01.11. Blick zurück nach vorn

BLOG: Neustart nach dem Putsch

Wie sich der Regierungswechsel in Madagaskar auf Mensch, Natur und Entwicklungszusammenarbeit auswirkt
Neustart nach dem Putsch

Sechs Wochen Reise durch Madagaskar: Etwa 25 Stunden Interviews und Geräusche aufgezeichnet, fünf Naturschutzgebiete besucht, zusammengenommen mehrere Tage in Taxis, Bussen und Flugzeugen verbracht, unzähligen Menschen begegnet. Viele Nachworte beginnen mit so einer Zahlenkolonne. Doch was sagt sie aus? Zumindest das: Wir haben viel erlebt, viel gesucht und auch Einiges gefunden. Aber ich bin weit entfernt davon ein eindeutiges Fazit zur Zukunft des Naturschutzes und der Entwicklungszusammenarbeit in Madagaskar geben zu können. Das wäre auch vermessen. Ich kann nur den Eindruck schildern, den ich gewonnen habe. Und der hat drei Teile.

Erstens: Die Insel ist tatsächlich unvergleichlich.
Die Bevölkerungsstruktur, die Kultur, die Tiere und Pflanzen Madagaskars sind einmalig und die Laune einer ebenso einmaligen Besiedlungsgeschichte. Beim Reisen wird dieser Eindruck an jedem Tag greifbar: durch die verschachtelten, für eine afrikanische Hauptstadt außergewöhnlichen Gassen Tanas (denen Alan Walsch von der GIZ den Status eines Weltkulturerbes zusprechen würde), mit den Gesichtern der Menschen an den Küsten und im Hochland, durch die ohrenbetäubende Musik einer Blaskapelle zu Ehren einer Totenumbettung, mit den majestätischen Baobabs an der Westküste, durch den Vanilleduft in den Städten der Nordostküste, mit Tieren, die so außergewöhnliche Namen tragen wie Aye Aye, Vositse oder Vanga, mit dem Panorama über den Wolken im Marojejy Nationalpark.

Zweitens: Madagaskar brennt.
Beim Reisen haben wir es selbst gesehen und gerochen: Es brennt und qualmt im Hochland und an den Küsten, verkohlte Baumstümpfe ragen in den Himmel. Brandrodung und Abholzung vernichten die verbliebenen Wälder. Wissenschaftliche Rekonstruktionen weisen darauf hin, dass die Waldfläche der Insel in den vergangenen 60 Jahren halbiert wurde. Rodungen schaffen neuen Raum für Reisfelder und nachwachsendes Gras für Zebuherden. Was den Menschen kurzfristig hilft, vernichtet auf der anderen Seite den Lebensraum vieler (endemischer) Tier- und Pflanzenarten, stört den Wasserhaushalt und fördert die Erosion (aus der Luft betrachtet ergießen viele Flüsse die mitgeschwemmten, roten Sedimente wie Blut ins Meer). Mittel- bis langfristig fallen diese Störungen wieder auf die Menschen zurück.

Ein Großteil der Bevölkerung hat allerdings keine Chance an eine nachhaltige Bewirtschaftungs- und Lebensweise zu denken, weil er mit dem täglichen Überleben beschäftigt ist. Die Menschen, etwa in Kirindy Village und Lambokely, brauchen Holz zum Hüttenbau und Kochen, fangen Fische, sammeln Knollen und Honig im Wald um ihre Familien zu ernähren. Nach den neuesten Zahlen der Weltbank beträgt das Bruttonationaleinkommen pro Kopf pro Jahr in Madagaskar 440 US-Dollar, das macht etwa einen Euro pro Tag. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 46100 US-Dollar, also pro Tag etwa Hundert Mal so viel. Nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung leben in Madagaskar etwa 90 Prozent in extremer Armut, 27 Prozent sind unterernährt, nur etwa die Hälfte der Bevölkerung hat einen „angemessenen“ Anschluss an eine Trinkwasserversorgung.

Armut und politisches Chaos wiederum schaffen Raum für organisierte Kriminalität, Korruption und industriellen Raubbau an der Natur. Rosenholz sei zur Finanzierung diverser Präsidentschafts-Kandidaturen genutzt worden, hat Erik Patel in Marojejy berichtet. Unter der Putschistenregierung fielen die letzten offiziellen Hemmschwellen, der Handel mit den wertvollen Harthölzern florierte. Tausende Menschen campierten und wilderten in den Schutzgebieten des Nordostens. Viel verdient haben die Madagassen, die die Arbeit im Wald verrichtet haben, allerdings nicht. Das große Geld wurde von Geschäftsleuten in Antalaha, chinesischen Händlern und madagassischen Regierungsvertretern gemacht.

Drittens: Es gibt Hoffnung.
Steve Goodman hat im Interview ein Buchzitat bemüht, um die Lage des Naturschutzes auf der Insel zu beschreiben: „Die Zukunft ist unsicher, und Madagaskar ist nicht der Ort für Unbeschwerte.“ Das entspricht auch meinem Eindruck. Die Probleme im Naturschutz und in der Entwicklungszusammenarbeit sind offenkundig (und umfassen alle Bereiche der madagassischen Gesellschaft: Familienplanung, Bevölkerungswachstum, wirtschaftliche Perspektiven, politische Rahmenbedingungen) und schnelle, leichte Lösungen sind nicht zu erwarten. Aber wir haben viele Menschen und Organisationen getroffen, die sich mit viel Erfahrung, Nachdruck und Uneigennützigkeit engagieren: im großen Zusammenhang und mit Verbindungen zur Regierung (GIZ, KfW, MNP, wobei auch hier die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und regierungsfernen Organisationen gesucht wird), und  im Kleinen, auf Basis von Dorfgemeinschaften (Association Mitsinjo), in der Umweltbildung und Gesundheitsfürsorge (Association Vahatra, Chances for Nature, SAVA Conservation). Viele Menschen wissen mittlerweile um die Einmaligkeit Madagaskars, internationale Umweltschutzorganisationen haben das Land auf dem Radar, Presseorgane wie die BBC berichten regelmäßig über den Reichtum und die Gefährdung seiner Natur.

Hoffnung macht auch, dass viele dieser Organisationen zusammenarbeiten. Hilfsmaßnahmen sind aufeinander abgestimmt und greifen ineinander. Ein gutes Beispiel dafür haben wir in der Region Sava gefunden. Am GIS-Kurs zur Waldvermessung im Büro des Duke Lemur Centers in Sambava hat ein Vetreter der Association Mitsinjo teilgenommen. Die GIZ beteiligt sich an der Finanzierung eines regionalen Lehrer-Ausbildungsprogramms von SAVA Conservation. KfW und MNP sind in den Nationalparks präsent und engagiert. Es gibt Erfahrungsaustausch zum Bau effektiverer Öfen. In Westmadagaskar haben zwei ehemalige GIZ-Mitarbeiter den Workshop von Chances for Nature betreut. In Andasibe arbeitet die Association Mitsinjo mit der Finnish Association for Nature Conservation zusammen, der größten nicht-staatlichen Umweltschutzorganisation Finnlands. Angela Tarimy, eine madagassische Mitarbeiterin dieser Organisation, hat wiederum den GIS-Kurs in Sambava geleitet. Zumindest einige Kreise schließen sich.

Auf der politischen Ebene gibt es noch keine klaren Bekenntnisse. Die Vorstellung des Nationalen Entwicklungsplans durch die Regierung steht aus. Der neue Präsident Hery Rajaonarimampianina hat öffentlich noch keine Vorhaben für Naturschutz und Entwicklungszusammenarbeit formuliert. Allerdings haben mehrere Gesprächspartner (u.a. Rainer Dolch) Hoffnungen an die neue Führung des Landes geknüpft. Sie ist im Gegensatz zur Vorgängerregierung international anerkannt, Entwicklungsprojekte auf staatlicher Ebene können wieder anlaufen, das Vertrauen weiterer Geldgeber kann gewonnen werden. Bi- und multilaterale Gespräche werden wieder aufgenommen bzw. intensiviert, es gibt einen neuen EU- und mit Harald Gehrig einen neuen deutschen Botschafter im Land. Nicht zuletzt könnte auch die unerwartete Rückkehr des Ex-Präsidenten Marc Ravalomanana die Chance bieten, politische Gefechte der Vergangenheit in demokratischer Weise beizulegen und neue Stabilität für Mensch und Natur in Madagaskar zu schaffen.

Und so bleibt doch ein eindeutiges Fazit: Das Land muss stärker in den Fokus der Öffentlichkeit, um über seinen Reichtum und seine Bedrohung zu informieren, benötigt mehr internationale Solidarität, um seinen Menschen und seiner Natur zu helfen und so eine einmalige Inselwelt zu retten, die sonst für immer verloren gehen könnte.

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Nach einem Biologiestudium in Göttingen promovierte Lennart Pyritz am Deutschen Primatenzentrum über das Gruppenverhalten von Lemuren. Dafür verbrachte er insgesamt 14 Monate im Trockenwald Westmadagaskars. Über diese Zeit führte er einen Blog für Spektrum.de, der 2012 in erweiterter Form auch als Buch veröffentlicht wurde ("Von Makis und Menschen", Verlag Springer Spektrum). Nach der Doktorarbeit wechselte Lennart Pyritz in den Wissenschaftsjournalismus, hospitierte bei der Süddeutschen Zeitung in München, ZEIT Wissen in Hamburg und arbeitete als Vertretungsredakteur der Sendung "Quarks & Co" im WDR. 2012 bis 2014 volontierte er anschließend beim Deutschlandradio in Köln und Berlin und für einen Monat bei BBC 4 in London. Anschließend arbeitete er als Junior-Programm-Mitarbeiter im Deutschlandfunk. Vom 10. September bis zum 22. Oktober unterbricht er seine Anstellung beim Radio, um mit einem Recherchestipendium der Heinz-Kühn-Stiftung als Journalist nach Madagaskar zurückzukehren.

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