Vom Podcast zum Videocast – Web-Interview mit Prof. Dr. Inan Ince
Vielen Dank für das positive Interesse am KI-Quellcode-Reflexionsbericht! Nun freue ich noch mehr auf den heutigen “Blume & Ince”-Dialog zum Thema mit Prof. Dr. Inan Ince. Und da er unseren Podcast zu einem Videocast aufgebaut hat (ein Vlog ist nur als Videostream angelegt), habe ich ihn Web-interviewt.
Lieber Inan, wir haben Blume & Ince als Podcast-Projekt gestartet, aber Du hast es mit starkem Einsatz zum Videocast ausgebaut. Warum?
Das schreibe ich meiner Technikbegeisterung zu. Schon als Kind hatte ich regelmäßig Schwierigkeiten mich zu konzentrieren oder ruhig zu bleiben. IT-bezogene Aufgaben aber haben es immer wieder geschafft mich zu fokussieren. Programmierung war meinem Gehirn zu logisch und mathematisch. Kreativ-technische Aufgaben aber, also Bild-, Audio- und Videobearbeitung, sind genau meine Welt. Vor dem Hintergrund habe ich bereits als Projektleiter in der Unternehmensberatung, vielleicht ungewöhnlicherweise, Projekte selbst durchgeführt, wenn es darum ging, Coaching- oder Lehrvideos zu erstellen und zu vertonen.
Ich hatte im Wesentlichen drei Gründe für die Entscheidung neben unserem Podcast auch einen Vodcast anzubieten:
- Wir sprechen gelegentlich über Inhalte, die in unseren jeweiligen Wissenschaftsgebieten weitgehend allgemein bekannt sind, aber vielleicht nicht für Menschen die sich nicht als Expertinnen und Experten bezeichnen würden. So konnte ich immer auch gleich Schaubilder und Kurzerklärungen an den passenden Stellen einbauen.
- Der kleine ‚Zen‘-Zustand. Es kann, wie oben schon angedeutet, sehr beruhigend sein sich auf einzelne geschlossene Aufgaben konzentrieren zu können (wenn auch nicht immer frei von Frust).
- Ich bin sehr leicht zu begeistern für neues Wissen und neue Aufgaben; eine Eigenschaft, die in der Unternehmensberatung natürlich ideal ist. So kann es schnell passieren, dass ich wieder ein neues Hobby finde (wie ‚Mediendesign‘) und meist auch dabeibleibe.
Im August startete “Blume & Ince” als recht spontane Podcast-Idee. Fotokachel: Inan Ince
Ob Informatik oder Wissenschaft, ob Unternehmensberatung oder Lehre, jetzt unser Dialog – kann es sein, dass Du die Produktion hochwertiger Medien liebst?
Allerdings! Ich würde fast so weit gehen zu sagen, dass aus mir vielleicht noch ein YouTuber geworden wäre, wenn ich vielleicht noch ein paar Jahre eher geboren wäre.
Andererseits, selbst wenn ich kein Problem mit dem Rampenlicht habe, sehe ich auch die Schattenseiten. Ich halte z.B. auch die Vorlesung „Aktuelle Trends im Marketing“, in welchem ich jedes Semester soweit auch etwas anderes mache bzw. machen lasse. Letztes Semester ließ ich die Studierenden die Möglichkeiten und Grenzen diverser Trends als Referat mit Präsentation behandeln. Die Zahlen, Daten und Fakten die wir u.a. zum Influencer-Marketing zu sehen bekamen waren erschreckend (und vielleicht auch mal eine Folge wert).
Im aktuellen Semester lasse ich die Studierenden eine echte Social-Media-Kampagne im Namen der Hochschule durchführen mit Short-Videos, Bildern Blog-Posts und allem Drum und Dran auf Instagram und TikTok. Dabei sind sie vollständig frei in der Gestaltung. Einzige Vorgabe: Es sollen Inhalte zu Marketing-Trends und Hochschulleben sein. Das macht nicht nur den Kursteilnehmerinnen und -Teilnehmern wahnsinnig Spaß, sondern natürlich auch mir. Die aktuellen Ergebnisse sind überragend und erfreuen mein medienbegeistertes Herz!
Zuletzt arbeite ich parallel noch an einer Video-Serie zum wissenschaftlichen Arbeiten für Studierende im Bachelor. Ich habe bereits seit ein paar Jahren einen immer wieder aktualisierten, bewusst kurzen Ratgeber über neun Seiten, aber gerade Gen-Z ist ja deutlich videoaffiner.
Seitdem wir uns kennen, hat mich begeistert, dass Du von der BWL aus weit über den Markt-Staat-Dualismus hinausgewachsen bist. Wie kam es dazu?
Ich würde vermuten, dass das auch stark mit meinem Werdegang zusammenhängt. Als geborener Berliner der in Neukölln an der Grenze zu Kreuzberg aufgewachsen ist in einer ArbeiterInnen-Familie mit eher geringem Einkommen, war meine Welt zunächst sehr klein. Zu Zeiten in denen Flüge noch teurer waren (und in Flugzeugen geraucht werden durfte), taten meine Eltern aber immer ihr Bestes jedes bisschen Geld in Bildung und Reisen zu investieren. So kam es, dass wir nicht nur, wie damals üblich, regelmäßig in die Türkei fuhren (wenn auch seltener), sondern auch Länder in Europa bereisten, bis hin zu Japan in Asien und Kenya in Afrika.
Es überrascht mich jedes Mal ein wenig, wenn ich sporadisch in meinen Vorlesungen in die Hörsäle hineinfrage, wer denn alles schon mal in einem sogenannten Dritte-Welt-Land gewesen sei (jenseits von Hotelurlaub) und ich fast keine Hände hochgehen sehe. Ich bin der festen Überzeugung, dass das eine Erfahrung ist, die einem Menschen eine andere Perspektive auf das Leben gibt und teilweise in den Grundannahmen einer funktionierenden Gesellschaft erschüttert. Kurzum: Jeglicher Dualismus ist in meinen Augen als unpraktisch abzulehnen. Das gilt im Übrigen auch für „das Gute“ („kein Schatten ohne Licht“).
Auf der professionellen Ebene hilft es natürlich, dass ich in Forschung und Lehre im (nicht-ideologischen) Nachhaltigkeitsmanagement verankert bin, wobei mein Fokus insbesondere auf Gemeinwohlökonomie und sozialer Nachhaltigkeit liegt. Das geht zwangsläufig mit einem Blick über den Tellerrand einher. Markt und Staat (und damit auch die Gesellschaft) bedingen sich gegenseitig und sind somit voneinander abhängig. Das lernt man natürlich schon im Grundstudium jeder Wirtschaftswissenschaft. Womit die Hochschulen aber noch immer Probleme haben ist das Lehren heterodoxer Gesellschafts- und Wirtschaftstheorien. D.h., die Curricula sind noch zu versteift auf grundsätzlich wirtschaftsliberale Ansätze, die sehr gut dazu geeignet sind, ein wirtschaftswissenschaftliches Grundverständnis zu liefern in perfekten Modellen, sich aber in der Praxis nie vollständig bewahrheitet haben, und schon gar nicht überall auf der Welt. Da erinnere ich gern an unseren freundschaftlichen Streit um das grundsätzliche Menschenbild der Wirtschaftswissenschaften, dem ‚Homo Oeconomicus‘. Dieser ist und war nie als der ‚perfekte‘ Mensch zu verstehen, sondern sollte erklären, um es abzukürzen, warum man besser weiße Autos verkaufen sollte als gelbe. Zu sehr führt das reine Studium von als orthodox geltenden Theorien dazu, dass wir diese beinahe als religiöse Dogmen akzeptieren und im Zweifel die Welt an diese anpassen, statt andersherum. Solche eher neoklassischen Verständnisse von ökonomischen Theorien führen aber zwangsläufig dazu Staat und Wirtschaft nicht nur ideologisch zu trennen, sondern ihnen in vielen Belangen entgegengesetzte Interessen zu unterstellen.
Schnell ging Inan für “Blume & Ince” an die mediale Professionalisierung. Kachel: Inan Ince
Hast Du eine Erklärung dafür, warum sich Leute für ökonomisch kompetent halten, die gedanklich bei Smith und Marx steckenblieben und sich noch nie mit den Lehren der ersten Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom befasst haben?
Das schließt wunderbar an die letzte Frage an und kann sich womöglich wieder mit Dunning-Kruger erklären: Menschen mit geringem Wissen zu einem Thema überschätzen ihr Wissen, wohingegen Menschen mit viel Wissen zu einem Thema ihr Wissen unterschätzen. Am Anfang, wenn man sich mit einem Thema beschäftigt, z.B. im Rahmen eines Studiums, ist man selbstverständlich zunächst mit wenig Wissen ausgestattet. Die Gefahr, die sich ergibt, ist dass wir uns ‚den Rest denken können‘, wenn wir die Dinge im Ansatz verstanden haben und uns daher kaum weiter damit beschäftigen. Die Klausurmentalität deutscher und vieler internationaler Hochschulen verstärkt das noch. Sobald mein Wissen geprüft wurde, wird es praktisch gelöscht, um Platz für die nächste Prüfung zu machen. Allerdings machen wir üblicherweise auch Karrieren nach der Ausbildung und wenden unser als vollständig angenommenes Wissen dann in Folge fehlerhaft an.
Von Adam Smith hören alle mal im wirtschafts- und gesellschaftswissenschaftlichen Studium. Vom Marx fast nie – höchstens im Kontext eines fingierten Kontrasts zu Smith der, entgegen dem wieder unvollständigen Bild, kein Anarcho-Kapitalist war, der die unsichtbare Hand ‚erfunden‘ und propagiert hat, sondern ein Moralphilosoph. Genauso wird natürlich ein Marx missverstanden, der ganz sicher kein Fan von Stalin und der Sowjetunion gewesen wäre. Als Menschen suchen wir gern die schnelle und einfache Antwort; am liebsten monokausale Erklärungen für eigentlich sehr komplexe Probleme. Wettbewerb führt zu Effizienz und Innovationen. Aber wie sinnvoll ist es Branchen auf Effizienz zu trimmen, die traditionell gar nicht den Anspruch darauf haben? Als Beispiel fallen mir da Bildung, Kultur, Gesundheit, Wohnen und öffentlicher Verkehr ein, die alle (ggf. außer Wohnen) zu unterschiedlichen Ausprägungen auch imperfekte Allmendegüter darstellen.
Das heißt, wir denken wieder in Extremen. Dabei sage ich schon lange, dass wir in einer post-idealistischen Welt leben. Erwachsene Volkswirtschaften sollten längst erkannt haben, dass eine gesunde Volkswirtschaft sowohl soziale als auch kapitalistische Instrumente mit großen Synergieeffekten gewinnbringend nutzen kann, wobei Deutschland noch zu den besseren Vorbildern gehört (Stichwort „soziale Marktwirtschaft“). Elinor Ostrom, die ja auch keine Wirtschaftswissenschaftlerin war, hat das, wahrscheinlich unbewusst, beschrieben. „Durch Egoismus entsteht Wohlstand“ ist die vermeintliche Kernaussage der klassischen Ökonomie nach Smith, wobei Mathematiker wie John Nash mit der Weiterentwicklung der Spieltheorie (‚erfunden‘ hat er sie ja nicht) und noch später Politikwissenschaftlerinnen wie Elinor Ostrom die Möglichkeiten und Grenzen dieses Theorems aufgezeigt haben.
Zwischenzeitlich hat Prof. Dr. Inan Ince sogar die arkane Kunst der YouTube-Shorts & Instagram-Reels gemeistert! Screenshot: Michael Blume
Zusammengefasst lässt sich m.E. auf vier Faktoren zurückführen:
- Ein relativ starres Curriculum in den Wirtschaftswissenschaften,
- Lernen ausschließlich für Klausuren,
- Fehlende Anreize sich auch nach dem Studium/der Ausbildung mit dem Thema zu beschäftigen,
- Zu komplexe Erklärungsansätze, d.h., Fehlen einfacher Zusammenhänge.
Fairerweise sollte man aber auch damit schließen, dass neben Elinor Ostrom sicherlich auch weitere selten genannte Menschen die Wirtschaftswissenschaften nachhaltig geprägt haben und vermutlich nicht für alle Platz ist in einer wirtschaftsnahen (Grund-)Ausbildung.
Deine Familie hat in Rekordzeit den Übergang von Berlin ins Schwabentum geschafft. Was ist Euer Erfolgsgeheimnis?
Das haben wir sicher der ‚distanzierten Wärme‘ der Schwaben zu verdanken. Natürlich hat sehr geholfen, dass du und deine Familie uns sehr herzlich willkommen geheißen habt, wofür wir euch sehr dankbar sind!
Seda und ich erzählen gern die Geschichte, wie sie sich unter Tränen im Auto neben mir von mir die Nachbarschaft beschreiben ließ, nachdem wir ja im Grunde unser altes Leben, Familie und Freunde, hinter uns gelassen haben. Aber ein Teil dieses Erfolges wart, wie oben erwähnt, ihr: Über den Kindergarten haben sich zunächst unsere Frauen kennengelernt und dann dauerte es nicht lange, bis wir beide uns gegenseitig regelmäßig die Ohren abgekaut haben! 😊
Zunächst wurde auch der Podcast von Inan auf YouTube nur gedoppelt, also noch ohne Videostream ausgestrahlt.
Anfangs war es schwer. Berliner sind traditionell sehr bunt und gleich per-du mit allen. Sie haben tendenziell ein sehr loses, aber direktes Mundwerk. Bis wir eine Wohnung gefunden hatten (noch vor der Spitze der Wohnungskrise) dauert es einige Zeit – vielleicht auch deshalb weil wir meinten auch weiterhin die potenziellen Vermieterinnen und Vermieter, oft ältere, ur-schwäbische Ehepaare, locker duzen zu können oder weil der dicke schwäbische Dialekt für uns gleich Mandarin hätte sein können.
Ich musste zusagen, dass wir nach zwei Jahren wieder zurückfahren (so lange dachte ich, dauert die Promotion noch – wie man sich doch irren kann). Das Zauberwort ist aber wieder mal „Integration“. Nicht nur dauerte es länger mit der Forschung, sondern es kam im Anschluss noch der erste Job nach dem Doktor, Sarya kam auf die Schule, Eren war unterwegs (der einzige gebürtige Schwabe unter uns), … Und als es endlich soweit war dass wir die Zelte hätte abbauen können, wollte auch Seda nicht mehr zurück.
Natürlich vermissen wir die Heimat und die Berliner Schnauze, würden gern die Familie öfter sehen als wir es tun. Aber nun sind wir sowas wie Neuschwaben – und wollen es auch nicht mehr missen.
Lieber Inan, wir Blumes sind sehr froh, dass Ihr Inces nach Filderstadt und damit Baden-Württemberg gekommen seid! Ihr seid ein Gewinn für The Länd – aber auch einfach für unseren Freundeskreis. Wir freuen uns auf noch viel gemeinsame Zeit & auch auf noch viele Folgen von “Blume & Ince”!
Jetzt ist “Blume & Ince” ein voller Videocast, dessen Folgen sowohl als Podcast wie Videostream zur Verfügung gestellt werden