Was Darwin über die Evolution der Religion schrieb – Meine erste Radioproduktion beim Deutschlandfunk

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Gestern morgen warf ich mit etwas Herzklopfen das iPod an: Denn zum ersten Mal ging eine Radiosendung in den Stream, zu der ich nicht nur Interview- oder Textbeiträge geliefert hatte. Vielmehr hatte ich auf Einladung der ermutigenden Silvia Becker von der katholischen Hörfunkarbeit beim Deutschlandfunk erstmals als Autor ein eigenes Stück produziert – und den Text im Tonstudio komplett mit Regie, Technikerin und einem Schauspieler als Stimme Darwins aufgenommen. Dieser Rollenwechsel war eine intensive und gute Erfahrung!

Wenn Sie das Ergebnis interessiert, können Sie es hier auf Soundcloud anhören oder als mp3 herunterladen oder als YouTube-Audioblog laufen lassen bzw. untenstehend lesen.

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Evolution und Religion – Charles Darwin als Theologe

Blume:
Der Vortragssaal der Universität Tübingen war randvoll mit Biologinnen und Biologen aus europäischen Ländern von Island bis Israel. Die European Society for Evolutionary Biology (ESEB) hatte ihre Jahrestagung 2011 in Baden-Württemberg ausgerichtet und eine Idee der Organisatoren war es gewesen, eine Vorlesung zum Thema „Die Evolution der Religion“ anzubieten. Wir wussten nicht, ob überhaupt jemand kommen würde.

Doch sie kamen und kamen. Mein Herz pochte, als ich zum Rednerpult ging. Oft und gerne hatte ich als Religionswissenschaftler vor Kolleginnen und Kollegen der Biologie gesprochen; doch diesmal war vieles anders und alles auf Englisch.

Ich eröffnete meinen Vortrag mit der Ankündigung, dass ich ihnen zur „Evolution der Religion“ die Überlegungen eines Theologen vorstellen würde. Skepsis und Entsetzen machte sich auf den Gesichtern breit; die meisten Biologinnen und Biologen haben von Religionsgelehrten selten Gutes gehört. Doch dann ließ ich hinter mir das Bild des Gelehrten aufscheinen – und die Zurückhaltung, die im Raum quasi physisch zu spüren war, ging in Überraschung und schließlich Gelächter über. Denn hinter und über mir schaute niemand Geringeres in den Saal als der Begründer der Evolutionsbiologie selbst: Charles Darwin!

Ja, es ist wahr. In den meisten Kurzbiografien wird Charles Darwin als „Naturforscher“ vorgestellt. Und bis heute treffe ich auf großes Erstaunen, wenn ich darauf aufmerksam mache, dass der bedeutendste Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts einen einzigen Studienabschluss erworben hatte – den eines Bachelors in christlich-anglikanischer Theologie! Darwin schnitt als zehntbester seines Jahrgangs in Cambridge ab und wäre beinahe Landpfarrer geworden. Doch er erbte von seinem Vater ein beträchtliches Vermögen. Und auch Darwins Ehefrau Emma brachte nicht nur ihren christlichen Glauben, sondern auch ein eigenes Vermögen in den Haushalt ein. So kam es, dass Darwin sein Leben lang als wohlhabender „Privatierund Familienvater, als Buchautor und als „Citizen Scientist“ – als ehrenamtlicher Bürgerwissenschaftler – wirken konnte. Im damals sehr interdisziplinären Theologiestudium hatte er die Fähigkeiten erworben, die es ihm ermöglichten, die bedeutendste wissenschaftliche Theorie zur Geschichte des Lebens zu entdecken.

Aber war Darwin denn nicht ein Gegner der Religion, wie sowohl religiöse Fundamentalisten als auch atheistische Religionskritiker immer wieder behaupten?

Oh nein, ganz und gar nicht. Noch in hohem Alter von 70 Jahren, drei Jahre vor seinem Tod, schrieb Darwin einem fragenden Studenten:

Darwin:
„Es scheint mir absurd zu bezweifeln, dass ein Mensch ein entschiedener Theist und ein Evolutionär sein kann. […] In meinen extremsten Schwankungen bin ich nie ein Atheist in dem Sinne gewesen, dass ich die Existenz Gottes geleugnet hätte.“

Blume:
Tatsächlich hatten Darwins spätere Zweifel am christlichen Glauben am wenigsten mit seinen wissenschaftlichen Entdeckungen zu tun. Allerdings konnte er nicht glauben, dass sein Vater und viele seiner nichtreligiösen, aber gutherzigen Freunde in die Hölle wandern würden, wie es die meisten Prediger damals noch lehrten. Und er rang mit der Theodizee-Frage – der Frage, wie ein guter Gott so viel Leid auf der Welt geschehen lassen konnte. Tagebuchaufzeichnungen belegen, dass ihn vor allem die lange Krankheit und der qualvolle Tod seiner Tochter Annie schwer bedrückten. Nach ihrer Beerdigung begleitete er seine Familie noch zum sonntäglichen Kirchgang, nahm aber selbst nie wieder an einem Gottesdienst teil.

Dem christlichen Kollegen und Freund Asa Gray schrieb Darwin:

Darwin:
„Im Hinblick auf die theologische Sicht der Frage; dies ist mir immer schmerzhaft. – Ich bin verunsichert. – Ich hatte nicht die Absicht, atheistisch zu schreiben. Aber ich räume ein, dass ich nicht sehen kann, nicht so klar, wie andere es tun und wie ich es wünschen sollte zu tun, dass es Beweise für Design und Güte auf allen Seiten um uns gebe. Es scheint mir zu viel Elend in der Welt zu geben. […] Auf der anderen Seite kann ich in keiner Weise zufrieden sein, dieses wundervolle Universum und vor allem die Natur des Menschen zu betrachten und zu schließen, dass alles nur Resultat roher Kraft sein würde. Ich tendiere dazu, alles als aus designten Gesetzen resultierend zu betrachten, deren Details, ob gut oder schlecht, dem zur Ausarbeitung überlassen wurde, was wir Zufall nennen. Nicht dass diese Haltung mich vollständig befriedigen würde. Ich empfinde sehr stark, dass dieses ganze Thema zu schwierig für den menschlichen Intellekt ist. Ein Hund könnte ebenso über den Geist Newtons spekulieren. – Lasst jeden Menschen hoffen und glauben, was er kann.“

Blume:
Schließlich erkannte Darwin: Wenn sich der Mensch tatsächlich in seiner Evolutionsgeschichte zu den heutigen Formen entwickelt hatte – dann musste auch die Religion selbst darin entstanden sein! Evolution und Religion waren also nicht nur keine Widersprüche; die Evolution selbst hatte auch den Glauben an höhere Wesen und schließlich an Gott hervorgebracht!

Entsprechend nahm Darwin in sein zweites Hauptwerk – „Die Abstammung des Menschen“ von 1871 – ein eigenes Unterkapitel und mehrere weitere Thesen zur Evolution des Gottesglaubens auf. Er setzte sich dabei mit den Thesen bekannter Theologen, Völkerkundler und Religionswissenschaftler auseinander und entwarf eine Annahme, die sich inzwischen in Grundzügen bestätigt hat!

Demnach sei der Glaube an „unsichtbare und spirituelle Wesenheiten“ aus den normalen sozialen Wahrnehmungen der Menschen entstanden, die damit auch ihre Lebens- und Traumwelt ausdeuteten. Über den Glauben an Geister und Ahnen sei es schließlich zum Glauben an viele Gottheiten und schließlich zur „höchsten Form“ der Religion gekommen: dem Glauben an einen einzigen, guten und gerechten Gott!

Darwin:
„Allem Anscheine nach ist es eine richtigere und wohltuendere Ansicht, dass Fortschritt viel allgemeiner gewesen ist als Rückschritt, dass der Mensch, wenn auch mit langsamen und unterbrochenen Schritten, sich von einem niedrigeren Zustande zu dem höchsten jetzt in Kenntnissen, Moral und Religion erhoben hat. […]

Viele jetzt noch existierende, abergläubische Züge sind Überbleibsel früherer falscher religiöser Ansichten. Die höchste Form der Religion – die großartige Idee eines Gottes, welcher die Sünde hasst und die Gerechtigkeit liebt – war während der Urzeiten unbekannt.“

Blume:
Darwin ging davon aus, dass ein gemeinsamer Glaube an kulturell bestimmte höhere Wesen schon unsere Vorfahren dazu motiviert hatte, sich zu engeren Gemeinschaften zusammenzuschließen und gemeinsame Regeln zu beachten.

Im Gegensatz zu anderen behauptete er dabei nie, dass Moral erst durch Religion möglich werde – moralische Gefühle wie Liebe, Fairness und Mitgefühl hätten sich schließlich bei allen höheren Säugetieren entwickelt und seien daher auch bei allen Menschen anzutreffen. Allerdings könnten Religionen diese allgemeine Moral kulturell aufgreifen und sowohl zu „schrecklichem Aberglauben“ oder auch zu höchster Vollendung führen.

EvolutionundGottesfrageAlle Zitate aus: “Evolution und Gottesfrage. Charles Darwin als Theologe” (Herder 2013)

Darwin:
„Gutes zu tun in Erwiderung für Böses, den Feind zu lieben, ist eine Höhe der Moralität, von der wohl bezweifelt werden dürfte, ob die sozialen Instinkte für sich selbst uns dahin gebracht haben würden. Notwendigerweise mussten diese Instinkte, in Verbindung mit Sympathie, hoch kultiviert und mit Hilfe des Verstandes, des Unterrichts, der Liebe oder Furcht Gottes erweitert werden, ehe eine solche goldene Regel je hätte erdacht und befolgt werden können.“

Blume:
Daher plädierte Darwin auch nicht dafür, Religion einfach „gut“ oder „schlecht“ zu finden, sondern er erkannte sie als einen Teil der Evolutions-, Natur- und Kulturgeschichte des Menschen. Sie prägte unsere Vergangenheit, unser Werden mit und würde auch in Zukunft eine Rolle spielen.

So beeindruckend und vorausweisend Darwins Theorien zur Evolution von Religion auch waren, so hatte der Gelehrte aus heutiger Sicht jedoch zwei wichtige Faktoren übersehen.

So erkundete er nicht, wie die Menschen sich den „gemeinsamen Glauben“ an die höheren Wesen denn gegenseitig glaubwürdig bezeugen könnten. Heute wissen wir, dass genau dafür so genannte „Credibility enhancing displays“ – Glaubwürdigkeit steigernde Signale – da sind; beispielsweise regelmäßige Gemeinschaftsgottesdienste und -rituale, Opfer sowie religiöse Kleidungs-, Verhaltens- und Speisegebote. Wer sich bereit zeigt, für seinen Glauben Kosten und Mühen, vielleicht gar Leiden oder den Tod auf sich zu nehmen, der signalisiert damit auch die Ernsthaftigkeit seines Glaubens und festigt die Gemeinschaft.

Und diese religiösen Gemeinschaften werden, zweitens, wesentlich auch von Frauen getragen. Erfolgreiche Religionsgemeinschaften zeichnen sich bis heute dadurch aus, dass sie das Leben und die Familie fördern, zum Beispiel durch Ehe- und Familienregeln, den Betrieb von Schulen, Kindergärten, Stiftungen und Krankenhäusern. Entsprechend haben Frömmere quer durch die Weltreligionen auch durchschnittlich mehr Kinder und Enkel – der Goldstandard der Evolution.

In einigen Traditionen – etwa dem katholischen Christentum oder dem Buddhismus – ist es sogar üblich, dass Einzelne aus religiöser Berufung auf eine eigene Familie verzichten, um sich ganz in den lebensförderlichen Dienst der Gemeinschaft zu stellen: etwa durch Streitschlichtung und Heilung, durch Predigt und nicht zuletzt durch Bildung und Betreuung. Von Gewalt sollen sich solche Priester, Mönche und Nonnen eigentlich fernhalten und häufig werden sie respektvoll mit Familienbezeichnungen wie Vater, Mutter oder Schwester angesprochen. Dass Papst – italienisch: Papa! – Franziskus gerade eine eigene Lehrschrift zur Bedeutung der Liebe in Familien veröffentlicht hat, ist daher gut verständlich!

Diesen Aspekt sah Darwin nicht. Er war ein Mann seiner Zeit und ging davon aus, dass die Männer in stetigem, unbarmherzigem Überlebenskampf miteinander stünden und auch der Erfolg von Religionen vor allem darin zu suchen wäre, die stärkeren Kampfgruppen hervorgebracht zu haben. Kinder bekämen die Sieger dann schon von selbst.

Doch schon zu Darwins Lebzeiten gab es eine Frau und Evolutionsforscherin, die ihm mit sehr guten Argumenten widersprach! Die 1825 geborene Antoinette Brown Blackwell (1825 – 1921) hatte sich als eine der ersten US-Amerikanerinnen überhaupt ein Theologiestudium erkämpft und wurde schließlich zur ersten Gemeindepastorin der Vereinigten Staaten. Sie führte außerdem eine glückliche Ehe und wurde sechsfache Mutter, engagierte sich für das Frauenwahlrecht, die Befreiung der Sklaven – und für die Wissenschaften.

Entsprechend war auch sie von der Evolutionstheorie begeistert – aber entsetzt, als sie sah, wie Frauen darin dargestellt wurden. Daher schrieb sie ein eigenes Buch „The Sexes throughout Nature – Die Geschlechter quer durch die Natur“. In diesem Buch wies sie darauf hin, dass Darwin und seine männlichen Kollegen übersahen, dass Evolution nur im Miteinander der Geschlechter funktioniere. So werde der Aufwand für das Aufziehen von Kindern zwischen den Eltern und anderen Personen ganz unterschiedlich verteilt, aber eben immer verteilt. Ohne die Berücksichtigung dieser Dienste am Leben könne die Evolution gar nicht verstanden werden! Brown-Blackwell schickte ein Exemplar ihres Buches an Darwin, der ihr zwar mit wenigen Sätzen dankte, es jedoch leider nie aufgriff und wohl nicht einmal las.

Heute wissen wir, dass Darwins Evolutionsforschung auch zur Religion noch besser geworden wäre, wenn auch damals schon die Stimmen der Frauen gehört worden wäre und er das Miteinander der Geschlechter stärker in den Blick genommen hätte. Es ist eben kein Zufall, das Gottes allererstes Worte an den Menschen, nach jüdischer Zählung auch sein erstes Gebot, lautet: „Seid fruchtbar und mehret euch!

Pflanzen und Tiere brauchen eine solche Aufforderung nicht, ihr Fortpflanzungsverhalten ist biologisch festgeschrieben. Doch unsere Vorfahren überschritten, als sie Menschen wurden, diese Festlegungen – und sie fragen seitdem, wofür sie eigentlich leben, wofür sie sich binden und wofür sie auch noch mühsam Leben schenken sollen.

Die Wissenschaft kennt viele religiöse Traditionen, die über Jahrhunderte hinweg kinderreich und lebendig geblieben sind. Wo immer sich jedoch der religiöse Glauben auflöste, lockerten sich auch die Gemeinschafts- und Familienstrukturen und sank die Kinderzahl bis unter die so genannte „Bestandserhaltungsgrenze“ ab. Der britische Oberrabbiner Jonathan Sacks schrieb gerade auch mit Blick auf die Evolutionsforschung dazu, Religionen stifteten den Generationen übergreifenden „Willen zum Leben“.

Charles Darwin hatte also Recht: Für religiöse Menschen gibt es keinen Grund, sich vor den Erkenntnissen der Wissenschaft und insbesondere der Evolutionsforschung zu fürchten. Religion ist ebenso wie Sprache und Musik ein Teil unserer menschlichen Natur, die wir durch Kultur lebensförderlich, aber leider auch lebensfeindlich ausgestalten können. In jedem Falle aber gilt: Die Evolution selbst hat die Religion, den Glauben an höhere Wesen und schließlich an Gott hervorgebracht.

Schluss…

…hier mit einem Video aus der Wissenssendung Quarks & Co. zum Thema Evolution und Religion:

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

38 Kommentare

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  2. Was ist dass denn für eine Logik?!
    Ist es nicht einsehbar, dass ein Gemeinschaftssystem, das Frauen auf die Rolle der Fortpflanzung beschränkt, per Anlage erfolgreicher im Bezug auf die Anzahl des Nachwuchses sein muss? Wenn man diktiert, dass Frauen nicht selbstbestimmt über die Frage, ob sie Nachwuchs aufziehen wollen entscheiden können, dann folgt doch direkt, dass in solcher Gemeinschaft mehr Nachwuchs gezeugt wird. So etwas als evolutionär erfolgreiches Gemeinschaftssystem darzustellen, ist ja wohl der Hohn schlechthin.
    Betrachtet man jedoch, ab wann die Bevölkerungszahlen tatsächlich signifikant gestiegen sind, dann findet man schnell, dass dies vor allem der besseren Hygiene und anderer Gesundheitsmaßnahmen (bessere Krankenversorgung) geschuldet ist. Das hat die Sterblichkeit erst signifikant reduziert, erst dies hat tatsächlich das (bessere) Überleben unserer Spezies im Sinne der Evolution drastisch erhöht. Und das haben wir nun wirklich nicht einem Herren namens Gott oder irgend einem anderen Götzen zu verdanken, dass verdanken wir gerade der Überwindung des Glaubens!

    • Sehr geehrter Herr Schnellich,

      erlauben Sie mir den Hinweis, dass in Ihrem Weltbild Frauen offensichtlich nur als Objekte vorkommen: Dass sie selbst auch – und einiges deutet darauf hin: ursprünglich wohl sogar prägend – Religiosität und religiöse Vergemeinschaftungen hervorbrachten und -bringen, taucht dabei gar nicht auf. Auch mein Hinweis auf bedeutende Frauen wie Antoinette Brown Blackwell und ihre Arbeiten zur Evolutionsforschung scheint Sie nicht erreicht zu haben.

      Tatsächlich ist auch der aggressive Antitheismus fast ausschließlich männlich geprägt – und er war noch nie und nirgendwo in der Lage, eine dauerhaft lebensfähige Zivilisation zu begründen. Wer beispielsweise die enorm große Rolle gerade auch religiöser Lehren und Institutionen beim Aufbau von Gesundheitsdiensten ausblendet, kann sich m.E. kaum auf ein wissenschaftlich begründetes Weltbild berufen.

      Gerne verlinke ich Ihnen einen Beitrag über die – wie im Beitrag erwähnt: deutlich unterschätzte! – Rolle der Frauen in der Evolution von Religiosität und Religionen. Ggf. wagen Sie sich ja einmal daran, auch Frauen und gläubige Menschen als eigene Akteure der Entwicklungs- und Weltgeschichte wahrzunehmen?
      http://www.blume-religionswissenschaft.de/pdf/FrauEvolutionReligionBlume.pdf

      Mit Dank für Ihr engagiertes Interesse und mit freundlichen Grüßen!

      • Das sieht doch ein Blinder, dass die Päpstinnen, Priesterinnen, Rabinerinnen, Kalifinninen und wie sie sich alle anmaßen heißen zu mögen in den letzten Jahrhunderten die Selbstbestimmung von Frauen einen breiten gesellschaftlich wirksamen Raum gegeben haben. Sie unterstützten ja schon immer die Engelmacherinnen und später den induzierten Abort, die Aufklärung hinsichtlich Geschlechtskrankheiten, der Vielfalt des Sex und der Vorbeugung von Schwangerschaft ganz allgemein. Wie konnte _ich_ das nur übersehen. Vielleicht dachte ich mir ja nur, dass es da eine gewisse historische Linie in den religiös geprägten Staaten gibt, die zum Beispiel zu unsäglichen Gesetzen führten, die erst _in diesem Jahrhundert_(!) in Teilen von Europa abgeschafft werden konnten (siehe §218, § 175, …)

        • Es ist m.E. angesichts der verbreiteten, populärkulturellen Darstellungen durchaus verständlich, lieber Herr Schnellich, die durchaus wichtige Rolle von Frauen “in den letzten Jahrhunderten” zu übersehen. Es ist jedoch schon etwas Anderes, dies auf die Evolutionsgeschichte zu übertragen und dabei zu übersehen, dass über (vor-agrarische) Jahrzehntausende hinweg dominant weibliche Fruchtbarkeitssymboliken überwogen (sog. “Venus-Figurinen”) und wir noch bis in die Antike hinein eine außerordentlich starke, auch religiöse Rolle von Frauen als Schamaninnen, Priesterinnen, Seherinnen etc. wahrnehmen können. Selbst noch ein Sokrates ging selbstverständlich bei Lehrerinnen wie Aspasia und Diotima (einer Seherin!) in die Lehre. Und das erste Werk des Materialismus “De rerum natura” ist selbstverständlich der Urgöttin Venus gewidmet. Wie sich ja auch der ganze Begriff des Materialismus dem ursprünglich weiblich gedachten Lebensprinzip, der Mater, verdankt. Die Vermutung, dass ursprünglich Frauen die Religion(en) begründet hätten, findet sich von der Antike bis hin zu Hume (und dann wieder bei Johann Jakob Bachofen etc.).

          Mir ist klar, dass grobe Vereinfachungen (a la “Religion hat schon immer Frauen unterdrückt” – “Religiöse Frauen sind besonders doof.” etc.) die komplexe Welt und Weltgeschichte scheinbar verstehbar machen. Bitte haben Sie jedoch Verständnis dafür, dass es nicht die Aufgabe der Religionswissenschaft und Evolutionsforschung sein kann, solche einfachen Vorurteile unhinterfragt zu lassen. Gerade auch die Evolutionsgeschichte des Menschen geht weit über “die letzten Jahrhunderte” hinaus und sie kann nicht verstanden werden, ohne auch die wechselnden Rollen und eigenständigen Beiträge von Frauen als Akteurinnen wahrzunehmen. Ich darf Sie herzlich dazu einladen, sich auf das Abenteuer Wissenschaft auch in diesen Fragen einzulassen. 🙂

          • Entschuldigen sie bitte, dass ich mich lediglich auf ihren Blogbeitrag bezog. Hätte ich gleich schreiben sollen, dass ich ihn mehr als oberflächlich indifferent und völlig geschichtsverkürzend finde? (Und dass ich mich nur auf diesen beziehe?) Oder dass er suggestiv aktuelle Religionen in einen Kanon setzt, die sie schon deshalb nicht verdienen, weil sie offenbar ihren Ursprüngen entgegen stehen und weit überholt sind? …

            Dennoch bleibt meine Kritik (oben) an ihrer – verblüffend an einen Taschenspielertrick erinnernde – “Logik” bestehen: Finden sie es nicht mehr als ungewöhnlich, ein System, dass mit Nachdruck die Rolle der Frau auf die “Aufzucht” beschränkt, dass jeglicher Geburtenkontrolle streng entgegen steht, als Begründung der Aussage “evolutionär erfolgreicher, da mehr Nachwuchs” zu benutzen? Das ist gelinde mehr als fragwürdig von einem Wissenschaftler lesen zu müssen. Sie ziehen hier ohne Not ein Register von ganz unten. Warum? Haben sie das beim Einkürzen des Textes nicht bemerkt? Oder war es Intention? Wenn nicht: Lassen sie die Vereinfachungen und trauen sie ihrer Blog Lesern mehr zu. Auch ihren religiösen! Sie müssen hier nicht “Guido Knopp für Reli” (= gut gemeint, aber voll daneben) abliefern.

            Übrigens: Was Darwin über Religion dachte und wie man seinen schriftlichen Nachlass diesbezüglich beurteilen kann, sollten sie vl. den Historikern überlassen. Oben sehe ich sie mehr als in Gefahr, durch Kontextbruch gern ihre Sichtweise zu untermauern, jedoch Darwin damit nicht gerecht zu werden. Das bekommt dem Text und ihnen nicht gut. Darwins Äußerungen kontextfrei in die heutige Zeit zu stellen, ist wie Luthers Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit als Grundlage zum Urteil über seine Person heranzuziehen.…

          • Lieber Herr Schnellich,

            ja, bitte – greifen Sie gerne hinein in den Blog und die vielen, auch kostenfrei abrufbaren Publikationen – einen Link hatte ich Ihnen gesetzt! Nehmen Sie die vierzehneinhalb Minuten Radioton als das, was sie sind: Kein Schlusswort, sondern eine Einladung, tiefer denn je in die Materie(n) einzutauchen!

            Und überprüfen Sie – lassen Sie sich überraschen – inwiefern man Jahrzehntausende der Religionsgeschichte auf “ein System” verkürzen kann. Und warum z.B. auch heute noch in freien, säkularen Gesellschaften mehr Frauen als Männer zur aktiven Mitgliedschaft in Kirchen und Religionsgemeinschaften tendieren. Nein, nicht weil sie “dumm” wären. Sondern weil das echte Leben deutlich vielschichtiger ist als jedes Vorurteil.

            Evolutionsforschung und Religionswissenschaft sind empirische – und also historische – Wissenschaften. Und was könnte religionshistorisch relevanter sein als die Äußerungen des studierten Theologen Darwin zur Religion? Dass dieser Aspekt bislang so unterbelichtet geblieben ist, überrascht mich auch immer wieder aufs Neue…

            Und noch einmal der Hinweis, dass die Definition von evolutionärer Fitness als (relativem und intergenerationalen) Reproduktionserfolg nicht das “Verschulden” irgendeines Religionswissenschaftlers ist, sondern schlicht der Erkenntnisstand der Evolutionsbiologie. Diese ist freilich deskriptiv, nicht normativ – und bitte auch so zu verstehen. Auch hier auf dem Blog fragte ich schon: Vielleicht wird sich ja in Zukunft ein erweiterter Fitnessbegriff ergeben?
            https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/ein-erweiterter-fitnessbegriff-f-r-die-evolutionsforschung-des-menschen-eine-frage-an-darwins-geburtstag/

            Also, lieber Herr Schnellich, lassen Sie uns die Testosteron-Falle ewiger Kommentardebatten vermeiden. Wenn Sie unbedingt das Alphamännchen sein wollen – nur zu! Tauchen Sie ein in diesen Blog, in die verlinkten Publikationen, in alles, was Sie interessieren könnte. Genau das traue ich den Leserinnen und Lesern von “Natur des Glaubens” zu – genau dafür ist dieser Blog (mit Abertausenden Stunden unbezahlten Arbeitseinsatzes über Jahre hinweg) gemacht. Trauen Sie sich und überraschen Sie uns! 🙂

  3. ja, die Evolution hat “die Religion, den Glauben an höhere Wesen und schließlich an Gott hervorgebracht.” Aber die Evolution hat auch Kannibalismus, Folter und Massenvernichtungswaffen hervorgebracht. Wollte man, wie der Autor, die Evolution fälschlicherweise missverstehen als stetige Weiterentwicklung, “über den Glauben an Geister und Ahnen sei es schließlich zum Glauben an viele Gottheiten und schließlich zur „höchsten Form“ der Religion gekommen: dem Glauben an einen einzigen, guten und gerechten Gott!”, so wäre die Schlussfolgerung doch naheliegend, dass auch der Monotheismus nur eine vorübergehende geistige Verirrung in der Menschheitsgeschichte darstellt.

    • @Laren Dawsen

      Den Glauben an einen Fortschritt auf den Gebieten von Kenntnissen, Moral und auch Religion vertrat Charles Darwin – und das habe ich mir erlaubt darzustellen. Sie können ihm das gerne verübeln, es ist jedoch ein bisschen unanständig, mir Darwins Zitate als meine eigenen Aussagen unterschieben zu wollen.

      Selbstverständlich kann man auch der Auffassung sein, dass es einen solchen Fortschritt nie gab oder gibt. Spannend finde ich gleichwohl Ihre Formulierung von der “vorübergehenden geistigen Verirrung in der Menschheitsgeschichte” – weil auch diese ja wiederum unterstellt, es gäbe so etwas wie einen wahren, geistigen Weg mit einem Ziel, von dem sich (nur “vorübergehend”?) abirren ließe… Kann man sich “verirren”, wenn es gar keinen richtigen Weg gibt? Wollen Sie uns dazu noch etwas mehr Auskunft geben?

      Das Schöne an interdisziplinärer Evolutionsforschung ist eben auch, dass sie unsere oft verborgenen, metaphysischen Grundannahmen offenzulegen und uns damit auch selbst immer wieder zum Denken anzuregen vermag… 🙂

      • Danke für Ihre Antwort.

        Das Zitat ist durchaus berechtigt und ich wollte es Ihnen nicht unterschieben, dass Evolution allerdings keineswegs nur Fortschritt im Sinne einer Entwicklung zu höheren oder gar erfolgreicheren Lebensformen im Hinblick auf Reproduktion und Überleben bedeutet, hatte Darwin bereits hinlänglich erkannt und beschrieben. Viele Arten entwickeln sich sogar zurück oder in Sackgassen hinein, in denen die meisten von ihnen aussterben. In diesem Zusammenhang wäre es interessant, wie das Wort “Fortschritt” im Originaltext verfasst ist.

        Mit meiner provokanten Schlussfolgerung habe ich auf dieses Problem hinweisen wollen, nämlich dass wir aus evolutionsbiologischer Sicht weder darauf schliessen können, dass die Entwicklung vom Polytheismus zum Monotheismus ein Fortschritt war, noch darauf, dass die weitere Entwicklung den Atheismus als dominierende Weltanschauung zur Folge haben wird. Und selbst wenn, wäre auch der Atheismus, wie alles in der Evolution, nur ein temporäres und damit vorübergehendes Phänomen. Das gilt aber auch für alle übrigen Weltanschauungen, wie den Monotheismus. Insofern gebe ich Ihnen natürlich völlig Recht, dass die Evolution keinen wahren, geistigen Weg mit einem Ziel kennt. Letzteres dürfte (natur-)wissenschaftlicher Konsens sein.

        • Vielen Dank auch für die konstruktive Diskussion, @Laren Dawsen.

          Darwin ging – wie oben zitiert – von der Möglichkeit menschlichen Fortschritts auf evolutionärer Grundlage aus. Das Zitat (und viele mehr) können Sie in seinem “Descent of Men” von 1871 auch online einsehen.

          Auch Sie selber scheinen ja von einem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt auszugehen (inklusive von befugten Autoritäten seiner Auslegung, wie dem “Konsens der (Natur-)Wissenschaftler”). Und wir beide sind uns wohl einig, dass erst Primaten mit hoher, neuronaler Komplexität evolvieren mussten, bevor sie Wissenschaften betreiben konnten…

          Beim studierten Theologen Darwin merkt man m.E. die solide, auch geisteswissenschaftliche Ausbildung, die leider vielen heutigen “Darwinisten” fehlt.

          Denn selbstverständlich können empirische Wissenschaften keine Endzwecke erkennen – ihre Untersuchungsgegenstände sind immer Beobachtungen, also historisch. Ich kann und will z.B. keine religionswissenschaftliche Aussage darüber treffen, ob der durchschnittliche Fitnessvorteil durch Religiosität auch noch in drei Jahrhunderten bestehen wird. Möglicherweise klonen wir Menschen dann längst oder haben ganz andere Fitnessindikatoren als den Reproduktionserfolg, wer weiß?

          Und selbstverständlich finden sich etwa auf den Ebenen von Physik, Chemie und von Biologie noch keine Zwecke und Werte, kein Sinn und keine Rechte, keine höheren Wesen, keine Staatsgrenzen und keine Wissenschaften, keine Ziffern, Formeln und Theorien. Alle diese – und viele weiteren – geistigen Phänomene emergieren erst aus (neuro- und sozio-)biologischen Grundlagen heraus, “werden Realität” und bewähren sich dann an ihren Weltausschnitten mehr oder weniger gut. Auch Sie und ich bewegen uns in diesen geistigen Welten. Und würden wir dabei nicht – ggf. heimlich oder unbewusst – an Sinn und Fortschritt glauben, so würden wir überhaupt nicht darüber nachdenken und diskutieren… 🙂

          Charles Darwin war halt weit mehr als “nur” Naturwissenschaftler, er dachte auch kultur- und geisteswissenschaftlich. Daher war es ihm möglich, Fortschritt (“progress”) zu erkennen und zu erhoffen. Im Gegensatz zu den Reduktionisten (bis) heute.

          • Ohne kulturelle Errungenschaften wäre moderne Naturwissenschaft nicht möglich, da stimme ich Ihnen selbstverständlich zu. Wenn man Naturwissenschaft allerdings als den Versuch eines Wesens begreift, seine Umwelt besser zu verstehen um vermeintlich bessere Entscheidungen für das eigene Überleben und das der Nachkommen treffen zu können, muss man auch Bakterien ein naturwissenschaftliches Bewusstsein zugestehen.

            Unsere Theorien erzeugen Prognosen. Der Konsens besteht darin, dass die Prognosen heute relativ zuverlässig funktionieren. Dass man mit menschlicher Natur- oder Geisteswissenschaft allerdings einen über das menschliche Leben hinaus bedeutsamen Erkenntnisfortschritt erzielen kann, darf bezweifelt werden. Beim Blick auf die Evolution scheint mir die Prognose zuverlässig, dass zumindest über längere Zeiträume hinweg jede Religion, wissenschaftliche Theorie oder kulturelle Errungenschaft aussterben oder aber einem Wandel unterliegen muss bis hin zur Unkenntlichkeit, spätestens dann, wenn der Mensch und das “von Gott erschaffene” Sonnensystem nicht mehr existieren.

            Damit schliesse ich ebensowenig aus wie Darwin, dass Religion und der Glaube an höhere Mächte einen positiven Effekt auf das Überleben der Menschheit insgesamt haben oder für gewisse Zeiträume gehabt haben könnten. Ein Erkenntnisgewinn wird es dadurch nicht, nach Darwin eher ein Fortschritt (“progress as adaptation”) im Sinne einer vorübergehend erfolgreicheren Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen. Rather process than progress.

          • Da liegen wir dann tatsächlich erkenntnistheoretisch nah – wenn auch nicht ganz – beieinander, @Laren Dawsen. Denn ich denke schon, dass der wissenschaftliche Fortschritt, ebenso aber z.B. die Erklärung der Menschenrechte und eben die Entwicklung von Weltreligionen und globalen Philosophien jeweils als “Erkenntnisfortschritte” bezeichnet werden können. Ob sie auf ewige Wahrheiten verweisen oder nicht, lässt sich m.E. nur glauben, nicht aber empirisch klären. So bleibt uns ein Bereich für Glaube, Liebe und Hoffnung, jenseits dessen, was wir empirisch jemals wissen können.

          • Mir ging es lediglich darum, ihren durchaus interessanten Ausführungen zu Darwin hinzuzufügen, dass der Begriff “progress” bei Darwin nicht mit Fortschritt zu immer komplexeren oder höheren Lebensformen gleichzusetzen ist. “Survival of the fittest” bedeutet auch nicht das “Überleben des Stärksten”, wie nach wie vor oft falsch übersetzt, sondern das Überleben desjenigen, der am besten in seine Umwelt hineinpasst (“to fit”). Der Fortschritt kann sogar gerade in der Verringerung von Komplexität und kognitiven Fähigkeiten liegen, was unter Umständen durch geringeren Energiebedarf größere Überlebenschancen bieten kann.

            Darüber hinaus bleibt es vollkommen legitim, an einen für uns wie auch immer gearteten positiven Fortschritt zu glauben, und dieser Glaube an sich mag auch unsere Überlebenschancen vergrößern.

  4. Nun scheint von Religiösen und Nichtreligiösen möglichst Darwin für sich zu gebrauchen. So habe ich schon mehrmals von Atheisten gelesen Darwin hätte sich nur als Agnostiker und nicht als Atheist, weil er es nicht seiner Frau zumuten wollte, sich nicht mehr mit den Religiösen verscherzen wollte. So soll auch schon Darwin die Unmöglichkeit der Kombination von Religion und Evolution geglaubt haben. Dabei werde immer wieder Zitate so gedeutet.

    Möglich ist sowas immer, aber es wiederstrebt mir jemanden den man nicht Frage darf, soweit von seinen eigenen Aussagen zu entfernen.

    Das gleiche gilt auch für ‘Religiöse die den Glauben in Darwin sehen wollen. Ich sehe nicht warum man an seiner Aussage er sei Agnostiker zweifeln sollte.

    • Ja, so ist es leider, @Zoran Jovic. Schon zu Lebzeiten bekam Darwin Besuch von deutschen Religionskritikern, die ihn unbedingt für ihre Sache einspannen wollten – und er nahm sicherheitshalber seinen befreundeten Pfarrer dazu, um genau das zu vermeiden. Darwin war eben kein engstirniger Ideologe, sondern ein wirklich neugieriger Forscher – und sich entsprechend der Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeiten sehr bewusst. Er war demütig, “weil” er soviel wusste und entdeckt hatte. Und gerade mit dieser Einstellung könnte er sowohl vielen Theisten wie Antitheisten heute eigentlich ein Vorbild sein…

  5. Interessanter und informativer Beitrag! Besonders interessant finde ich das Zitat aus dem Brief an Asa Gray, aus dem ich bisher nur den ersten Teil kannte. Der zweite Teil beschreibt fast eine Spielart von ID: „designte Gesetze“. Wer war der Designer? (Nur „fast“, weil ID‘ler normalerweise über designte Naturgesetze hinausgehen)

    Die Aussage: „Tatsächlich hatten Darwins spätere Zweifel am christlichen Glauben am wenigsten mit seinen wissenschaftlichen Entdeckungen zu tun.“ dürfte allerdings nur auf bestimmte Glaubensaspekte zutreffen, denn Darwin hat ganz klar gegen spezielle Schöpfung argumentiert (besonders auch in seinem Hauptwerk), was ja auch ein Glaubenssatz ist, wie Darwin selber es gesehen hat, wenn er schreibt: „Ich habe wenigstens, wie ich hoffe, einen guten Dienst getan, dazu beizutragen, das Dogma der separaten Schöpfungen umzustürzen.“ (Charles Darwin, Descent of Man, 1871, S. 153). – Dogma umstürzen!

    Was mir zum eigentlichen Thema nicht klar ist: Wenn Gottesglaube und dessen Inhalt Evolutionsprodukte sind, wie ist das dann mit dem Wahrheitsanspruch? Gibt es den? Wenn ja, wie kommt es, dass durch Evolution ein wahrer Glaube entsteht? Oder ist es so zu sehen, dass Glaube egal an was, egal ob Illusion oder nicht, eben ein Produkt der Evolution ist und die Fitness erhöht? Dann aber hätte Glaube mit Wahrheit nichts zu tun oder man könnte es nicht wissen, was daran wahr ist bzw. ob überhaupt etwas daran wahr ist. Dann aber wäre Glaube über seine soziale Funktion hinaus letztlich belanglos.

    • Lieber Herr Junker,

      ja, bereits Darwin erkannte die – auch theologische! – Kurzatmigkeit eines “Lückenfüller-Gottes”, der wie ein pfuschender Handwerker im Universum immer wieder nachhelfen müsste…

      Vgl. dazu den Song von Baba Brinkman. 🙂 https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/wissenschaft-lueckenfueller-gott-zum-god/

      Was den Wahrheitsanspruch angeht, befindet sich m.E. Theologie damit vor der gleichen Frage wie die Mathematik oder die Rechtswissenschaften, letztlich gar alle Wissenschaften selbst: Sind Ziffern, Zahlen, (Menschen-)Rechte, Theorien nur illusionäre Produkte unserer Gehirne? Oder verweisen sie nicht doch zumindest auf Annäherungen an eine absolute Realität? Dass Darwin den Fortschritt “in Kenntnissen, Moral und Religion” attestiert, halte ich für bemerkens- und bedenkenswert.

      Und ich meine, dass sich da gerade auch ein reduktionistischer Antitheismus in Selbstwidersprüche verfängt:
      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-empirische-beweislast-der-antitheisten/

      Mit herzlichen Grüßen!

      • Lieber Herr Blume,

        wenn “designte Gesetze” bestimmte Dinge, die aber existieren, nicht hervorbringen können (z. B. Leben aus Nichtleben), ist die Annahme einer direkten Schöpfung kein Lückenfüller, sondern die wahrscheinlichere Erklärung, die auf einem Schluss auf die bessere (hier sogar einzig bekannte) Erklärung beruht. Was auf der Basis designter Gesetze beschrieben werden kann, muss die Forschung herausfinden. Es kann auch ein Ergebnisse der Forschung sein, dass bestimmte Prozesse nicht naturgesetzlich ablaufen. Auch für diese Möglichkeit muss einkalkuliert werden und kann nicht mit Hinweis auf einen vermeintlichen Lückenfüller ausgeschlossen werden.

        Der erste Teil meines Kommentar zielte eher darauf ab, dass man von einem Designer ausgehen muss, wenn man von “designten Gesetzen” spricht. Die Frage wäre dann aber, ob man hier nicht genauso von einem Lückenfüller sprechen müsste: Denn Warum brauchen wir _designte_ Gesetze? Warum ist das designt kein Lückenfüller?

        Kurzum, die Rede vom Lückenfüller ist oft unsachgemäß und kaschiert die eigentlichen Fragen.
        (Ausführlich diskutiere ich die Thematik hier: http://www.wort-und-wissen.de/artikel/a19/a19.pdf)

        Ebenfalls mit herzlichen Grüßen

        Reinhard Junker

        • Lieber Herr Junker,

          lieben Dank für Ihre Nachfragen.

          Darwins Ausführungen zu “designten Gesetzen” lassen sich sowohl mit einem Deismus wie auch mit den heutigen Diskussionen um das anthropische Prinzip m.E. sehr gut in Einklang bringen.

          Was den “Lückenbüßer-Gott” angeht, so hat sich Darwin in späteren Texten selbst sehr darüber geeignet, dass ihm im Schlusswort der “Origin of Species” Formulierungen möglichen, göttlichen Eingreifens unterlaufen seien. Denn das ist nach meinem Verständnis die vorherrschende Definition eines “Lückenfüller-Gottes”: Eines Schöpfers, der zwar die zeitlichen Kausalketten geschaffen habe, in diese aber doch immer wieder eingreifen müsse, weil sie nicht aus sich selbst heraus funktionierten bzw. emergent seien. Darüber hinausweisende Gottesbilder verorten den Schöpfer dagegen vor und über den diesseitigen Zeiten.

          Für Ihre Überlegungen ggf. interessant könnte sein, dass sich Darwin in seinem letzten Lebensjahr ausdrücklich für ein Buch begeisterte, das die Vereinbarkeit von Gottesglauben und Wissenschaften betonte, leider jedoch bislang kaum beachtet wurde: The Creed of Science von William Graham.
          https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/charles-darwin-war-nie-atheist/31/

          Ihnen alles Gute, erneut herzliche Grüße!

          Michael Blume

    • Was spielt es für eine Rolle ob mein Gott oder deine Götter der/die richtigen sind? Erst wenn Religion zum dual-use Gut wird und benutzt wird um z.B. zu legitimieren, wer ein Land oder eine Quelle nutzen darf, wird eine “Wahrheit” wichtig.

    • Herr Junker,

      in der Mystik gibt es eine Sichtweise, dass Evolution ein Erwachen ist. In dieser Sichtweise braucht es weder „designte Gesetze“ noch wäre Gott lediglich ein “Lückenbüßer.

  6. Sehr geehrter Herr Blume,
    Ihre Beiträge aus der Hinterlassenschaft Darwins haben mich etwas überrascht.
    Meine Information war die, bei Darwin wäre die gesamte Schöpfung aus dem
    “Nichts” entstanden. Er war auch wohl nur auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.
    Ich hatte das Vorrecht, gläubige Eltern, Großeltern und eine starke und gläubige
    Frau zu haben. In bereits fortgeschrittenem Alter habe ich entsprechend meiner
    persönlichen Überzeugung von Glaube, nicht Religion, einige Artikel ins Internet
    gestellt. Wenn es Sie interessiert, einfach folgenden Link eingeben:
    http://www.4-e-inigkeit.info
    Es dürfte sich nach Darwin wieder um eine Evolution handeln.

    • Lieber Herr Sont,

      leider bin ich nur Religionswissenschaftler, kein Prophet, und traue mir daher auch keine absoluten Aussagen über die Zukunft zu. Die einen glauben so und die anderen so.

      Mit Bezug auf die letzten Jahrzehntausende scheint Religiosität insgesamt sehr erfolgreich gewesen zu sein. Vgl. den verlinkten Film oder diesen kostenfreien Überblicksartikel “Homo religiosus”:
      http://www.spektrum.de/magazin/homo-religiosus/982255

      Aber, wie gesagt, direkte Extrapolationen für die Zukunft wage ich daraus nicht abzuleiten. Vielleicht werden wir Menschen uns ja selbst auslöschen oder sich unsere Nachkommen per Klonen fortpflanzen? Wer weiß?

      Ihnen alles Gute und einen schönen Abend!

  7. #Uwe Sont
    Zitat:
    Wenn Religion evolutionär erfolgt, dann ist sie ganz sicher eine evolutionäre Sackgasse
    =
    Bekanntlich gibt es viele Religionen, die man aber durchaus unter dem Begriff “Weltanschauung“
    einstufen kann, selbst die westliche, christliche Religion. M. Wissens ist mit einem
    Theologiestudium das Lehrfach “Philosophie“ verbunden.
    Am Ende spielt die Bibel dabei nur noch eine untergeordnete Rolle
    und das führt wirklich in eine Sackgasse.
    In der Philosophie sagt der Mensch, was und wie er über Gott denkt.
    Die Bibel vermittelt dagegen, wie Gott der Schöpfer über die Menschen (seine Geschöpfe) denkt
    und was Er für sie getan hat, weil er ein lebendiger Gott ist.
    Hierzu nur ein Vers aus den Psalmen des König Davids (Ps. 32,5):
    Meine Sünde bekenne ich Dir, und meine Verwerflichkeit verdecke ich nicht. Ich sagte:
    Ich will meine Übertretung Jewe (Gott) bekennen, auch wenn sie gegen mich spricht.
    Und Du (Gott) trägst meiner Sünde Verwerflichkeit.
    > > > Geschehen – lt. Bibel – vor ca. 2 000 Jahren am Kreuz von Golgatha.
    Insofern muss man sagen: Diese Tatsache bedarf wirklich keiner Evolution (a=Entwicklung),
    dafür aber eine End-(b=Auswicklung) und zwar mittels Verkündigung.
    Das hat auch etwas mit Evolution zu tun, führt aber garantiert nicht in eine Sackgasse.
    In diesem Sinne, alles Gute von
    W. B.

    • Ist ihnen überhaupt nicht bewusst, dass sie sich hier auf Literatur beziehen, deren Herkunft ungeklärt, deren Zusammenstellung willkürlich, umstritten und intentional ist? Beachten sie bitte zukünftig auch, dass ihrer willkürliche Zitatenwahl aus völlig verschiedenen Teilen, die zu verschiedenen Zeiten mit unverbürgten Quellen stammt.

  8. Ohje! sehr geehrter Herr Blume,
    ich weiß, ich sollte längst aufgehört haben, ihren Blog zu lesen, dass bekommt meiner Stirn nicht. Nachdem ich mich nun vom “Stirn => Tischplatte” erholt habe, blieb doch noch eine Frage offen, die ich ihnen Stellen möchte: Wo ist denn der eigentliche Erkenntnisgewinn?
    Sie haben sehr viel anekdotisches von/über Einzelpersonen in ihrem Text untergebracht, sehr viel Selbstbezug und -referenz, aber irgendwo fehlt da die eigentliche Erkenntnis, das, was “uns weiterbringen” kann/soll, was wir als Wissen von nun an zum Aufbau von Neuem nutzen können. Wären sie bitte so nett, dass vl. zu erläutern.
    Ja, ich weiß, dass der Blogbeitrag älter ist, aber die Frage sei erlaubt…

    • Lieber Herr Lischer,

      ja, dieser Blog ist ein völlig freiwilliges Angebot – niemand ist gezwungen, hier zu lesen. Wenn es Ihnen nicht zusagt – das Netz ist groß! 🙂

      Und, ja, ich versuche im Blog auch als Person präsent zu bleiben – ursprünglich entstand die Blogkultur ja sogar aus Tagebucheinträgen. Und sehe ich es richtig, dass Sie Ihren Blog sogar nach sich selbst benannt haben?

      Und damit sind wir natürlich beim Entscheidenden: Niemand hindert Sie, es besser zu machen! Ich freue mich seit Jahren über eine wachsende und lebendig interagierende Leserschaft – und hätte aber auch gar kein Problem damit, wenn andere die Themen besser bebloggen. Nur zu! 🙂

      Oder wie der Volksmund sagt: Mitleid gibt’s geschenkt, aber Neid muss man sich verdienen! 😉

      Ihnen alles Gute und viel Freude beim Bloggen!

  9. Die ARD-Mediathek sagt mir, wenn ich Ihren Links folge:

    “Der gewünschte Beitrag ist nicht mehr verfügbar.

    Der Verfügbarkeitszeitraum dieses Beitrags ist abgelaufen, daher dürfen wir ihn nicht mehr in der ARD Mediathek anbieten. (…)”

    • Lieber @Quercus,

      ja, das hat mich auch schon geärgert – denn ursprünglich stand dort Februar 2017… :-/ Ob sich die Rechtslage geändert hat?

      Ich hoffe, binnen der nächsten zwei Wochen eine befriedigende Lösung zu finden.

      Mit Dank und herzlichen Grüßen

      Michael Blume

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