Zusammenhalten-Rede in Pforzheim für Regeln und gegen Verschwörungsmythen

Freiheit gibt es nur mit Regeln. Ohne eine komplexe und auch mit Kontrollen und Strafen bewehrte Straßenverkehrsordnung könnte niemand von uns sicher Verkehrswege nutzen. Ohne strenge Waffengesetze wären Gewalt und Unsicherheit auch in Deutschland weiter verbreitet. Ohne wissenschaftliche Regeln gäbe es keine überprüfbaren Erkenntnisse. Und ohne auch Grammatik- und Umgangsformen könnten wir nicht einmal miteinander kommunizieren! Zur Bewältigung von Krankheiten und insbesondere Pandemien sind Regeln geradezu unerlässlich. “Impfen schützt auch die Kultur” hatte das Pforzheimer Stadttheater zu Recht auf ein Banner geschrieben.

Entsprechend schrieb auch der große, heute leider auch von Marktradikalen missbrauchte Liberale Ludwig von Mises aus Wien in seinem Grundlagenwerk „Liberalismus“ (Jena 1927, u.a. Neuauflage 2006 bei der Friedrich-Naumann-Stiftung) :

„Wenn jemand seinem Arzte, der ihm vernünftige – d.h. hygienische – Lebensweise empfiehlt, zur Antwort gibt: >Ich weiß, daß Ihre Ratschläge vernünftig sind; meine Gefühle verbieten es mir aber, sie zu befolgen; ich will eben – mag es auch unvernünftig sein – gerade das tun, was meiner Gesundheit schädlich ist.<, dann wird es wohl kaum jemand geben, der dem Lob spenden wird.“

Als Jude von den Nationalsozialisten aus Europa vertrieben, gelang von Mises in den USA eine zweite Karriere – im realen Leben ebenso wie in Entenhausen. Hier wurde er zur Vorlage des Wiener Professors Primus von Quack in den Donald-Duck-Comics.

Es ist also m.E. völlig klar, dass es an jedem Regelwerk immer auch Kritik- und Verbesserungsbedarf geben kann. Ebenso verstehe ich wie von Mises ein “Unbehagen an der Kultur”, wenn insbesondere früher einflussreichere Milieus – etwa weiße Männer, wie ich es ja auch bin – das Gefühl haben, Privilegien und Freiheitsräume zu verlieren. Hinter “Man(n) wird ja wohl noch sagen dürfen..!” beginnen häufig unschöne Ressentiments.

Aber wenn darüber hinaus nicht mehr konstruktive Kritik, sondern Verschwörungsmythen verbreitet und wenn nicht mehr Sachargumente, sondern Verschwörungsvorwürfe erhoben werden – dann bricht jedes Gespräch zusammen. Es war eben keine Freiheit mehr – für niemanden – als Menschen wie die Familie von Mises antisemitisch entrechtet und verfolgt wurden. Wer mit digitalen Verschwörungssekten wie QAnon oder Querdenken unterwegs ist, gefährdet andere und auch sich selbst. 

Seit Jahren rechtsextreme Angriffe gegen das Miteinander Pforzheim

Und leider wird gerade auch das vielfältige Pforzheim seit Jahren von rechtsextremen und antisemitischen Gruppierungen angegriffen, die das Zusammenleben von nichtreligiösen, jüdischen, christlichen, muslimischen, ezidischen und andersglaubenden Pforzheimerinnen und Pforzheimern sabotieren wollen. Dazu gehören antijüdische Wahlplakate, rechtsextreme Aufmärsche am Wallberg und auch sog. Ungeimpft-Judensterne, die die realen Opfer des Holocaust verhöhnen und gleichzeitig unsere Demokratie als NS-Staat verleumden.

Höhnischer Ungeimpft-Judenstern in Pforzheim, nahe der Synagoge. Foto: Jüdische Gemeinde Pforzheim

Aus all diesen Gründen war es für mich keine Frage, nach der Rede für Monismus und gegen Antisemitismus in Filderstadt auch der Einladung nach Pforzheim zu folgen, zur Zusammenhalten-Menschenkette zu sprechen. Ich wollte den Menschen danken, die ihre wunderbare Stadt und Region gegen die wiederkehrenden Übergriffe der Verschwörungsgläubigen friedlich und demokratisch verteidigen.

Weil kurz zuvor eine Polizistin und ein Polizist im Einsatz für unsere Sicherheit und Regeln bei Kusel in unserem Nachbarland erschossen worden waren, war es mir wichtig, auch gegen den nahenden Trommel-Lärm der verschwörungsmythologischen Demonstration gegen die Pandemie-Maßnahmen eine Schweigeminute zu erbitten. Was für eine Farce: Dass Menschen gar nicht merken wollen, dass die Polizei auch ihr Recht auf noch so absurde Demonstrationen nicht nur achtet, sondern schützt.

Nach Organisator Gerhard Baral – der auch für seinen Kollegen Carl Schmitt sprach – finden Sie hier auch meine Rede ab Minute 21:20 Uhr, die von einem Störer angegriffen wird.

Besonders freute mich die breite Beteiligung demokratisch gewählter Politiker:innen – von zahlreichen Stadträtinnen und Stadträten über Bürgermeister Andreas Felchle (Maulbronn) bis hin zu den Bundestagsabgeordneten Katja Mast (SPD), Gunther Krichbaum (CDU) und Stephanie Aeffner (Grüne) sowie den Landtagsabgeordneten Stefanie Seemann & Felix Herkens (Grüne) sowie MdL a.D. Marianne Engesser (CDU). Von den Kirchen konnte ich Dekanin Christiane Quincke (ev.) und Pfarrer Georg Lichtenberger (kath.) begrüßen, von der jüdischen Gemeinde u.a. Rami Suliman, der auch Mitglied meines Expertenrates ist.

Über das große Interesse, aber auch die intensiven Gespräche danach – etwa über einen stärkeren, gesetzlichen Schutz von Gedenkorten und die dringend gebotene Anerkennung des Judendeutschen als deutsche Sprache samt Gleichstellung jüdischer Zugewanderter – habe ich mich sehr gefreut. Denn ich meine, dass gesprochene Worte in einer Demokratie mindestens so wichtig sind wie Texte. Nicht zufällig betitelte Martin Buber seine Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels von 1953: “Das echte Gespräch und die Möglichkeit des Friedens.” 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

20 Kommentare

  1. Hier den Bogen zu spannen, von den Irren, die dieses abscheuliche Verbrechen begangen haben zu Menschen, die mehrheitlich friedlich gegen die Maßnahmen der Regierung protestieren ist unsäglich.

    Sie stellen hier Schwerkriminelle, Mörder auf eine Stufe mit Menschen, die einfach ihre Meinung kundtun.

    Ob diese Meinungen falsch ist oder richtig tut überhaupt nichts zur Sache – die hier stattfinde Gleichsetzung mit Mördern ist einfach unredlich.

    • Nein, @Graf Cafliostro – das Datum der Tat hat den Bogen gespannt. Und auch Querschwurbler hätten eine Geste des Respekts und der Stille gegenüber den erschossenen Polizeikräften erbringen können.

      Es war und ist leider erkennbar, dass viele sog. „friedliche Demonstranten“ jeden Respekt vor unserem Rechtsstaat einschliesslich der Polizei vermissen lassen. Zuviel Wohlstandstrotz, zu wenig Vernunft. (Und, ja, Sie dürfen sich als Opfer fühlen. Aber unterlassen Sie wenigstens weinerliche Aggressionen.)

      Ach, und: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen… 💁‍♂️🙌

      • Lieber Herr Blume ich stimme Ihnen insofern zu, dass Respekt und Stille (in unserer Kultur) angemessene Reaktionen sind.

        Ich bitte Sie allerdings auch, hier Ihre Wortwahl (Querschwurbler) zu hinterfragen. Wenn es Ihnen wirklich um respektvolle, menschliche Begegnungen geht, sind solche Etiketten nicht wirklich hilfreich. Die Wortwahl könnte als Provokation wirken.

        Inwiefern hier die Demonstranten den Respekt vor dem Rechtsstaat vermissen lassen, bleibt hier Ihr Geheimnis.

        Ich weiß nicht an wen Sie hier “Opfer” und “weinerliche Reaktionen” adressieren. Bitte um Klarstellung.

        • Danke, dass Sie die Weinerlichkeit gleich selbst demonstrieren, @Graf Cagliostro: Selbst Abzocker sollen wir nicht Querschwurbler nennen und ermordeten Polizist:innen sollen wir nicht gedenken. Und wenn wir uns dann gegen Spalter mit Ungeimpft-Judensternen & Co. wehren, dann jammern Leute wie Sie, wir würden „polarisieren“.

          Nein, @G.C., gerade „weil“ ich Sie als Mensch respektiere, halte ich Ihre Nicht-Haltung gegenüber Wissenschaftsleugnern für kläglich. Ich finde ja, wir waren und sind noch viel zu tolerant. Poppers Toleranzparadoxon.

          • Herr Blume, offensichtlich armselig und kläglich ist ihre Unfähigkeit ihre Mitbürger als Menschen wahrzunehmen und zu akzeptieren. Sie wirken hier als Provokateur und Manipulateur, mit all Ihren guten Absichten und Vorhaben und merken es nicht einmal. Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen!

            … und lasset uns untereinander unser selbst wahrnehmen mit Reizen zur Liebe und guten Werken.

          • Ja, @Graf Cagliostro – mir ist völlig bewusst, dass meine auch kritischen Äußerungen etwa zu Querschenken oder unser Gedenken für ermordete Polizist:innen von manchen als „Provokationen“ aufgefasst werden. Gerade auch im Netz gab es viele versuche, das zum Schweigen zu bringen.

            Es macht mir keine Freude, Sie zu ärgern und ich kann völlig verstehen, wenn Sie sich in vom Mit-Denken abgeschottete Bereiche zurückziehen wollen wie @little louis. Wenn Sie hier aber zu Gast sein wollen, dann müssen Sie auch neue Argumente und sogar Widerrede aushalten. Your choice, my love! 💁‍♂️😉🙌

  2. @Artikeltext

    “…auch sog. Ungeimpft-Judensterne, die die realen Opfer des Holocaust verhöhnen und gleichzeitig unsere Demokratie als NS-Staat verleumden.”

    Das ist irgendwo zwischen Verhöhnung und extremer Übertreibung und sehr unsensibel. Man hat aber schon Probleme als Ungeimpfter. Ich finde aber auch, dass eine Impfpflicht derzeit nicht angemessen ist. Für die nächsten Monate nicht, weil voraussichtlich Omikron so gute Arbeit macht, dass nicht mehr viele Ungeimpfte übrig sein werden, die sich noch nicht infiziert haben.

    Und die, die sich jetzt infizieren, sind dann wohl auch für den nächsten Winter genug vor einer Reinfektion mit schwerem Verlauf geschützt, brauchen also keine zusätzliche Impfung. Im September 2021 wäre eine Impfpflicht gut gewesen, und hätte die Delta-Welle entschärft, die ist aber längst vorbei. Rein rechtlich kann man offenbar eine Impfpflicht nicht schnell realisieren, das braucht Monate. Auch wenn im Jahresverlauf 2022 noch problematische Virusvarianten auftauchen, kann es schwierig werden, dann mit einer Impfpflicht schnell zu reagieren. Also lassen wir es doch einfach sein, und den Impfunwilligen ihren Willen.

    Man muss hier bedenken: es gibt hierzulande Leute, die eigentlich gegen Pluralismus und offene Gesellschaft agieren, und das Impfthema nur missbrauchen. Aber es gibt auch jede Menge Leute, die sind für mehr Demokratie und nicht für weniger. Die sind nur für weniger Regeln, und vor allem gegen überflüssige Regeln. Ich auch, aber ich finde Impfen gegen Corona jetzt zufällig gut. Die Fakten, die ich sehe, sprechen klar für das Impfen – aber derzeit nicht für eine Impfpflicht.

    Wo wir offenbar am Kern des Problems sind: Die meisten Impfgegner sind offenbar von falschen Fakten betroffen. Ein gewisses Misstrauen gegen die Lobbydemokratie ist ja nun tatsächlich gerechtfertigt, dummerweise ist man aber wohl auf der Suche nach unabhängigen Fakten an findige Betrüger geraten. Diese falschen Fakten sind doch in Diskussionen die härtesten Hindernisse, die damit eventuell verknüpften Verschwörungsvorwürfe basieren doch gerade fast immer auf völligen Falschmeldungen. Die dann aber in der Masse unüberwindbar werden können.

    Einzelne Fakten wären noch korrigierbar, aber nicht gleich 20. So jedenfalls meine Erfahrung mit jemand, der bei den Reichsbürgern gelandet war. Der Kontakt zu dieser Person war dann schon vor Corona abgebrochen.

    • Das ist ein sehr reflektierter und ausgewogener Kommentar. Zum Thema Regeln empfehle ich mal nach Francis X. D’Sa “Die Katze des Gurus” zu suchen. Mögliche Erkenntnisse dann bitte auch die “heiligen Corona Regeln” anwenden.

  3. Wahnideen sind so eine Sache: Unser ganzes Wirtschaften basiert auf der Vorstellung, dass einen ein Euro satter macht als die vier Brötchen, die man dafür bekommt, denn für einen Euro könnte man sich theoretisch alles Mögliche kaufen, doch in der Praxis nur Eines davon. Deswegen ist jemand, der mit einem Euro in der Hand des Hungers stirbt, fetter als jemand, der sich lieber den Magen vollschlägt. Als wir anfingen, das Streben nach Pixeln als „Materialismus“ zu betrachten, hatten wir uns von der materiellen Welt in den Wahn verabschiedet. Eine Wirtschaftstheorie auf dem intellektuellen Niveau der Weisen Echsenmenschen von Zion – und dennoch hat sie ein Weilchen funktioniert. Warum? Weil sie, trotz allem, ein paar Bauern und Bäcker toleriert. Weil sich Sonne, Luft und Erde ein Weilchen dazu herabließen, das Irrenhaus durchzufüttern, ohne sich um das Dafürhalten der Harvard Business School und aller renommierten und gefeierten Ökonomen der Menschheit zu scheren. Weil es nicht immer Pech ist, dass der Realität unser Glaube genauso schnurzpiepegal ist, wie uns die Realität.

    Jetzt schlage ich einen Selbstversuch vor: Bloß weil Sie erkennen, dass unser Wirtschaftssystem und die Jüdische Weltverschwörung beides Wahnideen sind – fällt es Ihnen genauso leicht, am Wirtschaftssystem zu zweifeln, wie an der Jüdischen Weltverschwörung? Oder verspüren Sie den Impuls, die Denkfehler herunterzuspielen, für die Hand, die Sie füttert, billige Ausreden zu finden, bloß damit alles so bleibt, wie Sie es gewohnt sind?

    In alten Zeiten machte man Schulden beim König, und wenn es dem Volk zu viel wurde, erließ er sie. Dann machten wir Schulden bei den Juden, und wenn es zu viel wurde, töteten wir sie. Heute machen wir Schulden bei der globalen Finanzwirtschaft, und wenn es zu viel wird, töten sie uns. Das heißt einerseits, ein Pogrom hatte reale, positive Auswirkungen auf das Leben der Menschen – sie verstanden nicht, wie es funktionierte, doch sie wurden von den Marktmächten auf Antisemitismus dressiert, wie man einen Hund mit Keksen dressiert, Pfötchen zu geben. Wenn wir die Geschichte so deuten, dass Religion immer nur ein geheuchelter Vorwand war und es bei all den Kriegen und Untaten eigentlich nur um materiellen Profit ging, ist das, streng genommen, nicht richtig – die Menschen erklärten sich die ganze Welt mit Religion, die Marktmächte und der Profit fielen in ihrem Denken mit „Gott“ zusammen. Und auch heute ist der Glaube an die Marktmächte eine Religion, die durchaus Puritaner, Extremisten und Fanatiker hervorbringt.

    Andererseits leben wir in einer Zeit, in der ein ausufernder Finanzsektor mal wieder zur Wirtschaftskatastrophe führt. Und dass die Banker „schuld“ sind, ist der Keks für alle Antisemiten der Welt – eine tatsächliche, materielle Krise lässt all die Theorien wieder aufleben, die früher für die Erklärung verwandter Krisen herangezogen wurden.

    (Wenn die Schweinchen nicht von der Wurst lassen können, ist der Metzger schuld. Irgend jemand muss das Pfund Fleisch aus dem Schweinehintern herausschneiden, und das ist erst lecker, wenn es am anderen Ende wieder hereinkommt. Systeme benutzen Menschen, dressieren und lenken sie durch Zuckerbrot und Peitsche, und Banker sind auch nur Narren wie Sie und ich. Erkläre nie mit Bosheit, was sich mit System erklären lässt).

    Staaten leben vom Glauben. Wenn ich 2+2=4 nachzähle, ist es, so Pi mal Daumen, eine Tatsache, sobald ich es aber jedes Mal als selbstverständlich voraussetze, ohne zu zählen, ist es ein Glaubenssatz. Er existiert, weil mir die Welt immer wieder Zuckerbrot dafür gibt, es zu glauben. Wenn ich all die Dinge subtrahiere, die ich bloß von irgendwelchen Rechtecken mit Bildern und Buchstaben drauf weiß, sieht die Welt plötzlich sehr nach Truman-Show aus. Gibt es so was wie Planeten? Gibt es ein „Deutschland“? Gibt es so was wie Staaten überhaupt? Gibt es eine Welt außerhalb meiner Lebenswelt? Ich gehe davon aus, dass das Meiste von dem, was die Grundlagen meiner Weltanschauung ausmacht, real ist, weil mir die Rechtecke verklickert haben, dass es viel zu viel Arbeit wäre, mir eine ganze Wirklichkeit vorzutäuschen, es keinen Sinn hätte und ich viel zu unwichtig bin. Wenn ich den Rechtecken vertraue, habe ich Futter und weniger Stress mit meinen Mitmenschen – ich kriege Zuckerbrot. Misstraue ich ihnen zu sehr, hab ich keine Freunde mehr und komme in die Klapse – ich kriege Peitsche.

    Ich kann nicht unterscheiden, ob Zuckerbrot und Peitsche vom kollektiven Wahn der Gesellschaft, oder von der materiellen Realität verteilt werden. So kann sich die Gesellschaft einen gemeinsamen Gruppenwahn schaffen – ein Betriebssystem, das alle harmonisiert, einen gemeinsamen Gencode aus Fakten, Dogmen und Vorurteilen, der so lange funktioniert, wie es von Zuckerbrot und Peitsche bestätigt wird. Ich bin ja doof, immer nur ein winziger, ahnungsloser Lego-Stein in gigantischen, komplexen selbstorganisierenden Systemen – ich kann zwischen Wahn und Wahrheit im Gencode nicht unterscheiden, also halte ich beides für wahr. Solange das Zuckerbrot fließt.

    Staaten sind einfache Gebilde. Es gibt immer Adel und Gemeine, Oberschicht und Personal, Vampire und Zombies. Die Vampire verwalten den Gencode, verteilen Zuckerbrot und Peitsche, kontrollieren die Zombies durch die Hypnose der Macht – die gleiche Hypnose, die es Ihnen schwer macht, an der Hand, die Sie füttert, ausreichend zu zweifeln, um das System zu modifizieren. Spüren Sie es? Selbst wenn Sie genau wissen, dass Sie daran verrecken werden – Sie ändern nichts daran, Sie spielen weiter mit, als ob nichts wäre, ihr Geist bleibt passiv, narkotisiert, lethargisch. Gibt’s irgendwo eine Futterquelle, bauen die Vampire den Staat zu einer effizienten, gut organisierten Fressmaschine aus, und wenn’s gut läuft, frisst sie schneller, als sie schlingen können, der Wohlstand staut sich auf und erzeugt satte Bauern und satte Mittelschicht. Ist die Futterquelle erschöpft, verzehrt sich der Staat selbst, von unten nach oben – die Schwächsten gehen zuerst drauf.

    Eine Weile gibt’s also eine Polarisierung, einen Konflikt: Die Welt der Vampire bleibt noch lange intakt, weil sie die Unterschichten auspressen und schlemmen können, wie bisher – sie merken keinen Unterschied, also machen sie weiter wie bisher. Sie predigen den etablierten Gencode. Doch unten funktioniert er nicht mehr, das Zuckerbrot bleibt aus, die Peitsche nimmt zu. Also gibt es immer mehr Zweifel, immer mehr Offenheit, um mit Mutationen zu experimentieren. Ganz egal, wie realistisch der etablierte Gencode einmal war – er wird zur Verschwörungstheorie, zum Wahn, weil sich die Umwelt verändert hat und er nicht mehr funktioniert. Der erlebte Unterschied zwischen etabliert und mutiert schwindet. Ein Paradies für Bauernfänger und Umstürzler, die es selbst zum Vampir bringen, oder in der Vampirhierarchie aufsteigen wollen.

    Wenn der etablierte Gencode es nicht mehr packt, schaut man halt im Archiv nach, was denn früher funktioniert hat. Und was findet man da? Antisemitismus. Der wird dann mit allem vergärt, was einem so im Hinterkopf herumspuckt, den Verschwörungstheorien von Akte X, den Echsenmenschen von V – die Außerirdischen, tausend Hollywood-Filmen. Das Unterbewusstsein kann zwischen Realität und Fantasie noch schlechter unterscheiden, als der Verstand. Und schon der kann es nicht allzu gut: Was sich wahr, was sich vernünftig anfühlt, entscheidet das Gefühl: 2+2=4 f ü h l t sich rational an, selbst wenn man es nicht nachprüft. „Geld ist Wert“ fühlt sich vernünftig an, die ganzen Traumtänzer, die die Welt damit vermessen, halten sich für bodenständige Realisten, für die nur harte Fakten zählen. Sie begreifen nicht, dass ihre Fakten nur dann Fakten sind, wenn sich die Realität gnädig dazu herablässt, uns so zu tun zu lassen als ob. Sie begreifen nicht, dass ihre Realität virtuell ist, und eine materielle Metaphysik braucht, die sie aufrechterhält. Wie Nerds, die über Star Trek debattieren, als wäre es real, bis sie merken, dass ihnen weder Kirk noch Picard ein Sandwich schmieren können.

    Da die Vampire genauso hirnlos sind wie die Zombies, verwechseln sie die Wirtschaftskrise mit einer Glaubenskrise – sie wundern sich über all die falschen Propheten, die plötzlich überall auftauchen und versuchen, sie aufzuhalten. Mit ihrer eigenen Menschenfresserei haben sie natürlich kein Problem, im Gegenteil, darin liegt ihre ganze Tugend, denn sie erhält ihre Macht. Deswegen versagt das System immer mehr und produziert immer mehr falsche Propheten. Die werden mit immer drastischeren Mitteln bekämpft. Gewalt erzeugt Gegengewalt erzeugt Gegengewalt erzeugt Gegengewalt – ein Teufelskreis entsteht, eine Eskalationsspirale, bei der sich beide Gruppen in rechthaberischen Wahn hineinsteigern, ohne die wirtschaftliche Misere lösen zu können. Wenn jetzt kein Wunder passiert, ist der Staat tot.

    Regeln sind ja schön. Ja, wir brauchen sie für die Freiheit, denn wir leben in einer Welt, die viel mehr Masse und Energie hat als wir, ohne Zellwände wird sie uns zermalmen – wir sind nur frei, wenn die Welt um uns herum uns nicht bestimmt, wenn sie schwächer und fügsam ist, und dazu müssen wir uns in winzigen Realitäten einsperren, in denen jeder von uns ein winziger Gott sein kann, mit einem Freiraum, der seiner winzigen Macht angemessen ist. Um diese kleinen heilen Welten aufrecht zu erhalten, müssen wir sie als Lego-Steine in einem System verbauen, das die Peitsche fernhält und das Zuckerbrot heranschafft. Doch solche Systeme sind lebende Organismen, früher oder später sterben sie. Und wenn sie sterben, reißen sie uns mit in den Tod, wenn wir die Regeln beibehalten. Wir mutieren, wir passen uns an, notfalls schlachten wir das System und bauen ein neues. Ob wir wollen oder nicht. Physik, Biologie, Evolution, reiner Überlebenswille zwingen uns dazu.

    Es steckt eine Logik hinter dem Wahn, eine Wahrheit, der es scheißegal ist, ob wir sie erkennen oder zur Kenntnis nehmen. Fressen schreibt die Moral. Wenn das Brot alle ist, werden wir halt zu Kannibalen. Und jede Weltanschauung, die uns den Magen mit Mitmenschen füllt, erscheint uns wahr – weil sie da, in diesem Moment, wahr g e n u g ist. Warum stürzen sich alle auf die Juden? Es sind wenige, das macht sie zur leichten Beute. Sie sind bereits als Opfer vormarkiert, das spart Zeit und Organisationsaufwand, wenn man auf sie eindrischt, ist man automatisch Teil einer zahlenmäßig überlegenen Horde. Im Gegensatz zu den Schwachen, die durch die Armut schwach werden – Bettler, Arbeitslose usw. – sind sie quer durch alle Gesellschaftsschichten vertreten, das verspricht mehr Profit beim Brandschatzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass einem die Obrigkeit hilft, um von eigener Schuld abzulenken, scheint traditionell recht hoch. Vielleicht reicht das ja, um das System, das wir alle so lieben und verteidigen, einen weiteren Tag zu retten. Falls nicht, können wir ja andere Gruppen verschlingen, die wir willkürlich nach Merkmalen typisieren, die wir nicht haben, und nach der Erfolgswahrscheinlichkeit. Wenn wir uns an den Juden satt gefressen haben, sind wir ja stärker, das heißt, Menschen, die gestern zu stark waren, kommen dann als Beute in Frage.

    Wenn einem alle Ärzte der Welt Globuli verschreiben, weiß man, dass sie Recht haben, denn der Verstand ist auf ihre Logik und ihr Wissen gepolt. Doch das Gefühl lässt einen an den Ärzten zweifeln, weil man trotz Globuli immer kranker wird. Dann probiert man’s halt mit Aderlass, auch wenn alle Ärzte der Welt bereits wissen, dass das schädlich ist, gräbt sich im Misthaufen ein oder schmeißt Jungfrauen in den Vulkan. Und je mehr sich die Ärzte einig sind, desto glaubwürdiger erscheint einem die Globuli-Weltverschwörung.

    Hier gibt es nichts zu verteidigen. Es gibt eine sterbende Welt und ob man das Sterben retten oder die Welt töten will, beides ist natürlicher Teil des Sterbevorgangs. Etablierte und Verschwörungstheoretiker spielen ihre Rollen als hirnlose Komponenten des Selbstzerstörungsmechanismus. Antisemitismus ist ein Barometer für Systemversagen, ein Symptom, ein Warnzeichen, das relativ früh auftaucht. Wenn alle auf die Juden zeigen, sind alle hungrig nach Beute, also sind alle hungrig. Wenn wir die wirtschaftliche Metaphysik nicht korrigieren, können wir ihn nicht aufhalten. Die Glaubenskrise ist eine Folge der Wirtschaftskrise. Wenn wir n u r die Glaubenskrise bekämpfen, stellen wir bloß sicher, dass die Wirtschaftskrise unaufhaltsam eskalieren kann. Nur beides zusammen macht Sinn. Seelen werden gekauft, nicht überzeugt.

    Es kann keinen Frieden geben, wo zwei Menschen nichts zu fressen haben, als einander.

    Noch mal die Frage: Wie stark wirkt die Hypnose der Macht bei Ihnen? Spüren Sie so was, wie „ist ja alles wahr, aber das Problem anderer Leute“? Kommt es Ihnen selbstverständlich vor, sich eher auf die Glaubenskrise zu fokussieren, als auf deren Ursachen? Kommt Ihnen die Wirtschaft zu mächtig vor, zu selbstverständlich, zu stabil, zu intakt, um sie anzugehen, erscheint es Ihnen sinnlos, jenseits Ihrer Macht? Hat der Text vielleicht ein paar Gefühle erzeugt, die sich gleich wieder legen und nach und nach schwinden werden, wenn Sie zu Ihrer gewohnten Denkweise und Routine zurückkehren? Renfield erscheint so witzig, wenn man ihn von Außen betrachtet.

    Ich bin ja auch nicht anders. So sehr ich mich um einen Blick von Außen bemühe, ich bin und bleibe Teil des Systems.

  4. “Ungeimpft-Judensterne, die die realen Opfer des Holocaust verhöhnen und gleichzeitig unsere Demokratie als NS-Staat verleumden.”

    Leider ist es eben nicht immer so einfach. Ich empfinde es genau wie Sie, doch das hilft uns nicht weiter. Unter denen, die jetzt montags spazieren gehen, gibt es welche, die sagen: Ausgrenzung begann vor dem Holocaust. Die Ungeimpften fühlen sich ausgegrenzt und folgern daraus: heute darf ich nicht einkaufen gehen, aber was ist mit morgen? Wohin führt ein solcher Weg? Und Demokratie? Wir wissen seit der Weimarer Republik, wie schnell eine Demokratie zu Ende gehen kann. Und wir wissen auch, wie schnell der brave Bürger zum Denunzianten werden kann. Folglich gibt es nur eine Wahl, die Voltaire zugeschrieben wird:

    „Ich bin nicht einverstanden mit dem, was Sie sagen, aber ich würde bis zum Äußersten dafür kämpfen, daß sie es sagen dürfen.“

    • Nein, @Dietmar Hilsebein: Die Ausgrenzung der Nationalsozialisten begann aufgrund von Antisemitismus und Verschwörungsmythen & konnte durch kein Verhalten der Verfolgten abgewendet werden. Ungeimpfte haben sich dagegen aus freien Stücken gegen die Empfehlungen der Wissenschaft und gegen Solidarität entschieden. Das ist nicht gleichzusetzen.

  5. Kant: Sapere aude! Über die Größe der Vernunft und des Verstandes hat er sich, soweit ich es erinnere, nicht ausgelassen. Für ihn war nur wichtig, daß der Mensch sich aus dem Gängelwagen befreit! Und die Spaziergänger? Versuchen sie es gerade, sich zu befreien, auch wenn sie vermeintlich straucheln und fallen? Oder sind wir Konservativen die, die den Schlag nicht gehört haben?

    P.S. das wird man wohl mal sagen dürfen…

  6. Hinter “Man(n) wird ja wohl noch sagen dürfen..!” beginnen häufig unschöne Ressentiments.

    Diese Redewendung, auch, wenn sie meist – standardisiert erscheinend – angegrffen wird, könnte in Ordnung sein.

    Dr. Webbaer glaubt nicht, dass idF so oft ‘unschöne Ressentiments’ auftauchen, es ist aus seiner Sicht stattdessen oft so, dass sich einige kaum mehr trauen ihre Meinung öffentlich auszudrücken und insofern diese Redewendung, auch mögliche Kritik vorab abzuschwächen suchend, sich auf die Freiheit (für die liberale Demokratie zentrale) der individuellen Meinungsäußerung berufend, verwenden, und dies ganz ohne besondere Hintergedanken.

    Ludwig von Mises und Karl Popper waren idT nicht “marktradikal”.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    • In der Einschätzung von Ludwig von Mises & Karl Popper bin ich bei Ihnen, @Webbaer. Und ich meine (!) tatsächlich, dass durch die Erfolge der Wissenschaft der Bereich der Fakten immer weiter zunimmt und ihre Deutungen als immer enger erlebt werden. Wer etwa heute noch die Gefahren durch Viren, die Klimakrise, die Erklärungskraft der Evolutionstheorie oder historische Fakten wie die Massenmorde des Holocaust leugnet, vertritt keine „individuelle Meinung“, sondern lügt. Es wird immer schwerer, sich den Wahrheitsansprüchen von Wissenschaft zu entziehen. Das ist für viele schmerzhaft, ja…

  7. @ Blume

    “… & konnte durch kein Verhalten der Verfolgten abgewendet werden.”

    Richtig, das hätte ich beim Absetzen meines Kommentars bedenken müssen. Danke!

  8. @Michael 05.02. 13:25

    „Es wird immer schwerer, sich den Wahrheitsansprüchen von Wissenschaft zu entziehen. Das ist für viele schmerzhaft, ja…“

    Naja, die Wissenschaft liefert Infektionsraten, aber wie man jetzt Freiheitseinschränkungen versus Todeszahlen gewichtet, dass ist jetzt nicht mehr so klar. Hier kann man immer noch reichlich unterschiedlicher Meinung sein. Und die zur Verfügung stehenden Experten kommen überwiegend aus dem Gesundheitssystem, und die haben nicht nur eine hohen Expertise, sondern auch einen teils speziellen Interessenshintergrund. Überfüllte Intensivstationen sind denen deutlich näher als dem Durchschnittsmenschen.

    Man kennt ja auch nur einen sehr kleinen Teil der Wissenschaft, und auch Professoren sind in erster Linie nur in ihrem Fach professionell. Ich finde es recht schwierig, hier zu gucken, wie ich meine persönliche Lebenserfahrung in Beziehung zu den derzeit als gesichert geltenden wissenschaftlichen Erkenntnissen gewichten soll. Da bleibt einiges an Meinungsfreiheit übrig.

    In der Klimafrage ist es auch wieder speziell: Die Schätzungen über die CO2-Sensitivität gehen weit auseinander. Für eine Verdopplung der Treibhausgasemissionen wird eine Klimawirkung zwischen ungefähr 1,5° und 4,5° prognostiziert. Das ist ziemlich ungenau. Klar, wir haben derzeit nichts Genaueres, aber auch hier eröffnet sich eine Spektrum von möglichen Haltungen. Die einigen sagen, wir müssen auf Nummer sicher gehen, und vom Schlimmsten ausgehen, und entsprechend die Klimawende ganz radikal schnell umsetzen. Die andern sagen, vielleicht haben wir ja Glück, und es kommt gar nicht so schlimm, lasst uns also erstmal an der Erhaltung unseres Reichtums arbeiten.

    Praktischerweise nimmt man wohl den Mittelwert von 3,0°, und tut einfach was praktikabel und nicht allzu teuer wird. Aber hier können wir doch schon je nach persönlichem Risikoumgang verschiedene Meinungen auf der selben wissenschaftlichen Grundlage haben.

    Eine andere Frage ist die, wie alt man jetzt ist. Je jünger, desto mehr betrifft der Klimawandel. Mit und ohne Unsicherheitsfaktor.

    Immerhin ist davon auszugehen, dass der Unsicherheitsbereich durch Fortschritte in der Klimamodellierung demnächst kleiner wird. Und der reale Fortgang des Experimentes Treibhausgasemissionen und damit die tatsächliche Erderwärmung wird sich ja mit jedem weiterem Jahr dann tatsächlich realisieren. Eine Anpassung der Reaktionen ist je nach Ergebnis noch möglich, in beide Richtungen.

    • “Praktischerweise nimmt man wohl den Mittelwert von 3,0°, und tut einfach was praktikabel und nicht allzu teuer wird”

      Man macht das nicht “praktischerweise”, sondern weil auch gute Gründe dafür sprechen.

      “Im sechsten Sachstandsbericht zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen vom August 2021[16] wird der beste Schätzwert von 3 °C bestätigt, mit einer engeren wahrscheinlichen Bandbreite von 2,5 °C bis 4 °C.”

      https://de.wikipedia.org/wiki/Klimasensitivit%C3%A4t

  9. @zu meinem Beitrag vom 05.02. 15:01

    Statt Treibhausgasemissionen muss es Treibhausgasekonzentrationen und statt Klimawende Energiewende heißen.

    @Paul S 04.02. 11:26

    „Die Glaubenskrise ist eine Folge der Wirtschaftskrise. Wenn wir n u r die Glaubenskrise bekämpfen, stellen wir bloß sicher, dass die Wirtschaftskrise unaufhaltsam eskalieren kann. Nur beides zusammen macht Sinn. Seelen werden gekauft, nicht überzeugt.“

    Wir können ja tatsächlich beobachten, dass wirtschaftliche Probleme bzw. Ängste auch z.B. Verschwörungsmythen fördern. Ich denke aber, auch andersherum fördern dualistische Haltungen auch wirtschaftliche Probleme.

    „Es kann keinen Frieden geben, wo zwei Menschen nichts zu fressen haben, als einander.“

    Wenn wir einfach mal den Gasastreifen als Beispiel nehmen: Hier grassiert radikaler Islamismus, und man konzentriert sich ganz auf den Kampf gegen Israel. Das wenige Geld, was man hat, könnte man statt für Raketen besser in die Infrastruktur investieren. Und gucken, dass man sich einen eigenen Wohlstand erarbeitet. Dafür braucht man kein zusätzliches Land, aber vermutlich weniger Korruption.

    Eine Korruptionskultur behindert vermutlich auch die Entwicklung der eigenen Wirtschaft. Wenn die Bürokratie vor allem die Hand aufhält, blockiert sie so manche Initiative, und bremst das Bestreben der Menschen, sich was aufzubauen.

    Und ich vermute mal, dass ein quasi endzeitlicher Ansatz auf religiösen Gebiet generell die Selbstverantwortung untergräbt. Wenn es nur auf den richtigen Glauben ankommt, rückt die eigene Gestaltung der weltlichen Angelegenheiten in den Hintergrund. Das führt dann eben zu Versäumnissen, und das behindert einen Aufbau der eigenen Wirtschaft.

    Ich will jetzt den armen Ländern nicht unterstellen, dass sie alle nur selber Schuld sind an ihrer Misere. Immerhin könnten wir selber hier wesentlich hilfreicher sein. Z.B. weniger Waffen liefern, und dafür wirklich die lokale Wirtschaft fördern. Und auch die USA könnten sich mal mit Einmischungen in Bürgerkriege zurückhalten, die in praktisch allen Einsätzen nichts gebracht haben. In Somalia, Libyen, Syrien und Afghanistan hat man praktisch nichts erreicht. Den IS hat man zwar erfolgreich aufgehalten, aber ohne die vorherigen Golfkriege gegen den Irak hätte es den IS nie gegeben.

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