01.10. Schwestern und Brüder im Wald

BLOG: Neustart nach dem Putsch

Wie sich der Regierungswechsel in Madagaskar auf Mensch, Natur und Entwicklungszusammenarbeit auswirkt
Neustart nach dem Putsch

Am kommenden Morgen werden wir von den Gesängen der Indris geweckt. Die größte verbleibende Lemurenart Madagaskars, optisch eine Mischung aus Teddy, Koala und Pandabär, lebt in etwa fünfköpfigen Familienverbänden aus Elterntieren und ihrem Nachwuchs und markiert ihr Territorium mit durchdringenden, lang gezogenen Rufen.

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Ein Indri – größte verbleibende Lemuren-Art Madagaskars (Foto: Lennart Pyritz).

Wir brechen auf in den Wald, folgen der Straße bis zum Büro der Association Mitsinjo, eine lokale Naturschutz-Organisation, die unter anderem Wiederaufforstungsprojekte betreibt und Führungen durch ein Waldstück anbietet. So laufen wir mit Christian, einem Guide aus Andasibe, durch das Grün, beobachten eine Blauen Seidenkuckuck (Coua caerulea), Stabheuschrecken und lauschen dem Gesang der Indris. Vor einem unscheinbaren Baumstamm lässt uns Christian anhalten. Dort sitze ein Plattschwanzgecko (Uroplatus sikorae). Geschlagene fünf Minuten starren wir auf den Stamm bis sich die Konturen des Tieres vor unseren Augen abheben. Unglaublich, wie sich das nachtaktive Reptil in Farbe und Form seinem Untergrund anpasst. Unser Fahrer Tata ist ebenfalls begeistert. Er war noch nie im Regenwald und sieht viele Tiere seiner Heimat zum ersten Mal.
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Halb Tier, halb Pflanze: Ein Plattschwanzgecko verbringt den Tag getarnt als Baumstamm.

Der Wald hat noch mehr Kreaturen vorzuweisen. Zwei Teams der Natural History Unit der BBC in Bristol springen durch den Wald, filmen die Indris und eine Reihe weiterer Tiere. Team-Leiterin Emma Brennand erzählt: Gedreht wird für eine neue Serie unter dem Arbeitstitel „One Planet“. Einer der Kamera-Männer, Mark McEwen, war schon beim Dreh von „Last chance to see“ dabei. Eine großartige Serie, bei der sich Mark Cawardine und Stephen Fry in Gedenken an Douglas Adams auf die Spur vom Aussterben bedrohter Arten begeben.

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High Tech im Wald: Die Kamera von BBC-Filmer Mark ist auch beim Laufen in drei Dimensionen ausbalanciert (Foto: Lennart Pyritz).

Wir profitieren von den Dreharbeiten. Dorfbewohner aus Andasibe haben auf Bitten des BBC-Teams eine Reihe nachtaktiver Tiere gefangen, darunter ein Skorpion und fünf igelartige Tenreks, die wir am Rande einer Hütte im Wald bewundern können.

IMG_3857Credit: Lennart Pyritz

Ein Eimer voller Tenreks. Nach ihrem Filmauftritt wurden die Tiere wieder in die Freiheit entlassen.

Mit dem Filmteam unterwegs ist auch Rainer Dolch, ein deutscher Biologe und Naturschützer, der seit Jahrzehnten zwischen Madagaskar und Deutschland pendelt, und als Koordinator für die Association Mitsinjo arbeitet. Er erzählt uns eine überlieferte Geschichte über den Ursprung der Indris: In grauer Vorzeit lebt ein Bruderpaar im Regenwald. Irgendwann entscheidet sich der eine, den Wald zu verlassen. Er wird später zum Menschen. Der im Wald zurückgebliebene Bruder wiederum wird zum Indri. Die melancholisch klingenden Rufe der Lemuren deuten die Madagassen so, dass der zurückgebliebene nach wie vor seinen Bruder ruft, der dem Wald den Rücken gekehrt hat. Für die Menschen der Region ist es fady, den Tieren nachzustellen; Geschwister jagt man nicht…

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Nach einem Biologiestudium in Göttingen promovierte Lennart Pyritz am Deutschen Primatenzentrum über das Gruppenverhalten von Lemuren. Dafür verbrachte er insgesamt 14 Monate im Trockenwald Westmadagaskars. Über diese Zeit führte er einen Blog für Spektrum.de, der 2012 in erweiterter Form auch als Buch veröffentlicht wurde ("Von Makis und Menschen", Verlag Springer Spektrum). Nach der Doktorarbeit wechselte Lennart Pyritz in den Wissenschaftsjournalismus, hospitierte bei der Süddeutschen Zeitung in München, ZEIT Wissen in Hamburg und arbeitete als Vertretungsredakteur der Sendung "Quarks & Co" im WDR. 2012 bis 2014 volontierte er anschließend beim Deutschlandradio in Köln und Berlin und für einen Monat bei BBC 4 in London. Anschließend arbeitete er als Junior-Programm-Mitarbeiter im Deutschlandfunk. Vom 10. September bis zum 22. Oktober unterbricht er seine Anstellung beim Radio, um mit einem Recherchestipendium der Heinz-Kühn-Stiftung als Journalist nach Madagaskar zurückzukehren.

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