Ein Tag (eine Nacht) auf Mount Graham
BLOG: Promotion mit Interferenzen
Protokoll, eines ganz normalen Astronomen-Tages am LBT
Gestern, gegen 12.30 Uhr: Ich stehe auf, dusche, frühstücke. Im ersten Stock des LBT-Gebäudes sind sowohl die Küche, der Kontrollraum als auch die Betten angesiedelt. Im Gegensatz zum VLT, wo man rund um die Uhr mit Essen versorgt wird, wenn man möchte, muss man am LBT selbst kochen. Dabei merkt man dann übrigens recht deutlich, dass man sich auf über 3000 Meter Höhe befindet: Wasser kocht hier wegen des geringeren Luftdrucks schon bei knapp 90 Grad Celsius und entsprechend braucht alles etwas länger, bis es weich ist. Ansonsten merke ich von der Höhe nicht viel. Ich atme etwas tiefer als normal und bei meinen kleinen Wanderungen den Berg runter und hoch komme ich mehr ins Keuchen als sonst.
Die Personalausstattung am LBT sehr viel geringer als am VLT. Derzeit sind tagsüber lediglich der Teleskopmanager Kevin und die Ingenieurin Jenny im Einsatz. Die Nachtcrew besteht aus unserem Teleskop-Operator Steve Allanson, meinem italienischen Beobachter-Kollegen Paolo Bianchini und mir.
Am Nachmittag lege ich mich entweder nochmals hin, um die Nacht gut durchzustehen oder mache einen kurzen Spaziergang, um wenigstens einmal am Tag frische Luft und Sonne zu haben…
Um 17:30 Uhr ist die Übergabe des Teleskops von der Tag- zur Nacht-Crew. Bis dahin hat Jenny bei den kryogenen Instrumente den flüssigem Stickstoff nachgefüllt und verschiedene Tests am Teleskop ausgeführt. Paolo und ich legen uns einen Beobachtungsplan zurecht, bei dem viele (teils noch unbekannte) Faktoren einfließen: Priorität haben die Beobachtungsprogramme, die ein Komitee als wissenschaftlich am wichtigsten eingestuft hat. Darüber hinaus muss aber auch beachtet werden, dass manche Programme bestimmte Beobachtungsbedingungen benötigen. So gibt es Programme, die ein bestimmtes Seeing (Luftunruhe) verlangen (z.B. besser als 1 Bogensekunde), welche die nur in der dunklen Zeit (also ohne Mond am Himmel) beobachtet werden können und darüberhinaus gibt es Anforderungen an die Durchsichtigkeit des Himmels. Manche Programme lassen sich noch bei leichter Cirrus-Bewölkung durchführen, andere benötigen so genannte “photometrische” Bedingungen, bei denen dann kein Wölkchen am Himmel sein darf. Dazu muss man natürlich bedenken, dass astronomische Objekte nur eine begrenzte Zeit am Himmel sichtbar sind. Man gewöhnt sich recht schnell daran, mithilfe der Koordinaten der Objekte (Rektaszension und Deklination), der aktuellen Sternzeit (die im Kontrollraum angezeigt wird) und der geographischen Breite des Observatoriums auszurechnen, wann und wie lange eine Galaxie oder ein Sternhaufen zu sehen sind.
Nach der Vorbereitung für die Nacht kochen wir uns ein kleines Abendessen und schauen dabei die Stanley-Cup Playoffs an, denn unser kanadischer Teleskopoperator ist großer Eishockey-Fan (und heute vielleicht ein bisschen niedergeschlagen, weil Montreal schon wieder gegen die New York Rangers verloren hat).
Um 19:22 Uhr ist Sonnenuntergang und die Teleskopkuppel wird geöffnet, wenn das Wetter gut ist (gestern war das leider nicht der Fall). Das heißt: nicht zu viel Wind, wenig Wolken und vor allem keine Regenwolken.
Der relevante Zeitpunkt für die Beobachtungen ist aber nicht der Sonnenuntergang, sondern die astronomische Dämmerung (20.54 Uhr Lokalzeit). Normalerweise startet man etwa eine halbe Stunde vor diesem Zeitpunkt und fährt das Teleskop auf die passenden Koordinaten. Um das Sternen- oder Galaxien-Licht präzise auf dem Detektor des Instruments zu halten, verwenden moderne Teleskope Leitsterne, anhand derer sie ihre (um die Erddrehung korrigierte) Position ständig nachjustieren. Wenn es dunkel genug ist, dass der Leitstern für das Teleskop sichtbar wird, beginnen die Beobachtungen.
Um 21:56 Uhr sind die Wolken endlich verschwunden. Die Kuppel wird geöffnet und wir fahren das Objekt an. Da wir im Kontrollraum direkt unter dem Teleskop sitzen, hört und spürt man wie sich das Teleskop bewegt. Im ganzen Raum vibriert und knarrt es, während sich über uns 520 Tonnen Metall und Glas bewegen.
Im ersten Beobachtungs-Programm wollten wir einen weit entfernen Galaxienhaufen spektroskopieren, der zuvor im Röntgenlicht detektiert worden war. Mithilfe der optischen Spektroskopie am LBT sollte die Rotverschiebung der Galaxien genau bestimmt werden, um dann daraus eine Entfernung zu berechnen. Ohne eine genaue Entfernung kann man weder die Leuchtkräfte der Galaxien bestimmen noch die Galaxien in der kosmologischen Entwicklung genau einordnen. Das Programm benutzt das Instrument MODS und benötigt eine Maske, um in einem Feld voller Galaxien die Spektren einiger genau bestimmen zu können. Diese Maske (etwa eine dünne Aluminumplatte mit gelaserten Schlitzen) muss selbstverständlich genau an die Objekte ausgerichtet werden, damit man nicht nur den leeren Himmel beobachtet… Dazu benötigt man eine spezielle Software, die gestern leider nicht richtig funktionierte. Wir haben dann eine Weile versucht, die Software zum Laufen zu bringen, aber nachdem es einige Zeit nicht funktioniert hat, haben wir das nächste Objekt angefahren.
Um 23:01 Uhr fahren wir zu einer anderen Quelle, diesmal einen einzelnen, ebenfalls hoch rotverschobenen Quasar, bei dem die genaue Rotverschiebung bestimmt werden soll. Dieser Quasar ist zuvor bei Radio-Beobachtungen entdeckt worden — damit handelt es sich um eine andere Klasse von Galaxie als der im Röntgenlicht entdeckte Galaxienhaufen. Bei dieser Beobachtung läuft alles glatt. Wir nehmen ein so genanntes “Acquisition”-Bild (zur Erfassung des Objekts), zentrieren es im spektroskopischen Spalt und belichten dann eine gute Stunde lang. In dieser Zeit kann man sich seinen anderen Aufgaben widmen und E-Mails bearbeiten, Papers lesen (oder schreiben), Daten analysieren (oder Eishockey anschauen).
Um 1:27 Uhr sind wir mit diesem Programm fertig und wollen das Instrument wechseln. Das nächste Programm soll mit LUCI, dem Nahinfrarot-Spektrographen, durchgeführt werden. Dazu muss das Teleskop zunächst in die Zenitposition gebracht werden, dann wird der Tertiärspiegel eingefahren und so ausgerichtet, dass das Licht in das Instrument LUCI fällt.
Um 1:45 Uhr ist alles für LUCI eingerichtet und wir fahren das Teleskop auf den Kugelsternhaufen M5. Diese Daten sind für meinen Beobachter-Kollege Paolo Bianchini besonders interessant, denn er wird sie für seine Doktorarbeit benötigen, bei denen er die Dynamik von Kugelsternhaufen bestimmt. Die Sterne in Kugelsternhaufen sind alle fast zur selben Zeit entstanden. Aber eben nur fast. Wenn man genauer hinsieht, bemerkt man, dass es zwei Populationen gibt, die im Abstand von einigen Millionen Jahren “geboren” worden sein müssen. Paolo möchte untersuchen, ob diese beiden Sterngenerationen im Kugelsternhaufen unterschiedlich verteilt sind. Daraus können dann Rückschlüsse über die Entstehung der beiden Generationen gemacht werden — und letztlich die Entstehung von Kugelsternhaufen besser verstanden werden. Diese Beobachtung verläuft ebenfalls ohne größere Zwischenfälle.
Um 2:39 Uhr, eine knappe Stunde vor der astronomischen Morgendämmerung, wenden wir uns dem letzten Programme zu, einer Beobachtung von meinen Kollegen am MPE. Dabei geht es wieder um einen Galaxienhaufen, diesmal bei einer Rotverschiebung von etwa 1,5. Von diesen Galaxien sollen Emissionslinien und -verhältnisse gemessen werden. Daraus kann man dann zum Beispiel rückschließen, ob das Licht der Galaxie von Sternentstehung oder von einem aktiv akkretierenden schwarzen Loch dominiert ist. Dazu müssen wir in LUCI die Kugelsternhaufen-Maske entfernen und eine neue, für diesen Galaxienhaufen zugeschnittene, Maske einfügen. Da das Instrument aber bei etwa -200 Grad Celsius arbeitet, geht das nicht von Hand. Stattdessen gibt es einen Roboter in dem Instrument, der die Masken aus der Fokalebene entfernt und in ein Kabinett zurücklegt, bevor er eine neue Maske einsetzt. Das hat die letzten Tage gut funktioniert, doch dieses Mal, um 2:45 Uhr, bleibt die Maske stecken.
Jetzt müssen wir vor Ort eine Entscheidung treffen, was zu tun ist. Unsere Optionen sind
a) Ingenieur in Tucson anrufen, der sich dann in das Computersystem einloggt und versucht, die Maske mit komplizierteren Steuerbefehlen zu entfernen, als sie uns von unserem Kontroll-Panel aus möglich sind. Wenn das klappt, hätte es natürlich den Vorteil, dass wir das Programm noch wie geplant durchführen könnten. Es ist aber unklar, wie lange es dauert.
b) Zurück wechseln zu MODS und damit weiter beobachten. Damit verlieren wir sicher ca. 15 Minuten an Zeit, die es kostet den Wechsel durchzuführen. Außerdem haben wir für MODS nur ein kurzes Programm am Ende der Nacht und könnten die Zeit nicht voll nutzen.
Wir entscheiden uns für a) und wecken den armen Ingenieur mit unserem Anruf um kurz vor 3 Uhr auf… Leider ist das Problem allerdings nicht so schnell lösbar. Da kurz vor der astronomischen Dämmerung dann auch noch Wolken aufkommen, schließen wir. Je nachdem, was beobachtet worden ist, müssen noch Kalibrationen in der Dämmerung durchgeführt werden (so genannte “sky flats”). Das ist heute aber wegen der Wolken nicht möglich. Wir erstellen eine Liste der Kalibrationen, die wir für die zwei beobachteten Programme benötigen und starten diese.
Um kurz vor 5 Uhr gehe ich ins Bett.