Zum Glauben geboren? Forscher ergründen die Evolution der Religion

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Abonnenten haben sie seit heute im Briefkasten, im Handel wird sie ab Dienstag (10. März) zu haben sein: Die neue Ausgabe 4/2009 von Gehirn und Geist, mit Artikeln zum Gedächtnis, zur systemischen Therapie, Gewaltforschung, Alpträumen, Glück – und dem Titelthema Evolutionsforschung der Religiosität.

Erfreulicherweise hat der Verlag aus der spannenden Ausgabe eine Leseprobe (pdf per Klick hier) von S. 32 bis S. 41 online frei zur Verfügung gestellt. Sie finden darin:

– "Homo religiosus", zum Stand der Evolutionsforschung
– "Yes, we believe. Vier Gründe, warum Amerikaner anders glauben." (mit Anja-Maria Bassimir)
– "Darwins philosophischer Imperativ", von Ulrich Kutschera

In der Ausgabe finden sich zusätzlich eine Diskussion zwischen dem Theologen Richard Schröder und dem Biologen Franz Wuketits über "Sinn und Unsinn des Glaubens", eine Bewertung von "Gott, Gene und Gehirn. Warum Glaube nützt. Zur Evolution der Religiosität" u.v.m.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

29 Kommentare

  1. Zum Glauben geboren?

    Ich bin keine Zeitschriftenabonenntin von Gehirn & Geist.

    Wie man Frage versteht, wird von der Definition des Begriff “Glaube” abhängen.

    Eltern bestimm(t)en zunächst mit mehr oder weniger traditionellem Hintergrund, in Verbindung mit Religionsorganisation, Rituale (Beschneidung, Wasserbegießung,…) Erziehung (Zuckerbrot und Peitsche) den Glaube = Fürwahrhalten, Überzeugung
    Es bringt einerseits eine Scheinsicherheit mit Gewohnheit andererseits eher Unfreiheit.
    Werte sind im Wandel, nicht auf ewig örtlich, zeitlich, festlegbar.

    Je näher die Freiheit, desto weniger bleibt meines Erachtens von Glaube =Fürwahrhalten. Die Freiheitsbegründer der USA waren nicht die Pilgerväter und Nachkommen.

    Vertrauen ist anderes. Es kann in Verbindung mit Glaube, Fürwahrhalten, einer Religionsorganisation stehen, muss aber nicht.

    Vertrauen ergibt sich aus Zuwendung, tatsächlicher Kompetenz (Kenntnisse, Ausführungsfähigkeiten) in mindestens einem fachlich, sachlichem Bereich und Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, darin.
    Bspw. Wunderwolke, in der Gott, dank Staub und Kondensation, führte, blitzte und donnerte, Wind mit dem er säuselte, aber auch Hokuspokus in christlicher Überlieferung beeindrucken dann nicht so sehr. Bedeutungsvoll bleibt mancher Begriff, wenigstens für mich, in wörtlicher Bedeutung, mit aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft, manchmal auch eigenständiger Herstellung von Verknüpfungen.

    Namaste

  2. Eine Lanze für Richard Dawkins

    Ich möchte meine Gedanken zu ihrem Artikel über eine Analogie darstellen:

    Die Optik hat uns die Erkenntnis über das Lichtspektrum gebracht. Wir haben erkannt, welche Bereiche des Spektrums das Auge wahrnimmt und wie daraus unser Gehirn Farbempfindungen erzeugt. Die Biologie erforscht Farbwahrnehmung bei den verschiedensten Tieren und zeigt uns damit die Vielfalt der möglichen Farbwahrnehmungen. Die Erforschung der Evolution erklärt uns die Ursachen, die zur Ausprägung der unterschiedlichen Farbempfindungen geführt haben.

    Die Malerei geht auf einer weiteren Ebene mit Farbempfindungen um und formuliert Deutungen.

    Wir diskutieren nicht (oder kaum) die „Wahrheitsfrage“ beim Farbsehen, sondern haben hier kulturell zwei Räume für Wahrheiten entwickelt: Die Kunst und die Wissenschaft.

    Eine ähnliche Transformation in komplementäre Wahrheitsräume müssen wir auch im Bereich der Religion erreichen.

    Anliegen von Richard Dawkins, Dan Dannett und Kai Blume ist, die Frage nach dem wissenschaftlichen Wahrheitsraum in unser Bewusstsein zu rücken. Das ist ein wichtiges Neuland in der öffentlichen Diskussion!

    Das kann aber nur ein Teil sein. Ähnlich wie die Optik nicht die Malerei obsolet gemacht hat, wird durch diese wissenschaftliche Diskussion Religiosität nicht obsolet. Die existentiellen Fragestellungen bleiben ja, und wir bedürfen weiterhin Weisheiten, die uns lehren, mit ihnen umzugehen und Frieden zu finden.

    Es gilt den zur Naturwissenschaft komplementären Wahrheitsbereich der Religion (in Analogie zur Malerei) zu entwickeln. Hierzu bedarf es einer breiten Diskussion und der Bereitschaft der Kirchen, einige ihrer Wahrheitsansprüche aufzugeben und ihre Position innerhalb der Gesellschaft weiterzuentwickeln.

  3. @ Peter Zwiauer

    Herzlichen Dank für Ihre Überlegungen! In der Metapher von theoretischer Optik und konkreter Farbwahrnehmung stimme ich Ihnen absolut zu: Die wissenschaftliche Erklärung löst das Phänomen nicht auf. Zu wissen, dass z.B. auch die Liebe ein Teil des Evolutionsgeschehens ist, reduziert ihren Zauber nicht (im Gegenteil?).

    Danke für Ihren ermutigenden Beitrag!

  4. @ Blume

    “Zu wissen, dass z.B. auch die Liebe ein Teil des Evolutionsgeschehens ist, reduziert ihren Zauber nicht (im Gegenteil?).”

    Wohl dem, der das annehmen kann. Die Liebe? Oh -die Liebe…Evolution, das ist Trieb und Drang! Liebe? Ich weiß es nicht! Ich weiß es wirklich nicht -Scheiße! Ich verzehre mich nach etwas, das ich nicht kenne! Liebe? Was für ein Wort…Nicht einmal ein Begriff -wie soll man Liebe begreifen? Gott? Bist Du die Liebe? Verdammte Scheiße -ich sehne mich so nach Dir…Nach Dir? Nach etwas? Ich habe keine Ahnung -ich habe nur meine Tränen!

  5. @ Dietmar: Existentielles Ringen

    Ja, wer auch nur ein einziges Mal wirklich mit der Liebe, der Musik, der Kunst oder eben der Religion gerungen hat, der wird nicht mehr dem Irrtum erliegen, die wissenschaftliche Erklärung beende die Erfahrung, den Wert, die Suche nach Sinn.

    Fallen unsere Tränen ins Nichts? Oder sind wir Wandernde auf einem langen (Generationen überspannenden) Pfad der Erkenntnis? Da der Blick des Wissenschaftlers bestenfalls das Jetzt und das Gestern erfassen kann, so geht auch er in die Ungewissheit.

    Himmel, zu was für Kommentaren so ein Artikel alles anregen kann… Hier wird man immer wieder überrascht… 😉

  6. Wann nächster paradigmatischer Schritt?

    Also Ulrich Kutschera sagt auch nicht immer nur die geistreichsten Sachen …

    Aber, Michael, wie sieht es eigentlich bei Dir aus. Bist doch erst knapp über 30, da müssen einem doch die Forschungsergebnisse, die man zwei Jahre zuvor hervorgebracht hat, schon schal wie abgestandener Kaffee vorkommen, oder?

    Das, was in dem Artikel steht, wissen wir doch nun alles schon.

    Mich würde interessieren: Wie sieht denn der Blick nach vorne aus? Wann kommt der nächste, große paradigmatische Schritt aus den Häusern Michael Blume und Richrad Sosis?

    🙂

  7. @ Ingo: 🙂

    Du bist mir echt ein Spaßvogel! Lange, ganz lange mußte ich auch bei Dir erst mal um die Anerkennung der Befunde ringen – und jetzt, da sie sich durchsetzen heißt es: Wo bleibt das Neue!? 😉

    Ernsthaft: Ich konzentriere mich derzeit sehr stark auf die Vermittlungs- und Detailarbeit, die Sichtung, Sortierung und Vertiefung der Befunde. Der nächste Schritt soll ja nicht weniger gut vorbereitet sein als der erste, schließlich ist die Online-Kritik (zu Recht!) noch schneller und unerbittlicher als früher üblich.

    PS: Was störte Dich an Kutscheras Text?

  8. spektrumdirekt

    @Martin, was bedeutet für diese Wissenschaftler der Begriff “religiös”, bzw. “gläubig”?

    Keine Angst? Mit Gott über Mauern, mit Zuckerbrot und Peitsche, Himmel und Hölle?
    Ursache von Gewalt ist Angst, Selbstvegewisserung, Zielverfolgung,

    Namaste

  9. @ Erdlicht

    Ich weiß nicht, was für diese Wissenschaftler religiös oder gläubig bedeutet. Das können die wohl nur selber sagen. Oder verstehe ich die Frage falsch?

    Die letzten zwei Verse verstehe ich nicht. Mit Gott über Mauern steht in Pslam 18, wenn ich mich nicht irre, aber sonst weiß ich nicht, was die Verse sagen wollen.

  10. Definition Religiosität

    In der Evolutionsforschung definieren immer mehr Beteiligte Religiosität inzwischen sehr klar als (beobachtbares) “Verhalten zu übernatürlichen Akteuren” (behavior towards supernatural agents), wobei letztere Ahnen, Geister, Götter, Außerirdische, Dämonen, Engel, Gott usw. umfassen.

    Ein Tanz ist also dann ein religiöser Tanz, wenn er der Kommunikation mit übernatürlichen Akteuren dient, eine politische Heilslehre oder spirituelle Erfahrung dann religiös, wenn sie sich auf übernatürliche Wesenheiten bezieht.

    Natürlich ist das eine Arbeitsdefinition, kann Wissenschaft immer nur Annäherung an Phänomene leisten. Aber das sollte sie auch tun. Und die bisherigen Erfahrungen mit diesem Ansatz sind sehr ermutigend.

  11. Kolumbus

    1. An Kutscheras Text störte mich nur, daß er nicht sonderlich geistreich war. Punkt. (Denn ich KENNE von Kutschera Geistreiches.)

    – Es hängt einem doch allmählich zum Halse heraus, dieses: “Als der Heilige Darwin auf der Beagle …” Und dieser sonore Stimmschlag dabei … Das wird ja schon bald heruntergebetet wie ein Mantra. Wem wird denn da nicht übel?

    xxxXXXxxxXXXxxxXXX

    2. Aber HALLO, Michael, DU mußtest bei MIR Überzeugungsarbeit leisten????? Aber HALLO! ICH wäre jemals ein Religionsdemographie-Leugner gewesen??? Oho, oho! Das stimmt aber nicht.

    Wir waren und sind uns (vielleicht) in den Interpretationen und Deutungen vieler Daten, Deiner Daten uneinig, legen da die Schwergewichte vielleicht in manchem anders (… Du hast halt einfach noch nicht meinen Horizont erreicht 😉 ) – aber daß ich Daten und Fakten geleugnet hätte, klein geredet hätte, davon kann niemals und nie und nicht die Rede sein. Ich war NIEMALS in der Partei. Und Punkt.

    Ich war niemals Religionsdemographie-Leugner, auch vor 1945 nicht. Und ich leide noch nicht an Demenz. (Ich lese nämlich gerade das gleichbenannte Buch über Deinen Tübinger “Lehrer der Nation” … [Ein Gruselbuch].)

    xxxXXXxxxXXXxxxXXXxxx

    3. Hast Du Dich denn beim ersten paradigmatischen Schritt auch so “gut vorbereitet”? Nein, die großen Denker und Forscher, die die neuen Wege bahnen, müssen die Detailarbeit den kleineren Geistern überlassen. (Die “Kärrnerarbeit”, wie das Schiller nannte.) Sie müssen sich ganz auf die großen, ungelösten Fragen in der Wissenschaft konzetrieren.

    Welche das sind, wissen freilich nur sie selbst. So wie Kolumbus zuvor nicht wußte (angeblich zumindest), daß er einen neuen Kontinent entdecken würde.

    Michael, ernsthaft: Wir müssen uns noch viel tiefer in Genetik hineinarbeiten. Von dort kommt alles Neue. Zumindest heute. Dem gegenüber wirkt alles andere nur wie abgestandener Kaffee.

    Lies mal Joachim Bauer, vor allem sein letztes. Evolution funktioniert ganz anders, als bislang gedacht. Und Religion (deshalb) auch. (Vielleicht z.B. funktionieren beide vor allem nach dem “Prinzip Menschlichkeit” …?)

    Und nur zur Beruhigung: Soweit ich Bauer verstanden habe, ist er auch Christ. Von daher droht keine Gefahr … 😉

  12. Wem gebührt der Ruhm?

    Lieber Michael,

    vielleicht hast Du es übrigens noch nicht mitbekommen, daß ich schon vor einem Jahr in etwas kryptischer Art versucht habe, Dir den Lorbeerkranz des Ruhmes der Erst-Entdeckung eines neuen wissenschaftlichen Kontintents, nämlich der Evolutionären Religionsdemographie vom Haupt zu reißen. Zugegebenermaßen etwas kryptisch. Aber nichtsdestotrotz auch mit so mancherlei Daten unterlegt:

    http://studgendeutsch.blogspot.com/…nden_04.html

    Ich bringe dort einen Text, den ich schon 1996 verfaßt hatte. Seine zentralen Sätze lauten:

    “Wodurch sind Gemeinschaften bestimmt, die in einem starken Bevölkerungswachstum stehen und dabei nicht verarmen? Durch intensives Gemeindeleben:

    a) Sie haben eine hohe Kinderzahl.
    b) Sie sind religiös bestimmt.
    c) Sie sind arbeitsteilig gegliedert.
    d) Nachbarschaftshilfe, häufige Verwandten-Besuche, gemeinsame kulturelle Betätigungen herrschen vor.
    e) Erschwerte äußere Bedingungen und/oder selbst auferlegte Anstrengungen sind vorherrschend.
    f) „Barrieren“ (geographische, kulturelle, Heiratsschranken) zu anderen Gruppen liegen vor.”

    (Bemerkenswert übrigens auch, daß ich damals unter e) schon letztlich in den Kategorien der Handicap-Theorie dachte, obwohl mir ihr Vorhandensein damals noch gar nicht bewußt war.)

    Erzähl’ mir also jedenfalls nicht, daß Du bei mir “Überzeugungsarbeit” leisten mußtest, als Du ein paar Jährchen später mit ein paar ähnlichen Gedanken und Daten hervorgetreten bist. Das war nun wirklich nicht nötig.

    Der Ruhm sei dabei ja ganz für Dich aufgespart, das war ja keine Peer review-Veröffentlichung von mir und wer weiß, ob die Analysen des Manuskript-Papiers das Erstbgeburtrecht zweifelfrei erweisen könnten. Aber wenn man über Doktorarbeiten brütet, kann man schon auch auf sowas kommen …

    Hau also den Lukas und mach weiter so! Und stecke in jedem Fall die Horizonte dabei weit genug ab!

    🙂

  13. @ Ingo: In der Luft

    Lieber Ingo,

    danke, das freut mich zu lesen! Und, ja, die Grundgedanken lagen in der Luft (erste mir bekannte Ausformulierung bei E.O. Wilson 1974 und verblüffend präzise bei F.A. von Hayek 1982 etc.), nur an der Vertiefung, empirischen Überprüfung und dann auch Aufbereitung hat es wohl gefehlt. Und wahrscheinlich war auch das Internet nötig, um den internationalen und interdisziplinären Dialog zu beschleunigen.

    Denn es ist ja schon ein recht komplexes Feld mit vielen Faktoren, eher ein Puzzle-Spiel als ein Gemälde. Deswegen auch mein Faible für die harte Kärrnerarbeit und das Schritt-für-Schritt-zur-Diskussion-stellen.

    Von Bauer bin ich durchaus angetan. Andererseits zeigen gerade seine Hinweise, dass sich auch die Naturwissenschaften immer wieder kritisch selbst reflektieren sollten, weil auch ihre vermeintlich sichersten Erkenntnisse alle paar Jahrzehnte durch noch bessere (Hypo-)Thesen übertroffen werden. Schon deswegen halte ich die Naturwissenschaften für ungeeignet, um beispielsweise Weltbilder zu begründen; auch sie kommen ohne philosophische und ggf. theologische Reflektion nicht aus. Insofern finde ich z.B. das Streitgespräch zwischen Franz Wuketits und Richard Schröder in der aktuellen Gehirn & Geist großartig!

    Herzliche Grüße, bis bald!

  14. @ Blume

    “Oder sind wir Wandernde…”

    Ja, lieber Michael, Wandernde -durch die Wüste -gestorben, begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes! Auferstanden? Wo? Wie? Aber eines weiß ich: man hat den Mann aus Nazareth gründlich mißverstanden. “Liebe”, “Reich Gottes”. Der Mann aus Nazareth und sein *Fall* muß neu aufgerollt werden.

  15. Nachtrag @ Blume

    Gottferne und Gottverlassenheit, von Gott ausgeschlossen zu sein… Was geht mich die billige Polemik einer GBS an?

  16. @ Dietmar: Ja, das Fragen und Suchen…

    …verbindet uns, nur letzte Antworten zu geben traue ich mir nicht zu. Viele sind es, die vorgeben, zu Gottes Existenz etwas lehren (widerlegen oder beweisen) zu können. Dazu zähle ich mich nicht.

    Aber die Faszination für die Menschen und deren Verhalten, die kann und sollte den Atheisten, Agnostiker und Glaubenden verbinden können. Wer Gott oder Gottes Sohn verstehen möchte, wie könnte der an den Fragen des Menschseins achtlos vorbeigehen?

    Danke fürs Fragen und Anregen, Dietmar.

  17. Evolution des Glaubens

    Herr Dr. Blume,

    nicht zuletzt die sehr interessanten Beiträge in Gehirn & Geist lassen mich befürchten, die Religionswissenschaftlich verkauft sich derzeit noch weit unter Wert. Welchen Beitrag eine gemeinsame Bestimmung, eine über das menschliche Maß hinausgehende (schöpferische) Sinngebug für die Leistung der verschiedenen Kulturen erbrachte, wird kaum deutlich. Der Nutzen, die Notwendigkeit der Glaubensvorstellungen für eine zukunftgestaltende Gemeinschaft kann so nicht nachgedacht werden.

    Doch was sollen Religionswissenschaftler auch sonst erkunden, als das, was sich derzeit als Religion darstellt?
    “Forscher ergründen die Evolution des Glaubens”. Wirklich???

    Ergründet die Religionswissenschaft die Evolution, die optimierende Weiterentwicklung des Glaubens?

    Oder rechnet sie auf wissenschaftliche Weise eine scheinbar nützliche, aber rückwärtsgewandte “Religiösität” nach, die gar der not-wendigen Weiterentwicklung der gemeinsamen Glaubenvorstellungen und damit dem wahren Nutzen für die aufgeklärte Weltgemeinschaft im Wege stehen?

    Und müsste “er-gründen” der Evolution des Glaubens nicht bedeuten, der notwendige Optimierug, der ewigen Weiterentwicklung auf den Grund zu gehen, statt nur Nützlichkeiten von Rückentwicklunge nachzurechnen, zu beweisen, was ein Placebo bringt?

    In denke, es gibt für Religionswissenschaftler noch viel Arbeit

    Gerhard Mentzel

  18. @ Gerhard Mentzel

    Lieber Herr Mentzel,

    vielen Dank für Ihren Beitrag!

    Lassen Sie mich auf zwei Fragenkomplexe eingehen.

    “Und müsste “er-gründen” der Evolution des Glaubens nicht bedeuten, der notwendige Optimierug, der ewigen Weiterentwicklung auf den Grund zu gehen, statt nur Nützlichkeiten von Rückentwicklunge nachzurechnen, zu beweisen, was ein Placebo bringt?”

    Evolutionsforschung ist immer historische Forschung. Natürlich lassen sich aus soliden Erkenntnissen im Bezug auf die Vergangenheit auch vorsichtige Szenarien (Prognosen) für die Zukunft erstellen, diese können aber nicht mehr als hypothetische Skizzen sein. Aus der Beibachtung von Evolutionsprozessen Zielbestimmungen abzuleiten und zu diskutieren (bzw. zu verwerfen), ist m.E. vor allem Aufgabe von Philosophie(n) und Theologie(n). Bitte haben Sie Verständnis: Ich verstehe mich als Wissenschaftler und also Erforscher vorletzter Dinge, nicht als Verkündiger letzter Wahrheiten. Dazu mögen andere berufen sein.

    “In denke, es gibt für Religionswissenschaftler noch viel Arbeit”

    Ja, das ist wahr – weit mehr, als einer oder wenige leisten können! 🙂 Und daher bin ich dankbar, dass sich zunehmend mehr Kolleginnen und Kollegen auf das Gebiet wagen!

  19. @ Mentzel: Placebo-Effekt

    Lieber Herr Mentzel,

    lassen Sie mich übrigens noch ergänzen, dass der Placebo-Effekt zwar im Zusammenhang z.B. mit religiösen Heilungsritualen sicherlich eine Rolle spielt, aber die Hauptwirkung (Förderung von Kooperation und damit auch Reproduktion durch Vertrauensaufbau) nur am Rande berührt. Die Evolution der Religiosität lässt sich sicher nicht auf Placebo-Effekte reduzieren.

  20. Übernatürliche Beobachter = Placebo

    Sehr geehrter Herr Blume,

    mit den von Ihnen bzw. der Religionswissenschaft dargelegten Funktionsweisen religiöser Überzeugungen, den im Sinn der Evolution förderlichen Folgen, die nachgezählt werden, stimme ich überein.

    Es ist nur die Frage, was aufgeklärte Welt zu einem Verhalten führt – und nicht nur religiös Rückfällige.

    Kann die Angst vor einem “übernatürlichen” Beobachter, die Annahme “unnatürlicher” Phänomene, “Naturbrechungen”, “geheimnisvollen” Eingebungen, inneren Stimmen, der blinde Glaube an biblische Botschaften, die Bewahrung traditioneller Vorstellungen…

    heute wirklich noch das sein, was der Welt nützt?

    Liegt die Annahme eines übernatürlichen Aufpassers, dem zu opfern ist, nicht auf ähnlicher Ebene, wie “Siegen mit Ziegen”? Es mag wirken, wenn man dran glaubt. Doch wer glaubt in einer naturalistischen Welterklärung, die ständig weiterschreitet, noch wirklich dran, was für die Wirkung notwendig wäre? Ist daher die Bezugnahme auf “religiöse” Gruppen kein Rückschritt, statt eine evolutionäre Weiterentwicklung.

    -Als die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sinngebung für das gemeinschaftliche menschliche Handel von bewussten Wesen in der Weltgeschichte beobachtend – gerade in der Gegenwart.

    -Aufgrund der Auswertung des heutigen theologischen und geschichtlichen Wissens das evolutionäre Werden als offenbarendes, ewiges schöpferiche Wort/kreative Vernunft verstehend.

    -Die Glaubensgeschichte als ewigen Wandel, immer neuer Aufklärungsprozesse betrachtend.

    -Darüber nachdenkend, dass auch heute eine Glaubensaufklärung anstehen müsste, sehe ich – und ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel – in der heutigen Religionswissenschaft ähnliche Probleme, wie bei den Kreationisten.

    Wenn die aufgeklärte Welt das auf wissenschaftlich erklärte Weise als Glaube von Morgen betrachten muss, was da als “religiös” erklärt wird, sehe ich schwarz für meine Kinder.

    Gerhard Mentzel

  21. @ Gerhard Mentzel: Doch…

    Lieber Herr Mentzel,

    bei allem Verständnis für Ihre theologischen Suchbewegungen: Der heutigen Religionswissenschaft “ähnliche Probleme wie dem Kreationismus” zu attestieren, geht einfach zu weit.

    Es hat mit einer angestrebten “Theologie der Vernunft” nichts mehr zu tun, wenn seriöse, empirische Forschung und erkenntnistheoretische Zurückhaltung so undifferenziert abgewertet wird! Wenn Sie eine Vereinbarkeit von Glaube & Vernunft anstreben, dann sollten Sie wissenschaftliche Erkennntnisse Dutzender Forscher weltweit mindestens so schätzen wie liebgewonnene Wortspiele.

    Niemand verbietet Ihnen das Weiterdenken, Weiterhoffen, Weiterforschen. Aber wenn Sie dabei wirklich Ernst genommen werden wollen, sollten Sie sich abgewöhnen, ganzen Wissenschaftsbereichen (ohne deren vertiefte Kenntnisse) die Geltung abzusprechen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass mir für solche “Diskussionen” dann die Zeit auch zu schade wäre. Denn wie Sie selber schrieben: Es gibt noch soviel Ernsthaftes zu tun.

    Mit freundlichen Grüßen

    Michael Blume

  22. @ Gerhard Mentzel: Placebo

    Gerade sehe ich, dass Sie in Ihrem letzten Beitrag auch noch einmal die übernatürlichen Akteure als “Placebos” bezeichneten.

    Das können Sie natürlich gerne tun, nur hat das dann mit empirischer Wissenschaft nicht mehr viel zu tun. Selbst in Wikipedia finden Sie ausführliche Darstellungen des Placebo-Effekts, den wir etwa im Rahmen religiöser Rituale durchaus konstatieren können, der aber keinesfalls die Gesamtheit von Glaubenswirkungen erfasst.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Placebo

    Natürlich sind klingende Wortspiele leichter zu produzieren als mühsame und der ständigen Überprüfung und Widerlegung zugängliche Befunde. Lassen Sie mich dennoch weiterhin für den letzteren, mühsameren Weg plädieren. 😉

    Herzliche Grüße!

  23. Ernst der Evolution des Glaubens

    Sehr geehrter Herr Dr. Blume,

    nichts liegt mir ferner, als der Religionswissenschaft die Geltung abzusprechen. Wenn ich die Auseinandersetzung mit der Evolution des Glaubens, die Nützlichkeit (m.E. gar Notwendigkeit für eine schöpferisch-vernünftige Gemeinschaft bewusster Wesen) von Glaubensvorstellungen und deren evolutonäre Weiterentwicklung nicht ernst nähme, würde ich nicht darüber nachdenken, dass die derzeitigen Betrachtung oft unter der notwendigen Bedeutung bleiben.

    Auch den Kreationismus, der eine kreative=schöpfeirsche Wirklichkeit auf wissenschaftliche Weise zum Thema macht, nehme ich sehr ernst. Ohne eine in der realen Welt nachvollziehbare schöpferische Wirk-lichkeit und Sinngebung wäre der Glaube für mich wirklich nur noch das, was ich mit “Placebo” bezeichnet habe: Hauptsache es wirkt. Die Kreationisten gehören m.E. zu den Wenigen, die nach der Aufklärung dem Schöpfer noch zum realen Werk verhelfen wollen.

    Doch statt die Evolution als Schöpfung bzw. als das in der Bibel beschriebene “ewige Wort” nachzudenken, das nach meiner Auswertung anfänglicher Glaubensgrund war, werden in altgewohnter Weise oftmals die Erkenntnisse der Evolutionsforschung in Frage gestellt oder außerhalb der Evolution, des kreativen Werdens ein Desinger gesucht. Die aufgeklärte Welt weist dies dann oftmals weit von sich. Was ich auch in Ihrer Antwort erkenne.

    Mit meinem (sicher überzogenen) Vergleich wollte ich nur auf darauf hinweisen, dass eine Religionswissenschaft, die sich weitgehend mit der Nützlichkeit einer “Religiösität” beschäftigt, die sich weitgehend aus Un-/Übernatürlichkeiten ableitet, Glaubensvorstellung, wie z.B. dem Kreationismus (statt gleichzeitig die Evolution, die ewige Weiterentwicklung der Glaubensvorstellungen und deren zeitgemäßen Nutzen für die Gemeinschaft und die nächste Generation nachzudenken), m.E. Gefahr läuft, vom aufgekärt-natürlichen Denken nur als Nachweis für einen Scheineffekt anerkannt zu werden, der halt bei “Religösen” wirkt, die man leider meist nicht ernst nimmt.

    Bitte entschuldigen Sie meine Überzeichnung

    Gerhard Mentzel

  24. @ Gerhard Mentzel: Ach so! 🙂

    Lieber Herr Mentzel,

    danke für Ihre Klarstellung! Wenn ich Sie richtig verstehe, sorgen Sie sich also um die Rezeption von religionswissenschaftlichen Erkenntnissen!

    Das ist natürlich völlig legitim, wobei die stärkeren Ängste dazu derzeit aus der religionskritischen Seite kommen, siehe: http://hpd.de/node/6201

    Vor allem aber hielte ich es auch nicht für richtig, wissenschaftliche Forschungs- und Erkenntnisprozesse aus Angst vor unliebsamen Deutungen stoppen zu wollen. Vielmehr ist es doch gerade die sorgsame Unterscheidung zwischen empirisch-historischem Befund und den daraus ableitbaren Hypothesen einerseits, Bewertungen und Wahrheitsaussagen andererseits, die mir so am Herzen liegt!

    Und das heißt dann eben auch: Wer wissenschaftliche Studien kritisieren möchte, kritisiere wissenschaftliche Studien. Wer aber weltanschauliche Deutungen kritisieren will, der kritisiere diese.

    Aus Angst vor weltanschaulichen Deutungen aber mal vorsorglich den Wissenschaftler bzw. die Wissenschaft anzugehen halte ich für problematisch und habe es bisher v.a. von religionskritischer Seite immer wieder erleben dürfen. (Z.B. hier in der Diskussion eines YouTube-Videos von einem Kommentatoren namens “Religionistdoof” 😉 ):
    http://www.youtube.com/…SR8s&feature=related

    Und wie Sie hier lesen können, befürchtet dieser das glatte Gegenteil wie Sie!

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