Wie wir leichter lernen: Impulse für Lernende, Lehrende und Schreibende

Michaela Brohm-Badry

Lernen ist eine Verhaltensänderung durch gemachte Erfahrungen, die möglichst dauerhaft sein soll. Und für diese Dauerhaftigkeit sorgt unser Gedächtnis mit seinen vielfältigen Speichermöglichkeiten. Die Verbindung von Faktenwissen, Erzählung und Versuchshandlung bietet dem Gedächtnis eine optimale Grundlage, unser Wissen anhaltend zu speichern

Ist es Lernen oder Leichtigkeit? Information oder Unterhaltung? Theorie oder Erfahrung? Wir denken oft in strukturierenden Kategorien. In meinem neuen Buch verbinde ich fachliche und erzählende Aspekt, denn es scheint aus lerntheoretischer Perspektive nicht sinnvoll, die verschiedenen Gedächtnisanteile voneinander abzugrenzen: Wir denken und behalten nicht rein fachlich, rein verlaufsbezogen-erzählerisch, rein handlungsbezogen. Vielmehr speichern wir Informationen ganzheitlich.

Der Langzeitspeicher unseres Gedächtnisses weist, so die bis heute federführende Theorie des kanadischen Psychologen Endel Tulvin (1985), drei Bereiche auf, die miteinander verbunden sind: Das episodische Gedächtnis, das semantische Gedächtnis sowie das prozedurale Gedächtnis.

  • Das episodische Gedächtnis speichert räumlich und zeitlich erinnerbare Ereignisse (meist des eigenen Lebens), die bewusst erinnert und genutzt werden können.
  • Das semantische Gedächtnis speichert theoretisches Wissen ohne Bezug zu bestimmten Lebensereignissen (z. B. Hauptstädte von Ländern, die man selbst nie besucht hat). Auch dieses Wissen kann bewusst erinnert und genutzt werden.
  • Das prozedurale Gedächtnis speichert hingegen eher unbewusstes Wissen und unbewusste Fertigkeiten, die zwar genutzt, aber nur schwerlich verbalisiert werden können – wie zum Beispiel das Spielen eines Instruments oder eine beherrschte Sportart.

Da die ersten beiden Formen bewusst abrufbar und sprachlich darstellbar sind, werden sie häufig auch als „deklaratives Gedächtnis“ zusammengefasst – also als die Gedächtnisanteile, die sprachlich darstellbar eine eigene Wirklichkeit herstellt.

Wichtig sind hier die Befunde über Gedächtnisstörungen (Amnesien), die diese Gedächtnisstruktur belegen: Hat ein Mensch beispielsweise durch einen Unfall eine Amnesie, so ist häufig nur das deklarative, oft auch nur das im deklarativen liegende episodische Gedächtnis gestört, das prozedurale funktioniert aber häufig noch: Der betroffene Mensch kennt seine eigene Geschichte nicht mehr, kann aber noch Klavier oder Fußball spielen, tanzen oder singen.

Um Lernprozesse und die damit verbundenen Gedächtnisleistungen optimal anzuregen, wäre es also gut, alle drei Gedächtnisspeicher zu stimulieren: Sich also Wissen anzueignen, eine Geschichte im zeitlichen Verlauf einzubinden und für das prozedurale Gedächtnis Versuchshandlungen auszuführen, welche die eigenen Fähigkeiten ausbauen. Das prozedurale Gedächtnis (Handlungen) nicht im Lehr-Lern-Kontext, sondern schreibend beim Leser anzuregen ist schwierig, für die ersten beiden Speicherarten verbinde ich in meinem Buch aktuelle Befunde der Positiven Psychologie mit autobiographischen Erzählteilen.

Nutzen können wir die obige Erkenntnis sowohl für eigene Lernprozesse als auch für das Arbeiten mit Schülerinnen und Schülern:

  • Das eigene Lernen lässt sich stimulieren, indem wir fachliche Inhalte mit eigenen Geschichten verknüpfen und möglichst viel selbst handelnd ausprobieren.
  • Bei Lehr-Lern-Prozessen in Schulen, Hochschulen oder Weiterbildungen können wir als Lehrende fachliche Inhalte (semantisches Gedächtnis) an die Geschichte ihrer Entdeckung, eigene Erzählungen oder Erfahrungen (episodisches Gedächtnis) binden sowie auch den Lernenden möglichst viele Gelegenheiten bieten, Primärerfahrungen mit dem Lerngegenstand zu machen indem wir sie beispielsweise experimentieren lassen, ihnen Gegenstände mitbringen, mit denen sie etwas tun können, außerschulische natürliche oder kulturelle Lernorte aufsuchen u.a. (prozedurales Gedächtnis).

Lernen wird also erleichtert durch eine Kombination aus Wissen, Erzählung und Handeln. Andres als Lehrpersonen, die in der direkten Interaktion mit dem Lernenden stehen, können Autorinnen und Autoren das prozedurale Gedächtnis der Leser/innen wohl nur anregen, indem sie schreibend zu Handlungen ermutigen. Diese Ermutigung habe ich in meinem Band über das Glück ganz im Sinne Demokrits versucht: Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.

Literatur
Bredenkamp, Jürgen (2019). Gedächtnis. In M. A. Wirtz (Hrsg.), Dorsch – Lexikon der Psychologie.

Brohm-Badry, Michaela (2019). Das gute Glück. Wie wir es finden und behalten können. EcoWin

Tulving, Endel (1985). How many memory systems are there? American Psychologist, 40, 385–398.

Website Brohm-Badry

Das Gute Glück (amazon)

Website Brohm-Badry Universität Trier

Foto: Shotshop.com

Prof. Dr. Michaela Brohm-Badry ist Lernforscherin an der Universität Trier mit den Schwerpunkten Motivation und Positive Psychologie, Autorin und Keynote Speaker. Sie ist Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Positiv-Psychologische Forschung (DGPPF).

10 Kommentare

  1. Es gibt schon seit “gefühlten Ewigkeiten” didaktische bzw. psychologisch- neurologische Forschung zum Thema Didaktik und Methodik des Lehrens bzw. des individuellen Lernens.
    Trotzdem werden in vielen Ländern (mal von den technischen Hilfsmitteln abgesehen) noch nahezu dieselben didaktischen /pädagogischen “Methoden” angewendet, wie im Deutsch- wilhelminischen Kaiserreich. Die halten das offenbar immer noch für (in mancher Hinsicht) effizienter oder zumindest für “ökonomischer”.
    Ist das nicht seltsam ? Was ist Ihre Meinung dazu?

  2. “Lernen ist einer Verhaltensänderung durch gemachte Erfahrungen…”
    Ich denke, dass unser Gehirn gar nichts anderes kann als LERNEN da es (nur) der Reizverarbeitung dient. Für mich gibt es das explizite und das implizite Lernen.
    Explizit in dem Sine, dass über das Bewusstsein (Fokussierung) Fakten (Wissen) gelernt wird . Beim impliziten Lernen laufen im Unterbewusstsein automatische Prozesse der Reizbewertung incl. der dazugehörigen Assoziationen ab und werden mit Gefühlen abgespeichert. Ankommende Reize triggern automatisch bestehende Bewertungsmuster und führen zu neuen “Erfahrungen” die dann neue neuronale Schaltkreise bilden, was in der Regel unbewusst passiert. Wir “lernen” also über bereits bestehende Erfahrungen neue Erfahrungen (neues Erleben),was in der Regel schneller passiert wenn wir eine Bewusstseinserweiterung im Sinne von einem höheren Grad an Wachheit/Erregung haben. Letzteres ist mit einer erhöhten Ausschüttung von Adrenalin ,Noradrenalin etc. verbunden, was die Fokussierung(LERNEN) stimuliert.

  3. Liest sich gut, danke für den Hinweis auf das Buch.
    Individuelles Lernen ist eine faszinierende Angelegenheit, Dr. Webbaer hat eigentlich nur dann gelernt, wenn ihn etwas interessiert hat oder etwas ihn interessiert hat, also wenn das Interesse, das Dazwischensein, ihm aufgenötigt worden ist.
    Motivation kann bei ihm nicht sozusagen künstlich, überredend entstehen.

    Mit freundlichen Grüßen + eine schöne Woche!
    Dr. Webbaer

    PS:

    *
    And[er]s als Lehrpersonen, die in der direkten Interaktion mit dem Lernenden stehen

  4. Das Lernniveau sinkt. Das ist Fakt.
    Die Ursachen sind bekannt, zuviel Ablenkung über die Medien und der sinkende Stellenwert von Kultur innerhalb der Gesellschaft.
    Lehren muss gelernt werden und ist zum Teil auch Begabung.
    Jeder weiß das, bei dem einen Lehrer hat man viel gelernt bei dem anderen weniger.

    little Louis,
    was du bedauerst, das ist leider nicht zu ändern. Wenn ein Schüler eine Differentialgleichung verstehn will, dann geht das nicht auf Befehl, auch nicht mit der größten Motivation, es geht nur , wenn du (dein Gehirn) über das notwendige Abstraktionsvermögen verfügt. Auf deutsch, Intelligenz kann man nicht erlernen.
    Wenn jetzt irgendjemand von modernen Lernmethoden spricht, dann macht er sich nur wichtig. Das Lernen, das selbständige Erlernen, ist mühevoll und wird es immer bleiben.
    Der Computer hilft dir nur , wenn es um Animationen geht, wenn Versuche optisch dargestellt werden, was der Lehrer in seinem kleinen Labor nicht kann.

  5. @ Fliegenklatsche

    Man musszwar, um in absrakten (z.B. mathematische) Codes denken zu können, eine (wahrscheinlich neurologisch basierte ) Fähigkeit dazu besitzen. Ob nun vollständig genetisch “fixiert” oder nachträglich noch (variabel) formbar.

    Aber:
    Intellektualität ist nicht unbedingt auf eine mathematische Spezialbegabung angewiesen. Möglicherweise sind andere neurologische Mechanismen (eventuell auch mit Sprachbegabung zusammenhängend oder auch nur ein besser funktionierendes Kurzzeitgedächtnis betreffend- oder beides –
    – gleich wichtig oder noch wichtiger.

    Und: Was (auch hochintellektuell abstrahiert) ÜBERHAUPT GESAGT werden kann, das kann auch in der klaren Standardsprache gesagt werden.

    Die gelegentliche Behauptung, man könne gewisse (angeblich hochkomplexe) Aspekte der Welt nur mit/bei Beherrschung von kompexen Differenzialgleichungen verstehen , ist ein leicht zu durchschauendes Nebelwerferargument zur Immunisierung vor eventuell lästiger Kritik.

  6. “Wir denken und behalten nicht rein fachlich …”

    Ja, das wäre schön, dann hätten wir nicht so viele funktionalisierte “Wasserträger”, Zombies, Arme, Verlierer, Fachidioten, bzw. vor der Symptomatik des zeitgeistlich-kreislaufenden Systems leichtfertig-kapitulierende Menschen – man muss aber auch verstehen, dass die Ganzheitlichkeit dieses Systems von und zu gebildeter Suppenkaspermentalität geprägt ist/wird.

    “Dumm wird man nicht geboren, dumm wird man gemacht”, jedenfalls solange bis Mensch (ALLE!) sich gegen den geistigen Stillstand und das “gesunde” Konkurrenzdenken im nun “freiheitlichen” Wettbewerb zusammen tut und …

  7. fliegenklatsche: “Intelligenz kann man nicht erlernen”

    Da irrst Du gewaltig.

    Das was Du Intelligenz nennst, ist stumpf- wie blödsinnig begrenzt im Rahmen der Systemrationalität des Zeit-/Leistungsdrucks zu einer Karriere von Kindesbeinen – es gibt also nicht nur Konsum- und Profitautisten!?

  8. hto,
    der Intelligenzbegriff kann verschieden aufgefasst werden. Da hast du Recht. Ich habe hier mal die systemrationale Auffassung verwendet die man mit dem IQ messen kann.
    Das meinst du mit intelligent nicht. Wenn uns die “Intelligenten” an den Abgrund geführt haben mit Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung, Bodenverschmutzung, Geistverblödung dann stimmt etwas mit dem IQ nicht.
    Es fehlt die Moral. Die gehört auch zur Intelligenz, und es fehlt die Aufrichtigkeit . Meine Unterstützung hast du.

    little Louis,
    das Beispiel mit der Differentialgleichung war ein Totschlagargument von mir. 99 % der Weltbevölkerung haben noch nie etwas davon gehört.
    Ich wollte sagen, dass die Fähigkeit etwas zu lernen nur zum Teil erlernt werden kann.
    Musikalität kannst du nur teilweise erwerben.
    Guten Geschmack kannst du nur nachahmen. Ein Trendsetter kannst du nicht werden, wenn dir das Gespühr dafur fehlt.

    Brohm-Badry,
    Sorry, Ihren Optimismus bezüglich des Lernens teile ich nicht.
    Den Unterschied zwischen modernen Schulbüchern und den alten Schulbüchern findet man hauptsächlich in der Aufmachung. Glanzpapier, viele bunte Bilder und (zugestandenermaßen) bessere Übungen.
    Ich selbst habe mir ältere Ausgaben für Physik aufgehoben, weil ich deren Erklärungen besser den Kindern und deren Vorstellungswelt angemessen finde. (darüber laßt sich streiten)

  9. Was ist Intelligenz ?
    Bin ich intelligent, wenn ich alle Kochshows im Fernsehen ansehe oder wenn ich Zitate von Boris Becker kenne ? Oder wenn ich Goethe zitiere und einen Porsche selbst auseinander baue ? Die Gesellschaft produziert ihre “Intelligenten” täglich neu. Voraussetzung ist wohl die Fähigkeit zum schnellen assoziieren und kombinieren im Sinne seiner egoistischen Selbst-Verwirklichung. Die Gesellschaft/das System gibt also die Rahmenbedingungen für Intelligenz vor, in dem sie Leistung fordert für die man sich qualifizieren muss, was mit LERNEN verknüpft ist.

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