Was machen wir hier? Was macht das Internet mit uns?
BLOG: Natur des Glaubens
Jahre bevor der Begriff des "Web 2.0" populär wurde, erblühte bereits die Online-Plattform Democracy online – Dol2Day, in der Menschen unter Pseudonym oder Klarnamen über Politik diskutierten, Umfragen starteten, (Online-)Parteien gründeten und sogar Kanzler wählten. Mich schlug sie sofort in ihren Bann: Noch nie hatte ich einen "Ort" erlebt, an dem Demokraten und Extremisten, Nationalisten verschiedenster Herkunft und Vertreter religiöser Minderheiten, Anarchokapitalisten, FeministInnen, orthodoxe Juden und Monarchisten (um nur einige zu nennen) oft über Tage hinweg intensiv debattierten – und in den Real-Life-Treffen dann auch einträchtig zusammen saßen. Über Hunderte von Stunden arbeitete ich mich damals unter die TOP100 der Dol-Rangliste, trat auch dem Förderverein der Plattform bei und denke noch immer gerne an diese Zeit zurück.
Schattenseiten waren jedoch auch irgendwann unverkennbar: Oft waren die Debatten sehr abgehoben und weit von der politischen Wirklichkeit beispielsweise einer Kommune – ich war damals auch aktiver Stadtrat – entfernt. Man konnte problemlos Verschwörungstheorien debattieren, kaum aber Fragen der lokalen Kinderbetreuung oder einer Umgehungsstraße, die Menschen und deren Leben sehr konkret betreffen. Extremisten aller Couleur oder Menschen mit einer Macke (z.B. einem Hass auf eine bestimmte Gruppe oder Religionsgemeinschaft) waren – oft unter Pseudonym – deutlich überrepräsentiert, da sie von spezifischen Anliegen "motiviert" waren und nun endlich das Gefühl hatten, gehört zu werden. Ausgeglichene Menschen z.B. mit Ehrenämtern und einer Familie fanden dagegen durchschnittlich weniger Zeit, so dass oft konstruktive, leise und realistische Stimmen im Getöse der Extreme untergingen. Und ich bemerkte bei mir selber, dass ich das oft mühsame, demokratische Engagement in der "echten" Welt zurück zu stellen begann, um immer mehr Zeit online zu diskutieren, wo es sehr viel schnellere Rückmeldungen und auch "Erfolge" – Umfragen, Zustimmungen, Rangpunkte – zu erringen gab. Chancen und Grenzen lagen und liegen oft dicht beieinander.
Anregungen zum Wissenschaftsbloggen
So entschloss ich mich nach einigen intensiven Jahren zum Ausstieg aus Dol2Day, ohne die guten Erinnerungen, einige Freundschaften und wertvolle Anregungen dieses spannenden und lobenswerten Experimentes je zu leugnen. Zu den bleibenden Eindrücken gehörte die starke Nachfrage nach wissenschaftlichen Informationen, so dass ich begann, statt über Politik lieber aus der Wissenschaft zu bloggen – und schließlich in die Scilogs eingeladen wurde, wo ich seit 2007 mit einem deutschen und seit 2009 auch mit einem englischen Blog aktiv bin.
Wir machen viel mit dem Internet. Aber es macht auch viel mit uns.
Warum diese persönliche Einführung? Nun, mich fasziniert, was wir mit dem Internet machen können – aber auch, was das Netz mit uns macht. Wer von uns hat sich noch nicht mal im World Wide Web verheddert? Wer hat noch nicht das Scheitern von Diskussionen erlebt, weil uns all die evolvierten Signale der Kommunikation – Gesichter, Gesten, Stimmen etc. – fehlen, mit denen wir normalerweise Gespräche moderieren, Hartes abfedern, Mißverständliches erkennen und klarstellen? Und wer hat nicht dennoch den Impuls erlebt, doch wieder einzusteigen? Werden wir durch das Web glücklicher – oder süchtiger?
Wir haben über das Internet neue Erfahrungen von Möglichkeiten und Einfluss. Aber die amorphe Kultur des WWW schmiegt sich auch immer stärker an unsere (evolutions-)psychologischen Bedürfnisse an – wird zur gleichzeitigen Verheißung und zur Bedrohung. Werden wir vernetzt oder vereinsamt? Oder beides zugleich?
In einem Artikel für die Schriftenreihe Heimat und Identität habe ich nun versucht, einmal entsprechende Befunde nicht nur eigener Erfahrungen, sondern auch empirischer Studien vor dem Hintergrund von Evolutionsforschung zu reflektieren – und würde mich über Ihr Interesse, Ihre Anregungen und Gedanken dazu selbstverständlich interessieren (schließlich sind wir Web 2.0!).
In den kommenden Jahren hoffe ich Netzkultur(en) zu einem weiteren Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Arbeit und des Nachdenkens über Gesellschaft machen zu können. Behalten wir die Kontrolle über uns oder liefern wir uns einer Technologie aus, die wir selbst geschaffen haben? Können wir die enormen Chancen des Internet nutzen, ohne uns in den Risiken – Datenmißbrauch, Mobbing, Extremismus – zu verlieren? Welche Rolle können und sollten je demokratische Institutionen, Unternehmen, Verbände und nicht zuletzt Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Web 2.0 spielen? Weil wir von der Natur her nicht auf ein virtuelles Leben vorbereitet sind, stehen wir als freie, verantwortliche Bürgerinnen und Bürger vor der Herausforderung, verantwortliche Kultur(en) zu entwickeln.
Fehlende Gesten
“Wer hat noch nicht das Scheitern von Diskussionen erlebt, weil uns all die evolvierten Signale der Kommunikation – Gesichter, Gesten, Stimmen etc. – fehlen, mit denen wir normalerweise Gespräche moderieren, Hartes abfedern, Mißverständliches erkennen und klarstellen?”
Zu diesem Problem gab es erst kürzlich einen lesenswerten Artikel im Tagesspiegel, der sich primär der Frage widmete, warum in vielen Online-Diskussionen allgemein geltende Verbalnormen der gepflegten Debatte – oder zumindest des gemäßigten – Streits nicht zu gelten scheinen:
“Anders als in der analogen Welt fehlt im Netz bislang vielerorts die gemeinsame Basis, die es braucht, um soziale Normen zu etablieren. Die Kommunikation ist aufs Mindeste reduziert, klassische Regeln greifen deshalb nicht. Wer im Café miteinander spricht, der sieht, riecht, hört den anderen, nimmt seine Körpersprache wahr, erkennt, was ihn ablenkt. Im Netz bleibt davon oft nur die Schrift übrig, ein Ausdrucksmedium, das vielen Menschen ohnehin zu schaffen macht. Also werden aus Buchstaben Bilder gebaut ( 🙂 ), etablieren sich Gefühlskürzel (*lol*). Soziale Netzwerke versuchen, noch mehr Hinweise darauf einzusammeln, mit was für einem Gegenüber wir es zu tun haben: Profilbilder, Interessensangaben, Gefällt-mir-Ansagen, private Fotostrecken oder Videos. Der Umgangston bleibt dennoch häufig gewöhnungsbedürftig.”
http://www.tagesspiegel.de/…lisiert/4164786.html
“Lautheit” korreliert mit Polarisierung
Ein großes Problem, dass ich im Bezug auf die Entwicklung von Netzkulturen sehe, ist dass Haltungen umso häufiger zum Ausdruck kommen, je extremer sie sind. Am Beispiel der Skeptiker-Bewegung zeigt sich das ganz gut: Jede Menge vorbehaltlose, in epischer Breite und Häufigkeit dargelegte Pro-Stimmen und annähernd ebensoviele unkritische Anti-Erklärungen. Ein differenziertes Bild, das Vor- und Nachteile abzuwägen versteht, findet man frühestens auf Google-Seite 57.
Da “Lautheit” und Häufigkeit im Internet gleichbedeutend sind, gehen gemäßtige Stimmen schnell unter. Das führt entweder in die Radikalisierung: Frei nach dem Motto “wer nicht für uns ist, ist gegen uns” schlägt man sich eben auf eine Seite. Das ist schließlich bedeutend einfacher, als gleich gegen zwei Seiten zu argumentieren. Oder aber zur Kapitulation: Man verliert unwillkürlich das Interesse, wenn (scheinbar) die eigene, differenzierte Meinung niemanden interessiert. Und beides scheint mir gefährlich!
Wenn, wie die zugehörige Hypothese meint, “Meme” sich tatsächlich evolutiv verhalten, dann ist das Internet das Äquivalent zur kambrischen Explosion in der Natur. Hoffen wir mal, dass zwischen den ganzen radikalen Raubtieren weiter Platz bleiben wird für ein paar gemäßtigte Pflanzenfresser. Ich muss aber zugeben, dass es mir dabei schon etwas mulmig wird. Für friedfertige Kulturen hat es in der Geschichte der Menschheit eigentlich immer nicht so gut ausgesehn…
HIV und der ganze Rest …
Hm, über HIV und Aids hab ich in den letzten drei Blogbeiträgen einiges gelernt (- in den Kommentaren). Auch sieht man am Video, daß der Vatikan viel Geld für seine neue “Informations-Initiative” hat. (Geld, mit dem er gegenüber Überlebenden seiner kriminellen Machenschaften außerordentlich knauserig ist. ICH möchte nicht derjenige sein, der solches Geld in Anspruch nimmt. Indirekt habt auch IHR BLOGGER mitgeholfen, daß Überlebenden sexueller Gewalt nicht genug geholfen wird!!!!!)
Wie nun der Vatikan – z.B. – auf Kritik gegenüber seinen jahrzehntelangen kriminellen Machenschaften reagiert, wie damit Blogger umgehen, darüber hab ich – zumindest in den letzten drei Beiträgen – nichts gehört.
Höchstens daß es halt auch im Internet Leute gibt, die “emotional” werden und Emotionen haben.
… Ja, mei … Ich glaub, es gibt Schlimmeres. Und das meine ich wörtlich.
Hier noch eine interessante, datengestützte Betrachtung zum Thema:
http://wahrheitueberwahrheit.blogspot.com/….html
Ganz indirekt…
@Ingo Bading: Spinnt man diese leicht verquere Logik ein Stück weiter, trägt natürlich auch jeder Leser und Kommentator auf den Scilogs indirekt auf dem Umweg der Klickzahlen dazu bei, dass den Opfern sexueller Gewalt nicht ausreichend geholfen wird…
@Ingo Bading
Mich würde ja jetzt echt mal interessieren, wie u.a. ich indirekt dazu beigetragen haben soll, dass Überlebenden sexueller Gewalt nicht genug geholfen wird! Also bitte raus mit der Sprache!
Lobeshymnen – weitere sind zu erwarten
@ Christian: Da stimme ich Dir zu. So verquer ist diese Logik nicht. Hier auf den Scilogs, zumal auf den Chronologs, hat die christliche und monotheistische Lobby einen ziemlich dicken Fuß in der Tür. Und ich bin nicht der erste, der bei sich bei manchen Blogs hier fragt, was die eigentlich auf einem Forum von Wissenschaftsblogs zu suchen haben (womit ich einstweilen Michaels Blog in seiner Gesamtheit noch nicht angesprochen haben möchte).
Jedenfalls fand ich es der Mühe wert, eben dieserhalben die Aufmerksamkeit auch hier einmal in andere Richtungen lenken.
@ Sebastian: Vielleicht ein Mißverständnis? Ich sprach die Blogger an, die sich in Rom versammelten, nicht die Blogger allgemein (bin ja selbst einer).
Das hätte wohl übrigens sowieso eher zum vorigen Beitrag kommentiert werden müssen. Aber ich hatte nach diesem Beitrag so das Gefühl, daß Michael bei vielen Themen, die in der Öffentlichkeit nun wirklich hohe Aufmerksamkeit bekommen haben, und die deshalb Michael immer interessiert haben, neuerdings ziemlich deutlich zögert, mit der Sprache herauszurücken.
Allzu deutlich wird erkennbar, mit wem es sich Michael NICHT vermasseln will.
Also, Michael: Wo bleibt denn nun die zu erwartende Lobeshymne auf die Jahrzehnte langen Kindesmißbrauchs-Vertuscher hier auf dem Blog, Michael?
@Ingo Bading: Achso, dann habe ich dich in der Tat falsch verstanden!
@Ingo Bading: Abschließend
Ein Hinweis vorab: Du bist hier offenbar im falschen Blogbeitrag, den Bericht über das Bloggertreffen im Vatikan gab es hier:
Rückblick auf das Bloggertreffen beim Vatikan
Nun aber zu einer abschließenden Antwort meinerseits: Seit geraumer Zeit beobachte ich mit ehrlicher Bestürzung, wie Du Dich immer tiefer in (D)eine Welt aus Deutschtümelei und Verschwörungstheorien verrennst. Themen wählst Du vor allem danach aus, ob sie sich gegen Deine gerade angesagten Lieblingsgegner “verzwecken” lassen. Über zwei Jahrzehnte hinweg gab es beispielsweise systematischen Mißbrauch an der Odenwaldschule, ohne dass es Dir deswegen in den Sinn käme, die Reformpädagogik insgesamt über Monate hinweg zu beschimpfen und der Kriminalität zu bezichtigen.
Wenn es aber gegen die katholische Kirche und andere religiöse Gruppen geht, (nur) dann drehst Du völlig ab. Dann heißt es z.B. schon letztes Jahr (30.04.2010) bei Dir:
“Schwarze Pädagogik aus monotheistischem Geist?
– Heraus mit der Sprache: Wo überall verbirgt sich heute hinter den Machenschaften in den Schulen, an den Universitäten, in der Politik, in der Geheimpolitik und in den Medien Schwarze Pädagogik? Die Geheimdienste benutzen für solche volkspädagogischen Absichten gerne auch den Begriff: Strategie der Spannung (siehe diverse frühere Beiträge hier auf dem Blog). Heißer Krieg, Kalter Krieg, egal: Hauptsache Krieg. – Und nächste Frage: Ist Schwarze Pädagogik und Strategie der Spannung nicht letztlich vor allem ein Ausfluß von Monotheismus? Es will einem so scheinen, wenn man die Feindvernichtungsgebete im Alten Testament liest (behandelt auch von Peter Sloterdijk in “Zorn und Zeit”) und versucht zu verstehen, daß es noch heute Interessengruppen in der Welt geben könnte, die diese sehr, sehr ernst, religiös ernst nehmen könnten.”
http://studgenpol.blogspot.com/…heistischem.html
Sorry, aber da ist keine sinnvolle Diskussion mehr möglich – jede(r) Andersdenkende oder gar -glaubende ist ja aus Deiner Sicht Bestandteil der “monotheistischen Verschwörung”. Auch die “Sarrazin-Bewegung” wird bei Dir bereits von “Okkult-Logen übernommen”, die wiederum mit dem “aschkenasischem Judentum” in Verbindung stehen:
http://studgenpol.blogspot.com/…ten-kunftig.html
Und seit Kurzem fühlst Du Dich laut Deinem Blog auch von einer “Fraternitas Saturnitas” verfolgt… Auf den Scilogs tauchst Du m.E. nur noch auf, um zu provozieren, nachdem auf Deinem Blog kaum noch jemand kommentiert. Auch ich sehe ehrlich keinen Sinn mehr darin, mit Dir die Diskussion zu suchen.
So nimmst Du auch ganz selbstverständlich an, dass die Teilnehmer des vatikanischen Bloggerkongresses für “Lobeshymnen” bezahlt worden seien. Dabei hätte schon ein Blick auf die Seiten der einladenden Institution zeigen können: Es gab seitens der katholischen Kirche weder Honorare noch auch nur Reise- oder Übernachtungskosten für die Blogger und das wurde auch von Anfang an öffentlich klargestellt: “No grants or economic support will be available as the event coincides with the beatification of John Paul II.
No assistance will be given in arranging lodging, visas etc. No speakers fees are foreseen.”
http://www.pccs.va/…me&Itemid=50〈=en
Dass dennoch ca. 130 der 150 Eingeladenen den Termin und die Chance zu Kennenlernen und Dialog wahrnahmen und darüber berichteten, könnte Dir zu denken geben, dass auch die katholische Kirche und ihre Mitglieder vielleicht doch vielschichtiger sind – wenn Dich Argumente noch erreichen würden.
Natürlich könnte ich mich auch einfach darüber freuen, dass Du mit Deinen Blogs und den Kommentaren hier die o.g. Netzkultur-Problematik geradezu demonstrierst – und Deine zunehmend wirren Kommentare hier einfach so unbeantwortet stehen lassen. Aber solcher Zynismus liegt mir fern, zumal ich Dich von früher kenne und mich an Zeiten erinnere, an denen man mit Dir noch gut und ausgewogen diskutieren konnte. Ich möchte Dich daher von jetzt an einfach bitten, zukünftig meine Blogs von Deinen Verschwörungstheorien zu verschonen. Sonst werde ich von meinem Hausrecht Gebrauch machen und Deine Kommentare einfach löschen. Zumal ich nicht den Eindruck habe, dass Du Dir mit diesen Hasstiraden selbst einen Gefallen tust.
Komm runter, Ingo. Du bist ein intelligenter Typ, aber hast Dich da in eine sehr düstere Verschwörungswelt eingesponnen, die Dich mit Abneigung gegen Andersdenkende und -glaubende erfüllt und in der Dich Argumente gar nicht mehr erreichen…
Freie Aussprache leben – oder nur erforschen?
Lieber Michael,
Du sprichst interessante Dinge an und ich hätte manches zu sagen. Aber du wirst verstehen, daß unter der Drohung, du könnest dein Hausrecht gebrauchen und meine Beiträge löschen, keine wirklich freie Diskussion zustande kommen kann.
Ich verstehe das so, daß du künftig verstärkt nur noch das erforschen willst, was du vor noch gar nicht allzu langer Zeit auch selbst noch gelebt hast.
dol2day
Da kommen alte Erinnerungen hoch… so haben wir uns schließlich kennengelernt. Das Diskussionsklima dort hat einen gut auf Kommentare in Blogs vorbereitet.