei Nächte, das sind etwa 20 Stunden, beobachtet. Das macht also 50 GB an Daten. Was dabei raus kommt, werde ich beizeiten gerne in meinem Blog berichten!

Ein freier Tag

Zwischen den Beobachtungsnächten hatten mein Kollege und ich vorgestern einen freien Tag. Diesen nutzten wir, um uns je ein Mountainbike auszuleihen und fuhren los in Richtung Paranal-Nebengipfel, wo vor kurzem der Hauptspiegel eintraf für das dort in Bau befindliche VISTA-Teleskop mit dem ab Ende des Jahres astronomische Durchmusterungen durchgeführt werden sollen.

Radeln in der Wüste: Auf der Straße zu VISTA, im Hintergrund das VLT.


Auf halber Strecke zwischen Residencia und VLT halten die Wasserlaster und deponieren ihre Ladung in einem großen Wassertank.

Als ich vor gut einer Woche am Paranal auf etwa 2500 Meter Höhe ankam, kam ich bereits beim Treppensteigen außer Puste. Mittlerweile habe ich mich an die Höhe gut angepasst und merke bei Alltagsbewegungen kaum mehr, dass hier 25% weniger Sauerstoff vorhanden sind als in Heidelberg. Als ich dann während eines steilen Stücks beim Fahrradfahren von der Residencia auf den Paranal Stimmen aus dem Rucksack hörte, meinte ich einen kurzen Moment aber doch, dem Höhenrausch verfallen zu sein!

Aber dann erinnerte ich mich natürlich daran, dass wir auf unseren Ausflug, wie es die Sicherheitsbestimmungen vorsehen, ein Funkgerät mitgenommen hatten… Alle relevanten Stationen und Infrastruktureinrichtungen am Paranal sind über Funk miteinander verbunden und für Ausflüge soll man ebenfalls ein Funkgerät mitnehmen, um im Falle eines Falles Hilfe rufen zu können. Der Großteil des Funkverkehrs ist auf Spanisch, aber des Nachts hört man auch hin und wieder englische Durchsagen, beispielsweise wenn ein Nachtastronom sich bei einem Teleskopmanager nach dem Status eines Teleskops erkundigen will: "Attention UT2 Manager! What’s your phone number?" oder wenn jemand mitten in der Nacht runterfährt (z.B. weil er nur eine halbe Nacht Beobachtungszeit hat): "Car going down. Anyone interested?" Derartige menschliche Durchsagen machen einem deutlich, dass auch dieses weltweit größte Teleskop der optischen Astronomie von Menschen betrieben wird. Überhaupt ist die ganze Atmosphäre hier oben sowohl arbeitsfreundlich als auch kollegial, fast schon kumpelhaft. Jeder grüßt den anderen mit einem freundlichen "Hola", wenn man vom Berg zur Residencia oder umgekehrt fahren möchte, wartet man einfach ein paar Minuten an den jeweiligen Parkplätzen und wird dann immer von jemandem mitgenommen.

Nach unserem Ausflug zu VISTA fuhren wir gerade noch rechtzeitig zum Sonnenuntergang zur VLT-Plattform. Im Abendlicht sieht die Wüste besonders beeindruckend aus: Das rote Licht der untergehenden Sonne und die langen Schatten lassen die Landschaft geradezu außerirdisch erscheinen.


Die Atacama-Wüste bei Sonnenuntergang. Neben strahlendem rot, erscheint die Wüste mitunter auch blau oder grün, was besonders gut auf Satellitenaufnahmen zu sehen ist.

Im Abendlicht erkannten wir auch besonders deutlich den etwa 20 Kilometer entfernen Cerro Armazones. Auf diesem Berg, genauer auf dem im Bild rechts davor liegenden Nebengipfel befindet sich das Hexapod-Teleskop der Universitäten Bochum und Antofagasta. Mir ist erzählt worden, dass vor Kurzem in dieses Observatorium eingebrochen worden ist und unter anderem ein Linux-Rechner entwendet worden ist. Der Rechner wurde einige Kilometer vom Teleskop entfernt wieder gefunden — die Astronomen spekulieren, dass die Diebe mit Linux nichts anfangen konnten!


Der Cerro Armazones

Die Wüste ist übrigens beileibe nicht tot. Alle paar Jahre gibt es den "desierto florido", eine volle Blütenpracht nach heftigem Regen. Davon ist zwar derzeit nichts zu sehen, aber ein paar vereinzelte Pflanzen halten sich dennoch in der unwirtlichen Dürre.


Eine Wüstenblume harrt der Trockenheit der Atacama

Die freie Nacht nutzen mein Kollege und ich, um uns etwas näher mit dem Südsternhimmel vertraut zu machen. In der wissenschaftlichen astronomischen Beobachtung ist es nicht unbedingt notwendig, genau zu wissen, wo eine bestimmte Galaxie am Himmel zu finden ist: Dank Katalogen, Koordinaten und perfekter Teleskoppositionierung ist man nicht auf Techniken wie dem "Starhopping" angewiesen, bei der man sich mit seinem Teleskop anhand verschiedener Sterne zum gewünschten Objekt hangelt. Eine gewisse Basis-Orientierung kann aber nicht schaden…


Beobachtung des Südsternhimmels mit bloßem Auge. Kann der Unterschied zwischen "Amateur-" und "Profi-"Astronomie deutlicher sein als unser erstaunter Ausdruck (nach vier Nächten Beobachtung der Centaurus-A-Galaxie): "Ach, das da drüben ist ja das Sternbild Centaurus!"?


Etwa eine Stunde war es komplett dunkel, bis der Mond aufging und den Nachthimmel mitsamt ein paar kleinen Cirrus-Wolken erhellte. Die "Landebahn" ist die Markierung der Straße zum Observatorium. Die beiden hellsten Sterne auf dem Bild sind Alpha und Beta Centauri. Alpha Centauri ist das Sternsystem, das mit etwa 4 Lichtjahren Entfernung der Erde am nächsten ist.

Morgen (Freitag) werde ich nun noch bei einer Beobachtung meines Kollegen mit den kleineren "Auxiliary Telescopes" (Hilfsteleskopen) dabei sein. Am Samstag geht es dann runter vom Berg zur Hafenstadt Antofagasta, von wo aus ich eine Woche per Bus durch Chile reisen werden. Zunächst fahre ich von dort aus nochmal in die Wüste nach San Pedro de Atacama, das ein idealer Startpunkt zur Fahrt zum Llano de Chajnantor ist, wo ich (hoffentlich bis wahrscheinlich) das APEX-Teleskop und das im Bau befindliche ALMA besichtigen kann. Dann geht es mit dem Bus ca. 1500 Kilometer durch den so gennanten Großen und Kleinen Norden Chiles bis nach Santiago, von wo aus ich am 4. Mai wieder nach Europa zurückfliege. Da ich in den nächsten Tagen wahrscheinlich keinen oder nur sporadischen Internetzugang haben werde, berichte ich davon in aller Ausführlichkeit in gut einer Woche!

  • Veröffentlicht in: VLT
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www.ileo.de

Nach dem Studium der Physik in Würzburg und Edinburgh, habe ich mich in meiner Diplomarbeit mit der Theorie von Blazar-Spektren beschäftigt. Zur Doktorarbeit bin ich dann im Herbst 2007 nach Heidelberg ans Max-Planck-Institut für Astronomie gewechselt. Von dort aus bin ich mehrere Male ans VLT nach Chile gefahren, um mithilfe von Interferometrie im thermischen Infrarot die staubigen Zentren von aktiven Galaxien zu untersuchen. In dieser Zeit habe ich auch den Blog begonnen -- daher der Name... Seit Anfang 2012 bin ich als Postdoc am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching im Norden von München. Dort beschäftige ich mich weiterhin mit Aktiven Galaxien und bin außerdem an dem Instrumentenprojekt GRAVITY beteiligt, das ab 2015 jeweils vier der Teleskope am VLT zusammenschalten soll.

5 Kommentare

  1. Tolle Eindrücke

    Hallo,

    ich verfolge den Blog schon seit einiger Zeit, was mir diesen Kommentar abnötigt ist allerdings nicht das astronomische, sondern die sehr schöne und lesbare Darstellung des “Drumherum” sowie der beeindruckenden Natur rund um den Paranal.

  2. VLT-Atmosphäre

    Lieber Herr Burtscher,
    ein wie ich finde wirklich guter Bericht über das, was am VLT(i) los ist.
    Einigermassen erschüttert war ich jedoch , als ich in Ihrem Bericht las, dass am Basislager (in welcher Höhe?) ein Gaskraftwerk eigens zur Versorgung des Teleskops eingerichtet wurde.
    Was hat das für eine Leistung?
    Nehmen wir an 1,0 MW – dann schiebt es zusätzlich ca. 2 MW Abwärme/Abgase in die saubere Atmosphäre – nimmt man bei entsprechender Verdünnung 1 K Temperaturerhöhung an, können damit ca. 5,5 Mio m3 Luft erwärmt werden, was zu erheblichem zusätzlichen Luft-Flimmern führt – von nieder- und hochfrequenten Boden-Erschütterungen eines solchen Kraftpakets mal abgesehen.
    Warum tut man der heiligen Stille auf dem Berg so etwas an? Man hätte doch den notwendigen Strom auch vom Tal oder mit Solarkollektoren erzeugen können?
    Mit besten Grüßen
    Thomas Wäscher

  3. Stromerzeugung am VLT

    Lieber Herr Wäscher,

    genau dieselbe Reaktion hatte ich auch, als ich letztes Jahr im November das erste Mal auf dem Paranal war. Man würde meinen, dass es so viele elegantere Methoden gäbe, Strom zu produzieren. Wenn man sich die Alternativen aber anschaut (und die ESO hat das wohl sehr gründlich getan), stehen die Diesel-Generatoren am Ende gar nicht so schlecht da. Im Einzelnen:

    – Strom vom Tal her transportieren: Der nächste größere Ort ist Antofagasta, etwa 130km entfernt. Eine Leitung bis dorthin zu verlegen wäre wohl sehr teurer und vor allem weniger zuverlässig gewesen. Bei einer Investitionssumme von mehreren hundert Millionen Euro für die Teleskope will die ESO natürlich sicher gehen, dass der Strom auch sicher ankommt.

    – Solarzellen: Untertags wäre das wahrscheinlich wirklich eine Möglichkeit. Bei ca. 20 Grad Süd und sehr wenig Wolkentagen im Jahr gibt es wohl nur wenige Orte auf der Welt, wo sich Solarzellen eher lohnen als am Paranal. Aber das VLT ist ja bereits Anfang der 1990er Jahre gebaut worden — damals waren Solarzellen noch nicht so günstig und effizient wie heute. Darüberhinaus hätte man das Problem Energie für die Nächte zu speichern. Derartige Batterien gab und gibt es nicht.

    Was die Vibrationen und die Erwärmung angeht: Das Kraftwerk steht in fast 2 km Entfernung zu den Teleskopen wie auf dieser Google-Map schön zu sehen. Wenn das Kraftwerk nun also in einer Stunde etwa 10 Millionen Kubikmeter Luft um 1 K erhitzt, dann entspricht das einem Würfel mit etwa 200 Metern Seitenlänge. Dazu kommt, dass das Kraftwerk im Südosten der Teleskope steht und der Wind am Paranal meistens aus Norden kommt.

    Viele Grüße,
    Leonard Burtscher

    P.S. Herr Woker, danke für Ihren netten Kommentar!

  4. stromerzeugung am VLT

    Lieber Herr Burtscher,
    danke für Ihre interessante und prompte Antwort – letztenendes halte ich es für das Beste, nach heutigen Kriterien und Kosten die Energieerzeugung noch einmal gründlich zu überdenken.
    – Detail-Infos sind leider auch auf der ESO-Seite nicht zugänglich -, wenn es aber stimmt, dass da immer noch 2 Dieselgeneratoren und eine Gasturbine ihr Unwesen treiben und täglich Tanklaster die 2.300 m hochächzen, dann würde ich so einen Energieeinsatz unter heutiger Prämisse für anachronistisch halten und dringend eine autarke Insellösung mit Solarzellen und Speichermedien (Doppelschichtkondensatoren + NiHydrid/Li-Ionen Batterien) empfehlen.
    Auch unter dem Umwelt- + Vorbildaspekt sollte die ESO da einmal vorpreschen.
    Kosten dürften bei 1 MWp < 10 Mio Euro
    ausfallen, incl. Thermokollektoren für das Duschwasser.
    Den empfindlichen Teleskopen dürfte es gut tun, dass dann endlich einmal Ruhe einkehrt,
    und ich möchte behaupten, dass dann das
    Rauschen und Gezappel aller Messwerte auch abnimmt.
    (leider finde ich nirgends den elektrischen Anschlusswert der gesamten Anlage incl. Basislager?)
    Mit konstruktiven Grüßen
    Th. Wäscher

  5. Das Blog-Teleskop #1

    Hallo!

    Das erste “Blog-Teleskop” mit Berichten über die deutschsprachigen Astronomieblogs ist heute erschienen. Über deine Mitarbeit würde ich mich freuen – mehr Informationen gibt es hier.

    vg Florian

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