Extremer Wettbewerb führt zu über-spektakulärer Wissenschaft
BLOG: Promotion mit Interferenzen
Die Astronomie ist ein heiß umkämpftes Gebiet. In Deutschland werden beispielsweise jedes Jahr etwa 100 neue Doktoren der Astronomie “produziert” — auf der anderen Seite aber lediglich einige wenige Astronomen fest angestellt. Da die Astronomie eine sehr faszinierende Wissenschaft ist und außerdem die Beschäftigung mit ihr viele schöne Seiten hat, wollen die meisten der jungen Astronomen in der Astronomie bleiben. Leider gibt es keine festen Zahlen zum genauen Verbleib von “Nachwuchs-“Astronomen, aber fest steht, dass es heute eine extrem große Zahl an befristet beschäftigten Astronomen gibt, die sich in einem harten Wettkampf alle paar Jahre erneut um eine Stelle bewerben müssen. In einer Bundestagsdebatte über Nachwuchswissenschaftler am 22.9.2011 nannte Krista Sager von den Grünen folgende Zahlen für den gesamten öffentlich geförderten Wissenschaftssektor in Deutschland: 14% aller Wissenschaftler sind ihren Zahlen nach Professoren, 86% sind “Nachwuchs” auf Verträgen, die teilweise kürzer sind als ein Jahr.
Mondaufgang, vom Cerro Paranal / dem “Very Large Telescope” aus gesehen: Astronom zu sein, ist wahrhaftig ein Traumberuf!
Für junge Wissenschaftler ist es also genauso attraktiv wie schwierig, eine Festanstellung zu erhalten, auf der man zwar typischerweise allerlei administrative Aufgaben aufgebrummt bekommt, aber wenigstens nicht mehr alle paar Jahre an zeit- und nervenaufreibenden Bewerbungsrunden teilnehmen muss. Um aber solch eine begehrte Stelle zu erhalten, muss man zunächst eine ganze Reihe an Forschungsergebnissen (und idealerweise auch Preise und Auszeichnungen) vorweisen können. Dieses Selektionsverfahren soll die “besten” Wissenschaftler auswählen. Die kann man dann mit einer festen Stelle belohnen und dabei darauf vertrauen, dass sie sich weiterhin für ihre Wissenschaft interessieren. Denn man will ihnen ja nicht nur eine “lebenslange akademische Hängematte” geben, so Albert Rupprecht (CDU/CSU) in derselben Bundestagsdebatte.
Aber wie erreicht man die “Qualifikation” für solch eine feste Stelle? Mein Eindruck ist, dass man heute neben der grundsätzlichen fachlichen Qualifikation mindestens eine, wenn nicht alle der folgenden Eigenschaften benötigt, um in unserem Wissenschaftssystem Aufmerksamkeit und damit Erfolg zu erzielen:
- die Intelligenz, oder wenigstens den guten “Riecher”, um zu erkennen, in welchem Themengebiet bald interessante Ergebnisse, öffentliche Aufmerksamkeit und damit Forschungsgelder und Stellen zu finden sein werden;
- den Fleiß, um sich in zahlreichen Projekten bessere Chancen auf ein wahrhaftig spektakuläres Ergebnis zu erarbeiten;
- das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um ein spannendes Ergebnis publizieren zu dürfen;
- die gewisse “Frechheit”, um in wenig signifikanten Ergebnissen sensationelle Resultate zu sehen.
Bei Intelligenz, Fleiß und vermutlich auch Glück würden mir wohl die meisten zustimmen (ich bin aber sehr daran interessiert in den Kommentaren Gegenteiliges zu lesen!). Wieso aber soll der erfolgreiche Wissenschaftler auch “Frechheit” benötigen?
Bloggewitter “Nicht reproduzierbare Studien”: Durch den starken Wettbewerb junger Wissenschaftler um feste Stellen gibt es einen regelrechten Zwang, Aufmerksamkeit zu erregen. Das führt dazu, dass in verrauschten Daten spektakuläre Ergebnisse gesehen und publiziert werden, die letztlich nicht reproduzierbar sind.
Der Grund dafür ist, dass es heute sehr viele intelligente und fleißige Wissenschaftler gibt. Um aufzufallen, braucht man also entweder Glück (aber darauf will man sich nicht verlassen) oder man muss eben aus einem eigentlich noch nicht ganz so sicheren Ergebnis mehr machen, als einem eigentlich lieb ist. So gibt es einen sehr schmalen Grat zwischen (für die Wissenschaft unerlässlicher) Hypothesen-Bildung und einer (für die Wissenschaft kontraproduktiven, da von tatsächlichen Ergebnissen ablenkenden) “Marktschreierei”, bei der man die eigenen Ergebnisse als viel spektakulärer darstellt, als sie eigentlich sind – denn sie lassen sich so nicht reproduzieren. Das Problem im heutigen Wissenschaftssystem ist meines Erachtens, dass dieser Grat durch den (politisch gewollten) extremen Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Stellen so schmal ist, dass man ihn kaum noch beschreiten kann.
Ich kenne die Situation bei den Astronomen nicht, aber in den Lebenswissenschaften ist es vielleicht noch schlimmer, durch die große Zahl der Doktoranden und Postdocs.
Ich denke auch, dass ‘Frechheit’ belohnt wird.
Noch eine provokante These: Auch nicht zu viel über die eigenen Daten nachdenken. In den allermeisten Fällen lassen sich Forschungsergebnisse eben nicht auf eine griffige Formel bringen , die die Renommier – Journale so lieben.
Skeptisch gegenüber den eigenen Ergebnissen zu sein und Lücken in der eigenen Argumentation klar zu benennen ist eigentlich erste Forscherpflicht, wird aber nicht belohnt.
Extremer Wettbewerb
Hallo!
Zu 1) Das funktioniert so nicht. Interessante Ergebnisse sind nicht vorhersagbar und die entsprechenden Felder erst recht nicht.
Zu 2) Spektakuläre Ergebnisse allein fördern keine Karriere. Entscheidend ist eher die wegweisende Natur eines Ergebnisses sowie die Originalität der Schlußfolgerungen und damit die gute Position im Citation Index.
Zu 3) Glück ist ein wesentlicher Faktor. Allerdings nicht bezüglich eines „spannenden Ergebnisses“ (siehe 2) sondern im Hinblick auf eine wachsendes Forschungsfeld (siehe 1).
Zu 4) „Frechheit“ wie hier dargelegt, wird gern von den Medien aufgenommen (auch von diesem Blog), von der wissenschaftlichen Community jedoch als unseriös durchschaut. Wer das macht, hat schlechte Karten.
Gruß, Thomas
@Thomas
Hallo Thomas,
es ist nicht einfach, vorherzusagen, welches Gebiet sich bald gut entwickeln wird. Aber es ist möglich. Dazu muss man in der Astronomie zum Beispiel wissen, welche Instrumentenprojekte gestartet worden sind und wie erfolgreich sie voraussichtlich sein werden. Dazu wiederum muss man wissen, welche Chance und Risiken in den meist neuen Technologien stecken und diese richtig einschätzen können. Kurzum: Man braucht eine ganze Menge Wissen und muss das gut verbinden können. Wenn ich mir die heute erfolgreichen Astronomen anschaue, dann haben viele von denen auch deshalb so viel Erfolg, weil sie bald erkannt haben, wo interessante Forschungsfelder liegen und ggf. ihr altes Forschungsgebiet rechtzeitig verlassen haben.
Zu den “frechen” Ergebnissen: Natürlich, wenn man es übertreibt, hat man schlechte Karten. Aber wenn man eben ein bisschen auf der “zu frechen” Seite ist, hat man bessere Karten als wenn ein bisschen auf der zu vorsichtigen Seite ist. Mich würde interessieren, wo Du in meinem Blog (unreflektierte) “freche” Ergebnisse gefunden hast.
Grüße,
Leonard
Hallo Leonard, wie sind den solche Vorhersagen möglich? In welchen Zeithorizont? Ist dieser Zeithorizont kürzer als das Zeitfenster für die Entscheidung einer wissenschaftlichen Karriere? Ich bin da skeptischer als Du. Alle heute attraktiven Forschungsgebiete sind instrumentell dominiert. War diese Entwicklung vor 30 Jahren vorhersagbar? Ich denke nicht. Außerdem sind die Karrierewürfel nach maximal 10 Jahren gefallen. Und für solche Zeiträume braucht es wiederum keinen besonderen Riecher, den haben dann alle anderen auch.
Zu den „frechen“ Ergebnissen teile ich Deine Ansicht nicht.
Bezüglich des Blogs hast Du mich falsch verstanden. Dein Blog ist ebenfalls ein öffentliches Medium und Du hast „freche“ Ergebnisse damit zur Diskussion gestellt. Ein Beitrag über „freche“ Ergebnisse erhält eben mehr Aufmerksamkeit (siehe meine Reaktion), auch wenn so was nicht der wirklichen Wissenschaftswelt entspricht und heikel ist. So ist das eben bei Medien – und das sollte man erkennen.
Gruß, Thomas
Vorhersagbarkeit
Hallo Thomas,
was die Vorhersagbarkeit angeht, muss man in der Tat definieren auf welche Zeitskalen man sich bezieht. Nehmen wir eine Doktorarbeit in der beobachtenden Astronomie, die typischerweise 3-4 Jahre dauert. Da kenne ich einige Fälle von Doktoranden, die massive Probleme hatten in ihrer Doktorarbeit, weil die ihnen zugesagten Daten während der Doktorarbeit nicht auftreibbar waren: Entweder war das Beobachtungsinstrument noch nicht fertig oder es gab Probleme mit der Datenreduktion oder Schwierigkeiten, die Beobachtungsanträge durchzubekommen — oder das Wetter war schlecht. Für jemanden der frisch in der Astronomie anfängt, sind diese Risiken nur schwer einschätzbar und in o.g. Fällen wären die Probleme weit weniger gravierend gewesen für die Doktoranden, wenn sich der jeweilige Betreuer einen “Plan B” überlegt gehabt hätte…
Dennoch ist es möglich, diese Risiken auch “von außen” zumindest grob abzuschätzen, etwa wenn man regelmäßig Sterne und Weltraum liest. 😉
Was die instrumentelle Dominanz angeht, würde ich viel weiter zurück gehen als Du und behaupten, dass die Astronomie sogar seit Galilei instrumentell dominiert ist. Und, ja, das ist mittlerweile zumindest in der Astronomie hinlänglich bekannt.
Grüße,
Leonard
Hallo Leonard,
ein guter Betreuer hat insbesondere bei instrumentellen Arbeiten auch einen Plan B in der Tasche. Oder man spricht ihn explizit darauf an. Alles andere ist riskant bzw. kann in die Zeit gehen. Ich meine, man kann von ausgebildeten Physiker erwarten, mit dem Mentor in den Dialog zu treten und offene Fragen und Risiken individuell zu klären.
Bezüglich “instrumentellen Dominanz” ist zu beachten, dass wir erst seit wenigen Jahren im sog. “goldenen Zeitalter der Astronomie” leben. Vorher waren wissenschaftliche Arbeiten stärker von analytischen Betrachtungen beeinflusst. Was hilft schon ein Mount Palomar, wenn sich 100 Leute darum reißen…
Gruß, Thomas
Goldenes Zeitalter
Hallo Thomas,
bei einer “oversubscription” von 100:1 wird beobachtende Astronomie in der Tat schwierig, oder sagen wir: zum Glückspiel für die individuelle Karriere der Astronomen. Im Moment sind wir optisch/Infrarot beobachtende Astronomen Europas da wirklich in einem goldenen Zeitalter. Aber man kann jetzt schon sehen, wohin die Reise geht: Bei ALMA gibt es in Europa einen extremen Andrang von etwa 10:1 (dabei ist es noch nicht mal fertig), so dass sehr viele gute Proposals abgelehnt werden müssen. Beim E-ELT wird es vielleicht noch extremer…
Das wird die astronomische Community und — um zum Thema des “Bloggewitters” zurückzukommen — die Reproduzierbarkeit von Ergebnissen vermutlich verändern. Schon jetzt ist es äußerst schwierig am VLT Zeit für Wiederholungen zu bekommen, wenn man den ursprünglichen Beobachtungen nicht glaubt. Am E-ELT wird das nicht einfacher werden. Wahrscheinlich entwickelt sich die Astronomie dann mehr in Richtung Kernphysik mit wenigen sehr großen Teams.
Grüße,
Leonard
Hi Leonard! 100:1 gibt es nicht. Wir bewegen uns bei den größten Teleskopen inkl. Hubble bei 6:1 bis 10:1. Aber wer sagt, dass für gute Wissenschaft große Teleskope nötig sind? Das goldene Zeitalter hat nicht nur große Optiken geliefert. Moderne Forschung beschränkt sich nicht auf Urknall und Exoplaneten. Es geht auch ohne “Hurra-Wissenschaft”.
Thomas
Hurra-Wissenschaft
Hallo Thomas,
wir sind uns einig, dass Forschung nicht nur aus “Hurra-Wissenschaft” bestehen kann. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es wirklich ganz ohne geht. Nicht so sehr für den wissenschaftlichen Fortschritt, aber zur Begeisterung der (zahlenden) Massen! Wieso war und ist denn das Hubble-Weltraumteleskop so ein großer Erfolg? Weil es schöne Bilder liefert, von Exoplaneten und von fernen Galaxien. Das wollen die Leute eben sehen.
Und man darf sich da keiner Illusion hingeben: Auch in der Fachwelt, etwa auf Konferenzen, hat man es einfacher, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wenn man plakative Ergebnisse, schöne Bilder oder gar Videos (Simulationen) vorweisen kann.
Grüße,
Leonard
P.S. Die “100:1” habe ich nur aus Deinem vorletzten Kommentar zitiert. Natürlich ist die oversubscription bei den derzeitigen Teleskopen im einstelligen Bereich.
Na ja, Leonard, nur gut, dass die zahlende Masse nicht die Verteilung von festen Wissenschaftsstellen entscheidet. Aufmerksamkeit (auch auf Konferenzen) macht eben noch keine Nachhaltigkeit wissenschaftlichen arbeitens. Wer hier nun einer Illusion unterliegt, lasse ich mal im Raum stehen. In weiten Bereichen teile ich Deine Einschätzungen einfach nicht und finde sie zweifelhaft.
Gruß, Thomas
Aufmerksamkeit
Hallo Thomas,
dass Aufmerksamkeit mit wissenschaftlicher Nachhaltigkeit gleichzusetzen wäre, habe ich nirgendwo behauptet. Meine Behauptung war lediglich, dass man — auch in der wissenschaftlichen Fachwelt — mehr Aufmerksamkeit erreicht, wenn man plakative Ergebnisse vorzuweisen hat.
Grüße,
Leonard
P.S. Bist Du eigentlich auch Postdoc in der Astronomie? Kennen wir uns?
Hallo Leonard, eigentlich hatte ich alles für mich Notwendige gesagt. Deiner letzten Aussage stimme ich auch durchaus zu „… dass man mehr Aufmerksamkeit erreicht, wenn man plakative Ergebnisse vorzuweisen hat.“ Ich meine lediglich, dass es ein Irrglaube ist, sich auf „plakative Ergebnisse“ und „ein bisschen Frechheit“ verlassen zu können um eine wissenschaftliche Stelle zu erhalten. Dazu braucht es Grund- und Spezialwissen, Beharrlichkeit, Teamgeist und Selbstkritik (um nur einige zu nennen). Die Mehrheit aller exzellenten Spitzenforscher hat niemals ein plakatives Ergebnis erhalten. Die werden u.U. in den Medien nicht so bekannt, wirken als „stille Stars“ aber durchaus zentral.
Danke für den Austausch und Gruß, Thomas
Wissenschaftliche Karriere
Lieber Thomas, ich denke, wir sind uns in den meisten Punkten einig — nur bin ich etwas irritiert, dass Du mir Worte / Gedanken in den Mund legst, die ich nicht gesagt habe. Meine Aussage war, dass man jenseits der von Dir beispielhaft genannten Qualifikationsmerkmale eben noch andere “Qualifikationen” benötigt, um erfolgreich eine Karriere in der Wissenschaft zu bestreiten. “Stille Stars” werden heute nur noch maximal zwölf Jahre befristet beschäftigt.
Grüße,
Leonard