Warum können deutsche Politiker nur nicht reden wie Kamala Harris & die Obamas?
Nachdem ich zuletzt auch eine Rede mit Solarpunk-Vibes von Michelle Obama gebloggt hatte, haben mich mehrere Nachfragen mit dem Tenor erreicht: “Warum können deutsche Politikerinnen und Politiker nicht so reden wie Kamala Harris, Michelle und Barack Obama?”
Falls Sie sich noch nicht gesehen haben sollten, hier ist die sehr starke Rede von Vizepräsidentin Harris auf dem Parteitag der US-Demokraten (Democratic National Convention, DNC) 2024 in Chicago:
Und dazu kann ich tatsächlich einiges sagen – nicht nur aus der Theorie der Politikwissenschaft und Religionswissenschaft, sondern auch aus jeder Menge Praxis. So war ich u.a. mit dem IVLP-Programm zur ersten Amtseinführung von Barack Hussein Obama nach Washington eingeladen worden – und habe auch erst wieder im Oktober in Utah und Washington gesprochen.
Vor allem aber habe ich als Redenschreiber Dutzende, teilweise sehr erfolgreiche Reden für bekannte, deutsche Politikerinnen und Politiker geschrieben – und schreibe auch meine eigenen bis heute selbst. Mit der Redeform der “dualen Rede” sprach ich so vor Abertausenden Demonstrierenden in Stuttgart – und werde bis heute noch von Menschen darauf und auf das gemeinsame Erlebnis angesprochen, die dabei waren.
Und nach meiner Rede zum Landtag Baden-Württemberg am 9.11.2023 erhoben sich alle Fraktionen – bis auf eine, die den Saal verließ. Ratet.
Ein rechtsgerichteter Blog war über den Erfolg dieser Rede im Landtag BW sogar so empört, dass er unter dem Titel “Das Blume-Prinzip” eine Bildcollage postete, in der ich als Superman mit gelbem Judenstern abgebildet war. 🙂
Also gehen wir es an. Ich möchte im Folgenden zwei Fragen beantworten: 1. Was ist das Geheimnis starker Reden? Und 2. Warum gelingen sie bislang so selten in Deutschland?
These 1: Sprache ist das primäre und also mächtigste Medium der Menschheit
Was haben Journalistinnen und Wissenschaftler, Politikerinnen und Richter, Pastorinnen, Bankkaufleute und Juristinnen gemeinsam? Ganz einfach: Sie produzieren im Wesentlichen Medien – Worte, Texte, Bilder!
Mir persönlich bereitet es daher fast körperliche Schmerzen, wenn mal wieder ein Pfarrer oder Professor einen schlecht geschriebenen Text lieblos vom Blatt abliest, wenn eine Journalistin arrogant gegenüber Leserinnen und Lesern formuliert, wenn ein Gericht “im Namen des Volkes” mit einem unverständlichen Urteil den Rechtsstaat bloßstellt – und vor allem, wenn eine politische Rede langweilt.
Von jeder Architektin, von jedem Handwerker erwarten wir zu Recht sorgfältige Werkstücke – aber von auch bestbezahlten Medienarbeitenden, denen wir unsere Stimmen, unsere Zeit, unser Geld anvertrauen, lassen wir uns oft noch miese und lieblose Arbeitsstücke (Worte, Texte, Bilder) gefallen? Sorry, ich halte das für falsch. Wer nicht leidenschaftlich und überzeugend reden kann, soll es lernen oder lassen. Politik ist Fantasie- und Medienarbeit.
Die Sprache hat unsere Spezies über Jahrhunderttausende geprägt und bleibt das primäre, das mächtigste aller Medien. Deswegen beginnt das Glaubensbekenntnis der ersten Alphabet-Schriftreligion der Erde, des Judentums nach der Heiligen Schrift (!) mit Schema Jisrael – Höre, Israel! Deswegen sprach und tat Rabbi Jehoschua – griechisch Jesus – viel, schrieb aber nur in einer Szene in den Sand und hinterließ uns bewusst keine Texte. Deswegen bedeutet auch das arabische Iqra als Wortwurzel des Quran nicht einfach nur “Lies!”, sondern “Rezitiere / Sprich!” Deswegen wurden die Reden des Buddha lange vor ihrer Verschriftung mündlich memoriert und rezitiert und wird die Bhagavad Gita des Hinduismus als Dialog zwischen zwei Kriegführenden inszeniert.
Alle (!) großen Schriftreligionen bauen darauf, dass die Heiligen Schriften Woche für Woche von Spezialisten und zunehmend auch Spezialistinnen wieder in gesprochene Sprache verwandelt werden!
Und deswegen hat auch jede politische Zivilreligion, jeder Staat mindestens eine große Rede wie “I have a dream” von Martin Luther King Jr. (1929 – 1968) in den USA oder den 8. Mai als “Tag der Befreiung” von Bundespräsident Richard von Weizsäcker (1920 – 2015) in Deutschland.
Persönlich habe ich daher nach der Doktorarbeit zu Religion und Hirnforschung auch das philosophische Paradigma des Konstruktivismus hinter mir gelassen und mich der erst entstehenden Philosophie der Performativität zugewandt: Gesunde Menschen vollziehen keine innerlich abgeschotteten Baupläne nach, sondern entwerfen sich in jeder Begegnung und Beziehung im Hinblick auf die Mitwelt und Mitmenschen. Wir konstruieren uns nicht, wir inszenieren uns und niemand kann nicht kommunizieren. Wer etwa mit fehlender Körperpflege, ungepflegter Kleidung, grimmigem Schweigen und verschränkten Armen arrogantes Desinteresse an Mitmenschen vermittelt, kommuniziert auch damit, sogar sehr stark. Nochmal: Wir Menschen können nicht nicht kommunizieren. Wir inszenieren uns bewusst oder unbewusst.
Schauen wir uns also die Obamas an, so wird klar, dass sie sich früh entschieden haben, als gemeinsames Team zu wirken und sich entsprechend auch gemeinsam und aufeinander abgestimmt zu inszenieren.
Die Familie Obama, 2011. Foto: Pete Souza
Schauen wir uns die Reden von Michelle und Barack Obama beim DNC 2024 an, dann fällt nicht nur ins Auge, wie gleichzeitig stark und liebevoll beide harmonieren. Barack Obama begann seine Rede sogar mit dem mutigen Witz auf eigene Kosten, er sei “die einzige Person, die dumm genug ist, nach Michelle Obama zu sprechen.”
Jede gelungene Rede ist eine gekonnte Inszenierung – die sich übrigens auch dadurch auszeichnet, was nicht gesagt, sondern gezeigt wird. Beachten Sie bitte, wie Barack Obama in seiner Rede sich über die “Besessenheit von Donald Trump über die Größe von Mengen” lustig macht – und dabei die Hände in der Trump-üblichen Weise schwingen lässt, die jedem klar macht, dass hier auch über Penisgrößen “nicht” gesprochen wird. Es wäre völlig unangemessen gewesen, auszusprechen, was hier durch Gesten auszudeuten war.
Um ein kleineres, lokales Beispiel zu wählen: Oben, bei der Demo-Rede zu “Stuttgart hält zusammen” vor dem Rathaus, trage und kommentiere ich einen Schal des VfB Stuttgart. Ich tat dies, weil der Verein das Stadion in Regenbogenfarben leuchten ließ – und weil er das letzte Spiel bitter verloren hatte. Hätte der VfB gerade gewonnen, dann hätte ich den Schal nicht angezogen, um nicht hochmütig rüber zu kommen und die Fans anderer Teams nicht vor den Kopf zu stoßen. Wir können nicht nicht kommunizieren, sondern tun dies immer auch durch unsere Kleidung und Gesten.
All dies bedeutet also gerade nicht, dass niemand eine Rede selbst oder im Team vorbereiten oder teilweise vom Blatt oder Teleprompter ablesen sollte. All dies taten auch Kamala Harris und die Obamas. Sondern es bedeutet, dass jede Rednerin, jeder Redner den Mut haben sollte, sich sehr bewusst auf die Redesituation einzulassen, die Rede schon auf die Redesituation zu entwerfen und wo immer nötig durch Worte und Gesten auch das Vor-Geschriebene anzupassen. Eine dritte Rede oder eine direkt nach dem Mittagessen braucht eine völlig andere Struktur als eine erste oder letzte. Wer ernsthaft glaubt, es sei “das Gleiche”, zu Menschen um 14:30 Uhr in einer Sporthalle oder um 20:30 Uhr in einem Rathaus zu sprechen, sollte – bitte entschuldigen Sie – Politik oder Wissenschaftskommunikation besser nicht als Beruf ausüben. Entweder, Du redest zu den Menschen in der aktuellen Situation – oder Du “bestrafst” jene, die bereit sind, Dir ihre kostbare Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken.
These 2: Jede Geschichte ist anders
Im Studium der Politikwissenschaft wagte ich einmal eine Seminararbeit, nach der ich sogar ein Jobangebot erhielt: Ich verglich die damals zehn erfolgreichsten Kinofilme je aus den USA und aus Deutschland daraufhin, wie Politiker (damals noch kaum: Politikerinnen) dargestellt wurden.
Das Ergebnis überzeugte auch den gegenüber diesem Ansatz zunächst skeptischen Professor Volker Rittberger (1941 – 2011): Während US-Politiker als Heldenfiguren eigenhändig weltweite Kampfjet-Geschwader gegen Aliens anführten (“Independence Day”) und Terroristen aus Flugzeugen prügelten (“Air Force One”), kamen deutsche Politiker in den Otto-Filmen oder “Good Bye, Lenin” bestenfalls als tragische Witzfiguren und meistens gar nicht dargestellt.
Jede Zivilreligion ist unterschiedlich und nach dem krassen Missbrauch auch der Rhetorik durch die Nationalsozialisten wollen die meisten von uns Deutschen Formulierungen wie die “greatest Nation on Earth” besser nicht mehr hören. Deswegen können und sollten wir auch die Rhetoriken und Inszenierungen der USA nicht imitieren – aber umgekehrt eben auch nicht damit zufrieden sein, langweiliges Verwaltungsdeutsch zu sprechen. Jedes Land hat eine eigene Zivilreligion, die durch eigene Formulierungen und Inszenierungen weiter zu entwickeln ist.
Zudem findet jede Rede in einem institutionellen Setting statt: Die Standing Ovations im Landtag von Baden-Württemberg waren eben auch dadurch zu erklären, dass ich von beiden jüdischen Landesgemeinschaften und allen vier demokratischen Fraktionen gemeinsam beauftragt und also nicht als Redner nur der Regierung oder nur der Opposition anerkannt wurde. Oft werden “Externe” in Gremien stärkeren Applaus erhalten als jene, die darin tagtäglich miteinander ringen. Es ist nahezu unmöglich, spannende Redeserien – sogenannte “Sternstunden” – nur mit Gremien-Insidern zu gestalten!
Denkt doch nur an die oft großartigen, bewegenden Reden zum überparteilichen Holocaust-Gedenktag im Deutschen Bundestag, etwa durch Charlotte Knobloch mit “Ich stehe vor Ihnen als stolze Deutsche” oder Marcel Reif mit “Sei ein Mensch“.
Daher rate ich nicht nur Bundes- und Landtagen, sondern auch etwa Kreistagen immer wieder ausdrücklich, öfter externe Rednerinnen und Redner einzuladen und diese Reden digital zu streamen, damit sie im Erfolgsfall weiterwirken können. Beim DNC 2024 sprachen so auch Mitglieder der US-Republikaner wie die frühere Trump-Mitarbeiterin Stephanie Grisham oder Geoff Duncan – und stärkten damit die Gesamtinszenierung, die Reichweite und Glaubwürdigkeit auch aller anderen Redenden.
Schließlich und zuletzt ist jede erfolgreiche Rede auch eine Frage der persönlichen Glaubwürdigkeit. Die brillante Redegabe von US-Präsident Barack Obama wurde teilweise als “nur Geschwätz” abgetan, als ihn die republikanische Mehrheit im Kongress ausbremste. Vergleichbare Demütigungen erlebt derzeit der bundesdeutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) durch die eigenen Koalitionspartner.
Wir Menschen werden misstrauisch, wenn jemand stark reden, aber dann nicht liefern kann. Aber warum sollten wir jemandem zuhören, der kaum Gestaltungsmacht besitzt? Auch deswegen hören wir lieber Podcast-Dialoge als Monologe.
Von diesem Dilemma zwischen Gewaltenteilung und Glaubwürdigkeit sind Demokratien mit Mehrheitswahlrecht wie die USA auch, jene mit Verhältniswahlrecht wie Deutschland stärker und die Schweizer Konkordanzdemokratie, die ich von der föderalen Kultur und den Infrastruktur-Ergebnissen her sehr schätze, sogar massiv betroffen. Wenn von vornherein klar ist, dass nachher viele oder gar alle gemeinsam regieren, lassen sich kaum glaubwürdig “Schicksalswahlen” beschwören.
Fazit
Auch wenn wir es uns manchmal wünschen mögen – deutsche Demokratinnen und Demokraten können aufgrund unserer Geschichte, Zivilreligion und Regierungssysteme nicht einfach US-amerikanische Rhetoriken kopieren. Das bedeutet aber nicht, dass Reden auch in Deutschland nicht sehr viel besser geschrieben, inszeniert und vor allem dargeboten werden können, als dies bisher meist der Fall gewesen ist. Wer sich mit langweiligen und schlechten Reden abspeisen lässt, öffnet Populistinnen und feindseligen Dualisten die Tore, die nur darauf warten, ihre Anhängerschaften mit dem Vorwurf aufzupeitschen, die bisherige Politik würde “nur reden”.
Dabei gibt es keine größere Medienmacht als die Sprache. Ich meine: Wer Medien beginnend bei der Sprache nicht wirklich als Werkstoff von Demokratie liebt und ehrt und entwickelt, verdient auch unsere Stimmen (!) nicht.
gelungener Beitrag 👍
ein Punkt für die Diskussion: Für mich hängt viel an der Authentizität. Die Kunst es allen Recht zu machen, beherrscht bekanntlich niemand. Manche mögen kurze, manche lange, manche ernste und manche lustige Reden usw. Die Rede muss neben dem Umfeld, Zeit usw. auch zum Redner selbst passen.
Vielen herzlichen Dank, @Alexander Kozel – und volle Zustimmung!
Eine Rede wie zu Goethes Faust in Knittlingen zielt auf völlig andere Erwartungen als zum Beispiel ein Grußwort zu einem Fest:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/faustmuseum-knittlingen-2023-sind-wir-maenner-noch-zu-retten-faust-goethe-und-das-boese-in-uns-selbst/
Und nicht nur die Länge, auch etwa die Rede-Geschwindigkeit und der Sprachstil sollten zur Situation und zur Rednerin, zum Redner passen. Wenn sich die Redenden selbst unwohl in ihrer Rolle fühlen, werden die meisten Menschen dies spüren.
Hier spricht sich etwa Barbara Streisand von zuhause aus für die Kandidatin Kamala Harris aus. Auch das ist eine authentische Rede, die die Möglichkeiten des Internets nutzt:
https://www.youtube.com/watch?v=VNsMZ1M5b9k
Danke für den freundlichen und inhaltlich ergänzenden Druko – und ich meine, wir sehen uns im September im RL in Knittlingen wieder! 🙂
Guter Text!
Ich kann nur empfehlen, mal einen Kurs zu Public Speaking und Rethorik zu machen.
Ich war schon immer ein guter Redner, allerdings habe ich dabei immer auf Intuition und Spontanität vertraut, hatte aber keine Systematik oder Konzepte.
Seitdem ich mich mehr damit beschäftigt habe (nach einer Wahlkampfrede von Obama und einer Doku über die US Debatierclubs),
bereite ich meine Reden zielgruppenorientierter und situationsbedingt vor.
Sie sind zwar nicht unterhaltsamer geworden, aber die Inhalte werden deutlich besser verstanden und ich strapaziere die Geduld eines Teils der Zuhörenden nicht mehr über Gebühr.
Auch teste ich meine Reden vorab kurz durch und spreche nur mit einem minimalistischen Outliner Skript mit den Keypoints als Backup.
Vielen Dank, @st3fan!
Ja, ich habe mal vor langer Zeit als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) an einem Redenseminar nach britischem Vorbild teilgenommen. Unter anderem wurden wir per Zufall in Lager eingeteilt – und so hatte ich als begeisterter Europäer plötzlich gegen die Einführung des Euro zu sprechen! Noch krasser als diese Erfahrung waren aber die Tränen einer südkoreanischen Freundin, die es als belastend empfand, dass von ihr verlangt wurde, anderen ins Gesicht zu widersprechen.
Damals lernte ich, dass jede Kultur ihre eigenen Regeln, Stärken und Schwächen entwickelt. So finde ich die britischen Debattierclubs spannend, aber halte Rhetorik nicht für einen Sport. Wenn schon Kindern und Jugendlichen beigebracht wird, auch uneigentlich zu reden, kommt halt auch mal ein Meister der Inszenierung und übler Rechtspopulist wie Boris Johnson dabei heraus. Und die angelsächsische Tradition aus Mehrheitswahlrecht und konfrontativer Rede hat einen enorm hohen Unterhaltungswert, kann Gesellschaften jedoch auch zutiefst zerspalten.
Immerhin hat jemand gerade auf Mastodon einige schöne Szenen aus dem britischen House of Commons (Unterhaus, Parlament des Volkes) gepostet, in dem auch deutlich wird, dass im Humor viel Weisheit steckt:
https://www.youtube.com/watch?v=s2CeDSR6rz8
Reden vorher “zielgruppenorientiert und situationsbedingt” vorzubereiten empfinde ich schon mal als sehr gut! Und wenn die Redegabe genug geübt wird, kann auch Humor integriert werden. Dieser lässt sich schwerlich vorab schreiben, da er oft in der Situation entsteht. Aber dann darf er ergriffen werden! 🙂
Danke nochmal für den starken und anregenden Druko! 👍
Da ich auf Mastodon schrieb, den (amerikanischen) Pathos gerade nicht so recht zu vertragen\zu mögen, fühlte ich mich von dem Artikel hier gerade eher nicht so angesprochen.(Pardon. 😬) Warum deutsche Poilitiker*innen nicht so reden können, wie jüngst auf der demokratischen Convention, würde ich also niemals fragen. Auch, aber nicht alleine nur der nationalsozialistischen Propaganda wegen.
Dieser Personenkult in den USA ist mir selbst eher fremd. Dass Menschen überlegten Trump trotz dessen Inhalten zu wählen, nur weil Biden im TV-Duell (das ich nicht gesehen habe) und trotz dessen politischen Inhalten schlecht abschnitt … ist mir unverständlich und diese Macht, die dort der eigenen Inszenierung eingeräumt wird … sie verstört mich. Die Anführungen aber, insbesondere im zweiten Drittel der zweiten These und auch im Fazit, waren sehr informativ und fanden dann doch noch meine Zustimmung. 😬
Die wörtliche Rede … wird nicht in der Bibel auch das Wort (Gottes) mit einem zweischneidigen Schwert verglichen und besitzt diese Redewendung vom zweischneidigen Schwert heute nicht eine allgemein eher negative Konnotation? Die Rhetorik ist wichtig, ja. Ob man es mag oder nicht. Aber mich stört es halt dennoch, oder gerade dann, wenn die Rhetorik zum Selbstzweck verkommt und wie bei Trump vs. Biden zuletzt mehr zu zählen scheint, als deren politische Agenden.
Ich schätze, auch als Rollenspieler, die Kunst der Rhetorik und habe u. a. auch mit Interesse mich mal mit interkultureller Kommunikation und Lehre/Vortag befasst (und bereue sehr, das mir das meiste davon gegenwärtig unzugänglich ist (andere Geschichte). Aber was ich mir in der Politik wünschte, ist jemand, wo die Agenda im Vordergrund steht, der oder die regieren kann, gerne auch ohne mit lauter Stimme von der Tribüne herab das Volk zu begeistern, aber z. B. im Stillen und hinter der Bühne eventuell dafür Erfolge erzielt – und sei es auch zum Beispiel im Stile der (fiktiven) Gestalt Momos in Michael Endes gleichnamigem Werk durch Zuhören eher, als durchs Sprechen.
Rede ist wichtig — darum mein Zuspruch besonders zur zweiten These und dem Fazit. Und wenn du mehrfach Warzlawik zitierst, von wegen man könne nicht nicht kommunizieren, dann wäre ein weniger pathetischer, sich selbst inszenierender Auftritt, also gerade n i c h t so, wie in Chicago, ja aber doch auch Kommunikation und mitnichten schlechter, nur weil er leiser etwa ist. Oder?
Danke, @Solomon, für den kritisch-konstruktiven Kommentar!
Zunächst möchte ich in einer Grundfrage freundlich widersprechen: Ich halte es für einen gefährlichen Fehler von deutschsprachigen Demokratinnen und Demokraten, die Kunst der Rhetorik ebenso wie etwa auch die Liebe zur Heimat oder zur Parlamentsarmee den Nationalsozialisten, Rechtsdualisten und Antisemitinnen zu überlassen.
Bewusst habe ich auch hier auf dem Blog den zugleich starken wie bedrückenden Film “Führer und Verführer” mit Joachim Lang empfohlen, der aufzeigt, wie gekonnt die NS-Spitzen “jedes” Medium einsetzten, um die Demokratie zu zerstören und die Welt in den Weltkrieg samt Genoziden wie dem Holocaust zu stürzen:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/fuehrer-verfuehrer-mit-joachim-lang-in-stuttgart-goebbels-und-die-macht-der-medien/
Reinhard Olschanski hat in seinem gleichnamigen Buch den “Willen zum Feind” als Kern aller populistischen Rhetorik entziffert. Psychologisch entspricht dies dem feindseligen Dualismus und setzt auf dem Gruppendenken auf, dass wir alle in der Jugendzeit (juvenil) kennenlernen und austesten.
Auch in “Verschwörungsmythen” habe ich entsprechend ausführlich über die Fixierung Hitlers auf Inszenierungen und Reden geschrieben. So zitiere ich auf den S. 50 – 51 seine Formulierungen aus “Mein Kampf”, wonach “die Kunst aller großen Volksführer zu allen Zeiten” darin bestanden habe, “die Aufmerksamkeit eines Volkes nicht zu zersplittern, sondern immer auf einen einzigen Gegner zu konzentrieren.” Denn, so der spätere Reichskanzler und Massenmörder: “Es gehört zur Genialität eines großen Führers, selbst auseinanderliegende Gegner immer nur als zu einer Kategorie gehörend erscheinen zu lassen, weil die Erkenntnis verschiedener Feinde bei schwächlichen und unsicheren Charakteren nur zu leicht zum Anfang des Zweifels am eigenen Recht führen kann.”
Daher ist nach meiner Einschätzung völlig klar: Demokratinnen und Demokraten, generell dialogische Monistinnen und Monisten müssen BESSERE Reden und Medien aller Art produzieren als die feindseligen Dualisten, die Nazis, Faschistinnen, Antisemiten. Denn es ist sehr viel schwerer, realistische Lösungen für komplexe Probleme zu benennen, als sich einfach in Rage gegen “die” aufzupeitschen, die “an allem Schuld” wären.
Wer sich als Demokratin, als Demokrat zu fein für die Rhetorik ist, überlässt daher nach meiner Beobachtung den Feinden der Demokratie das Feld – und das Volk. Wer den digitalen Neo-Faschismus stoppen will, muss ihn mit allen (!) Medien von der Demonstrationsrede bis zum Video und der KI-Grafik bezwingen wollen.
Oder um es in unserer Fantasy-Rollenspiel-Sprache auszudrücken: Wenn sich die guten Sprachmagierinnen auf Sprüche aus den ersten drei Zaubergraden beschränken, denn werden ihre bösen “Kollegen” mit dem fünften Grad siegen…
Philosophisch gehört die Zurückweisung der Rhetorik als vermeintlicher “Scheinkunst” übrigens bis auf Platon zurück, während ich hier sehr klar mit dem Team Aristoteles für einen ethisch reflektierten Einsatz der Redekunst und Redewissenschaft plädiere. 🙂
Allerdings möchte ich Dir gerade deswegen noch einmal darin zustimmen, dass wir das US-amerikanische System samt der rhetorischen Inszenierungen nicht kopieren sollten. Ein Mehrheitswahlrecht mit Gerrymandering bestärkt politische Polarisierung bis hin zum feindseligen Dualismus und führt zu Überpersonalisierung bis hin zu einem bestenfalls monistischen, häufig aber eben auch dualistischen Messianismus (vgl. Dune):
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/dune-von-frank-herbert-ist-eine-warnung-vor-politischem-dualistischem-messianismus/
Das bedeutet also, deutschsprachige Demokratinnen und Demokraten etwa in der Bundesrepublik, aber auch in Österreich und der Schweiz sollten jeweils Rhetoriken entwickeln, die ihren politischen Geschichten, Zivilreligionen und Institutionen angemessen sind. Wo sie das nicht schaffen, nicht einmal versuchen, rücken die FPÖler, AfDler, aber auch BSWLer, die SVPler und weitere vor…
Nochmal Danke für den starken und sehr anregenden Kommentar!
… und geschworen fast darauf: hätte das Kamala Konzept nicht funktioniert, wäre das Wehklagen nicht weit gewesen und niemand hätte damit irgend etwas zu tun gehabt haben wollen.
@mentalsports
Das mögen Sie für andere annehmen, aber ich hatte mich bereits vorher für die Kandidatur von Kamala Harris für die US-Präsidentschaft ausgesprochen.
So berichtete die epd von einem Interview mit mir:
„Deswegen bestünde die einzige Chance darin, dass US-Präsident Joe Biden von einer zweiten Amtszeit Abstand nähme und die US-Demokraten eine jüngere Person an die Spitze ihrer Präsidentschaftskampagne stellten, etwa Vizepräsidentin Kamala Harris. Nur so ließe sich deutlich machen, es gehe nicht um einen Kampf “Gut gegen Böse”, sondern diese Auseinandersetzungen gehörten der Vergangenheit an. “Ich glaube, Trump ist jetzt in einer Situation, in der ihn Joe Biden im Wahlkampf nicht mehr schlagen kann.”
https://www.evangelisch.de/inhalte/231858/15-07-2024/nach-dem-attentat-michael-blume-trump-arbeitet-mit-emotionen
Nun bin ich zuversichtlich, dass es den US-Demokraten, ihr und Tom Walz gelingen kann, die Wahl zu gewinnen.
Zur Frage der Inszenierung möchte ich zudem darauf hinweisen, dass in den USA auch bereits über die Tränen von Gus Walz, über emotionale Männlichkeit und Neurodiversität diskutiert wird.
Das mächtigste Wirkungsprinzip der menschlichen Spezies?
I-c-h.
Durchaus, @mentalsports – und starke Reden erschaffen ein W – I – R.
Die Fähigkeit, ein guter Redner zu sein, hat viel mit der Persönlichkeit zu tun. Das ist wie mit Schuhen. Wenn sie nicht passen, sollte man sie ausziehen. Insofern stimme ich zu: Wer nicht reden kann, sollte es lassen.
– Heinz Erhardt
Extrovertierte Persönlichkeiten sind da im Vorteil. Während meines Studiums kam ich in den Genuss von guten und schlechten Vorlesungen. Manche Profs hatten es einfach drauf, andere nicht.
Andererseits gilt: Der Welt täten auch Introvertierte mal ganz gut.
(Lesetipp: Susan Cain, “Still – Die Kraft der Introvertierten”)
Ja, @Tilmann Schneider – das kann ich vollinhaltlich bestätigen. Manche der besten Redenschreibenden reden selbst nicht gerne und jedes gute Team besteht aus einer Mischung aus Extro- und Introvertierten. Auch das ist eine Botschaft, die ich als Spielleiter für Fantasy-Rollenspiele erlernte…
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/do-something-demokratisierung-als-fantasiearbeit-mit-generativer-ki-kunst/
Es gilt übrigens auch für den hier im Blogpost besprochenen US-Parteitag der Demokraten in Chicago: Damit sich die Inszenierung auf herausragende Rednerinnen und Redner konzentrieren konnte, brauchte es zahlreiche “stille” Planende, Organisierende, Schreibende, interne Besprechungen, Medienarbeit. Das Ereignis selbst setzt ein riesiges Maß an Bereitschaft voraus, auch im Hintergrund zu arbeiten. (Und ich hoffe, das DNC-Team 2024 Chicago wird für seine herausragende, womöglich gar historische Leistung gebührend gewürdigt, gerne auch belohnt.)
Guten Morgen @Tilmann Schneider, @Michael Blume.
Ich denke, es ist eine Erkenntnis, die wirklich weiterbringt: dass es bei aller Art von „Projekten“ – also immer dann, wenn Menschen gemeinsam etwas bewegen, zustande bringen wollen – auf eine gesundes Miteinander von unterschiedlichen Persönlichkeiten ankommt, oder, besser ausgedrückt, auf gelebte Vielfalt im Team. Wenn es im Team nur solche gibt, die zwar vor Ideen nur so sprühen, aber nie bei einem Thema länger verweilen können, wird das Projekt scheitern. Es braucht auch die „Stillen“, die im „Maschinenraum“ die Ideen, wenn sie einmal implementiert wurden, am Laufen halten und sich darum kümmern, dass das „Produkt“ Tag für Tag funktioniert und Fehler korrigiert werden. Und umgekehrt natürlich.
Was mich wieder zum ursprünglichen Thema der Rede zurückbringt.
Ich habe wenig eigene Erfahrung als Redner und habe erst sehr spät gelernt, was eine gute Rede ausmacht. Ich arbeite in der Softwareentwicklung, und eine schmerzhafte Erkenntnis war, dass, selbst wenn Du ein hervorragendes, wasserdichtes Konzept für eine Sache hast, es nicht weiterbringt, sofern Du Deine Idee nicht auch vor der richtigen Zielgruppe geeignet präsentieren kannst. Um Unterstützer für die Idee/das Projekt zu gewinnen, musst Du potenzielle Unterstützer, aber auch potenzielle Gegner im Blick haben und Deine Präsentationen entsprechend auf diese Zielgruppen zuschneiden. I learned the hard way.
@Michael Blume, ein wirklich sehr lesenswerter Blogpost, der ein ganzes Kommunikationsseminar ersetzen könnte. Danke!
Vielen herzlichen Dank, @Peter Gutsche 🙏👍
So, wie Du es beschreibst, warst Du bereit, die in Deutschland leider traditionelle, platonistische Abwertung der Rhetorik durch Deine eigenen Erfahrungen zu überwinden. Das finde ich großartig und es zeigt, dass sich auch in Deutschland im Alltag und in der Wirtschaft der dialogische Monismus von Sokrates und Aristoteles bis zu Karl Popper langsam gegen den überkommenen Platonismus und die dualistische Naturromantik nach Rousseau durchzusetzen beginnt! 🙌
Habe für diese philosophischen Hintergründe einmal Perplexity.ai erläutern lassen, warum Platon die entstehende, demokratische Kunst und Wissenschaft der Rhetorik im antiken Griechenland bekämpfte:
Platon lehnte die Kunst und Wissenschaft der Rhetorik aus mehreren Gründen ab, die sich in seiner Philosophie und seiner Kritik an den Sophisten widerspiegeln.
****Kunstverständnis****
Platon hatte ein zwiespältiges Verhältnis zur Kunst. Er betrachtete Kunstwerke als bloße Nachahmungen der Natur, die selbst nur ein Abbild der idealen Welt der Ideen ist. Daher sah er in der Kunst keinen höheren Wert, sondern eher eine Ablenkung von der Suche nach der Wahrheit. Kunst wurde von ihm oft als eine Form von Illusion betrachtet, die die Menschen von der wahren Erkenntnis ablenkt und sie in die Irre führt[1].
****Kritik an der Rhetorik****
Platon kritisierte die Rhetorik, weil er sie als eine Form der Manipulation ansah, die auf Täuschung und Schmeichelei basiert. In seinen Dialogen, insbesondere im *Gorgias* und *Phaidros*, argumentiert er, dass die Rhetorik keine echte Wissenschaft (gr. *techne*) ist, da sie nicht auf der Suche nach Wahrheit basiert, sondern darauf abzielt, das Publikum zu überzeugen, unabhängig von der Wahrheit der Argumente[2][4]. Er sah die Rhetorik als eine Kunst der Seelenführung an, die oft ohne Rücksicht auf Gerechtigkeit und Wahrheit verwendet wird, um Menschen zu beeinflussen[2].
****Dualistische Ablehnung****
Platons dualistische Sichtweise, die zwischen der Welt der Ideen und der sinnlich wahrnehmbaren Welt unterscheidet, spielt eine zentrale Rolle in seiner Ablehnung der Rhetorik. Er sah die Rhetorik als Teil der sinnlichen Welt, die sich mit Meinungen und nicht mit dem wahren Wissen beschäftigt. Für Platon war das Streben nach der absoluten Wahrheit und das Verständnis der Ideenwelt von größter Bedeutung, während die Rhetorik lediglich auf das Wahrscheinliche und Überzeugende abzielte, ohne die tieferliegende Wahrheit zu berücksichtigen[5].
Insgesamt lehnte Platon die Kunst und Rhetorik ab, weil sie seiner Meinung nach nicht zur Erreichung der wahren Erkenntnis beitrugen und stattdessen die Menschen von der Suche nach der absoluten Wahrheit ablenkten.
Citations:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Platon
[2] https://www.ardalpha.de/lernen/telekolleg/faecher/deutsch/sprachkompetenz/01-rhetorik104.html
[3] https://stroh.userweb.mwn.de/schriften/philosophie_rhetorik.pdf
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Rhetorik_der_Antike
[5] https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/phaidros/22511
Deswegen möchte ich hier allen danken, die – ob bewusst oder unbewusst – bei der Bewertung von Rhetorik nicht an den dualistischen und tyrannophilen Platon, sondern an die Dialogphilosophie nach Sokrates und Aristoteles anschließen.
Sowohl Michelle als auch Barack Obama sind außergewöhnlich gute Redner, die sicherlich auch in den USA ihresgleichen suchen. Ich habe auch Reden beim DNC gehört, die die Delegierten nicht vom Hocker gerissen haben.
Das Pathos in den Reden amerikanischer Politiker ist uns Deutschen fremd.
Dann stellt sich auch die Frage, bei welcher Gelegenheit eine Rede gehalten wird. Sprechen wir hier von den Ansprachen, die zu besonderen Anlässen vorgetragen werden? Eine sachbezogene Rede in Parlamenten ist, auch bedingt durch Redezeitbegrenzung, meistens keine rhetorische Meisterleistung.
Ein natürliches Talent bringen nur die wenigsten Politiker und Politikerinnen mit. Dazu kommt, dass vielleicht immer ein bisschen Misstrauen dabei ist, wenn ein Redner oder eine Rednerin zu mitreißend sprechen können.
Meinem K2 als künftiger Lehrperson an einer Schule wurde übrigens geraten, in einer Theatergruppe aktiv zu werden, um am Auftreten zu feilen. Während meiner Schulzeit spielte Rhetorik überhaupt keine Rolle. Bei einem meiner Kinder gab es am Gymnasium eine Rhetorik AG.
Was nun die Reden zu bestimmten Gedenktagen angeht, so kann ein Redenschreiber einen aufrüttelnden Text schreiben, der trotzdem nicht wirkt. Einfach deshalb, weil der Redner wie eine Schlaftablette rüber kommt.
Frei zu reden, nur auf der Basis von Stichworten, ist noch weniger Menschen gegeben. Man bewundert es, aber fragt sich manchmal, ob der Redner vielleicht ein Blender ist. Die Zeit der Propaganda wirkt nach.
Ein anderer Aspekt ist der, wie die Parteien ihre Repräsentanten auswählen. Wie glaubwürdig, wie ehrlich ist jemand, der sich zum Beispiel im innerparteilichen Wettbewerb als Kandidat um eine Nominierung bemüht. Ich habe einige Nominierungsveranstaltungen mitgemacht. Die Grundaussagen, warum jemand zum Beispiel MdB werden will, gleichen sich. Da spielt es dann eine entscheidende Rolle, wie natürlich das vermittelt wird. Steht da ein Kandidat, der trocken und hölzern wirkt, wo er aufgeschlossen und menschlich auftreten sollte. Noch höher liegt die Messlatte bei Kandidatinnen.
Mein Fazit: Die Persönlichkeiten der Obamas, der Nimbus, der sie umgibt, finden bei uns keine Entsprechung. Von daher sehe ich Vergleiche kritisch.
Zur Rede von Richard von Weizsäcker 1985 noch eine Beobachtung von mir: Als er sie hielt, wurde sie in Deutschland durchaus auch kritisch gesehen. Erst im Laufe der Zeit wurde sie zur historischen Rede.
Vielen lieben Dank, @Marie H.
Zunächst möchte ich noch einmal auf den im Deutschen leider noch immer oft verschlampten Unterschied zwischen Vergleich und Gleichsetzung hinweisen.
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/verschwoerungsfragen-41-von-ns-gleichsetzungen-und-vergleichen-sophie-scholl-und-roland-baader/
Wir sind uns, meine ich, einig, dass sich die Rhetoriken in den USA und in den deutschsprachigen Ländern nicht gleichsetzen lassen. Diese Erkenntnis aber entsteht ja erst durch den Vergleich!
Was mir an Ihrem Kommentar sehr gut gefallen hat, ist die Bekräftigung, dass wir auch als Hörerinnen und Hörer “nicht aus unserer Haut” können. Wir alle sind eben geprägt durch unsere kollektiven Geschichten, unsere politischen Zivilreligionen (etwa auch in Parteien) und durch unsere Biografien. Auch deswegen kann und sollte das Reden, überhaupt jede Fantasie- und Medienarbeit lokal und regional entwickelt werden. Deutsche Demokratinnen und Demokraten, die sich als Kopien von Kamala Harris, Michelle und Barack Obama versuchen würden, wären am doch nur… cringe. Authentizität bedeutet, aus der eigenen Mitwelt heraus zu wachsen.
Danke für Ihre Antwort. Ich habe den Eindruck, komplett missverstanden worden zu sein. Das tut mir leid, kann aber passieren. Kommunikation bedeutet: Die Botschaft entsteht beim Empfänger. So habe ich es gelernt. Damit liegt der Fehler bei mir,.
Oh, aber das macht doch nichts, @Marie H.! Unsere schriftlichen Dialoge mögen “fehleranfälliger” sein – aber indem wir uns die Zeit dafür nehmen, können nicht nur wir, sondern auch alle Mitlesenden auf den Umwegen mit uns nach Erkenntnis suchen.
Sogar der mit zunehmendem Alter zum erkenntnistheoretischen Pessimismus und also leider auch Relativismus neigende Hans Blumenberg (1920 – 1996) räumte in seinem großen Schlusswerk der “Höhlenausgänge” (Suhrkamp 1996 / 2023, S. 425) ein:
“Man muß die Höhle nicht verlassen, um dennoch, platonisch gesprochen, auf die Idee des Guten den Schluß zu tun, den keine Anschauung jemals ersetzen wird.”
Das ist Blumenberg-typisch mal wieder ein bissel schwer formuliert, aber er stellt damit “den Schluß” – die Schlussfolgerung aus Denken und Dialog – über die platonische Anschauung vermeintlich ewiger Ideen.
Ich freue mich immer wieder über Ihre Kommentare – durchaus auch dann, wenn sie mal zu Klärungen und Widersprüchen einladen. Das ist aus meiner Sicht nicht nur okay, sondern sogar ausdrücklich wünschenswert.
Meine Absicht war es, die Schwierigkeiten aufzuzeigen, die man mit Reden und Vorträgen ganz allgemein hat. Dass die Anlässe für solche nicht immer Glanzleistungen erlauben. Das hat häufig mit dem Thema zu tun. Haushaltsreden im Gemeinderat sind so ein Beispiel.
Kopieren anderer Redner, Sänger, Künstler etc wäre m.E. langweilig. In jedem Menschen schlummert ein Talent. Wem es gelingt, es zu entdecken und auszuleben, kann etwas Einmaliges schaffen. Picasso gab es schon. Spannend ist das was noch kommt.
Die Bundespräsidenten oder Laudatoren bei Preisverleihungen haben schon eher die Chance, rhetorische Glanzpunkte zu setzen.
Dem stimme ich zu, @Marie H.!
Als junger Gemeinderat habe ich auch unzählige Haushaltsreden “genossen” und an einigen mitgewirkt, sogar mal eine gesprochen.
Es ist m.E. ein Paradebeispiel für eine Rede, die sehr viele inhaltliche Punkte abdecken muss und deshalb kaum narrativ verdichtet werden kann. Dennoch gibt es selbstverständlich bessere und schlechtere Haushaltsreden. Und gerade auch mit dem Einsatz von KI-Anwendungen kann schon jetzt die Position verschiedener Fraktionen abgefragt und verglichen werden. Aus meiner Sicht wäre es daher gut, lange Haushaltspositionen lieber in online in Fraktions-Blogs zugänglich zu machen und die wichtigen Debatten dann lebendiger zu gestalten und auch zu streamen. Es ist doch bedauerlich, wie viele Tausende von wichtigen, ehrenamtlichen Stunden meist faktisch unbemerkt an der Öffentlichkeit vorbeiziehen, für die sie ja eigentlich gedacht ist. KI halte ich für eine hervorragendes Mittel, auch dieses demokratische Medienmengen-Paradox zugunsten von dialogisch Interessierten aufzulösen.
Menschen kommunizieren – und Menschen konkurrieren. Und weil unser Verstand eine Massenvernichtungswaffe ist, mächtiger als Zähne und Klauen, muss diese Waffe im Alltag neutralisiert werden, damit wir uns nicht gegenseitig zerstören. Also machten wir aus Sprache Zähne und Klauen und kämpfen damit.
In Griechenland, Rom, Polen-Litauen und den USA sehen Sie eine Kultur der Rap Battles – Konflikte werden mit Wortgefechten ausgetragen, und Rhetorik wird zum Kung-fu. Parallel dazu sehen Sie oft eine Kultur des Rechtsstreits, Duelle werden rituell vor Gericht ausgetragen. Der Wettbewerb entwickelt sowohl die Sprache wie das Justizsystem zu einer komplexen, fintenreichen Kampfkunst, bei der Champions gegeneinander antreten und für ihre Sache kämpfen.
Selbst die Maori haben ihre erbitterten Schlachten unterbrochen, wenn zwei berühmte Kämpfer gegeneinander antraten. Und wenn Sie Kriege und Kämpfe in die Sprach-Matrix verlegen, können Sie Konflikte zu Bürgerkriegen eskalieren lassen, ohne dass dabei ernsthafter Schaden entsteht. So kann eine Gesellschaft eine gewaltige Menge Spannungen aushalten, was allerdings nur bis zu einem gewissen Grade funktioniert – wenn man die dahinter liegenden Ursachen nicht moderieren kann, werden aus Worten schnell Taten.
In Deutschland ist die Rhetorik (im Gegensatz zum Selbstgespräch: Schriftstellerei, Dichtung, Predigten) nicht besonders hoch entwickelt, weil Deutsche Fakten mögen und deshalb Fakten schaffen, indem sie einander das Spielzeug kaputt hauen, bis das ganze Land in Trümmern liegt: Die einen erzwingen den Ausstieg aus Kohle und Atom, um die Energiewende zu erzwingen, die anderen verhindern die Energiewende, um den Ausstieg aus Kohle und Atom zu erzwingen, es bleibt die ewige Übergangslösung Putins Gas, ohne Rücksicht darauf, dass der das als Machtinstrument missbraucht und es somit einer Kriegserklärung an die USA und halb Osteuropa gleichkommt. Am Ende stehen wir nackt im Regen, müssen eine Wirtschaftsflaute über uns ergehen lassen, verlieren unsere Vormachtstellung als Hauptfrau im Euro-Harem, denn der Ferne Osten des Imperiums wird enger ans amerikanische Mutterland gebunden und direkt von Washington aus regiert. Wenn die Bitches ihren Shit nicht geregelt kriegen, muss da Pimp selber ran. Um’s mal mit der Sprache von Kamala Harris und den Obamas auszudrücken.
Um’s aufs Deutsch auszudrücken – wenn das der Kaiser wüsste… Tja, der Kaiser weiß es jetzt und wir müssen stramm stehen und seine miese Laune über uns ergehen lassen.
Sie sehen aber auch das Positive der deutschen Fakten-Sprache: Ein Deutscher sagt Ihnen kein gutes Wort, ein Deutscher baut Ihnen ein Krankenhaus. Und mir ist ein gut organisiertes und ausgestattetes Krankenhaus mit hochqualifizierten Ärzten lieber als alle netten Worte und alle Ansprachen der Politik, die den Tatendrang ersetzen. Da sollten vielleicht Pflegekräften aus herzlicheren Kulturen drin arbeiten, aber wozu hat man Multikulti, wenn nicht, damit sich unterschiedliche Spezialisierungen ergänzen?
Deutsche sind Tolkiens Zwerge unterm Berge, groß im Kleinen, klein im Großen. Sie sind Handwerker, Ingenieure, Tüftler. Auch mit der Modelleisenbahn aus Worten spielt der Goethe oder Schiller lieber allein. Sie bauen Maschinen, sie bauen Städte, sie bauen die Alpen bis zur Nordsee aus, indem sie kleine Teams formen, die sehr intim und demokratisch miteinander auskommen, im Innern sehr gut funktionieren, doch sehr anonym, schweigsam und träge wirken, wenn sie als Steine in einer Kathedrale verbaut werden. Das Leben ist ein recht stürmischer Ozean und Kathedralen nicht für ihre Seetüchtigkeit berühmt, aber so als Mast auf dem Schiff Europa sind die Deutschen genau richtig am Platz. Beim Reden, beim Regieren, können sie sich aufs Mindeste beschränken.
Ein Deutscher ist ein etwas ungelenker Roboter, der durch die Welt tapst und stets das Richtige tun will, aber jemanden braucht, der ihm sagt, was das ist. Ob’s tatsächlich das Richtige ist, ist von Führer zu Führer verschieden, aber wenn er es macht, macht er es wirklich gut. Nur wäre es manchmal nützlich, dass einer rechtzeitig den Stecker zieht, denn ein Roboter weiß nicht von selbst, wann er aufhören muss.
Kultur fällt unter Neurodiversität. Und die Deutschen sind die Stummen, die ganz besonders gut mit den Händen reden können. Und wenn Sie das so sehen – hallen in Deutschland dann doch ein paar brillante Reden nach. Inszeniert haben wir uns super. Solange wir im Rahmen unserer Spezialisierung blieben. Oder gehen Sie zum Schuster, um sich eine Hochzeitstorte zu bestellen?
Danke für Ihren engagierten Druko, @Paul S.
Da ich mich ja nun doch mit J.R.R. Tolkien schon etwas ausführlicher und auch wissenschaftlicher befasst habe, werden Sie mir ggf. den Hinweis erlauben, dass dieser große Weltenbauer und Reformator der Fantastik zwar wesentliche Eindrücke auf einer Alpenreise sammelte, aber gerade auch das Volk der Zwerge nach dem Judentum gestaltete.
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/die-christliche-mythentheorie-von-j-r-r-tolkien-als-radiobeitrag-evangelium-fantasy/
Und was die in Deutschland verstolperte Energiewende angeht, komme ich gerade auch kaum aus dem Kopfschütteln heraus: Weil nun der Ausbau der Solaranlagen viel schneller voranschreitet als die durch Förderkürzungen abgestürzte Elektromobilität, wird jetzt über Mittag in unserem Land viel mehr Strom produziert, als die wenigen Batterien fassen können. Wir Blumes laden mit unserer Solaranlage in den Sonnenstunden die Elektroautos – aber damit galten wir bis vor Kurzem ja auch noch als Ökospinner…
Der fossile Lobbyismus schadet nicht nur unserer Mitwelt und über die auch von Ihnen erwähnte Finanzierung von Putin, Iran, Hamas & Co. den Mitmenschen, sondern sogar noch unserer Wirtschaft und den Steuerzahlenden. Und währenddessen liegt der Elektroauto-Anteil an den Neuanmeldungen etwa in Norwegen bereits bei über 90%…
Danke für den kundigen Beitrag. Tatsächlich wurden und werden ja unendlich viele (Fach-) Bücher zum Thema Kommunikation geschrieben – und gelesen. Ob sie aber immer verstanden werden, ist eine ganz andere Frage.
Als gelernter Journalist, langjähriger PresseSPRECHER und aktueller Kommunikationsberater für Betriebsräte großer wie mittelgroßer Unternehmen möchte ich folgende Gedanken und Erfahrungen ergänzen:
Kommunikation folgt Strategie. Gibt es keine (gute) Strategie, kann es (auf Dauer) keine wirksame Kommunikation geben. Auf eine Rede übersetzt bedeutet das: Die Rede muss einen Zweck haben und eine Grundidee verfolgen – und transportieren.
Vor inzwischen 16 Jahren habe ich für den damaligen Vorstandsvorsitzenden eines erfolgreichen DAX Unternehmens (meinen Chef) eine Rede zum Thema „Moral in der Wirtschaft“ geschrieben – eine unendlich schwierige Aufgabe. Zumal es sich um eine von zwei (kurzen) an ein Universitätspublikum gerichtete Reden handelte, als Basis für eine folgende Diskussion. Die andere Rede hielt Heiner Geissler zum selben Thema, er legte damals vor.
Die Kernidee für die Rede meines Chefs drehte sich darum, zwei Dinge miteinander zu verbinden: Was ist überhaupt „Moral“ bzw. moralisches Handeln? Und was ist „Wirtschaft“? Geissler war durch jesuitische Ausbildung beeinflusst, also habe ich Gedanken der christlichen Soziallehre eingebaut. Und die ganze Rede auf eine Kernthese zugeschrieben: Es kommt auch (und gerade) in der Wirtschaft auf ethisch „sauberes“ Handeln jedes einzelnen Menschen an. Das entsprach auch der Grundhaltung meines damaligen Chefs.
Während die Rede gehalten wurde, habe ich bei entscheidenden Passagen sowohl Herrn Geissler als auch das Publikum insgesamt im Blick behalten – und erleichtert durchgeatmet: Die Rede hat funktioniert. Geissler war sichtbar nachdenklich, der Diskurs nach den Reden sehr fruchtbar. Beide Redner haben sich auch nach Ende der Veranstaltung noch lange ausgiebig unterhalten.
Mein damaliger Chef war (und ist) kein begnadeter Redner, aber ein sehr klar und messerscharf denkender Analytiker. Und vor allem: Er ist authentisch, und dadurch wurde auch die Rede authentisch. Auch wenn ich sie geschrieben habe, war es seine Rede.
Bei den Obamas kommen nahezu alle Eigenschaften zusammen, die für wirkungsvolle Reden nötig sind: Ein klares Ziel (innerhalb einer Mission/Strategie), klare Ideen, klare Sprache, sehr gute Sprachbilder und eine enorme persönliche Authentizität.
Vor kurzem las ich, dass Olaf Scholz auf dem Stoppelmarkt in Vechta mit einer launigen Rede gut angekommen ist – für den Journalisten „überraschend gut“. Warum war das so? Weil Scholz offenbar für diese Gelegenheit genau die passenden Inhalte und den richtigen Ton gefunden hat. Und: Er durfte authentisch sein und seinen feinen hanseatischen Humor einbringen.
Vielleicht sollte er das auch in Reden zu anderen Themen machen, wenn es nicht gerade um Leben und Tod geht, wobei: Warum eigentlich nicht, es muss „nur“ an der genau richtigen Stelle passen. Und genau das ist die Kunst.
Vielen lieben Dank, @Hannes Boekhoff 🙏🙌
Denn ich meine, diese Schilderung unterstreicht auch noch einmal, dass jede gute Rede “auch” Inszenierung, aber niemals “nur” Show ist. Es waren ja offensichtlich auch die Inhalte, die die Zuhörenden erreichten.
Und da ich den großen Christdemokraten Heiner Geißler (1930 – 2017) bei verschiedenen Gelegenheiten erleben und einmal auch länger sprechen durfte, kann ich bestätigen – bei ihm kam es auf die Inhalte, ja auf die Substanz an. Er steht für mich beispielhaft dafür, dass es sich lohnte, nach manchen Entgleisungen als Generalsekretär besser auf die Substanz zu setzen und Politik mit Denken und Fantasiearbeit zu verknüpfen.
Die Rededuelle von Herbert Wehner mit F.J. Strauss oder die von F.J. Strauss mit Helmut Schmitt sind Geschichte.
Wieso fehlen uns solche Größen im Augenblick?
Eine Ursache ist unser Wahlsystem, bei der sich der Politiker nicht in seinem Wahlkreis durchkämpfen muss, die Verhältniswahl bringt auch Kandidaten an die Spitze, die aus der Parteihierarchie aufgestiegen sind.
Sie müssen sich nicht persönlich privat im Leben bewährt haben, sie müssen keine Persönlichkeit sein.
Ein anderer Grund ist, dass sich die Politiker ihre Reden schreiben lassen, sie werden nicht gezwungen authentisch zu sein.
Ein dritter Grund, ein ganz böser, viele Politiker verstehen sich als Interessenvertreter , einen Namen zu nennen erspare ich mir.
Und der letzte Grund, Berufspolitiker sind finanziell abgesichert. Auch ohne weiteren Kommentar.
Ja, @N – auch mein Vater Falko Blume hat mir noch berichtet, wie frühere Bundestagsdebatten (etwa zur sog. Sonthofen-Strategie 1975) gerade auch zwischen Franz-Josef Strauß (1915 – 1988), Helmut Schmidt (1918 – 2015) und Herbert Wehner (1906 – 1990) breit durch die Gesellschaft hindurch diskutiert wurden. Auch die damalige Bundestagspräsidentin – und sogar weltweit erste Parlamentspräsidentin – Annemarie Renger (1919 – 2008) war damals noch vielen ein Begriff!
Allerdings sehe ich den Aufmerksamkeitsverlust für Parlamentsreden nur zu einem kleinen Teil in den biografischen und rhetorischen Qualitäten der Abgeordneten begründet, eher schon in deren übertrieben hoher Zahl und vor allem dem digitalen Medienmengen-Paradox, das Parlamente weltweit betrifft. Sogar in der vermeintlich “unpolitischen” Musik hat sich der Trend zu immer kürzeren Aufmerksamkeitsspannen und Liedern (“Songs”) nicht aufhalten lassen.
Perplexity.ai erklärt dazu:
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Aufmerksamkeitsspanne vieler Menschen verkürzt, was auch die durchschnittliche Länge von Musikstücken beeinflusst hat. Diese Entwicklung lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen:
**1. Verkürzte Aufmerksamkeitsspanne:**
Studien haben gezeigt, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen in den letzten Jahren gesunken ist. Dies wird oft mit der zunehmenden Nutzung digitaler Medien und der ständigen Verfügbarkeit von Informationen in Verbindung gebracht. Menschen neigen dazu, häufiger zwischen verschiedenen Aufgaben und Medien zu wechseln, was zu kürzeren Aufmerksamkeitsspannen führt[3].
**2. Einfluss von Streaming-Diensten:**
Musikstreaming-Dienste wie Spotify haben die Art und Weise, wie Musik konsumiert wird, grundlegend verändert. Der Algorithmus dieser Plattformen bevorzugt Songs, die in den ersten 30 Sekunden die Aufmerksamkeit der Hörer gewinnen, da abgebrochene Songs nicht als vollständige Wiedergaben gezählt werden. Dies hat dazu geführt, dass Künstler kürzere, eingängigere Songs produzieren, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ihre Musik vollständig gehört und häufiger empfohlen wird[5].
**3. Wandel in der Musikproduktion:**
Die Struktur von Musikstücken hat sich ebenfalls verändert. Früher hatten Songs oft längere Intros, während heutzutage der eingängige Teil eines Songs oft innerhalb der ersten fünf bis zehn Sekunden eingeführt wird, um die Hörer schnell zu fesseln. Diese Entwicklung ist eine Reaktion auf die verkürzte Aufmerksamkeitsspanne und die Notwendigkeit, die Hörer schnell zu binden[2].
**4. Wirtschaftliche Überlegungen:**
Kürzere Songs ermöglichen es, mehr Titel in kürzerer Zeit zu streamen, was finanzielle Vorteile für Künstler und Plattenfirmen bietet. Dies ist besonders wichtig, da die Einnahmen aus Streaming im Vergleich zu physischen Verkäufen geringer sind und Künstler nach alternativen Einnahmequellen suchen müssen[1][4].
Insgesamt spiegeln die kürzeren Musikstücke den Einfluss digitaler Technologien und veränderter Konsumgewohnheiten wider, die sowohl die Musikindustrie als auch das Verhalten der Hörer beeinflussen.
Citations:
[1] https://www.thedartmouth.com/article/2023/09/trends-shorter-songs
[2] https://imusician.pro/en/resources/blog/does-the-song-length-matter
[3] https://www.cbsnews.com/news/are-attention-spans-getting-shorter-and-does-it-matter/
[4] https://www.musikmachen.de/fun/warum-ist-ein-song-3-5-minuten-lang/
[5] https://weblab.zwoeinsnull.de/streaming-algorithmen-und-musik/
[6] https://improvesongwriting.com/how-long-should-a-song-be/
[7] https://www.derpragmaticus.com/d/aufmerksamkeit
[8] https://digitalcollection.zhaw.ch/bitstream/11475/694/1/ba0185.pdf
Das Thema „Reden halten“ ist hier vielfältig und interessant diskutiert worden. Ich habe viele lehrreiche Kommentare gelesen. Ein wirklich guter Dialog.
In den 1960-er und 70-er Jahren waren die Reden im deutschen Bundestag absolut sehens- und hörenswert. Für mich war es gelebte politische Bildung.
Die beeindruckenden Reden von Michelle und Barack Obama, Kamala Harris und Tim Walz geben der Demokratie wieder Zuversicht. Hoffentlich entscheidet sich die Bevölkerung der USA mehrheitlich für die Demokraten.
Vielen herzlichen Dank, @Elisabeth K.!
Schon seit dem Studium pflege ich – damals mit einem Seminar(-bericht) zu “Islam in Deutschland 2030” auf Basis der Delphi-Methode – ein Faible für politikwissenschaftliche Prognosen. Besonders beeindruckend fand ich dann die Arbeit und das Buch “Superforecasting: Die Kunst der richtigen Prognose” von Philip E. Tetlock und Dan Gardner.
Allerdings liegen alle Prognostizierenden manchmal auch daneben – ich hatte beispielsweise im Chrismon-Interview einen sehr viel schnelleren Zusammenbruch des Putin-Ressourcenfluch-Regimes vorausgesagt und erhofft. Immerhin: Schon im Sommer 2020 konnte ich in “Verschwörungsmythen” die Wahlniederlage von Donald Trump und die darauf folgende Gewalt prognostizieren – und sagte diesmal nach dem Attentat gegen ihn schon Mitte Juli, dass er jetzt nicht mehr von Joe Biden, sondern nur noch von Kamala Harris gestoppt werden könne:
https://www.evangelisch.de/inhalte/231860/15-07-2024/blume-trump-wird-die-rolle-des-politischen-erloesers-annehmen
Ob ich in Zukunft überhaupt noch weitere Prognosen veröffentliche, habe ich noch nicht entschieden (ich denke, andere sind in der Prognostik inzwischen längst viel weiter). Aber in diesem einen Fall hoffe ich, noch einmal Recht zu erhalten: Kamala Harris for President! 🙂
One cannot compare two very different mentalities of two very different countries.
First of all the Obamas are very gifted people that were and remained exceptional. As many democrats recently, they as well as the Clintons and Harris are lawyers who understand how to use and manipulate language. American politicians also use slogans to inspire and motivate. “Yes we can” had a powerful effect on the public. That being said, Americans also expect results from their politicians. “Lets get it done” is much more powerful than “wir schaffen das”.
Obama is a natural speaker; sense of humor, intelligent, charismatic and as seen in this speech, he is referring to current events and using key words like empathy. Obama also reminded the public about one of the reasons that used to make America a great country; inclusivity and helping eachother. And he does this through gentle guidance.
In contrast, Germans are very selfabsorbed and have a me, myself and I approach to life. Steinmeier gives great speeches, but violence is on the rise. Biden calms people and the violence has greatly decreased since Trump.
Americans don”t want great speeches without action; they want leadership that knows how to run a country and keep diplomatic relations.
This were simple but effective speeches after covid and the embarrassment of Teflon Don. The goal has also changed, in just four years a president has changed what took decades to build. 8 years is insufficient time to undo the damage to the country and the world and many americans are despondent.
The staging is also new; wearing white (suffragettes) to attract female voters and reminding the country whats at stake. Lets not forget that we live in turbulent times with two wars in and near Europe, Hong Kong lost to China etc. People need hope, not speeches and “es wird schlimmer”.
I am oversimplifying but Americans look for leadership not just to dream and inspire but to help them accomplish it.
As I have stated previously, great speeches remain just great speeches if there is no action.
To paraphrase Thoreau:”You’ve built castles in the sky, now put the foundations underneath them”
Thanks for your comment, @Science!
I’m a little amazed how, after Donald Trump’s election successes and the storming of the Capitol, someone can still hold on so adamantly that American people are superior to German people per se. While we are fighting for the continued existence of democracy in some post-socialist Bundesländer (states), the US Supreme Court has already made several very questionable rulings and the race between Trump and Harris is already affecting the entire United States of America. Perhaps it would help to look down on European people in a less nationalistic way? Many of us are democratically active and educated citizens, too.
I never said or implied that all Americans are “better”. You asked a question about speeches, I explained it. There is no perceived nationalism.
I will however briefly explain how Trump happened to other readers that may come across this thread. Only 40% voted. No one thought T. could win, but there are States (especially in the South) that will never elect a woman. Despite that Hilary won the popular vote. The supreme court: Ruth Bader Ginsburg passed away (Roe vs. wade), Anthony Scalia (a conservative brilliant constitutionalist) died a little mysteriously. Replaced by Kavanaugh. The machinations on how that happened are well documented. That a small but loud minority of people believe believed a conman is incomprehensible and frightening.
Capitol hill? Who showed up there? An actor with a buffalo hat? Not representative of Americans. And I am talking about the general public, not politicians. They havent changed. They are the first to admit that America allowed themselves to be divided. Republicans and Democrats alike (the public) are trying to support and encourage eachother in a crazy world. Didnt people try to storm the parliament in Germany as well?
These are articles by Aiweiwei’s about his experience.The one I am looking for I cant find:
https://www.theguardian.com/artanddesign/2018/dec/10/ai-weiwei-interview-un-declaration-human-rights-70th-anniversary
https://www.theguardian.com/artanddesign/2019/aug/22/ai-weiwei-cites-change-in-german-attitudes-as-reason-for-move-to-uk
Thank you, @Science. As blogged, I not only studied Political Sciences and became a doctor in exploring religion & neurosciences, I have also been to the United States repeatedly, including to the First Inauguration of President Barack Obama. And I am speaking your language and reading the papers. You are commenting on a blogpost of mine about the Democratic National Convention 2024 in Chicago.
What’s more, I do think that there remains a lot to be done concerning German-American relations. For example, I advocated in Ellwangen in favour of remembering the heroic Jewish German-American Soldier Erich Levi:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/duerfen-sich-die-republiken-ukraine-israel-verteidigen-gedenkrede-zum-voelkertrauertag-in-ellwangen/
So, I can assure you that you are among friends here. Maybe you could just try to find a tone suitable to dialogue among educated citizens and in European democracies.
Thanks & best wishes! 🙂
You are reading something into my tone that is not there. Ive been impolite; Backround in medicine, MSc Imperial College, Rhodes nominee, Magna cum laude, crossdisciplinary projects in art and science and a few published papers. Interests in science fiction, civil rights advocate and science communicator, but I am not a politician.
I look forward to your next post and maybe on this pale blue dot we’ll run into eachother one day and have a coffee.:)
Best wishes 🖖
@Science
Oh yes – I am looking forward to our coffee! 😊☕👍
Da ich über wenig praktische Erfahrung im Schreiben oder Halten von Reden verfüge, kann ich nicht als Experte beurteilen und darlegen, was eine gute Rede ist. Ich kann nur beschreiben, welche Reden mich besonders berührt haben. Und ich kann versuchen, zu verstehen, warum das so ist.
Wenn ich mir die oben verlinkte Barack Obamas Rede vom Parteitag der Demokraten 2024 anhöre, dann bleibt insbesondere folgender Absatz hängen (ab 14:20):
“Together Kamala and Tim have kept faith with America’s central story. A story that says: we are all created equal. All of us endowed with certain inalienable rights that everyone deserves a chance. That, even if we don’t agree to each other, we can find a way to live with each other.
That’s Kamala’s vision. That’s Tim’s vision. That’s the Democratic Party’s vision.”
Ich finde das großartig! Hier wird eine Geschichte des Miteinander erzählt – im Gegensatz zu der Geschichte des „wir gegen die“ eines Donald Trump. Und, was ich noch bedeutsamer finde: die der Demokratischen Partei zugeschriebenen Werte werden als allgemeingültig und bedeutsam für Amerika, ja, für alle demokratisch gesinnten Gesellschaften sichtbar gemacht, sozusagen transzendiert.
Ich vergleich das durchaus mit Deiner Rede vom 9. November 2023, @Michael Blume:
Auch dort erzählst Du eine Geschichte des Miteinander.
„Vielfalt ist okay, die Vielfalt der Religionen gehört zu Baden-Württemberg. Ihr gehört dazu.“
Auch hier sprichst Du parteiübergreifend für alle demokratisch gesinnten Menschen. Und: Bei Deiner Rede passen Botschaft und Sprecher zusammen, weil Du die Werte, von denen Du sprichst, persönlich und authentisch vertrittst – mit Deinem Amt und Deinem darüber hinausgehenden Engagement.
Beide Reden, aus denen ich hier zitiere, skizzieren einen positiven Gegenentwurf zu den Erzählungen vom Freund-Feind-Dualismus.
Und ich denke, bei beiden Reden kommen hier Inhalt, Form und Authentizität des Sprechers zusammen.
Vielen herzlichen Dank für die feinen Beobachtungen und freundliche Rückmeldung, @Peter Gutsche 🙏
Und ich möchte Dir im Kern ausdrücklich zustimmen: Auch mir scheint es so, dass zwei rhetorische Grundmotive medial miteinander ringen.
1. Feindselige Dualisten erzählen die Us vs. Them, deutsch “Wir gegen Die”-Story, nach der alle Probleme von Andersdenkenden, Zuwandernden, religiösen und ethnischen Minderheiten ausgingen.
2. Dialogische Monistinnen erzählen die “Unity in Diversity”, deutsch “Einheit in Vielfalt”-Story und versuchen, Sachprobleme wie Armut, Klimakrise und Extremismus zu bearbeiten.
Naturgemäß ist die dialogische Variante 2 sehr viel schwieriger und damit auch medial sehr viel schwerer zu lösen als die grobe Vereinfachung durch Variante 1. Gerade auch im Netz versuchen wieder und wieder Leute, sich durch Angriffe auf Kosten anderer selbst zu inszenieren. Dagegen fand beispielsweise meine Rede gegen die Terrororganisation Islamischer Staat / IS vor Eurojust Den Haag vom November 2023 bis heute praktisch keine Beachtung. Und ich verstehe das auch – für die Komplexität und Schnelligkeit, mit der Welt crossmedial auf uns einstürzt, sind wir einfach nicht evolviert. Es ist daher verführerisch einfach, sich entweder zurück zu ziehen oder in einfache Dualismen zu verfallen.
Deswegen Dir noch einmal ausdrücklichen Dank, dass Du den schmaleren, anstrengenderen Weg des Dialoges wählst! 😊🙌
@Michael 25.08. 12:19
„…nach der alle Probleme von Andersdenkenden, Zuwandernden, religiösen und ethnischen Minderheiten ausgingen.“
Was ja nicht heißt, das diese ganz problemlos sind. Der Attentäter von Solingen war ein andersdenkender zugewanderter Muslim aus Syrien.
In der Tat haben wir umfangreichere Probleme wie die verschleppte Energiewende, die gewaltsame Auseinandersetzung mit Putin und eben den destruktiven Dualismus selbst. Dem dürfte unser Attentäter vermutlich auch verfallen gewesen sein.
Und wir haben es mit neuen Medien zu tun, die u.a. unsere Demokratie herausfordern, und zur Radikalisierung von Menschen beitragen können.
Ja, @Tobias Jeckenburger – ich habe ja selbst wieder und wieder vor dem IS gewarnt, mehrfach zu dessen Ideologie auch vor Gericht ausgesagt, bei Eurojust in Den Haag für stärkere Aufklärung und internationale Strafverfolgung geworben. Aber der fossile Wahnsinn wird wohl auch nach Solingen weitergehen. Und wieder werden wir viel über die Symptome, aber kaum über die komplexen Ursachen diskutieren…
jetzt muß ich auch einmal meinen gesammelten Senf dazu geben:
1. warum es in Deutschland und in Österreich keine große Rhetorik gibt, lässt sich in meinen Augen mit dem langen Schatten von Klumpfüßchen Goebbels erklären. Niemand in Deutschland (außer den Populisten von rechts wie links) traut sich noch an die Stilebene des “genus grande” heran.
2. Zum Film “Führer und Verführer”: ich bin etwas enttäuscht von diesem Film. Er will zuviel und kommt deshalb nicht auf den Punkt. Ich könnte ihn auch nicht im Unterricht zeigen, er ist zu lang und hat keine Identifikationsfiguren, mit denen meine Klassen positiv oder negativ mitgehen könnten. Allenfalls könnte man mit einzelnen Klassen in den Film gehen, weil das das ein Ereignis ausserhalb der Schule wäre.
3. Zum da´esh (ich möchte nicht vom islamischen Staat sprechen). Die Verbindung von fossiler Energie und dieser Terrororganisation erscheint mir zu weit hergeholt. Tatsache ist doch, dass jede (!) Religion das Potential hat sich zu radikalisieren. da hat, neben Ihnen, Herr Blume, auch Prof. Graf in München viel geschrieben. Das gab es schon vor den fossilen Energien: die Zeloten im Judentum; im Christentum die Circumcellionen oder Agonistiker https://de.wikipedia.org/wiki/Agonistiker; die https://de.wikipedia.org/wiki/Parabolani etc.
4. Zu Plato, es wird Zeit, sich von Poppers Verzerrung Platos zu verabschieden. Popper bezieht sich auf “den Staat” . Nachdem aber das Experiment in Sizilien gescheitert war, hat Plato seine Position in den “Gesetzen” überarbeitet. So ansprechend der “Staat” auch ist, Platos revidierte Position findet sich eher in den Gesetzen, die allerdings schwieriger zu lesen sind. Plato hatte die Größe, seine Position zu revidieren. Das haben viele nicht.
Danke für Ihren „Senf“. @Joachim Fischer
1. Einverstanden.
2. Habe ich anders erlebt, kann aber auch an Alter und Zielgruppen liegen.
3. Selbstverständlich gab es (von mir oft beschrieben) feindseligen Dualismus schon vor den fossilen Gewaltenergien und auch vor den digitalen Medien – diese wirken jeweils „nur“ als Brandbeschleuniger. Und ich habe eben im Irak die Öllaster selbst gesehen, die gegen die eine oder andere „Gebühr“ aus den IS-Gebieten Richtung Türkei und EU fahren durften. In diesen Regionen wurde um fast nichts Anderes mehr als um Wasser und fossile Ressourcen gekämpft – mit buchstäblich fließenden Allianzen und verlockenden Angeboten der Großen gegen die Habenichtse. Die Realität in Ressourcenfluch-Regionen ist noch brutaler und auch korrupter als jede akademische Theorie.
4. Weitgehend einverstanden.
Noch’n bissel Senf.
Ein weiterer Grund, warum unsere Demokratie keine großen Redner mehr hervorbringt, :
In der DDR wurden die Entschlüsse am großen Tisch entschieden und sofort exekutiert.
Im derzeitigen Deutschland werden die Gesetze in den Ausschüssen beschlossen und im Parlament dann entschieden.
Das reicht aber immer noch nicht. Zu jedem Gesetz gibt es noch Ausführungsbestimmungen, die auch erlassen werden müssen. Und dann kommt die Stunde der Verwaltung(en), die die neuen Gesetze auch noch gegen die Einsprüche der Betroffenen durchkämpfen müssen. Und das kann Jahre dauern.
Fazit: Mit gewaltigen Reden ist keine Politik mehr zu machen. Die Medien haben dann etwas zum Schreiben aber die Verwaltungen , die brauchen Gesetze die auch ausführbar sind.
Als Negativbeispiel, was nützt einer Mutter mit Kinder der gesetzlich verbürgte Anspruch auf einen Kindergartenplatz, wenn die Kindergärtnerinnen fehlen.