Hochsensibilität: Feine Fühler als Chance

Etwa 15 bis 20 Prozent der Menschen empfinden tiefer und intensiver als ihre Mitmenschen, sämtliche Reize werden stärker wahrgenommen. Oft allerdings wird der Charakterzug mit Überempfindlichkeit oder Schüchternheit verwechselt. Dabei bietet die Hochsensibilität, mit einem feinfühligeren Sinnesapparat im Zentrum, Chancen.

Es war das Jahr 1996, mein Geburtsjahr, in dem die US-Psychologin Elaine N. Aron mit ihrem Buch „Die Hochsensible Person“ – oft abgekürzt mit HSP – für Aufsehen sorgte.Dort beschreibt sie Individuen mit „sensory processing sensitivity“ (SPS), was übersetzt werden kann mit einer empfindlichen Verarbeitung von Sinnesprozessen. Dieser Charakterzug zeichnet sich insbesondere durch einen intensiveren Input in das zentrale Nervensystem aus. Darüber hinaus findet eine verstärkte Verarbeitung von Umweltreizen – auf körperlicher, sozialer und emotionaler Ebene – statt.2

Von Anfang an

Diese Art der Wahrnehmung entwickelt sich nicht erst im Alter, sondern ist ein angeborenes Merkmal. Das bedeutet, dass bereits Neugeborene ihre Umwelt verstärkt wahrnehmen. Da dies schwer nachzuweisen ist, kann die möglicherwiese erhöhte Aufmerksamkeit im Kleinkindalter einen ersten Hinweis auf eine hochsensible Person darstellen. Bestätigt sich diese Beobachtung, sollte das Umfeld so gestaltet werden, dass es nicht zu viele Reize und Einflüsse bietet.Wenig Hintergrundlärm im Alltag, seltene Umzüge und auch ein moderates Maß an Freizeitaktivitäten können Abhilfe schaffen und sich positiv auf die Kindesentwicklung auswirken.

Gibt es eine genetische Grundlage? In der Tat scheinen insgesamt zehn Gen-Orte auf sieben Genen, verantwortlich für Dopamin-System, Hochsensibilität zu begünstigen. Dabei sehen Forscher das Gen 5-HTTLRP – genauer: die kurze, nicht die lange Variante – als zentral an.Dieses transkribiert für den Serotonin-Transporter (SERT), das neben dem Neurotransmitter Serotonin selbst auch das Glückshormon Dopamin transportiert. Dopamin spielt im Nervensystem eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Sinnesreizen. Es steuert beispielsweise die Erregungsweiterleitung durch die verstärkte Aktivierung nachgeschalteter Neuronen. Werden die Neuronen stärker stimuliert, so addiert sich der Reiz auf, dieser kann verstärkt wahrgenommen werden.

Eine hoffnungsvolle Eigenschaft

Wurde die Empfindsamkeit (besonders bei Männern) häufig als schüchtern und/oder feminin bezeichnet und negativ angesehen, so wandelt sich das Bild zunehmend mit dem gesellschaftlichen Wandel. Studien ergaben, dass höhere Empfindsamkeit in Beziehungen mit erhöhter adaptiver Bereitschaft einhergeht. Das soll heißen, dass Männer und Frauen als HSPs eher dazu bereit sind, über ihre Gefühle zu sprechen und unter Umständen notwendige Änderungen für den Fortbestand einer Beziehung umzusetzen. Die Forscher ermittelten zudem eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine glückliche Beziehung zu führen.

Einen Selbsttest zur Hochsensibilität von Elaine N- Aron finden Sie hier. (http://hsperson.com/test/highly-sensitive-test/)

Fortsetzung folgt.

Das Wichtigste kompakt:

  • Etwa 15-20% der Menschen sind hochsensible Personen (HSPs), die Sinnesreize tiefer empfinden und verarbeiten.
  • Hochsensibilität hat genetische Grundlagen: 5-HTTLPR, das Gen für den Serotonintransporter, ist in seiner kurzen Form essentiell für SPS
  • Hochsensibilität kann für das Individuum (und seine Partnerschaft) vorteilhaft sein.

https://books.telegraph.co.uk/Product/Elaine-N-Aron/The-Highly-Sensitive-Person/15864863

https://www.researchgate.net/publication/288687054_Making_sense_of_it_all_The_impact_of_sensory_processing_sensitivity_on_daily_functioning_of_children

https://www.hochsensibilitaet.ch/hochsensibel/hs_babies_kleinkinder

http://hsperson.com/pdf/Poster_SOBP%20meeting%202011_Licht_030511.pdf 

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Veröffentlicht von

Mein Name ist Nico Amiri, 24 Jahre bin ich jung. Als der Masterstudent der Biomedizin und neugieriger Mensch entdecke ich jeden Tag diese wundervolle Welt neu für mich. In meinem Studium lege ich meinen Schwerpunkt auf Genetik und Genomik. Mich interesssieren die Erforschung der Hochsensibilität und der neurodegenerativen Erkrankung Alzheimer sowie Epigenetik und das Exposom.

10 Kommentare

  1. Hochsensibilität ist also das Resultat eines Zusammenwirkens einer Gruppe von Genen, die zusammen genommen die Wahrscheinlichkeit bestimmen an Hochsensibilität zu “erkranken”, genau so wie die Wahrscheinlichkeit an Diabetes 2, koronarer Herzkrankheit oder Brustkrebs zu erkranken mit einer polygenen Risikopunktzahl (polygenic risk score) verbunden ist.

    Die Wahrnehmung und Anerkennung von Hochsensibilität könnte medizinisch/gesellschaftlich zur personalisierten Medizin und gar zu einer personalisierten Gesellschaft passen, wobei personalisiert hier nicht individuell im klassischen Sinne meint, sondern wo personalisiert “zugeschnitten auf die Anlagen/Gene einer Person” meint.

    Ein Hypersensibler, eine Hypersensible wird in einer solchen Gesellschaft gerade wegen des Wissens um seine/ihre Anlage eine entsprechende, an seine/ihre Anlage angepasste Lebensführung anstreben, was sich von der Partner- bis zur Berufswahl auswirken kann.

    Dies ist zuerst einmal eine Verbesserung gegenüber der heutigen gesellschaftlichen Praxis, die alle über den gleichen Kamm schert. Aber solche Rücksichtsnahme hat auch ihre Risiken, denn es bedeutet wohl auch, dass man neue Kategorien von Menschentypen schafft und damit eine bereits diversifizierte Gesellschaft noch weiter in Gruppen aufsplittet. Und wie wir wissen und erfahren haben, wollen einmal geschaffene Gruppen oft wenig mit anderen Gruppen zu tun haben. Und das erschwert das Zusammenleben – oder verkompliziert es mindestens.

  2. Ein Gutes Jahr 2019 Herr Holzherr !

    Empfindsame Menschen und Sturköpfe gab es schon immer. Mit beiden Gruppen klar zu kommen, das ist die Aufgabe, die jedem Menschen auferlegt ist. Gut finde ich die Entdeckung der Hormone und deren Aufgaben dabei. Wahrscheinlich sind in den teuren Parfums Lockstoffe und Glückshormone enthalten, anders ist es doch nicht zu erklären, dass für diese Parfums hohe Preise verlangt werden.

  3. Eigentlich müsste die Stärke der Sensibilität in der Bevölkerung in der Form einer Gaußschen Normalverteilung auftreten, so ähnlich wie es auch beim Intelligenzquotienten ist.

  4. Hypersensibiltät kann vieles bedeuten: Ist es nur die Empfindsamkeit gegenüber äusseren Reizen oder auch die Empfindsamkeit und die Stärke der Reaktion auf Erlebnisse, Erfahrungen und Schlüsse? Reagiert ein Hypersensibler also grundsätzlich stärker auf eine Trennung oder reagiert er nur dann stark auf eine Trennung wenn sie mit extremen Reizen einherging wie etwa Blaming&Shaming, Schläge und Gewalt, Blosstellung vor Kollegen?

    Hypersensibilität könnte auch ein interessantes Forschungsgebiet sein wo Verhaltenstests mental/kognitive Zusammenhänge ausloten könnten indem Unterschiede zwischen Hochsensiblen und Niedrigsensiblen erkundet werden.

  5. Man kann sensibel gegenüber den eigenen Empfindungen sein, und/oder man kann sensibel gegenüber den Empfindungen von anderen Menschen sein.
    Auch wenn man sensibel gegenüber den Empfindungen von anderen Menschen ist, kann man diese Fähigkeit entweder zum Vorteil oder zum Nachteil dieser Menschen anwenden.

  6. K.Bednarik:
    “Sensibel gegenüber den Empfindungen von anderen Menschen…”
    Ich würde das EMPATHIE nennen.Hochsensible scheinen sehr empathisch zu sein, da
    sie selbst kleinste Reize wahrnehmen und entsprechende Assoziationen herstellen. Diese Feinfühligkeit ermöglicht es ihnen das Wesen anderer Menschen schneller zu erfassen und sie sind damit den “normalen ” Menschen im Empfinden der Welt voraus.Hochsensibilität könnte meiner Ansicht nach nicht nur genetische Ursachen haben, sondern auch das Ergebnis traumatischer Erlebnisse, da Sensibilität neurologisch gesehen mit einer Dauererregung des Nervensystems verbunden ist(Postraumatisch Störung). Für die jeweils Betroffenen kann dieser Zustand sehr belastend sein, da diese Reizüberflutung auf Dauer schädlich ist(hohes Arousal/hohe Sympathikuserregung).

  7. Gemäss deutschssprachiger Wikipedia gibt es noch keine (Zitat) „allgemein anerkannte neurowissenschaftliche Definition des Phänomens Hochsensibilität“, jedoch scheinen intensiveres und detaillierteres sinnliches Erleben und Erinnern, Empathie und „Theory of Mind“ (wissen was im anderen vorgeht), intuitives Denken, Begeisterungsfähigkeit, besseres Langzeitgedächtnis, Harmoniebedürfnis, Perfektionismus und Stressanfälligkeit damit einherzugehen.

    Hochsensible sind also durch ein ganzes Bündel von Eigenschaften charakterisiert wobei nicht alle Hochsensiblen wohl das ganze Spektrum aufweisen. Leider sind wir damit wohl wieder im gleichen Dilemma wie beim ADHS-Syndrom, wo ebenfalls ein grosses Spektrum von „Auffälligkeiten“ möglich ist und es letztlich dem persönlichen Urteil des Psychologen oder Lehrers überlassen bleibt ob nun die Diagnose gefällt wird oder nicht.

    Generell gibt es ja bei sehr viele psychischen Auffälligkeiten, Persönlichkeitskonstellationen und psychischen Krankheiten eine derartig grosse Variabilität und derart viel Mischbilder, dass Diagnosen, aber auch Therapien und Beurteilungen nicht leicht fallen.

    Immerhin scheint Hochsensibilität mit dem Vorhandensein gewisser Gene verknüpft zu sein. Das deutet darauf hin, dass es vielleicht doch einen gemeinsamen Kern gibt, der Hochsensible auszeichnet und vom Rest unterscheidet.

  8. Was ist sensibel ?
    Betrachte ich Eric Kandells Ausführungen über die Meeresschnecke Aplysia, so ist SENSIBILITÄT das Ergebnis der steten Einflussnahme von einem bestimmten Reiz auf den Organismus. Der Organismus wird so sensibilisiert und “erkennt” diesen bestimmten Reiz dann immer wieder. So wird in Zukunft dieser Organismus auf diesen Reiz sofort und entsprechend reagieren.Offenbar ist dieses Prinzip ein evolutionär wichtiges, da auch Tiere und Pflanze so funktionieren.So werden Pflanzen “sensibel für den Kältereiz und werfen danach im Herbst ihre Blätter ab.Tiere reagieren auf gelernte Reize mit Kampf oder Flucht. Hochsensibelität ist also eine besondere Reizempfindlichkeit für Außen-und Innenreize.Es ist anzunehmen, dass Hochsensible, da sie nicht dem “Normalen” entsprachen ,entsprechend kritisch bewertet wurden.Vielleicht sind die “Hexen” des Mittelalters Frauen gewesen, die auf Grund dieser Eigenschaften wie besondere Empathie “seherische Fähigkeiten” entwickelten,was anderen Zeitgenossen als vom Teufel verhext vorkam ? Laut E. Kandell gibt es auch eine Gewöhnung an Reize (Habituation) oder Desensibilisierung. Wahrscheinlich können Hochsensible diese Habituation nicht umsetzen, was wiederum eine chronische Überreizung(Stress) zur Folge haben könnte…

  9. Es ist anzumerken, dass eigentlich „nur“ die besagte Autorin zu diesem Thema erwähnt wird und bemerkenswert ist auch, es hat den Anschein, als seine die Daten aus dem Buch so quasi „verlässlich“. Ich wage diese 15% – 20 % sehr stark zu bezweifeln und bevor überhaupt mit Zahlen um sich geworfen wird, sollten gewisse Gegebenheiten vielleicht mal berücksichtigt werden:

    Es wird wohl kaum ein Konsens darüber erreicht werden, wer denn nun hochsensibel ist – und wer nicht. Vielleicht ist das auch gut so, aber sogenannte Randgruppen – und zu einer Randgruppe zählen sich die meisten HSP`ler ja – sind in der Regel viel – viel kleiner als 15% – 20%!

    Es ist auch einfach Chic, sich als Etwas auszugeben, worüber keine genaue Definition möglich ist und logischerweise so das Wesen des Speziellen gar nicht so richtig vorhanden, bzw. nachvollziehbar ist.

    Auffallend ist ebenfalls, sehr viele hochsensible Menschen fühlen sich „spirituell dazu privilegiert“, mit ihrer Gabe auch unbedingt „anderen Menschen zu helfen“, natürlich gegen ein kleinen Beitrag. Ein Schelm ist, wer böses denkt.

    Hand auf`s Herz! Hochsensibel lässt gewiss nicht die Erwartung zu, dass diese Menschen friedlicher sein sollten, oder mehr „in der Welt zu tun“ haben, aber ich denke schon. Hätten wir diese 15% – 20% wirklich, dann müsste doch schon längst eine richtige Bewegung daraus entstanden sein und irgendwo müssten doch sichtbare Spuren vorhanden sein… Z.B. Eine Entschleunigungs-Bewegung… Gar nicht so abwegig…

    Ich mache mich in dem Sinn nicht lustig über hochsensible Menschen. Ich mache mich nur lustig über hochsensible Menschen, weil ich selbst einer davon bin. Wer wirklich hochsensibel ist, der müsste es selbst wohl am besten wissen und sich – zwischendurch & gezwungenermassen – selbst mal eben nicht immer so verdammt wichtig nehmen. Etwas bemühen, um die eigene Toleranzgrenze zu erhöhen, anstatt dauernd von den Mitmenschen erwarten, diese müssen auf die Hochsensibilität Rücksicht nehmen. Das schafft Sympathien bei den Mitmenschen, garantiert! Interessant ist in dem Zusammenhang, ich werde tatsächlich hin & wieder mit der Vermutung angesprochen, ich sei hoch-sensitiv. Aber wahrscheinlich nur, weil ich tendenziell zurückhaltend bin.

    Merke: Eine hohe Verletzlichkeit ist definitiv kein Beweis für eine Hochsensibilität und merke weiter, wer besonders stolz auf seine Hochsensibilität ist, der interpretiert das ganze Geschehen in der Regel nur zu seinen Gunsten: Für viele echte Betroffene ist es genau so ein Fluch, wie ein Segen und für mich ist es definitiv unangenehm. Ich persönlich „oute“ mich daher nicht, habe ich nie gross gemacht. Was nützt es, wenn ich Mitmenschen über permanente Reizüberflutung berichte. Sinnvoller ist es doch, eigene Strategien zu entwickeln, wie „entschärft“ werden kann und eher „herunter kochen, als anheizen“… Ist meine Devise…

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