Warum Jiddisch = Judendeutsch, nicht Judengermanisch und warum das wichtig ist

Das Internet – und darin vor allem Twitter – sind wirkliche Debatten-Beschleuniger.

Aber fangen wir in Ruhe an: Letztes Wochenende gab ich mein Seminar zur Alpenraum-Medienthese am KIT in Karlsruhe und freute mich über super-engagierte Studierende! Ein Thema, das ich dabei ausführlich (auch im Abschlussvortrag und der Klausur) behandelte, war die Entstehung des Judendeutschen im Alpenraum ab dem 11. Jahrhundert im Dreieck Schwaben – Böhmen – Österreich und die Folgen der antijüdischen und antisemitischen Sprach-Ausgrenzung bis heute.

Auch auf Basis der Medien- und Religionsgeschichte in “Rückzug oder Kreuzzug?” konnte ich dabei erläutern:

1. Die jüdische Tradition verband die biblisch-mythologischen Personen Sem mit der hebräischen Alphabet-SCHRIFT, Japheth mit der griechischen Alphabet-SCHRIFT und Aschkenas (Enkel des Japheth) mit der deutschen SPRACHE. Die geografische Unterscheidung von Schriften und “deutscher” Sprache bezog sich schon Jahrhunderte vor jeder deutschen oder gar “germanischen” Nation auf die Alpen. So schrieben jüdisch-aschkenasische Gelehrte auch etwa der deutschen SCHUM-Städte ihre deutsche Sprache mit hebräischen Alphabet-Zeichen.

Bis heute spricht man im Judendeutschen / Jiddischen entsprechend vom “einteutschen”. Durch die Vertreibungen von Jüdinnen und Juden während der Kreuzzüge und Pestpogrome aus dem Alpenraum entstanden größere, jüdisch-aschkenasische Gemeinden in Osteuropa, deren Sprache heute als “Ostjiddisch” vom “Westjiddischen” unterschieden wird – während sie gleichzeitig mit deutschen Nachnamen identifiziert und oft als Juden “und” Deutsche diskriminiert und verfolgt wurden!

2. Die deutsch-aschkenasische Sprache hieß entsprechend auch JUDENDEUTSCH – und dies bis ins 20. Jahrhundert. Erst dann wurde sie aus dem Englischen (“They speak yiddish!”) als “Jiddisch” bezeichnet. In den europäischen Sprachwissenschaften wurden die alten “Rasse”-Begriffe von “Germanen” und “Semiten” übernommen, so dass man auch heute noch den Wirrsinn liest & hört, “Semiten” wären eine “Rasse aus Juden und Araber” und “Jiddisch = Germanisch”. Es gibt aber kein “germanisches” Judentum – sondern schlichtweg ein aschkenasisches & deutsches. Und Sem begründete laut dem Talmud ein Lehrhaus, eine Alphabet-Schule! Nicht irgendeine “Rasse”, sondern die Sprache formte die deutsche (Sprach!-)Kultur und auch die aschkenasisch-jüdischen Gemeinden pflegen ihre deutschen Dialekte – zum Teil bis heute.

3. Die Nicht-Anerkennung des Judendeutschen / Jiddischen durch die Bundesrepublik bedeutet die Diskriminierung aschkenasischer Jüdinnen und Juden gegenüber Spätaussiedler:innen. Während ein russischstämmiger Spätaussiedler aufgrund der deutschen Sprachtradition als “deutsch” gilt, sofort die deutsche Staatsangehörigkeit & die Anrechnung seiner Lebensarbeit auf die Rentenzahlungen erhält, wird eine aschkenasische Jüdin trotz deutscher Namen & judendeutscher Sprachtradition aus der gleichen Region als “nichtdeutsch” eingestuft: Ihre Rentenansprüche fallen ab und sie muss sich erst mühsam einbürgern lassen. Eine konkrete Folge dieser strukturellen Diskriminierung ist die Altersarmut zehntausender Jüdinnen und Juden in Deutschland.

4. Sowohl die ehemalige wie die aktuelle Bundesregierung haben in ihren Koalitionsverträgen die Forderung nach einem “Härtefallfonds” aufgenommen, der besonders schlimme Fälle von Diskriminierung ausgleichen soll. Wie Sie sich vorstellen können, hätte ich mir statt der nun schon jahrelang fruchtlosen Debatten darüber ein Ende der Diskriminierung gewünscht: Die Anerkennung des Judendeutschen als deutsche Sprachtradition und damit verbunden die Gleichstellung von russischstämmigen Spätaussiedler:innen und aschkenasischen Jüdinnen & Juden durch den Bund sowie die Pflege der judendeutschen Sprach- und Musiktraditionen durch die Länder. Wäre dies nicht auch eine glaubwürdige Frucht des Erinnerungsjahres “1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland” (bzw. “nördlich der Alpen”)?

5. Es gibt keine klare, wissenschaftliche Unterscheidung zwischen Sprache und Dialekt, diese ist vielmehr immer auch politisch und rechtlich gefasst. So würden beispielsweise viele Niederländer:innen negativ auf die Behauptung reagieren, ihre Sprache sei “nur ein deutscher Dialekt” wie etwa das Bayerische oder das Pennsylvania Deutsch der Old Order Amish. Der Sprachwissenschaftler Max Weinreich (1894 – 1968) prägte dazu die bekannte Formel – auf Judendeutsch / Jiddisch: „A shprakh iz a dialekt mit an armey un flot” – Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und Flotte. Was gegenüber dem Alpenraum natürlich auch etwas unfair, aber empirisch zutreffend wäre… 😉 

Meinen Studierenden empfahl ich zu all dem u.a. das Werk von Nizza Thobi, die seit Jahrzehnten das Hochdeutsche und Judendeutsche / Jiddische miteinander in Neu-Beziehung singt, so in “Jiddisch is gor nischt asoj schwer”.

Und noch am Dienstag sprach ich bei einem Ferngespräch-Talk mit Annika Brockschmidt (u.a. “Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet”). Bei manchen Unterschieden im Detail teilte ich ihre Sorgen und prognostizierte, dass es in den nächsten Jahren digital verstärkte Angriffe von Pro-Trump-Dualisten gegen Europäer:innen und insbesondere auch Deutsche geben würde. Wer schon die Europäische Union als “enemy” betrachte, werde das Zusammenleben von Nichtreligiösen, Jüdinnen, Christen, Musliminnen und Andersglaubenden eher als Provokation denn als Beispiel wahrnehmen.

Tja – und gerade können Sie auf Twitter live beobachten, wie Matt Karnitschig von Politico erst Annika Brockschmidt (aka @ardenthistorian) des Antiamerikanismus bezichtigte, dann Jasmina Kuhne (aka @quattromilf) vorwarf, sie hätte einen jiddischen Ausdruck falsch gebraucht und schließlich in Tweets “die Deutschen” als “meschugge” verhöhnte…

Freundliche Klarstellung, dass Judendeutsch keine "nicht-germanische" Sprache sei

Versuch einer freundlichen Intervention in amerikanisch-antideutsche Ausfälle eines Politico-Korrespondenten, der Jiddisch nicht mal mehr als “German” zu erkennen vermochte… Screenshot: Michael Blume

Leider muss ich also davon ausgehen, dass wir in den kommenden Jahren noch einmal digitale Polarisierung und Radikalisierung der Identitäts-Debatten in und aus den USA erleben werden. Das dortige Mehrheitswahlrecht dürfte vor allem auf Seiten der Trump-Freund-Feind-Dualisten zu einer brutalisierten Angriffskultur beitragen, in der Europa wenig mehr als ein Hinterhof – backyard – für Angriffe gegen Demokrat:innen und interreligiöses Zusammenleben erscheint.

Umso wichtiger scheint es mir zu sein, dass wir Europäer:innen nicht auch die Nerven verlieren, sondern die Zeit zu nutzen, um in Ruhe Begriffe und historische Zusammenhänge zu klären und vielleicht gar die Diskriminierung des Judendeutschen und aschkenasischen Judentums in unserem Land endlich zu beenden. Für den Umgang mit US-Rechten empfehle ich: When some of them go down, let us go high…

 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

19 Kommentare

  1. Gegenwartsgeschichte wäre so langweilig, wenn ich nicht dabei mitmachen müsste, denn wie es weitergeht, steht auch schon fest. Geschichte wiederholt sich selten 1:1, doch sie bleibt in gewohnten Bahnen. Was wir sehen, sind völlig normale Verfallserscheinungen aufgrund einer kollabierenden Wirtschaft, Verteilungskämpfe zwischen Oben und Unten, Links und Rechts, Innen und Außen. Wenn das Futter nicht mehr für alle reicht, müssen die Mäuler weniger werden, und das geschieht am Einfachsten durch Krieg. Um genug zu fressen zu finden, müssen die Haufen kleiner werden, um das Fressen anderen Haufen abzujagen, müssen sie aber noch groß genug sein, je mehr Feuerkraft ein Haufen hat, desto kleiner kann er werden, und so probieren wir rum, streiten um Ressourcen und Mäuler, um die optimale Haufengröße fürs Gemetzel zu finden. Wenn sich der größte nationale Haufen die Macht gesichert, die Konkurrenz gefressen und alle in Gleichschritt und auf Hirntot getaktet hat, geht’s international weiter, mit entsprechend mehr Wumms. Alternative wäre, unsere Bugs-Bunny-Parodie einer Wirtschaft umzuorganisieren, denn die kann Ressourcen wunderbar verschwenden, aber kaum nützen, könnte sie es, hätten wir das Paradies auf Erden. Doch dazu ist die Wirtschaft zu mächtig, zu verknöchert und hat das hungrigste Maul und die meiste Feuerkraft von allen, also wird’s wohl nix mit friedlichem Wandel, dem Weltuntergang durch eifrigen Umbau einer Welt in eine bessere. Schade, wäre lustiger gewesen.

    Folgendes dient als Beispiel für die Entwicklung von Sprachen, Kulturen, Nationalitäten, Rolle der Geschichtsschreibung in der Gegenwart sowie zum Zeitgeschehen. Beschäftigt mich zurzeit und passt hier irgendwie, ich hoffe, es geht nicht zu sehr am Thema vorbei.

    Spätestens seit Karl dem Sachsenschlächter gab’s in Osteuropa eine Go-east-Bewegung, die zunächst von den Deutschen, dann von den Polen vorangetragen wurde. Diese brach irgendwo am Dnjepr zusammen, weil die Portugiesen und Kolumbus dazwischen grätschten – jenseits der Meere fanden sie leichtere Beute, mehr Sklaven, mehr Land, das sich mit minimalem Aufwand erobern ließ, fruchtbarer und reicher war. Aus Go east wurde Go west, im Westen erblühte die Piratenhalbinsel, die beiden Landmächte brachen in kürzester Zeit zusammen: 1600 die dominanten Mächte in Ost- und Westeuropa, 1700 Lachnummern. Russland entstand als letzter Nachhall, doch konnte nicht mehr mit dem Westen mithalten – trotz vielversprechender Anfänge bleibt es bis heute eine Grenzmark, ein Gebiet unter Militärverwaltung, das gesichert, doch kaum bewirtschaftet wird, weil Menschen und Investitionen dann doch lieber aus Russland flohen, als nach Russland. Würde es seine autoritäre Herrschaftsform aufgeben, würde es sich wirtschaftlich entwickeln können, doch würde auch Sibirien verlieren, und so, wie die Geschichtsuhr steht, ist Sibirien wertvoller als ein Kapitalismus, der erst Osteuropa, dann den Westen verlässt und dort ähnliche Verfallserscheinungen erzeugt, wie letztes Mal.

    In Deutschland redeten die Katholiken wirres Zeug, um sich an der Macht zu halten, die Protestanten folgten Geisteskranken, die noch wirreres Zeug von sich gaben, aber was von „Volk“ und „Gerechtigkeit“ und „Lügenpresse“ darunter mischten, beide Seiten verdammten einander zur tiefsten Hölle und verbrannten wie beknackt Hexen, Bauernhaufen plünderten, mordeten und brannten Synagogen nieder, bevor die Obrigkeit sie zurück an die Arbeit scheuchte, doch trotzdem wurde der 30jährige Krieg daraus, danach zerfiel es endgültig in Zwergstaaten. In Amerika 1.0, alias Polen-Litauen, fraß die Korruption alles auf. Nicht, dass die polnischen Eliten korrupter wären als die des Westens, man kann nicht weniger Skrupel haben als keine, man kann nicht nach mehr gieren, als nach allem. Doch der Westen hatte die ganze Welt zum Plündern, der Reichtum floss schneller, als die Oberschicht schlingen konnte, das erzeugte Staus und mästete eine Mittelschicht. Im Osten gab’s nix zum Plündern und Versklaven, als die eigene Bevölkerung. Dementsprechend wurden im Westen die Leibeigenen schließlich befreit, im Osten immer mehr den Sklaven gleichgestellt. Polen-Litauen war eine liberale Adelsdemokratie, und wenn Sie wissen möchten, wie es im Westen so Pi mal Daumen weitergeht, lesen Sie ein polnisches Geschichtsbuch. Vielleicht was von Rom dazu. Oder von Räuber Hotzenplotz, Amerika hat, anders als Polen-Litauen, eine mächtige Armee, und wenn man nur einen Hammer hat, sieht die ganze Welt wie ein Nagel aus.

    Sieger in Mittel- und Osteuropa waren die Emporkömmlinge, die vorher nie die Chance hatten, ihre Ambitionen zu verwirklichen, doch sich jetzt am Kadaver der Dinosaurier groß fressen konnten. Einerseits Moskau, das sich im Windschatten der Geschichte all die Grundstücke sicherte, die Polen-Litauen nicht so richtig haben wollte, und so genug Masse aufbaute, um den Mangel an Klasse wettzumachen. Andererseits Preußen, das genau zwischen den Ambitionen von Russland und Frankreich parkte und vom Unentschieden profitierte. Es mästete sich an Ost und West, doch nur im Westen ähnelte seiner Sprache den lokalen Dialekten so sehr, dass es als Einigung durchgehen konnte. Wären Jahrzehnte zuvor nicht Preußenkönig und Zar zufällig gleichzeitig schwul gewesen, sodass der Zar den König aus Sympathie von der Schlachtbank entkommen ließ, wäre die französisch-russische Grenze vielleicht der zwischen BRD und DDR gar nicht so fern gezogen worden, im Westen würden die Städte Französisch sprechen, Deutsch wäre eine Sammlung füreinander kaum verständlicher Hinterwäldlerdialekte, und ein Monsieur Gaulande würde wettern, man möge diesen germanischen Vogelschiss auf der Geschichte der Grande Nation endlich auslöschen. Stattdessen hat der von den Preußen geschaffene Staat, nach einigem Hin und Her, zur Piratenhalbinsel aufgeschlossen. Mit dem Beerben Polen-Litauens als Kolonialmacht im Osten hat’s ja nicht so ganz geklappt, dazu war seine geopolitische Situation dann doch zu ähnlich.

    Polen hatte weniger Glück – Polnisch, Weißrussisch und Westukrainisch hatten sich über Jahrhunderte vermischt, lagen bestimmt nicht weiter auseinander, als Platt und Bayrisch zur gleichen Zeit, die Kultur war gemeinsam, die Voraussetzungen, eine Nation daraus zu basteln, vielleicht sogar noch besser als in Deutschland. Doch das widersprach der Moskauer Ideologie von allen Ruthenen als orthodoxen Russen, so wurde die Bevölkerung entlang der Religion geteilt. Und weil im Westen der Papst, im Osten Moskau die Geschichtsbücher schrieben, haben sie sich blitzschnell auseinander entwickelt und sind sich spinnefeind geworden, denn wenn man einen siamesischen Zwilling zersäbelt, will jede Seite das Herz behalten. Dementsprechend wurden die Dialekte des Sprachkontinuums so zu eigenen Sprachen vereinheitlicht, dass sie füreinander möglichst unverständlich waren, und regionale Dialekte passen sich blitzschnell der Hochsprache an, vor allem wen diese durch Schulbildung und Rohrstock verbreitet wird. Dennoch bleiben die kulturellen Unterschiede zwischen Russland und Ukraine gewaltig, auch wenn die Russen alles getan haben, um die Ukrainer von einer hochentwickelten Kultur zu einem Haufen degenerierter Bauerntrampel umzuerziehen. In Weißrussland, Polens ehemaligen litauischen Ossis, dem typischen Junior-Partner, der stets beleidigt ist und alte Kränkungen wälzt, weil er ständig die Hilfe des Stärkeren braucht und es lieber als rechtmäßige Wiedergutmachung sieht als als Betteln, klappte es besser. Anscheinend ist der Weg nicht weit von verwöhnter Ehefrau zur treuen Bordsteinschwalbe des russischen Zuhälters.

    Anders gesagt, vor zweihundert Jahren spielte die Polen-Ruthenen-Dichtonomie nur in der Fantasie der Moskauer eine Rolle – sie erfanden die göttliche Mission, die russische Erde zu sammeln, denn wenn man selbst nix gebacken bekommt, hat einem Gott geschenkt, was Andere gebacken bekommen. Velleicht gibt’s in Österreich ein paar Nationalisten, die finden, dass Bayern, Schwaben und Franken zu Österreich gehören, weil sie verwandte Dialekte sprechen und auch zum Katholizismus neigen. Zweihundert Jahre später war sie eine bittere Realität, dank der meine Oma nicht im Haus ihrer Kindheit schlafen kann, weil sie nachts aufwacht und panisch „Banderowcy!“ schreit. Eine Wiedervereinigung Polen-Litauens wäre zwar sinnvoll und für alle Beteiligten wohl überlebensnotwendig, doch ich schätze, der Herr Bandera hat sowohl die Polen wie die Ukrainer endgültig aus der Weltgeschichte gelöscht, auch wenn diese gerade beim Verdauen der Häppchen ein wenig langsam macht. Tja, jedem Tierchen sein Pläsierchen, ich halte Nationalität für Privatsache. Staatsbürgerschaft ist eine organisatorische Angelegenheit, Nationalität ist eine Religion, was einen Nationalstaat zur Theokratie macht und jedes Gespräch zu dem Thema zu einer Frage persönlichen Dafürhaltens. Nur hat jedes Pläsierchen so seinen Preis, und für das Gebiet zwischen Oder und Donez ist der Preis der Uneinigkeit, dass es zwischen der Piratenhalbinsel und Asien zermalmt wird, denn wenn in Europa das Futter abwandert, wandert es zuerst von dort ab. Aber jeder Osteuropäer wird liebend gern für sein Land sterben, weil es immer noch besser ist, als darin zu leben, überlebensorientiertes Handeln ist den kulturellen Zielen und Prioritäten der Region nicht zweckdienlich.

    In Polen kontrollierte die katholische Kirche die Schulbildung, designte ein Nationalgefühl nach eigenen Wünschen, Vorlieben und Interessen, so bleibt sie dort als letzte Teilungsmacht erhalten. Der ukrainische Nationalismus baut auf russischer Interpretation der Geschichte auf, die Nationalmythologie betont das Ukrainische und schießt sich damit ins Bein, denn der Adel in Polen war gemischt, polnisch, ruthenisch, litauisch, deutsch, whatever, und er machte die Kultur – würde Bayern unabhängig werden und sich als Opfer deutscher Unterdrückung profilieren wollen, wären Franz-Josef Strauß und viele andere Größen und Kulturträger keine Bayern mehr, sondern Unterdrücker, weil sie offiziell Deutsch sprachen und sich als Deutsche identifizierten. Die Bayern würden sich irgendwelche Freaks und Nebendarsteller zu Nationalhelden stilisieren müssen und trotzdem in Komplexen versinken, weil sie wie ein Haufen Hinterwäldler rüberkämen. Die Deutschen hingegen würden die Geschenkten mit Handkuss nehmen und sich wie die Herrenmenschen aufführen, die den primitiven Bayern die Zivilisation brachten. Und so sieht’s heute zwischen Polen und Ukrainern aus.

    Die Wirtschaft gebietet über Geschichte, über Sprachen, Kulturen und Nationalitäten. Doch Sprachen, Kulturen und Nationalitäten bestimmen, auf welche Weise wir uns der Wirtschaft unterwerfen. Die Wahl, uns nicht zu unterwerfen, haben wir nicht. Doch wer die Geschichte schreibt, bestimmt trotzdem über Leben und Tod von Völkern und Zivilisationen. Meine Version sehen Sie, und auch sie dient einem gewissen Zweck. Ich könnte mir vorstellen, dass es für die Probleme der Piratenhalbinsel, Mittel/Osteuropas und Russlands gemeinsame Lösungen gibt, wenn man die Weltbilder aufbricht, die uns in die alten Muster zurücktreiben. Ist nicht realistisch, doch was zurzeit realistisch ist, ist der Dritte Weltkrieg, alles andere sind Hoffnungen, Wunschdenken und Beten um ein Wunder.

    Wer hat, dem wird gegeben, wer nicht hat, dem wird genommen. Putin, Erdogan, Kaczynski, Orban, unterhalten sich durch Verzehr von Eigenfleisch, das Futter fließt ab. Putin macht sich bereit, die Emporkömmling-Nummer zu wiederholen, die Geschwächten zu verschlingen. Deutschland profitiert vom Rückfluss, die Auftragsbücher waren vor Corona voll, wir erblühen als Prinz Prosperos Schloss auf dem höchsten Gipfel des sinkenden Atlantis, all die Menschen suchen Schutz bei uns, wir können uns die besten Handwerker aussuchen, den ganzen Reichtum horten. In Amerika fließt er nach oben, was bei uns Osten ist, ist dort Unten, die aufgewühlten Massen stehen hier wie da als Werkzeug einem jeden zur Verfügung, der sich zum Führer aufschwingen möchte. Theoretisch fließt das ganze Geld nach China, doch wenn dort ein Xi zum Diktator mutiert, dürfte es unter dem schönen Schein genauso mies aussehen, wie überall sonst auch. Es gibt kein Entkommen. Außer in grundlegendes Umdenken und grundlegende Reformen, in eine neue Welt auf den Trümmern der alten, doch mit Pflugscharen errichtet, nicht mit Schwertern. Aber da waren den Menschen Leid und Tod schon immer lieber.

    • Meine Güte, @Paul S – wem soll so ein Rant helfen? In dem übrigens, soweit ich sehen kann, demokratische Errungenschaften und auch der jahrzehntelange Frieden etwa der EU keine Erwähnung finden. Die Lust am Untergang ist gefährlich, weil sie das viele Gute und auch Rettende ignoriert…

  2. Sehr interessant, vielen Dank für diesen Text, Herr Dr. Michael Blume, wieder was gelernt.
    Diese Symbiose aus der deutschen und hebräischen Sprache ist köstlich oder sehr bemerkenswert, sie hat eine Kraft, es sind nicht wenige jiddische Wörter in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen, weil sie treffend oder trefflich sind, auch einen gewissen Humor aufweisen.
    Sicherlich, hoffentlich, stimmt auch alles. >:->

    Mit freundlichen Grüßen und weiterhin viel Erfolg
    Dr. Webbaer (der auch diese “Alpenraum-Hypothese” (irgendwie) mag – es gab hier auch mal eine “Mittelmeer-Hypothese”, gell)

  3. Paul S.
    Die Geschichte verläuft nicht nur nach Gesetzmäßigkeiten, der Zufall spielt auch noch mit. Vorallem , wenn unterschiedliche Interessengruppen beteiligt sind.
    Sprache ist ein Bindungsfaktor, Religion ist ein Bindungsfaktor, wie uns aber der Dreißigjährige Krieg vor Augen geführt hat, spielen auch die Nachbarländer das Spiel mit.
    Jetzt zum Thema, Jiddisch. Es stände den Deutschen gut zu Gesicht, wenn wir unsere „Brüder und Schwestern“ aus dem Osten mit offenen Armen empfangen würden. Und wieviele von uns wissen gar nicht, wie sehr wir mit denen verwandt sind.

  4. Ihre Fragestellung scheint nicht ganz korrekt zu sein. Juden-germanisch kann es gar nicht geben da die Germanen ethnologisch verschiedene Stämme umfassten aus denen solche Nationen wie England., Frankreich, Dänemark, Schweden etc. hervorgingen. Das “Deutschland” entstand erst durch die Dreiteilung des Frankenreichs (Reich der Franken, Karls des Großen) und zeichnete sich durch den Gebrauch der deutschen Sprache aus. So gesehen waren die Germanen auch kein Rassebegriff sondern ein Stammesbegriff mit relativ einheitlicher Kultur und Religion (gemeinsame Götter) was sie von den in ihrem Kulturbereich lebenden Migranten wie den Juden unterschied . Wie überhaupt die germanischen Stämme sich in die von ihnen besetzten Ländern schnell mit den Einheimischen integrierten/assimilierten. Siehe die Goten in Spanien , die Franken in Frankreich ,die Langobarden in Italien bzw. die Angelsachsen in Brittanien. Diese Art der Bereitschaft zur Integration schien bei den Juden anders gewesen zu sein da sie zwar die Sprache des Gastlandes übernahmen aber ethnisch gesehen keine “Germanen” waren. Auch teilten sie nicht die damals aufkommende Religion(Christentum) was für die genannten germanischen “Nationen” nicht zutraf da sie sie alle missionieren ließen.
    Dass was als DEUTSCH galt wurde nach 1949 durch die westdeutsche Regierung festgelegt, die sich als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 sah. Die Germanen wurden hier auf die Deutschen bzw. auf die so Sprechenden reduziert. Sie können dieses Thema eigentlich nur ethnologisch definieren.

    • Nun, @Golzower – wenn Sie Juden als „Migranten“ inmitten „germanischer Stämme“ mit angeblich „einheitlicher Religion“ definieren wollten, dann also auch die Christen? Wanderungen, Konversionen und Eheschließungen betrafen beide religiösen Traditionen.

      Tatsächlich werden mit dem Wechsel von Sprach- und Stammesbezeichnungen spätere, sprachlich konstruierte Bezeichnungen einfach rückdatiert. Die sogenannte Ethnogenese ist ein kultureller Prozess und die allzu enge Verschränkung von Stammes-, „Rassen“- und Sprachbegriffen ist historisch gewachsen und trägt – manchmal bewusst – zur Verunklarung bei. Wenn dann auch noch „Semiten“ als „Rasse“ und Sprachgruppen konstruiert werden, sind üble Missverständnisse nicht mehr zu vermeiden, ggf. sogar gewollt.

      So wird der Begriff „Germane“ vor allem auf „germanische Sprachen“ rückbezogen und von Ihnen wiederum als – Juden bzw. „Semiten“ ausschließender – Stammesbegriff verstanden:
      https://de.m.wikipedia.org/wiki/Germanen

      Dass auf Basis von diesem Sprach-Stammes-„Rassen“-Begriffschaos dann auch noch heutige Diskriminierungen weitergeführt werden, empfinde ich als erschreckend. Damit möchte ich mich nicht abfinden.

  5. Golzower,
    mal ganz praktisch. Was haben die Germanen gemacht, wenn sie ein fremdes Land erobert haben ? Na ? sie haben Kinder gemacht mit allen Frauen, die sie finden konnten.
    Schon aus diesem Blickwinkel gab es keine reinethnischen Kulturkreise.
    Das ist jetzt eine schlechte Erklärung. Viel besser wäre es, wenn man alle Menschen unabhängig von Glauben und Herkunft gleich behandeln würde.
    Jetzt zur Staatsangehörigkeit. US-Staatsbürger ist, wer in den USA geboren wurde.
    In Deutschland braucht man die “Abstammung”. Bei Hitler musste jeder einen Ahnenpass beibringen, meistens bis ins 16. Jahrhundert zurück. Sie können sich vorstellen wie da getäuscht wurde. Es ist schon seltsam, dass die meisten Vorfahren dann Heinrich, Wilhelm, Karl hießen. Die Phantasie der Verfasser hat sie dabei verlassen. Soviel zur “Blutsreinheit”.
    Deswegen finde ich es angemessen, wenn wir die Bewohner von jiddischen Sprachinseln als Deutsche anerkennen, wenn sie das wollen, vorausgesetzt.

  6. Zu Blume
    Nun, Migranten verlassen ja nun einmal nicht freiwillig ihre Heimat ,oder ? Das damalige Problem war wohl auch dass die Juden von der christlichen Mehrheit der Bevölkerung, die im übrigen sich damals nie als Germanen verstanden , oft als sogenannte “Gottesmörder” (siehe Wikipedia) betitelt wurden. Die Behandlung dieses Themas wurde also auch- wie ich es andeutete- zu einem religiöses Problem da das damalige Christentum den Tod von Jesus mit den Juden assoziierte . Hier entstanden Hass- und Rachegefühle die wohl nur aus dem Konsens der damaligen Zeit zu verstehen sind und die dann in dieser Diaspora nach Osteuropa endeten. Diese germanischen Stämme scheinen mir im übrigen vor der Christianisierung sehr tolerant und offen gewesen zu sein. So schlossen sich innerhalb der Völkerwanderung der Goten viele slawische und andere Völker diesem Tross an und wurden zu Goten die dann in Italien bzw. Spanien innerhalb kurzer Zeit mit der einheimischen Bevölkerung (Iberer, Italiener) verschmolzen. Der Begriff “Germane” ist ein Fremdbegriff der von diesen Stämmen nie gebraucht wurde und erst in der Zeit der Nationalstaaten eine – auch – rassistische Bedeutung erhielt. Der “Bindungsfaktor ” Religion (hWied) hat also in diesem Fall eine negative Rolle gespielt da er, wie oben erwähnt. Christen gegen Andersgläubige aufbrachte, was dann auch in den damaligen Kreuzzügen endete in denen der Klerus nach weltlicher Macht und weltlichem Reichtum geilte, was ja bei aller Heuchelei bis heute aktuell ist.

    • Nun ging aber mit der Christianisierung und Latinisierung der „Germanen“ auch die Entwicklung und Schrift-Bildung einher, lieber @Golzower, die auch Sie heute selbstverständlich nutzen: Lateinische Buchstaben, arabische Ziffern, verschriftetes Recht. Dem Trick, vermeintlich idyllische „Germanen“ gegen „fremde“ Juden und intolerante Kirchen auszuspielen, kann ich nicht viel abgewinnen. Was ich anerkennen möchte, möchten Sie gegen die Lehren der Geschichte spalten. „Ohne Juda, ohne Rom bauen wir Germanias Thron“ führte in den Abgrund…

  7. Zu hWied:
    “Sie haben Kinder gemacht…”
    Schade dass man hier- wie in der DDR- erst eine Zensur durchlaufen muss, Herr Wied, ansonsten habe ich gerade einen Kommentar zu diesem Thema geschrieben der- vielleicht mit einem Oberlehrerkommentar dazu- genehmigt wird. Ihre Argumentation entspricht leider nicht ihrem Niveau denn dieses “Kinder machen” ist wohl in allen Kriegen, die auch von Kirchenfürsten geführt wurden, wie den Kreuzzügen und dem Dreißigjährigen Krieg, leider immer geschehen und “reinethnische Kulturkreise” hat es bei den Germanen nie gegeben wenn sie meine Kommentare richtig lesen. Wenn sie diese Geschichte richtig lesen werden sie erkennen dass diese Stämme sich -ohne jeden Rassismusgedanken- den sie hier unterstellen, stets in den Ländern in dem sie lebten, integriert haben. Es war leider wieder einmal die Kirche bzw-. der Klerus, der die Menschen damals zur Intoleranz zu Andersgläubigen erzog . So gesehen ist die Rolle der Kirche, die seit dem frühen Mittelaltert auch nach weltlicher Macht strebte, hier wieder einmal eine unrühmliche , worunter dann auch Juden leiden mussten.

    • Oho, @Golzower – die Germanen als edel, die Juden als „fremd“ und die Kirchen als „intolerant“. Klingt stark nach der „Mosaischen Unterscheidung“ von Assmann – und also nicht besonders gut…

  8. @Michael 25.01. 19:25

    „…die Germanen als edel, die Juden als „fremd“ und die Kirchen als „intolerant“.“

    In der Tat hört man sowas von Nazis auch. Wobei zunächst mal die mittelalterliche Kirche intolerant war, während die mitteleuropäische Bevölkerung vor der Christianisierung wohl den Naturreligionen zugehörig war, und eher nach Stammesclans und nicht nach einer Amtskirche organisiert war. So wie man die Götter anderer Stämme respektierte, vermute ich mal, dass man die inzwischen Eingewanderten Juden auch respektiert hat.

    Und umgekehrt wohl auch, die Religionsfreiheit von Seiten der Juden war wohl auch vor 1700 Jahren schon Praxis gewesen.

    Nach der Christianisierung ist man zunächst mal etwas toleranter gegenüber den Resten der vorherigen Religionen gewesen, aber nach ein paar Jahrhunderten hatte der Papst in ganz Europa wirklich die volle Kontrolle, und es wurde keinerlei Glaubenskonkurrenz mehr geduldet. Dass die jüdische Religion überhaupt noch erlaubt war, das galt für die alte vorherige Naturreligion nicht.

    Als edel würde ich Naturreligion nicht einstufen, aber als eine gewisse Alternative gegenüber den großen Weltreligionen würde ich das schon sehen. Hat alles seine Vor- und Nachteile. Die keltische Kultur ist womögliche eine Art Zwischenform zwischen heute noch praktizieren Naturreligionen in Sibirien oder in Amazonien und den großen Religionen. So weit ich weiß, weiß man über die keltische Religion aber sehr wenig, weil die nichts aufgeschrieben haben und die mündliche Tradition die dann nachhaltige Christianisierung nicht überlebt hat.

    So oder so rechne ich die patriarchalen Weltreligionen als zum Ackerbau zugehörig, die Naturreligionen in ihrer breiten Vielfalt als älter, und eher den Jägern und Sammlern zugehörig. In modernen Zeiten haben wir kaum noch Beschäftigte im Ackerbau, und dazu passt auch der aktuell zu beobachtende Abbau des Patriarchats. Was auch wohl einiges mit Unglauben und nachfolgend mit den fortschreitenden Kirchenaustritten zu tun hat.

    Hier nur die Wissenschaft zu sehen, greift vielleicht zu kurz. Die Kirchen sind eben nicht mehr Pflicht, und in modernen Zeiten brauchen wir keine Großfamilie und auch keinen geerbten Bauernhof mehr, was dann Gleichberechtigung und den Patriarchatsabbau zur Folge hat.

    Auf der Suche nach Alternativen zum Christentum auch mal bei den noch praktizierten Naturreligionen mal zu gucken, das kann nicht schaden, meine ich. Der für mich wichtigste Aspekt, dass man nicht die Götter zu bedienen hat, sondern sich auf ein vernünftiges Miteinander konzentrieren sollte, ist schon auch christlich. Aber das gibts woanders auch, im Prinzip auch bei Naturreligionen.

  9. “Die Germanen” sind doch vor allem ein Mythos.
    Im Prinzip sind die Germanen eine Erfindung von Julius Cäsar gewesen, rein politisch motiviert und sicher keine geschlossene Volksgruppe meinend. So gesehen könnte man auch von einem Volk der Barbaren sprechen – so wie die alten Griechen den Begriff für alle nicht-Griechen verwendeten.

    Wenn man überhaupt wüsste, wer genau die Germanen sind, würde es schon leichter fallen. Aber es handelt sich hier um eine Fremdzuschreibung, die sich dann sukzessive in der Neuzeit etabliert hat. Wir haben es hier mit ganz unterschiedlichen Völkerschaften und Völkergruppen zu tun, die in dem Raum leben, in dem wir uns befinden, also im deutschen Raum.

    Uwe Puschner, Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin, 2020

    Im Prinzip gab es viele Dörfe mit einer ähnlichen Sprache, die sich nicht unbedingt gut verstanden. Mit “Integration” o.ä. hat das historisch wirklich nichts zu tun.

  10. Leider muss ich also davon ausgehen, dass wir in den kommenden Jahren noch einmal digitale Polarisierung und Radikalisierung der Identitäts-Debatten in und aus den USA erleben werden. [Artikeltext]

    Davon ist auszugehen, aus diesseitiger Sicht ist die sogenannte Identitätspolitik ein links-“progressiver” Topos, ein Ort, an dem nichts gemütlicher wird.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  11. @ Golzower
    25.01.2022, 17:17 Uhr

    “….Schade dass man hier- wie in der DDR- erst eine Zensur durchlaufen muss, Herr Wied, ansonsten habe ich gerade einen Kommentar zu diesem Thema geschrieben der- vielleicht mit einem Oberlehrerkommentar dazu- genehmigt wird…..” (Ende des Golzower- Zitats)

    Gerade hier liegt nach (zumindest) meiner Meinung ein ebenso gefährlicher Pudel begraben wie derjenige tatsächlicher oder herbeifantasierter “ethnischer” Identitätszuschreibungen oder auch des ideologischen “Leugnens” ethnischer Faktizitäten.
    In demokratietheoretischer Hinsicht legt jegliche Zensur die Axt an das Grundgerüst eines liberaldemokratischen Gemeinwesens. Eigentlich sogar schon das Vorverlegen einer Zensurschere in das Bewusstsein von Kommentatoren.
    Denn auch in diesem blog wissen nicht wenige aus eigener Erfahrung ganz genau, was sie (nicht) schreiben dürfen, weil, wenn sie es geschrieben haben, Solches hier nie erschienen ist.
    Ich tendiere deswegen zunehmend dazu, mich diesbezüglich ganz von solchen Portalen fern zu enthalten. Denn ich möchte nicht auch noch meine politische Zensur selbst finanzieren müssen. Nämlich dadurch , dass ich Verlagen wie Spektrum/ Holtzbrink erlaube (bzw. erlauben muss) meine Festplatte zu durchschnüffeln und dass diese dann meine höchstpersönlichen Daten sowohl an meine politischen /weltanschaulichen Gegner weiterleiten und /oder an kommerzielle Interessenten in aller Welt verkaufen. Oder wahrscheinlich beides tun. Und mal von der demokratietheoretischen Komponente abgesehen gilt auch ein rein kommerzielles Einwand: Geschäftspartner, die einen mit willkürlicher Zensur übers Ohr hauen , wird wohl jeder vernünftige Liberaldemokrat eher meiden.

    • Ggf. wird Sie und @Golzower meine inhaltliche Zustimmung an dieser Stelle überraschen, @little louis. Aber, ja, bei Kommunikation geht es um Macht.

      Sehr lange fanden es Männer wie Sie normal, dass Frauen, Fremde, Juden etc. gegenüber dem weißen Mann zu schweigen bzw. nicht zu widersprechen hatten. Und als diese endlich auch die Stimmen zu erheben begannen, wurde – und wird! – das lauthals verhöhnt, beklagt, als „Zensur“ bekämpft. Wie vermeintlich „heil“ war die Welt, als kein Einstein die „deutsche Physik“, keine Luisa Neubauer die „deutsche Politik“ und keine Jasmina Kuhnke die „deutsche Identität“ herausfordern durfte! Und dann war da auch noch eine erfolgreiche Bundeskanzlerin!

      Den Verlust-Schmerz an Gewissheiten und Rollen im „Zeitalter der Falsifikation“ kann ich sehr nachfühlen. Aber ich bejahe die Veränderung, weil sie m.E. sowohl humanistisch wie christlich und wissenschaftlich Sinn macht.

      Sie sind hier als konstruktiv Diskutierende durchaus willkommen. Wenn Sie sich jedoch in abgeschotteten Blasen gegenseitig bemitleiden wollen, ist das für mich auch okay. Sie sind schließlich erwachsene Menschen…

  12. Wer sich interessiert für die Germanen, vielleicht auch dafür, wie weit sich deren Überlieferung eignet, als neuheidnische Religion wiederbelebt zu werden, der mag sich diese Hoaxilla-Episode anhören. Professor Rudolf Simek vertritt sicherlich eine sehr rigorose Position, wenn er sagt, man könne bei der Edda nicht unterscheiden zwischen Überlieferung und reiner Fiktion, aber das auf hohem Niveau. Mit Tommy Krappweis wird es erwartbar vergnüglich.

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