Mit Volldampf in den Klimakollaps

BLOG: Öko-Logisch?

Umwelt sind Du und ich
Öko-Logisch?
Weinrebe (Foto: Pixelio)

Seit Montag ist auf Spiegel Online ein Beitrag zur Versorgungssicherheit der deutschen Energieerzeugung zu lesen. Der Tenor: Experten warnen, dass es ohne Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke und ohne neue Kohlekraftwerke schon in vier Jahren Probleme mit der Energieversorgung geben könnte. Um zumindest den Eindruck einer sachlichen Berichterstattung zu erwecken, lassen die Autoren als einzige Gegenstimme Umweltminister Gabriel das Ganze als „blanken Unsinn“ bezeichnen. Auch wenn er im Artikel damit alleine dasteht – Recht hat er trotzdem.

Warum gleich drei Journalisten an dem Text gearbeitet haben, ist angesichts der einseitigen Darstellung kaum zu verstehen; noch dazu, weshalb einer beim Spiegel die Außenpolitik macht, ein anderer sich sonst im FAZ-Feuilleton austoben darf. Vollmundig heißt es im Vorspann: „Immer mehr Experten warnen vor dramatischen Versorgungslücken beim Strom.“ Wer gründlich sucht, findet neben Angela Merkel, Michael Glos und Vertretern der großen Energiekonzerne tatsächlich einen Experten im Text: Stephan Kohler, Chef der Deutschen Energie-Agentur. Doch alles, was dieser wirklich sagt, ist: "Wenn man den künftigen Strombedarf mit der absehbaren Kraftwerkskapazität vergleicht, ergibt sich ein negatives Bild". Oder anders formuliert: In den nächsten Jahren gehen einige alte Kraftwerke vom Netz, und wir brauchen neue. Von Atomkraft oder Kohlekraft ist – anders als im Tenor des Artikels – beim einzigen Experten keine Rede.

Tatsache ist: Wir haben in Deutschland aktuell eine Kraftwerksleistung, die rund 30 Prozent über dem tatsächlichen Bedarf liegt. Bereits vor einem Jahr hat die Ingenieur- und Energieberatung EUtech im Auftrag von Greenpeace einen Energieplan entwickelt. Die Aufgabe lautete: 40 Prozent weniger CO2-Ausstoß bis 2020, keine neuen Kohlekraftwerke und sogar ein vorgezogener Ausstieg aus der Atomenergie im Jahr 2015. Ergebnis: Es geht, und seit einem Jahr kann jeder nachlesen, wie: durch einen Ausbau von Gaskraftwerken mit Kraft-Wärme-Koppelung, ein starkes Wachstum der erneuerbaren Energien im Bereich Geothermie, Solarenergie und Offshore-Windparks, und durch mehr Effizienz bei den Energieverbrauchern. Anders als im Artikel an die Wand gemalt, wird die Gasversorgung übrigens wohl kaum schon 2015 knapp werden – die heute als erschlossen gemeldeten Erdgasvorräte reichen nach internationalem Konsens noch mindestens 70 Jahre, noch einmal diese Menge wird als erreichbar geschätzt.

Neue Kohlekraftwerke mit einer Laufzeit von 35 bis 40 Jahren würden nicht nur das Klima in einer Weise belasten, die durch Einsparungen an anderen Stellen gar nicht zu kompensieren wäre, sie würden zudem Investitionen in neue, klimafreundliche Kraftwerke verhindern. Letzteres ist auch der Grund, weshalb eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken selbst klimapolitisch gefährlich wäre.

Das Traurige an dem Artikel und der gesamten Diskussion ist vor allem die Müßigkeit. Alle Klimaexperten sind sich einig, dass allein schon die Zahl der aktuell geplanten Kohlekraftwerke es Deutschland absolut unmöglich machen würde, die Klimaschutzziele zu erreichen. Bloß sind die Klimaschutzziele ja keine zufälligen Wunschzahlen. Sie sind abgeleitet aus dem letzten IPCC-Bericht als Minimalanforderung, um den Klimawandel in einem Bereich zu halten, der gerade noch von Menschen beherrscht werden kann. Klingt das für Sie nach viel Spielraum?

Ich erinnere mich an eine schöne Szene in Al Gores Vortrag „Eine unbequeme Wahrheit“: Eine Balkenwaage. Links: Geld. Viel Geld. Rechts: die Erde. Links: Geeeld. Viiiieeel Geld! Rechts: die Erde. Viiiiiiel Geld! – Die Erde. Was wohl die drei Autoren, die es eigentlich besser wissen müssten, mit ihrem Artikel im Blick hatten. Die Erde?

 

Foto: Pixelio

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www.buero32.de

Björn Lohmann ist freier Wissenschaftsjournalist und Trainer für Onlineredakteure. Sein Anliegen ist es, die wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen zu hinterfragen, die unser aller Leben maßgeblich beeinflussen - denn nicht immer sind die Prioritäten von Forschern, Unternehmern und Politikern die besten im Interesse der Gesellschaft. In seiner Freizeit rettet Björn Lohmann die Welt, weil er findet, dass es sich mit ihr einfach netter lebt.

11 Kommentare

  1. Danke, Björn,

    fürs Geraderücken. Der Spiegel-Artikel erinnert mich fatal an einen ebenfalls dort publizierten unglaublichen einseitigen Verriss der Windenergie in Deutschland – ich weiß leider nicht mehr, wann, schon ne Weile her.

    Das Bittere ist nur: Was der Spiegel schreibt, glauben viele. Er hat schließlich seinen Ruf. Und mit “vielen Experten” lässt sich immer Quote machen…

    Grüßle,
    Antje

  2. Immer gegen Atomkraft

    Was mich nur wundert ist, dass bei solchen Berichten immer auch gegen die Atomkraft getreten werden muss, obwohl die weniger CO2 frei setzt als die hier beworbenen Gaskraftwerke.

    Dass die Laufzeitverlängerung von AKW “Investitionen in neue, klimafreundliche Kraftwerke verhindern” sehe ich nicht. Man kann doch sowohl die Laufzeiten verlängern als auch nach Alternativen suchen.

    Die Ablehnung von Kernkraftwerken aufgrund der Risiken hat mit Klimaschutz nichts zu tun.

  3. @Joachim: Atomkraft und Klima

    Es ist richtig, dass Atomkraftwerke eine bessere CO2-Bilanz haben als Kohlekraftwerke.

    Trotzdem gibt es das Klimaargument: Klar, man kann Laufzeiten verlängern und gleichzeitig nach Alternativen suchen, aber wer macht das ohne wirtschaftliche Anreize? Je länger alte Großkraftwerke laufen, desto später und langsamer wird in Bau und Weiterentwicklung regenerativer Alternativen investiert werden.

    Ich finde es wichtig, festzuhalten, dass man ohne Atomkraft Klimaschutzziele erreichen kann, wenn man will. Ob man will, hängt sicherlich davon ab, wie problematisch man die Atomenergie generell bewertet. Für mich ist sie dadurch ein vermeidbares Risiko.

  4. leicht zu durchschauen

    Mit vermeintlichen Experten in Zeitungen/ Zeitschriften wird oft Stimmung gemacht gegen den Ausstieg aus der Atomenergie oder gegen erneuerbare Energien. So wird auch dieser Beitrag einzuordnen sein, aber leicht zu durchschauen.

  5. @Joachim: Immer gegen Atomkraft

    Mir genügt schon das Ergebnis der letzten Studie zum erhöhten Krebsrisiko bei Kinder im Umkreis von 50 km um Atomkraftwerke (der Universität Mainz im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz), um Atomstrom als Alternative auch nur in Erwägung zu ziehen. Die Pest mit Cholera zu bekämpfen macht in der Gesamtbetrachtung keinen Sinn.

  6. Mythos – Ausweitung der Gasversorgung

    Nun auch wenn ich nicht genau den Wortlaut des Spiegel-Artikels hinsichtlich der Gasversorgung kenne, der dort angegebene Trend kommt wohl viel eher der Realität nahe als diese ominösen 70 Jahre reichenden Erdgasvorräte. Erst einmal kann man diesen Meldungen nicht viel Bedeutung beimessen. Es ist genau das Gleiche wie beim Erdöl und bei der Kohle, meist weit übertrieben. Dann wäre da noch der stetig steigende Verbrauch, welche diese Vorräte ganz schnell in sich zusammenschrumpfen lassen wird. Ein weiterer Einwand wäre da die stark zurückgehende Versorgung in Europa selbst, die Niederlande hatte ihren Peak bei der Gasproduktion schon in den 70iger Jahren (seitdem 30 Prozent Produktionsrückgang) Großbritannien im Jahr 2000 (seitdem 30 Prozent Produktionsrückgang). Norwegen als einziges Land kann seine Gasproduktion noch ausweiten. Aber auch hier wird in den nächsten Jahren der Peak erwartet. Da bliebe dann nur noch der Import, entweder aus Nordafrika oder aus Russland. Aber auch hier sind keine großen Kapazitätszuwächse mehr zu erwarten. Russland hat ja vor kurzem das letzte große Erdgasfeld in Betrieb genommen. Alle anderen Felder sind entweder schon stark entleert, liegen weit ab von den Pipelinetrassen oder befinden sich in extrem schwer erschließbaren Gebieten (Barentssee).
    Nicht die gemeldeten Vorräte sind also von Bedeutung, sondern die reale zeitnahe Produktion. Dazu gehört dann auch die gesamte dazu notwendige Infrastruktur. Diese aber wird immer aufwendiger sowohl in zeitlicher wie auch in materieller Hinsicht, was zunehmend dafür spricht, das der wachsende Bedarf, und hier meine ich nicht nur Europa bzw. Deutschland, nein viele andere Regionen drumherum ebenfalls, nicht mehr gedeckt werden kann. Da groß auf den Ausbau von Gaskraft als eine bedeutende Säule der zukünftigen Energieversorgung zu setzen, führt in die Irre und zeugt nicht gerade von großer Seriosität des entwickelten Energieplans.

  7. @Thomas: Erdgas nur als Übergangslösung

    Für alle fossilen Rohstoffe gilt, dass die Vorräte knapp sind und der globale Verbrauch eher steigen wird. Aber wir sind in der Situation, in den nächsten fünf Jahren viele Kraftwerke ersetzen zu müssen, die dann 35 bis 40 Jahre laufen. Dafür reichen die sicher gewinnbaren Vorräte an Gas wie an Kohle (meine Zahlen stammen von BMWi: http://lexikon.bmwi.de/…tistiken,did=180956.html). Da liegt es aus Klimasicht nahe, Gas der Kohle vorzuziehen. Diese 40 Jahre müssen wir nutzen, weitestmöglich die Versorgung durch erneuerbare Energien sicherzustellen.

    Hinsichtlich der Größe der Vorräte schneidet Atomkraft übrigens am schlechtesten ab. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass die Uranvorräte noch ca. 45 Jahre reichen.

  8. Woher kommt die Zahl?

    Andere Quellen sagen, Uran reicht – inclusive Wiederaufbereitung – mehrere Hundert Jahre. Die legen allerdings auch den heutigen Verbrauch zugrunde, was man eigentlich nicht tun sollte, wenn man für eine massive Ausweitung plädiert…

    Woher kommt die 45?

  9. @Fischer: Uranvorrät

    Ich hatte die Zahl einen Vortrag vor etwa einem Jahr entnommen (Quelle war die IEA). Ich habe gerade die IEA-Seite befragt. Dort findet sich, dass bei aktuellem Verbrauch (Stand 2007) die Vorräte von 4,6 Mio. Tonnen 85 Jahre reichen. Inklusive Wiederaufbereitung, militärischen Quellen und Pullonium rechnet die IEA bei heutigen Verbrauch mit einem Vorrat für “mehr als Hundert Jahre”. Dort findet sich aber auch, dass der Verbrauch bis 2050 um 20 bis 40 Prozent steigen wird.

    Quelle (PDF): http://www.iea.org/Textbase/techno/essentials4.pdf

  10. Atomkraft gegen Klimawandel

    @ Björn

    Vielen Dank für den Link zur IEA. Der Artikel liest sich wie eine Bankrotterklärung der Atomwirtschaft. Zum Beispiel heißt es zu den Zukunftsaussichten:

    “POTENTIAL – 􀂄 Nuclear power outlook – According to Energy Technology Perspectives (IEA, 2006), with a carbon price of $25/tCO2, the share of nuclear in global electricity generation is projected to increase from the current 16% to 19%-22% by 2050. If this were the case, nuclear capacity would have more than doubled by 2050 and nuclear power could be making a contribution of between 6% and 10% to globally reducing CO2
    emissions by mid-century.”

    Also in etwa eine Verdopplung der heutigen Kapazität, die dann 6 bis 10% der CO2-Emissionen einsparen soll. Gewaltig!

    Noch interessanter sind die projektierten Kosten. Man rechnet mit Investitionen von $1000 bis $2000 pro kW installierter Leistung für künftige Reaktoren und errechnet daraus einen Strompreis zwischen 3 und 5$cent/kWh. Demgegenüber steht die Realität von tatsächlichen Neubauten. Der EPR in Olkiluoto 3 in Finnland liegt inzwischen mehr als 50% über den ursprünglich projektierten Kosten und wird mindestens €2500 ($3750), wahrscheinlich aber eher €3000 ($4500) pro kW kosten, falls er jemals fertig gestellt werden sollte. Daraus ergeben sich dann Stromgestehungskosten von deutlich über 10 $cent/kWh. Mithin ist Atomstrom extrem unwirtschaftlich, weil in dieser Kostenrechnung die hohen Folgekosten noch gar nicht berücksichtigt werden können. Genau wie bei Kohle hat Atomstrom so genannte Ewigkeitskosten, d. h., Kosten, die auch dann noch anfallen, wenn die eigentliche Nutzung der Energie schon Jahrzehnte bis Jahrhunderte zurück liegt.

    Atomstrom ist nicht nur aus Sicherheitsgründen nicht zu verantworten, sein Beitrag zur Energieversorgung ist marginal bis negativ und wirtschaftlich ist er eine Katastrophe.

    Im Vergleich zu Gaskraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung kann nicht einmal die CO2-Bilanz eines AKWs konkurrieren. Wegen der Notwendigkeit, in Zukunft immer ärmere Erze zur Urangewinnung auszubeuten, wird diese außerdem zunehmend schlechter, denn beim Uranabbau werden mit Diesel betriebene Maschinen eingesetzt und auch die Folgekette bis zur Brennelementeherstellung verlangt den Einsatz fossiler Energien.

    Die Behauptung von der angeblich CO2-freien Kernenenergie ist eine platte Lüge der Atomlobby.

    Es gibt deshalb keinen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen Kernenergie und Klimaschutz.

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