Abenteuerland: Im Rausch psychischer Energie

Michaela Brohm

Voller Energie. Voller starker und permanent fließender Energie. Gemeint ist die psychische Energie; also die Fähigkeit, psychische Arbeit zu verrichten. Auch wenn uns das eventuell zu physikalisch anmutet, an Freuds „psychischen Apparat“ mit zirkulierender Energie erinnert und wir Maschinenmodelle angesichts der Interpretation menschlichen Verhaltens für viel zu schlicht halten (wie ich auch), so können wir doch vielleicht zu dem Schluss kommen, dass die Vorstellung, es gäbe so etwas wie psychische Energie, anzieht, ja, vielleicht berauscht.

In einem hypothetisch angenommenen geschlossenen System würde sie niemals abnehmen, nie verbraucht. Irgendwie wären wir stets energetisiert, nie leer. Nehmen wir die „psychische Energie“ doch einfach als Metapher für die psychische Kraft – jenseits aller Systemtheorie. Nehmen wir also einen Moment lang einmal an (was empirisch nicht nachweisbar ist) es gäbe „psychische Energie“ und wir könnten sie nutzen und aufladen. Wie das? Schau’n mer mal.

Wenn sie psychisch wäre, wäre es die Energie, die durch die Funktionen der Psyche – also Motivation, Kognition und Emotion – geschaffen wird. Im Gegensatz zur physischen Energie, welche die körperliche Kraft meint. Es geht also um motivationale, kognitive und emotionale Kraft. Und das gleich auf drei Ebenen: als Kraft für das Individuum, Kraft für dessen soziale Beziehungen und Kraft für dessen organisationale, institutionelle oder gesellschaftliche Kontexte. Es geht um jene Kräfte, die alle drei Ebenen formen, stabilisieren oder wandeln. Ihr steht die physische Energie zur Seite.

 

Psych Energie_Brohm
Energieformen Organismus (MiBro)

 

Es stellt sich nun die Frage, wie die psychischen Funktionen Kognition, Motivation und Emotion ausgerichtet sein müssten, um das Maß der Energie möglichst hoch und stabil zu halten. Hinsichtlich der Motivation (z. B. Spannung erzeugen durch hohe innere Gütemaßstäbe und Selbstwirksamkeitserwartungen) und der Emotion (mgl. positive Gefühle, open mindedness) habe ich ja in diesem Blog und den Publikationen (Brohm 2012, 2015) schon oft geschrieben. Wenden wir uns daher hier intensiver der Kognition zu. Wie also entsteht kognitive Kraft – also psychische Energie für geistige Prozesse?

Hier findet der Flow-Papst Mihály Csikszentmihalyi eine wundervolle Antwort. Er definiert Aufmerksamkeit als die psychische Energie „Da die Aufmerksamkeit bestimmt, was im Bewusstsein geschieht oder nicht geschieht, und weil man sie zudem braucht, um andere geistige Ereignisse stattfinden zu lassen, wie erinnern, denken, fühlen und Entscheidungen treffen, hilft es, sie uns als psychische Energie vorzustellen“. (Csikszentmihalyi 1996, 50 f).

Es geht demnach hier um die Spotlight-Metapher: Der Aufmerksamkeitsfokus selektiert einige wenige Informationen und beeinflusst so evtl. das Verhalten. Ist das Umfeld eher stimulationsarm (also stinklangweilig), fällt die Fokussierung auf etwas leichter, also die willentliche Kontrolle der Aufmerksamkeit springt uns fast an. Springt der Husky jedoch erwartungsvoll hinterm Schreibtisch hin und her weil er in den Wald raus will, fällt es ziemlich schwer, sinnvolle Texte zu schreiben ;-).

Es geht demnach immer um einen (externalen) Stimulus, der willentlich (also internal) kontrolliert werden soll. Das meint also Aufmerksamkeit, wobei „ein auffälliger Stimulus in der Lage ist, sich gegenüber der willentlichen Aufmerksamkeitskontrolle durchzusetzen“ (Krummenacher 2015, o. S.). Also: Weg mit allem was während des Arbeitens für andere Verhaltensweisen stimulieren könnte. Deshalb beschwören viele Hochleister auf das Arbeiten in den frühen – ja, frühsten – Morgenstunden (Five O’Clock Club!!!). Da fehlt die externale Stimulation. Manche halten es auch eher mit der stimulationsfreien Nacht…

Csikszentmihalyi nimmt an, dass die Aufmerksamkeit die wichtigste aller psychischen Energien ist: „Aufmerksamkeit ist in dem Sinne eine Energie, dass ohne sie keine Arbeit verrichtet werden kann, und sie wird durch Arbeit zerstreut. Wir erschaffen unser Selbst, indem wir diese Energie anwenden. Erinnerungen, Gedanken, und Gefühle werden durch ihre Anwendung geformt. Sie ist zudem eine Energie unter unserer Kontrolle, mit der wir nach Belieben umgehen können. Daher ist Aufmerksamkeit das wichtigste Werkzeug bei der Aufgabe, die Qualität von Erfahrungen auf eine höhere Stufe zu bringen.“ (Csikszentmihalyi 1996, 53 f.).

Aber auch die hohe Aufmerksamkeit (aktuell oft als „Fokussierung“ oder „Achtsamkeit“ beschrieben) ist kein erstrebenswerter Dauerzustand der Psyche, denn erst das Gegenteil, das freie Schweben, das Loslassen des Willens führt oft zum Einfall. Irgendwo merkte mal jemand an, dass die Zeiten unter der Dusche, im Wald oder beim Autofahren ja die wohl erfindungsreichsten seine, und eben nicht die hoch aufmerksam-konzentrierten.

In diesem Sinne scheint ein freier Wechsel zwischen hoch aufmerksamen und den Geist frei lassenden Phasen verheißungsvoll. In Ersteren nutzen wir die Energie, frei fließend laden wir sie anschließend wieder auf. Also heftig-vertieftes, aufmerksames Arbeiten – dann aber ab ins Abenteuerland. PUR weiß das schon lange: Komm mit mir ins Abenteuerland, auf deine eigene Reise, komm mit mir ins Abenteuerland, der Eintritt kostet den Verstand…“ Und ganz schön auch später im Text: „Und tu’s auf deine Weise…“ denn so könnten wohl beide Phasen zum spannenden, inneren Abenteuern werden. Auf deine Weise.

 

Literatur

Brohm, M. (2012): Motivation lernen. Das Trainingsprogramm für die Schule. Weinheim/Basel, Beltz.

Brohm, M./Endres, W. (2015): Positive Psychologie in der Schule. Weinheim/Basel, Beltz

Csikszentmihalyi, Mihály (1996, 5. Aufl.): Flow. Das Geheimnis des Glücks. Stuttgart, Klett-Cotta.

Krummenacher, J. (2015). Aufmerksamkeit. In M. A. Wirtz (Hrsg.), Dorsch – Lexikon der Psychologie. Abgerufen am 17.09.2015, von https://portal.hogrefe.com/dorsch/aufmerksamkeit/

Website Brohm

Prof. Dr. Michaela Brohm-Badry ist Lernforscherin an der Universität Trier mit den Schwerpunkten Motivation und Positive Psychologie, Autorin und Keynote Speaker. Sie ist Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Positiv-Psychologische Forschung (DGPPF).

1 Kommentar

  1. Es gibt die ‘Aufmerksamkeit’, besondere Gründe für deren Entstehung und Aufrechterhaltung sind dem Schreiber dieser Zeilen nicht bekannt, jedenfalls nicht wenn dbzgl. systematisch betrachtet wird, und Rückzugsphasen, in denen das erkennende Subjekt nachträglich und oft unbewusst arbeitet, nacharbeitet eben, Träume und so könnten hier mitwirken,
    ‘Energie’ könnte in einer anderen Liga spielen, energetisch, gar aggressiv Themata und Herausforderungen betreffend zupackend zu werden, könnte bis müsste etwas mit dem Charakter zu tun haben, der sozusagen eingebrannt scheint und womöglich in weiten Teilen der Vererbung geschuldet vorliegt.

    MFG
    Dr. W (der natürlich nur niederrangig im hiesigen Feedback-Bereich nicht viel mehr als “Hallo!” sagen wollte, Sanguiniker ist)

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