Überraschender Trend aus den USA: Protestanten häufiger im Gottesdienst als Katholiken?

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Am Abend vor Christi Himmelfahrt und angesichts der Atomvertrags-Kündigung der USA gegenüber dem Iran denken heute sicher etwas mehr Menschen ans Beten als sonst. Mich persönlich hatte jedoch ein aktueller Gallup-Datensatz aus den USA bei Religionwatch.com auf das Thema gemeinschaftliches Beten gestoßen, der einige etablierte Annahmen der Religions-(früher: Kirchen-)soziologie in Frage zu stellen scheint. Demnach hatte Carol Kuruvilla auf Huffington Post über einen starken Rückgang des Gottesdienstbesuches unter katholischen Christinnen und Christen in den USA berichtet. So weit, so Säkularisierung. Doch mich überraschte, dass die Befragungsdaten über eine Langzeitreihe anzeigten, dass inzwischen US-Evangelische sowie Christen ohne konfessionelle Identifikation häufiger den Gottesdienst zu besuchen angaben als ihre katholischen Geschwister.

Befragungsdaten zum Gottesdienstbesuch in den USA nach Konfession(en) seit 1955. Quelle: Lydia Saad, Gallup

Nun war ich doppelt überrascht: Selbst wenn ich annehmen konnte, dass die Einbeziehung der Kategorie “Christen” (ohne konfessionelle Nennung) für den kleinen Zuwachs des angegebenen Gottesdienstbesuches ab 2005 gesorgt haben könnte, so wäre der evangelisch-christliche Gottesdienstbesuch unter den US-Getauften seit 1955 doch erstaunlich stabil geblieben. Vor allem aber hatte ich auch noch gelernt, dass Katholiken tendenziell häufiger den Gottesdienst besuchen als evangelische Christen: Die katholische Lehre sei dazu klarer und stärker auf die Gemeinde bezogen (Priester spenden Sakramente), wogegen die evangelischen Lehren tendenziell stärker die individuelle Verbindung zwischen Gott und Menschen betonten. Auch spiele die Soziodemografie eine große Rolle: Katholisch geprägte Gesellschaften seien auch heute noch durchschnittlich weniger gebildet und ärmer als evangelisch geprägte Länder, entsprechend profitierten katholische Gemeinden etwa in Mitteleuropa oder Nordamerika von katholisch-frömmerer Zuwanderung etwa aus Osteuropa und Lateinamerika.

Bis zur Flüchtlingskrise war die Zuwanderung nach Deutschland vor allem christlich-katholisch und -orthodox geprägt. Quelle: Endstation Rechts & scilogs

Kein Wunder also, dass 2015 in Deutschland nur durchschnittlich 3,4 Prozent der evangelischen Christen im Sonntagsgottesdienst waren, dagegen aber 10,4 Prozent der katholischen Christen. Nur: Wie konnten dann die Gallup-Daten aus den USA ein dazu geradezu gegensätzliches Bild ergeben?

Klar lassen sich Methodik und Samples der Gallup-Umfragen hinterfragen – wir alle tendieren ja dazu, empirische Daten, die unsere gewohnten Ansichten zu widerlegen scheinen, erst einmal intuitiv zu beweifeln (vgl. die Kopftuchdebatte auch hier auf dem Blog). Allerdings halte ich es nach einigem Nachdenken für durchaus möglich, dass weitere Erhebungen und Beobachtungen den Langzeit-Trend aus den USA bestätigen könnten.

  1. In den USA werden Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht aus staatlich eingezogenen Kirchen- bzw. Kultussteuern, sondern aus freiwilligen Spenden und Mitgliedsbeiträgen finanziert. Zu den vielfachen – und keineswegs nur positiven – Auswirkungen gehört ein sehr viel intensiverer, religiös-demografischer Wettbewerb: Gerade auch evangelische und “non-denominational” Neugründungen in den USA mit intensiverem Gemeindeleben und Kinderreichtum ziehen Mitglieder mit immer wieder innovativen Angeboten an, wogegen in Deutschland die “Volkskirchen” ein breites Angebot bei niedrigerer Verbindlichkeit finanziert bekommen.
  2. Während in Deutschland also viele Getaufte einfach steuerzahlend Mitglieder in ihren Kirchen bleiben, weil sie die “Werte” und “Dienstleistungen” der Volkskirchen “gut finden”, ist die Mitgliedschaft in den USA stärker eine Frage der persönlichen Entscheidung und gemeinschaftlichen Bindung. Säkularisierung findet also auch in den USA weiterhin statt; aber eben mehr außerhalb der Kirchen, in Deutschland stärker “innerhalb” derselben.
  3. Während also Religion und auch Gottesdienstbesuche in Deutschland noch immer stärker als steuerfinanziertes, “öffentlich-rechtliches Angebot” erscheinen, werden sie in den USA sehr viel stärker über die (religiös-kinderreichen) Familien und Gemeinden tradiert, sind damit im Lebensvollzug präsenter.

Nochmal: Diese Überlegungen sind noch sehr vorläufig, zumal es weitere Datenquellen braucht. Da aber empirische Wissenschaft auch im ständigen Beobachten und Hinterfragen auch der eigenen Thesen und Annahmen besteht, wollte ich Sie einfach mal in diese Denk- und Prüfvorgänge mit hineinnehmen. Und klar interessieren mich auch Ihre Beobachtungen und Meinungen dazu!

#Religionswissenschaft

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

34 Kommentare

  1. US-Evangelikale würde ich nicht als Protestanten bezeichnen. Die bestehen aus kleinen verschworenen Gemeinschaften in denen Personen wie die deutsche Bischöffin Margot Kässmann undenkbar wären

    • @Martin Holzherr

      In den USA unterscheidet man Mainline Protestants von Evangelical Protestants. Aber angesichts von buchstäblich Tausender miteinander konkurrierender wie auch kooperierender Kirchen von verschiedenen Lutherans und Baptists bis zu den Amish braucht es weite Dachbegriffe. 🙂

  2. In Deutschland und Österreich ging die Zahl der katholischen Gottesdienstbesucher in den letzten zwanzig Jahren um etwa die Hälfte zurück. Verstärkt wurde dieser Trend durch die vielen Fälle von sexuellen Missbrauch sowie diverser Finanzskandale in der katholischen Kirche. Zudem prägt die Kirche immer weniger das kulturelle Leben der Menschen. Da kann der evangelische bayerische Ministerpräsident Markus Söder noch so viele Kreuze in die Amtsstuben des katholischen Freistaats hängen, es hilft nichts! 🙂

    • @Mona

      Danke sehr für den Beitrag! Üben wir ein wenig religionswissenschaftliches Denken über plakative Thesen hinaus, ok? 🙂

      Wie erklärt sich demnach der Rückgang auch der evangelischen Gottesdienstbesucher in Deutschland und Österreich? Wann und wodurch verlieren Religionen ihre „kulturelle Prägekraft“? Und warum stimmt eine Mehrheit der Bayern dem söderschen Kreuzanbringen sogar trotz Protesten aus den Kirchen zu? 🤔

      Jenseits der einfachen Antworten finden sich die Fragen, die weiterbringen! 🤓👍📚

      • @Michael Blume

        Ich denke nicht, dass ich das Ganze zu plakativ sehe, die Zahlen sprechen ja für sich. Wenn man sich Die Entwicklung der Kirchenmitglieder in Deutschland anschaut, so scheinen sich viele Gläubige der Kirche entfremdet zu haben. Wobei die Gründe zwischen katholischen und evangelischen Christen etwas unterschiedlich sind. So kam es nach den Missbrauchsfällen in kirchlichen Bildungsstätten zu einem starken Vertrauensschwund bei den Mitgliedern der kath. Kirche. Eine große Rolle scheint auch die Kirchensteuer zu spielen, so musste besonders die evangelische Kirche nach der Wiedervereinigung einen großen Mitgliederschwund verkraften.

        Zu Söders Kreuzaktion: Nach meiner Recherche lehnen die meisten Bayern diese Aktion ab und zwar nicht weil sie etwas gegen das Kreuz hätten, sondern weil ihnen die Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke (Bayerische Landtagswahl 2018) schlicht zuwider ist. Zudem wird das in der Regel ja radikalen Muslimen zur Last gelegt und nur um der AfD Stimmen abzujagen sollte die CSU das Land nicht weiter spalten. Auf der anderen Seite geht Die Prägekraft des Christentums durch einen Staat, der sich neutral verhält auch ein Stück weit verloren.

        • @Mona

          Den Vorwurf, „das Ganze zu plakativ zu sehen“ hatte ich gar nicht erhoben – sondern lediglich darauf hingewiesen, zwischen plakativen (einfaktoriellen) Thesen einerseits und wissenschaftlichen (mehrfaktoriellen) Erklärungen andererseits zu unterscheiden. Vielleicht sind Blogs für letztere aber tatsächlich nicht so gut geeignet – Kommentatoren nehmen sich das Recht zum munteren Vermuten; und warum auch nicht? 🙂

          Dazu übrigens auch: Während die Södersche Kreuzesinitiative bundesweit eher auf Ablehnung stieß, stimmten ihr 56 Prozent der erwachsenen Bayerinnen und Bayern spontan zu.
          https://www.t-online.de/nachrichten/id_83707294/umfrage-56-prozent-der-buerger-stimmen-kruzifix-vorstoss-zu.html

          Menschliches Verhalten ist halt oft nicht so einfach, wie es sich zunächst anfühlt…

  3. Der Gott aus der Bibel wird zunehmend uninteressant. Interessant und “modern” sind die Götter und Götzen aus der EsoterikSzene ( Reiki, Schamanen,Geistheiler,Wunderheiler etc.) Ihnen wird inzwischen mehr Macht und Heilkraft eingeräumt als den alten JAHWE in der Bibel. Und überall herrscht dieser hitzige Tanz ums goldene Kalb ! Ethische und moralische Prinzipien werden hier dem GötzenGott “GELD” geopfert. Selbst Teile der Amtskirche machen diesen irren Tanz um Gewinnspannen und Profite mit in dem sie – wie oben bei Mona erwähnt- in Finanzskandale verwickelt sind, Milliarden Werte horten, Arbeitskräfte unter Tarif bezahlen usw…Die AmtsKirche hat sich an den Kapitalismus angepaßt und spricht seine Sprache. Wer so denkt und handelt wirkt un-glaub-würdig,was viele Menschen mehr und mehr erkennen…

    • @Golzower

      Vielen Dank für Ihre Einschätzung!

      Darf ich zum Argument „der guten, alten Zeit“ nachfragen: Wann genau waren „die Kirchen“ denn weniger „materialistisch“ und weniger in Skandalen involviert als in den heute vermeintlich so schlimmen Zeiten? 🤔 Das Jahrhundert reicht! 🤓👍📚

  4. Zu Michael Blume:
    Ich habe meine Kindheit in der DDR verbracht. Als Junge habe ich die Christenlehre besucht und es ist vorgekommen, dass ich danach von Anderen auf der Straße verprügelt wurde, weil ich an Gott glaubte und nicht an die Diktatur der Arbeiterklasse (SED). Die Kirche in der DDR war meiner Ansicht nach weniger materialistisch.Wenn der Pastor mit dem Fahrrad zum Gottesdienst fährt und nicht mit einem Mercedes, dann wirkt das einfach auf mich glaub-würdiger.Meine Mutter, eine Bäckersfrau, hat den Pastor auch hin und wieder mit ” weltlicher Nahrung ” versorgt.
    Alle hatten materialistisch gesehen irgendwie nichts – und davon viel ! Aber sie waren irgendwie menschlich gesehen reicher !

    • @Golzower

      Auch meine Familie hat ihre Wurzeln in der ehemaligen DDR.

      Gleichwohl ist nicht von der Hand zu weisen, dass heute in den alten Bundesländern noch weit mehr Menschen zu den Kirchen halten als in den neuen. Nicht wenige Ostdeutsche begrüßten die Rolle der Kirchen in den friedlichen Protesten gegen die sozialistisch-atheistische Diktatur und der folgenden Wende; eine massive Welle an Taufen bzw. Rückkehr in die Kirchen blieb jedoch bislang aus.

  5. Mona
    Ihrer einfachen Erklärung über den Rückgang der Kirchenbesucher stimme ich zu.
    In der Werbewirtschaft gilt die Weisheit: Nicht das beste Produkt wird am häufigsten gekauft, sondern dass am besten umworbene Produkt. Imagepflege ist genauso wichtig wie die Qualität eines Produktes.

    Die römisch-katholische Kirche hat die Tragweite dieser Erkenntnis noch nicht verinnerlicht. Sie arbeitet zu wenig am Image der Kirche. Das Beispiel Kindesmissbrauch in kirchlichen Einrichtungen oder der Finanzskandal bei der Vatikanbank zeigen langfristig Wirkung. Papst Franziskus scheint der Einzige im Klerus zu sein, der das verstanden hat.
    Anmerkung: Es ist schlimm so argumentieren zu müssen, aber die Kirchenmitglieder denken zum Teil so.

    MB
    Die Gemeindemitglieder in den USA scheinen das auch so zu sehen. Die Protestanten sind von den Skandalen weniger betroffen, deshalb sind die Besucherzahlen fast konstant geblieben. Bei den Katholiken sind die Rückgänge dramatisch. Unterschätzen wir die öffentliche Meinung nicht!

    • @hmann

      Mit der Imagepflege hätte man früher beginnen müssen, aber als der Rückgang der Kirchenbesucher begann sah die Kirche keine Veranlassung zu einer wirklichen Reform.

      Ich lebe in Bayern und noch während meiner Schulzeit waren fast alle Kinder katholisch. Die Kirche hatte es also gar nicht nötig Werbung für sich zu machen, sie besaß die unumschränkte Autorität und wer Kritik an ihr übte wurde aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Als die 1968er Bewegung begann sich gegen den Staat und seine Autoritäten aufzulehnen betraf das auch die Kirchen. Außerdem war gerade zuvor die Enzyklika Humanae Vitae Pauls VI. erschienen, welche die Verwendung der Pille zur Empfängnisverhütung verbot. Im gleichen Jahr fand auch der Kirchentag in Essen statt und da hatte das Klima des Protests auch die Katholiken erfasst. Man forderte eine andere Kirche und ein Mitspracherecht für die Laien, kurzum mehr Demokratie. Zudem wollte man wissen, welche Rolle Papst Pius XII. im Holocaust gespielt hatte und warum er sich gegen die Gräueltaten der Nazis nicht aufgelehnt, sondern geschwiegen hatte. Um weiteren Protesten aus dem Weg zu gehen führte die Kirchenhierarchie mit der Würzburger Synode (1971-75) einige Reformen durch, die jedoch nicht weit genug gingen. Als Hardliner erwies sich dabei Professor Josef Ratzinger, der später Papst Benedikt XVI. wurde. Anstatt sich auf wirkliche Reformen einzulassen bezog er sich auf die Tradition. In Fragen zur Gleichberechtigung der Frauen, zur Homosexualität oder der Ehelosigkeit für Priester hielt er an überkommenen Vorstellungen fest und übersah dabei, dass immer mehr Schäfchen die Herde verließen. Die schon erwähnten Fälle von sexuellen Missbrauch sowie das Bekanntwerden diverser Finanzskandale taten dann ein Übriges.

    • @Peter Müller

      Die Religionswissenschaft erforscht selbstverständlich auch „esoterische“ (geheime, innerliche) Traditionen.

      Und die bleibende Relevanz von Religionen zeigt sich ja nicht nur kulturell, demografisch und politisch, sondern auch z.B. in Ihrer Feindbild-Faszination gegenüber dem Islam, den Kirchen und dem Judentum. Es gelingt auch Ihnen ja erkennbar nicht, diese zu ignorieren. 😉 Religionswissenschaft eröffnet Ihnen eine Möglichkeit zur sachlichen Information neben anderen wie z.B. dem Dialog. 🙂

      • Religionen sind nicht meine Feinde. Ich finde sie nur genauso schwachsinnig wie Horoskope und Wunderheiler und kann nicht verstehen, warum man sich wissenschaftlich damit befassen sollte. Ganz besonders arg wird es aber, wenn Reliogionen aufgrund von Märchenbüchern politische Forderungen und Ansprüche stellen, weil ihr Märchenonkel ihnen darin etwas “versprochen” hätte.

        • @Peter Müller

          Nun, selbst in Ihrer Ablehnung von Religionen können Sie ja deren motivationale und mittelbar auch demografische, kulturelle und politische Macht nicht leugnen.

          Es ist nun ganz Ihre Entscheidung, ob Sie es beim Verhöhnen und „Wegwünschen“ belassen, oder ob Sie die Angebote der Wissenschaften nutzen, das Ganze besser zu verstehen.

          Your choice. Die biokulturelle Evolution geht so oder so weiter…

  6. MB,
    Frauen und Zölibat,
    Nach Meinung des rk. Gemeindepriesters, mit dem ich gelegentlich spreche , Ja.
    Er meinte : Im 19. Jahrhundert hat die Kirche die Arbeiterschaft verloren, im 20. Jahrhundert haben sie die Frauen verloren. Da ist was dran. die Frauen machen die Gemeindearbeit und bekommen keine Anerkennung.Die Aufwertung von “Mariä Himmelfahrt” ist schon mal der richtige Schritt, kommt aber sehr spät.
    jetzt dürfen auch die Diakone die Sakramente spenden, ist richtig, kommt auch zu spät.
    Mit dem Zölibat geht es an das Eingemachte.
    Ich habe keine Ahnung, wie die Meinung des Klerus in Rom darüber ist.
    Da sollte die Kirche mehr Öffentlichkeitsarbeit betreiben.

  7. Der Katholizismus lebt sehr von Tradition. Der Begriff “Tradition” meint dabei nichts anders als Übergabe/Weitergabe. Um Glaubensinhalte und Rituale weiterzugeben braucht es eine Gemeinschaft, die diese hegt und pflegt. Das aber wird in Zeiten der Globalisierung (mit der damit einhergehenden Mobilität) zunehmend schwerer, da die Gemeinschaft zerfasert. Der Priestermangel wirkt hier als Katalysator. Wer an einem Wochenende mindestens 3 Gottesdienste halten muss, hat kaum Zeit zur Beziehungspflege mit seinen Gemeindemitgliedern. Und wer von einer Eucharistiefeier zur nächsten hetzt, wird kaum Muße haben, andere liturgische Formen zu pflegen, wie z.B. das gemeinsame Stundengebet, Andachten, Segensfeiern oder Prozessionen.

    Martin Mosebach zitiert in seinem Buch “Häresie der Formlosigkeit” einen Jesuitenpater, der ihm gegenüber sagte, dass es grundsätzlich zwei verschiedene Arten gebe, sich katholische Glaubensinhalte anzueignen: entweder über ein aufwendiges Studium, oder über eingeübte Praxis. Letztere scheint den Katholiken abhanden zu kommen.

    • Danke, @UJ! Der anhaltende Priestermangel dürfte tatsächlich ein weiterer Grund für die beschriebene Entwicklung sein, der ja wiederum mit dem Zölibat verbunden ist, aber über diesen noch hinausweist.

  8. UJ
    fehlende Zeit
    Sie haben das Problem der Kirche angesprochen. Die Pfarrer sind überlastet, die Mitarbeiter sind schlecht bezahlt, aber es werden immer noch neue Kirchengebäude gebaut. Man sollte die Mitarbeiter besser bezahlen und Kirchen aufgeben , mit anderen Konfessionen zusammenarbeiten, Kirchen gemeinsam nutzen, und “Werbung” für Kirche machen. Einige Pfarrer tun das schon. Unser ev. Pfarrer bietet Tanzkurse an. Sollt man sich zum Vorbild nehmen.

  9. Zum Priestermangel: Es scheint, als habe die kath. Kirche bereits ein Konzept gefunden diesen zu kompensieren. Das Magazin Cicero behauptet sogar, dass der Priestermangel gewollt sei, um „Pfarreien neuen Typs“ zu installieren. „Die schrumpfende Kirche in Deutschland soll zur basiskirchlichen Partizipationsgemeinschaft der Engagierten werden. Als Vorbild dient das Wirken des Pastoralinstituts Bukal ng Stipan, wohin mittlerweile fast jedes Bistum seine Emissäre verschickt.” Dazu muss man wissen, dass die meisten der über hundert Millionen Philippinos katholisch sind, es aber nur wenige Priester gibt. Daher sind übergroße Pfarreien seit jeher üblich. Gemäß diesem Vorbild wird nun auch in Deutschland versucht den Priestermangel durch die Vergrößerung von pastoralen Einheiten zu beheben. „Entstehen soll keine dezidiert priesterlose, aber priesterreduzierte humanitäre Aktionsgemeinschaft: „journeying with people towards a participatory church” („mit den Menschen einer partizipativen Kirche entgegen reisen“).”
    https://www.cicero.de/kultur/katholische-kirche-der-priestermangel-ist-gewollt
    (Interessant dazu auch die Kommentare.)

  10. @hmann
    So schlecht bezahlt sind Hauptamtliche in der katholischen Kirche in Deutschland auch wieder nicht. Pfarrer und Pastoralrefereten (und -referentinnen!) verdienen in etwa soviel wie ein Studienrat, während Gemeindereferenten/ -innen ähnlich verdienen wie ein Grundschulpädagoge.
    In Frankreich z.B. sieht die Sache schon anders aus. Dort verdient ein Priester nicht mehr als eine Friseurin und das ist, nach 10 Jahren Ausbildung, dann doch recht heftig. Sicher: Wer Millionär werden will, ist in einem kirchlichen Beruf falsch. Ein Auskommen sollte er/sie aber schon haben.

    Was den “gewollten” Priestermangel angeht:
    Ich stehe dieser These eher skeptisch gegenüber. Es ist keinesfalls so, dass sich die Priesterseminare in Deutschland kaum vor Bewerbern retten könnten, die dann aus kirchenpolitischen Gründen abgelehnt würden, im Gegenteil: die Interessentenzahlen gehen seit Jahren zurück. Hinzu kommt, dass nicht jeder Interessent automatisch aufgenommen und später dann Priester wird. Viele springen während des Studium wieder ab – nicht nur aus zölibatären Gründen, auch wenn diese natürlich eine große Rolle spielen.

    In Deutschland hat die katholische Kirche jedoch den Vorteil, dass sie nicht allein auf Priester als Hauptamtliche angewiesen ist: Es gibt Gemeindereferenten, Patoralreferenten (beide Berufe können auch von Frauen ausgeübt werden), sowie den Beruf des (verheirateten) ständigen Diakons. Jedoch gehen auch hier die Interessentenzahlen zurück. Es handelt sich also mitnichten um ein reines Priestermangelproblem.

    Auch mit dem Laienengagement ist es so eine Sache. Man frage einmal den katholischen Pfarrer seines Vertrauens, wie denn die Wahlbeteiligung bei den letzten Kirchengemeinderatswahlen war und wie leicht oder schwer man sich tat, Kandidaten zu finden. In der Regel wird die Antwort so lauten: Wahlbeteiligung bei um die 30 % (was schon gut ist), die Kandidatensuche ist meist sehr schwierig, zumal das Wahlrecht in vielen Bistümern vorsieht, dass zwingend mehr Kandidaten als Gemeinderatssitze vorhanden sind.

    Diejenigen, die in den Gremien mitarbeiten zählen oft zu den Engagiertesten innerhalb einer Kirchengemeinde: Sie engagieren sich in der Regel oft auch in der Jugendseelsorge, der Krankenseelsorge, der Kirchenmusik oder anderen Bereichen.
    Allerdings beansprucht die Gremienarbeit inzwischen derart viel Zeit, dass für klassisches “zwischenmenschliches Engagement” innerhalb der Gemeinde kaum noch Ressourcen übrig sind.

    Das sorgt vielerorts für Frust:
    Vielen fällt es nicht schwer, Christus in den Armen, Kranken und Schwachen zu begegnen. Das ist ja immerhin Kern des christlichen Glaubens. Wie man Christus aber in Tagesordnungen und Sitzungsprotokollen finden soll, das fragen sich inzwischen nicht nur die Laien. Auch für viele Hauptamtliche ist die ausufernde Gremienarbeit zunehmend nervtötend geworden, weil sie einen großen Teil der persönlichen Ressourcen bindet, die dann an anderer Stelle fehlen. Sicher: “Klassische” Seelsorgearbeit erfordert auch einiges an Kraft und Ressourcen. Es ist jedoch eine Tätigkeit, die als sinnvoll erfahren wird. Das kann man von der Arbeit in den Gremien oft nur bedingt behaupten. Dass die Burnoutrate unter den Hauptamtlichen zunimmt und sich immer mehr engagierte Ehrenamtliche zurückziehen ist daher kein Wunder.

  11. Es wurde oben schon angesprochen – mit “evangelische Christen” sind hier im US-Kontext ja nicht in erster Linie Lutheraner gemeint, wie wir das im deutschen Kontext annehmen würden, oder?

    Also alles von Pfingstkirchen, Baptisten, diverse Freikirchen etc. etc?
    Vielleicht sitze ich da einem Klischee auf, aber manche dieser “Megachurches” scheinen ja einen Event aus dem Gottesdienst zu machen, mit plakativen, ins Prophetische gehenden Botschaften charismatischer Prediger, Visionen, Zungensprechen, Krankenheilungen etc etc. Dass das für viele attraktiv ist, kann ich verstehen.
    Ich will das auch gar nicht bewerten, nur noch das hier von “Little Britain”: Ein US-Prediger auf Austausch in einer anglikanischen Dorfkirche in England…

    https://www.youtube.com/watch?v=l6BzBntT_w8

    (zugegeben, sehr grenzwertiger britischer Humor, v.a. auch wg ‘blackfacing’… Aber schon auch “to the point”, was unterschiedliche Gottesdiensterfahrungen in charismatischen US-Kirchen und europäischen Amtskirchen angeht).

  12. UJ
    …Kirchengemeinderat…
    Warum ist die Wahlbeteiligung so niedrig, warum gibt es so wenig Kandidaten?

    Meine Meinung: Zu wenig Öffentlichkeitsarbeit. Was macht der Kirchengemeinderat ? Keine Ahnung. Worüber stimmt er ab ? Keine Ahnung . Welche Befugnisse hat er ? Keine Ahnung. Warum werden im Gemeindeblättle nicht solche Themen angesprochen. Warum soll ich abstimmen, wenn ich nicht weiß wofür?
    Ich denke, die Gemeinde müsste viel mehr einbezogen werden bei anstehenden Aufgaben. Bei uns wurde der Kirchenvorplatz neu gestaltet. Wer hat das entschieden? Daran liegt es. Etwas mehr basis-Demokratie ware gut.

  13. Am “steuerfinanzierten, öffentlich-rechtlichen Angebot” der deutschen Kirchen kann man viel kritisieren. Aber das Gegenteil – ein kapitalistisches, an Angebot und Nachfrage ausgerichtetes Angebot – hat auch so seine problematischen Seiten.

    Hier berichtet John Oliver über einen US-Fernsehpastor, der sich von den Gläubigen einen Privatjet finanzieren lässt:

    https://www.youtube.com/watch?v=7y1xJAVZxXg

  14. Mona
    Danke für den Link
    Meine Fragen waren rhetorische Fragen.
    Kirche geht alle an. So sollte es sein.
    Es braucht Öffentlichkeitsarbeit, damit Kirche wieder in den Focus gerät.
    Vorallem müssten auch unsere Migrantenfamilien angesprochen werden.
    Kann eine Christin einen ungetauften Migranten heiraten?
    Darf ein Nichtchrist zur Eucharisti?
    Solche Themen sind akut, weil Flüchtlinge im Land sind.
    Die Kirche sollte solche Themen aufgreifen .

  15. Warum sollte jemand in einen Gottesdienst gehen wenn dort nicht die Sehnsucht nach Transzendenz gestillt, sondern über Tagespolitik schwadroniert wird?

    • @Alex

      Komisch – ich bin oft im Gottesdiensten. Um #Tagespolitik ging es dabei selten, um Parteipolitik nie.

      Woher stammt Ihre negativ pauschalisierende Einschätzung? Lassen Sie mich raten – aus Ihren ausgewählten Medien? 🤔

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