Initialzündung: Wie Menschen sich motivieren
BLOG: Positive Psychologie und Motivation
Michaela Brohm
Ich hoffe, es geht meiner Motivation gut, da wo sie jetzt ist. So ähnlich hieß der Spruch, der kürzlich auf Facebook auftauchte. Leider finde ich nicht raus, von wem er stammt, aber er spornt mich dazu an, heute hier zu erzählen wo sie vermutlich ist, ob es ihr dort gut geht, und wie man sie zurückholt. Zum Beispiel mit dem simpelsten Motivationstrick seit Menschengedenken.
Also ich vermute stark, die Motivation sitzt an einem lauschigen Plätzchen unter freiem Himmel und harrt vollkommen tiefenentspannt der Dinge, die da kommen – frei nach dem Trägheitsprinzip des ersten Newtonschen Axioms: Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder bewegt sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit weiter, wenn keine äußere Kraft auf ihn einwirkt. Und ab und an hebt sie einen auf uns und unsere Faulheit. Aber ganz tief im Inneren wartet sie doch darauf, dass wir sie anspringen.
Denn das ist eines der größten Geheimnisse der Motivation: Sie wartet auf den Anpfiff. Oft entsteht sie erst durch das Tun. Zum Beispiel beim Arbeiten. Erst können wir uns nicht aufraffen, dann fangen wir schließlich widerwillig an und wollen die Sache dann doch plötzlich unbedingt geistreich abschließen. Oder beim Laufen – erst sitzen wir lange zuhause rum und hatten uns doch so fest vorgenommen, mal wieder eine kleine Runde zu drehen. Und durch wundersame Hand – oder die Waage – getrieben, raffen wir uns dann tatsächlich heute mal auf und schon während der ersten Minuten holt uns der erste Wind ein und trägt weiter. Und frei daher trabend wächst der Wille, heute doch die ganze Runde zu laufen. Und der zweite Wind erst … Oder nehmen wir das Schreiben oder Musizieren: Vorher keine rechte Lust zu den blöden Celloübungen, aber wenn der Bogen dann vor sich hin federt und die Finger am Griffbrett die Saiten betasten, die ersten Takte klingen, dann läuft’s „wie geschmiert“. Der Rückenwind trägt weiter. Das ist es, was ich meine: die Motivation hat eingesetzt.
Wir denken oft, wir könnten mit einer Handlung nicht beginnen, weil wir nicht richtig motiviert dazu sind. Aber oft ist es umgekehrt. Die Motivation kommt beim Tun. Sie wartet meist auf die Initialzündung.
Und wenn wir jetzt dieses ganze Alltagswissen mal wissenschaftlich abklopfen? Ja, es ist auch plausibel angesichts der Leistungsmotivationsforschung, nämlich vor dem Hintergrund der Selbstwirksamkeitstheorie (1), der Motivationstheorie nach Deci/Ryan (2) und der Flow-Theorie (3):
Ob Menschen handeln, hängt oft von ihrem Selbstvertrauen ab. Und das Selbstvertrauen in einer bestimmten Situation (Selbstkonzept/Selbstwirksamkeitserwartungen) beruht wiederum ganz entschieden darauf, ob wir annehmen, eine Situation erfolgreich meistern zu können (1). Das Selbstkonzept basiert auf den wahrgenommenen Kompetenzen in der Vergangenheit: Ich bin so und so und so …, die Selbstwirksamkeitserwartungen, führen zu zukunftsorientierten Gelingensvorstellungen: Das kann ich schaffen! Ich schreibe in Mathe bestimmt eine gute Note! Ich kriege das hin! (… oder eben nicht …). Beide Forschungsrichtungen weisen auf den Kern der Sache: Leistung entspringt dem Selbstbild, und zwar sowohl der wahrgenommenen Kompetenz in der Vergangenheit als auch der wahrgenommenen Zuversicht als zukunftsgerichtete Erwartung eigener Wirksamkeit: Ich schaffe das oder das oder das … Konzeptionell zeigen die Ansätze einige Unterschiede[1], aber trotzdem „gibt es auch eine substantielle Überlappung von Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit (Marsh, 1990); manche Forschende sprechen sogar davon, dass die Wahrnehmung eigener Selbstwirksamkeit ein Kernaspekt des jeweiligen Selbstkonzeptes sei (vgl. Tabassam & Grainger, 2003) oder dass man das Selbstkonzept auch als reflektierte und verdichtete Selbstwirksamkeitserwartung auffassen kann (Rheinberg, 2004)“ (Brüll 2010, S. 22). Andere sind strikte Apostel des einen oder anderen Ansatzes.
Halten wir also fest: Unser Handeln hängt wesentlich davon ab, wie stark wir annehmen, dass uns die (bevorstehende) Handlung gelingt. Nun ist es aber so, dass wenn wir einfach angefangen haben zu handeln, wir uns selbst permanent zurückmelden, wie gut wir das gerade machen (evaluatives Element des Selbstkonzepts). Fangen wir also an zu laufen, schreiben, lernen und stellen fest: Es läuft!, so verstärken wir in diesem Moment unseren Handlungswillen und damit auch den Willen, die Sache möglichst gut abzuschließen. Die Motivation wächst also während des Tuns.
Wenn es tatsächlich gut läuft, haben wir durch das Tun ein „Kompetenzerleben“ und dieses ist so unglaublich wichtig für die Motivation. Menschen wollen sich als kompetent erleben. Deci/Ryan (2) nennen drei Grundbedingungen zum motivierten Handeln – und eine davon ist eben das Kompetenzerleben. Autonomie (Selbstbestimmung) und soziale Eingebundenheit sind die anderen beiden.
Wer handlungsfreudig ist, wer dem Kompetenzerleben eine Chance gibt, der setzt eine Selbstwirksamkeitsspirale in Gang, welche die Motivation wachsen lässt.
Und als Letztes (3): Auch die Flow-Theorie unterstützt die Idee, dass man zuerst handeln muss um sich motiviert zu fühlen: Flow – also dieser geile Zustand des selbstvergessenen, zeitvergessenen Arbeitens, wird in den Momenten frei, in denen wir etwas tun, was genau in der Passung zwischen den Anforderungen und unseren Fähigkeiten liegt.
Sind die Anforderungen zu hoch und unsere Fähigkeiten reichen zur Lösung nicht aus, entsteht Stress, sind die Anforderungen zu gering und unsere Fähigkeiten übersteigen diese weit, wächst die Langeweile. Die optimale Passung ist genau dazwischen: Wir fühlen uns von einer Aufgabe herausgefordert, haben aber den Eindruck, sie durch eigene Anstrengungen lösen zu können.
Fangen wir also damit an, zu schreiben, zu rennen, zu rechnen, zu musizieren, so ist (simpler Weise) die Wahrscheinlichkeit höher, dass wir dabei auf ein optimales Herausforderungsniveau treffen, als wenn wir dummdreist in der Ecke sitzen bleiben.
Und wenn uns die Herausforderung doch zu unspannend erscheinen? Dann können wir die Tätigkeit einfach schneller, gegen die Uhr, nur mit der linken Hand oder sonst wie aufpeppen. Und wenn uns die Sache doch zu schwierig erscheint und wir echt „keinen Bock“ haben? Dann können wir sie in kleine Einzelteile zerlegen: Heute nicht das ganze Kapitel der Bachelor-Arbeit schreiben, aber diesen einen Absatz schon. Ich setzte mich jetzt hin! Ich schreibe jetzt diesen Absatz!
Was heißt das also alles? Das heißt einfach, dass es in der Leistungsmotivationsforschung Ansätze dazu gibt, auf deren Grundlage wir begründet annehmen können, dass wir einfach nur anfangen müssen, damit die Motivation aus ihrem Tiefschlaf erwacht. Sie will gelockt werden. Durch Handlung. So kriegen wir sie zurück.
Einfach anfangen also. Wie in der Nike-Werbung: Just do it! Der Komponist Max Reger komponierte jeden Tag zu festgelegten Zeiten. Es wird erzählt, eine Hofschranze habe ihn mal gefragt: Aber Herr Reger, sind Sie denn immer zur gleichen Zeit inspiriert? Reger soll geantwortet haben: „Die Inspiration kommt zu dem, der sie ruft“!
Literatur
Brohm, M. (2012): Motivation lernen. Das Trainingsprogramm für die Schule. Weinheim/Basel: Beltz.
Brohm, M./Endres, W.: Positive Psychologie und Lernen. Weinheim/Basel: Beltz (im Druck).
Brüll, M. (2010):Akademisches Selbstkonzept und Bezugsgruppenwechsel. Einfluss spezieller Förderklassen bei hochbegabten Schülern. Hogrefe.
Deci, E. L./Ryan, R. M. (1993): Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik 2, 93, S. 223-239.
[1] Eine hervorragende Übersicht zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Konzepten findet sich in: Matthias Brüll: Akademisches Selbstkonzept und Bezugsgruppenwechsel. Einfluss spezieller Förderklassen bei hochbegabten Schülern. Hogrefe 2010.
…könnte die etwas andere Sicht auf den individuellen Motivationsimperativ sein.
Insofern scheint die allgemeine Motivation nicht direkt an den absehbaren Handlungserfolg gebunden, der Weg sozusagen eher das Ziel zu sein, wobei nichts, aber auch gar nichts, gegen das Anfangen spricht, korrekt. [1]
MFG
Dr. W (der noch einen schönen Sonntag oder einen schönen Tag des Herrn wünscht)
[1] es sei denn, die Voraussetzungen stimmen nicht
>:->
War nicht als Motivationsimperativ gedacht – eher als Anregung für den motivationalen Notfall 😉
Handeln ist i.p. Effektivität (“Effizienz” ging aber auch) offensichtlich (“durchschnittlich”) besser als Nicht-Handeln, insofern springt Ihr Kommentatorenfreund gerne bei, und es kann sich beim Handeln Zielgerichtigkeit ergeben oder neue Ziele, die vom bereits erfolgten Handeln und nur von diesem abgeleitet werden können.
Insofern ist es offensichtlich (“durchschnittlich”) besser zu handeln, als alternativ und wütend im Dreieck zu springen, weil bestimmte Umsetzungsvorhaben nicht stattfinden.
Es fällt schwer hier punktgenau zu ideologisieren, fürwahr,
MFG
Dr. W
Danke für den interessanten Beitrag. Ich würde auch gerne den An- / Ausschalter für Motivation finden. Ich gehe davon aus, dass das Default Mode Network da nicht ganz unbeteiligt ist.
Gerade bei ADHS ist ja das Problem der Motivation für langweilige Tätigkeiten noch um ein vielfaches stärker als bei neurotypischen Menschen. Vielleicht kann man da dann doch Rückschlüsse ziehen. Ich persönlich versuche bei meinen Klienten über Imagination den Zustand des “besser als erwartet” abzuspeichern und dann von dieser Seite an die Motivationsfresser zu kommen.
Beim Malen klappt das leider nicht. Das wird dann nichts und die misslungenen Ergebnisse demotivieren zusätzlich. Man kann sie ja nicht einfach umschreiben wie einen Text.