Die Reise beginnt – Santiago de Chile

BLOG: Promotion mit Interferenzen

Auf dem Weg zum Profi-Astronomen
Promotion mit Interferenzen

Frankfurt am Main Flughafen, Sonntag, 23:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit: Die Boeing 747 hebt ab zum Flug LH 506 mit Ziel São Paulo, Brasilien, das ich nach ruhigem Flug und etwa 12 Stunden Flugzeit in der ausgebuchten Economy-Klasse erreiche. In São Paulo wechsle ich den Flieger und es geht in gut vier Stunden quer über Argentinien und vor allem über die fast 7000 Meter hohen Anden, vorbei am höchsten Berg außerhalb Asiens, dem Aconcagua, zum Aeropuerto Arturo Merino Benitez in Santiago de Chile.

Santiago de Chile, Montag, 10 Uhr Ortszeit: Am Flughafen sind überall Warnschilder, dass man ja keine Lebensmittel nach Chile importieren darf. Die Chilenen sind nämlich sehr darauf bedacht, dass keine Schädlinge nach Chile gebracht werden und beschränken daher stark, was man mitbringen darf: Frisches Obst, sowie Milchprodukte, natürlich auch Fleisch und lebende Tiere müssen angemeldet werden bzw. sind von der Einfuhr ausgenommen. Die Zeitverschiebung zwischen Chile und Deutschland beträgt derzeit übrigens 6 Stunden, da in Deutschland Sommerzeit ist und in Chile gerade der Winter anbricht (der aber mit Sonnenschein und T-Shirt-Wetter nach europäischen Verhältnissen immer noch sehr sommerlich ist). Im chilenischen Sommer beträgt der Zeitunterschied nur 4 Stunden. Wunderbare Welt der Südhemisphäre…

Am Flughafen werde ich von einem Taxi-Fahrer mit blauem ESO-Schild erwartet. In rasanter Fahrt geht es in den guten Santiagoer Stadtteil Las Condes zum ESO-Gästehaus, wo "visiting astronomers" wie ich einen kurzen Zwischenstopp einlegen, bevor es weitergeht zum Observatorium. Aber auch ESO-Personal ist hier oft anzutreffen…

Im ESO-Gästehaus mache ich mich nach der fast eintägigen Reise erstmal frisch. Knapp 24 Stunden brauchte ich um die gut 12 000 Kilometer von meiner Haustüre in Deutschland zum ESO-Gästehaus in Santiago de Chile zu reisen. Im Laufe des zwölfstündigen Flugs, träumte ich vom Fliegen mit Überschallgeschwindigkeit… Wenn ich dann aber in Büchern lese, wieviele Wochen Menschen wie der Erforscher der Atacama-Wüste Taddhäus Haenke im 18. Jahrhundert brauchten, um aus Europa nach Chile zu reisen, bin ich fasziniert, heute in nur einem Tag ans andere Ende der Welt reisen zu können.

Auch wenn mein Biorhythmus schon "Abend" sagt, steht nun das Mittagessen zusammen mit einem guten chilenischen Cabernet Sauvignon im Speisesaal bereit.

Nach dem Essen lege ich mich erstmal ein paar Stunden hin, um bis zum Abend durchzuhalten. Da ich zunächst zwei Tage (danach: Nächte!) in Chile verbringen werde, entschließe ich mich dazu, mich erstmal an die chilenische Tageszeit zu gewöhnen. Ab Mittwoch werde ich dann wohl in der chilenischen Nacht wach sein. Das Observatorium ist dafür auch gut ausgerüstet: Um Mitternacht kann man sich Essen zum Observatorium liefern lassen und nach den Beobachten steht bereits kurz vor Sonnenaufgang das Frühstück (Abendessen) bereit…

Wieder wach, gehe ich noch ein klein wenig in dem herbstlichen Santiago spazieren, hebe ein paar Tausend Pesos vom Geldautomaten ab (1 Euro = 710 chilenische Pesos) und setze mich zum Lesen ins Gästehaus.

Beim Abendessen sitze ich zusammen mit zwei Leuten von der ESO, darunter dem neuen Interims-Direktor von ALMA, Thijs de Graauw. Das Atacama Large Millimeter Array (ALMA) ist eines der vielen faszinierenden Teleskop-Projekte unserer Zeit: Wenn es im Jahr 2012 fertig gestellt sein wird, wird ALMA aus 66 Teleskopen (in ALMA-Sprache "Antennen") bestehen, 50 zwölf Meter großen und einigen sieben Meter großen.

Diese Teleskope sind aber keine gewöhnlichen optischen Teleskope, sondern empfindlich für Strahlung mit Wellenlängen im Bereich von 0,3 mm bis 10 mm, einem Bereich den man sowohl als Verlängerung der Radioastronomie sehen kann, die klassischerweise bei cm-Wellenlängen anfängt, als auch als Verlängerung der Infrarot-Astronomie, die im Fern-Infrarot bis zu mm-Wellen reicht. ALMA wird derzeit auf dem Llano de Chajnantor, einem über 5000 Meter hoch gelegenem Plateau in der Atacama-Wüste, gebaut. Die Höhe zusammen mit der Trockenheit der Atacama-Wüste sind notwendig, damit die mm-Wellen nicht in der Atmosphäre absorbiert werden. Aber die große Höhe bringt natürlich auch Schwierigkeiten mit sich: Nicht jeder kann in so großen Höhen arbeiten, weswegen auch für Besucher ein medizinischer Test gefordert wird, bevor sie dort hin kommen. Diese einmaligen Bedingungen werden daher auch dafür genutzt, um die "Acute Mountain Sickness" besser zu verstehen.

Um in so großer Höhe dann auch noch körperlich arbeiten zu können, haben etwa die Kabinen der 130 Tonnen schweren Transporter einen höheren Luftdruck. Die kollossalen Transporter sind notwendig, damit man die fast ebenso schweren Teleskope an verschiedene Positionen fahren kann, um damit sozusagen ein "Zoom"-Teleskop zu haben.

Die beiden ALMA-Wissenschaftler meinten, es sei ein absolut faszinierender Platz, den es sich wohl auch schon jetzt zu besichtigen lohne, denn es handle sich um die höchstgelegene Großbaustelle der Welt. Ich werde in den nächsten Tagen mal sehen, ob ich es irgendwie einrichten kann, nach meiner "mission", wie die Beobachtungsreise bei der ESO heißt, noch einen Abstecher zum ALMA-Gelände machen zu können…

Jetzt aber erst mal Gute Nacht bzw. einen schönen Dienstag aus Santiago!

Update (15. April 2008): Ob ich ALMA besichtigen kann, ist leider ziemlich unsicher. Es ist noch nicht klar, ob ich einen Gesundheitstest dafür machen muss oder nicht, außerdem ist unsicher, ob jemand Zeit hätte, mir da oben etwas zu zeigen. Laut Thijs de Graauw arbeiten zwar derzeit etwa 400 (!) Leute dort oben, aber die meisten sind Bauarbeiter, die Astronomen sind großteils in Santiago.

Außer weiteren Beobachtungsvorbereitungen habe ich heute auch einen kurzen Rundgang durch Santiago genommen. Einen kurzen Eindruck davon sowie einige Bilder habe ich auf meine private Website gestellt. Morgen werde ich um 5:40 Uhr vom Taxi abgeholt, im Morgengrauen geht es dann mit LAN Chile in die Wüste…

Update (21. April 2008): Im Moment sieht es ganz danach aus, dass ich zumindest APEX, das Atacama Pathfinder EXperiment, besichtigen kann. APEX ist ein 12-Meter-Radioteleskop mit einem leicht veränderten Prototyp der ALMA-Antennen. Es steht auf derselben Hochebene wie ALMA.

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Nach dem Studium der Physik in Würzburg und Edinburgh, habe ich mich in meiner Diplomarbeit mit der Theorie von Blazar-Spektren beschäftigt. Zur Doktorarbeit bin ich dann im Herbst 2007 nach Heidelberg ans Max-Planck-Institut für Astronomie gewechselt. Von dort aus bin ich mehrere Male ans VLT nach Chile gefahren, um mithilfe von Interferometrie im thermischen Infrarot die staubigen Zentren von aktiven Galaxien zu untersuchen. In dieser Zeit habe ich auch den Blog begonnen -- daher der Name... Seit Anfang 2012 bin ich als Postdoc am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching im Norden von München. Dort beschäftige ich mich weiterhin mit Aktiven Galaxien und bin außerdem an dem Instrumentenprojekt GRAVITY beteiligt, das ab 2015 jeweils vier der Teleskope am VLT zusammenschalten soll.

1 Kommentar

  1. ALMA

    Hallo,

    man darf also gespannt auf die Fortsetzung sein. ALMA ist sicher eines der faszinierendsten Projekte, die derzeit realisiert werden. Wenn man mal in den Hallen stand (bei Scheuerle), in denen die Transporter gefertigt wurden bekommt man eine Ahnung von den Lasten, die da bewegt werden. Auf dem Hof stehen “Prüfgewichte” bis 500t rum, nett, wenn man davor steht.

    Selbst derzeit mit einer Großbaustelle in good old germany betraut juckt es einen schon in den Fingern …

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