The Zone of Interest – Filmgespräch mit Schulen & Bildersturm-Podcast über eine Verstörung

“Schulkinowoche”, das klingt nach Popcorn und leichter Unterhaltung. Aber als mich das Landesmedienzentrum Baden-Württemberg für den krassen Film “The Zone of Interest” mit etwa 400 Schülerinnen und Schülern von der 9. bis zur 13. Klasse verschiedenster Schulen anfragte, war ich vom Mut doch beeindruckt. Weil ich aber Medien wie auch den Film für noch immer deutlich unterschätzt halte, sagte ich zu.

Der Journalist Thomas Rahmann eröffnete seinen Bericht über den Film und die anschließende Diskussion für die Stuttgarter Nachrichten mit den Sätzen:

“Die Zuschauerreihen im Innenstadtkino Gloria verschwinden im Dunkeln und damit auch ein ungewöhnliches Bild: Fast 400 Schülerinnen und Schüler sitzen im Publikum. Auf der Kinoleinwand eine Familie an einem Badesee in Aufbruchstimmung. Eine Frau hat ein Baby auf dem Arm, die größeren Kinder und der Familienvater tragen noch Badekleidung. Im fast vollen Kinosaal ist zunächst die Geräuschkulisse der plaudernden Schülern zu hören, dann wird es immer stiller – und bis zum Ende des Films nahezu geräuschlos.”

Bericht der Stuttgarter Nachrichten über eine Veranstaltung des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg mit Dr. Michael Blume unter dem Titel: Schulkinowoche in Stuttgart. Wie Schüler auf "The Zone of Interest" reagieren.

Stille während des Films, eine intensive Diskussion mit Moderatorin Meis Alkhafaji danach: Der Bericht von Thomas Ramann in den Stuttgarter Nachrichten steht weiterhin online. Screenshot mit Link: Michael Blume

Ich muss sagen, dass ich den Film “The Zone of Interest” über die Familie des KZ-Kommandanten und Massenmörders Rudolf Höß in Auschwitz für außerordentlich emotional, anspruchs- und voraussetzungsvoll halte – und sehr erleichtert war, dass die meisten Schülerinnen und Schüler sich darauf einließen. Selbst im kurzen Trailer wird schon deutlich, dass es sich eher nicht um einen Streifen handelt, den Minderjährige alleine schauen sollten.

Der Film und die kritisch-konstruktive Diskussion darüber waren mir so wichtig, dass ich auf eine Anfrage des Podcasts “Bildersturm: Glotzen & Glaube” der beiden Theologen Magnus Johannes Großmann und Elmar Spohn positiv reagierte. Wir nahmen uns über eine Stunde Zeit, um die Tiefen und auch Untiefen des Filmes, der Wiederkehr des Faschismus und die These vom Holocaust als “Zivilisationsbruch” zu diskutieren. War das NS-Regime wirklich nur die kurze Unterbrechung einer säkularen Fortschrittsgeschichte? Oder könnte es sein, dass das 21. Jahrhundert uns vor die Frage stellt, ob das 20. Jahrhundert mehr als nur ein Unfall im Zeitstrahl war? Sollten wir uns als Menschen bis in unsere Welt-, Zeit- und Zukunftsdeutung hinein in Frage stellen lassen, damit “Nie wieder ist jetzt!” nicht zu einer hohlen Floskel verkommt?

Hier die heute aufgenommene und gestreamte Folge von “Bildersturm” mit dem Titel “Verstörend und hochaktuell – The Zone of Interest” zum Hören, Bedenken und gerne auch Weiterdiskutieren.

Screenshot der Spotify-Präsenz des Film-Podcasts "Bildersturm: Glotzen & Glauben" auf Spotify.

Den Podcast “Bildersturm” gibt es auch, aber nicht nur auf Spotify. Screenshot: Michael Blume

Auch wenn ich mich sehr bemühe, die Stimmung nicht ins Bodenlose kippen zu lassen, möchte ich doch eine Triggerwarnung vorwegschicken: In dieser Podcast-Folge geht es nicht um Film-Unterhaltung, sondern um eines der schwierigsten und schmerzhaftesten Themen der Menschheitsgeschichte. Wer sich gerade emotional belastet fühlt, sollte sich gut überlegen, ob “The Zone of Interest” und das Gespräch darüber gerade auch eine Überforderung darstellen könnten. Die Altersbeschränkung auf nur 12 Jahre habe ich für gewagt gehalten – und sage das auch so. Die pädagogische Vor- und Nachbereitung in der Schulkinowoche war wichtig. Ich würde aber auch Erwachsenen empfehlen, diesen Film nicht alleine anzuschauen, ihn danach miteinander zu besprechen.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Lehrbeauftragter am KIT Karlsruhe, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus und für jüdisches Leben. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren für das Fediversum, Wissenschaft und Demokratie, gegen antisoziale Medien, Verschwörungsmythen und den Niedergang Europas.

4 Kommentare

  1. Guten Abend, @Michael Blume.

    Ich habe mir dieses Gespräch angehört und möchte kurz Rückmeldung geben. Den Film habe ich (noch) nicht gesehen, kenne aber Deine Zeitenumbruch-These. In diesem sehr ruhigen Gespräch fand ich sie dann doch sehr gut dargestellt, vor allem haben mich die Gedanken tief berührt. Das liegt vielleicht daran, dass das Gespräch durch die grausame Geschichte, die dem Film zugrunde liegt, sozusagen „grundiert“ war.

    Besonders inspirierend fand ich die Gedanken zum Hörsinn und seinen religionsgeschichtlichen Bezügen. Im vorherigen Blogpost hatten wir ja das Thema Licht und Zeit angesprochen, worauf @Elisabeth K die Bedeutung des Lichts für unsere menschliche Perspektive eingebracht hat.

    Es wurde ja gesagt, dass Licht (allgemein: elektromagnetische Strahlung) aus Sicht der Relativitätstheorie in einem direkten Zusammenhang mit der Relativität der Zeit steht.

    Das Licht ist das Element des Sehsinnes.

    Was die Wahrnehmung betrifft, so können wir uns akustischen Reizen schwerer entziehen als optischen. Ein Geräusch drängt sich uns unmittelbarer auf: Wenn wir etwas nicht sehen wollen, müssen wir (in den meisten Fällen) einfach den Kopf drehen und den Blick abwenden. Akustische Reize hingegen wirken unmittelbarer, mitunter aufdringlicher und sind schwerer auszublenden.

    Ich betreibe immer wieder sound-Recording in der Natur. Daher kann ich sagen, dass mich das gezielte Fokussieren auf den Hörsinn dann oft „erdet“. Das Aufnehmen von Geräuschen wie Meeresrauschen, Vogelgesang oder Grillenzirpen ist für mich wohltuend und spannend. Dabei verschließe ich oft die Augen, um die akustische Dimension intensiver wahrzunehmen. Doch gerade in solchen Momenten wird mir deutlich, wie sehr unsere Welt von akustischem „Schmutz“ durchzogen ist: Selbst an einsamen Orten ist es kaum möglich, den Rhythmus des Grillenzirpens länger als ein paar Minuten ungestört aufzunehmen, ohne dass der Lärm eines fernen Motorrads oder Flugzeugs das Klangbild stört. Solche Erfahrungen schärfen das Bewusstsein dafür, wie „aufdringlich“ akustische Reize wirken.

    Aus einer anderen Perspektive betrachtet, hat das Hören eine einzigartige emotionale Qualität: Geräusche und musikalische Klänge gehen oft unmittelbarer „auf’s Gemüt“ und lösen starke Emotionen aus. Gleichzeitig zwingt der Hörsinn eine lineare Wahrnehmung, ein „Nacheinander“.
    Wie es in James Joyces „Ulysses“, im „Proteus“-Kapitel, wunderschön ausgeführt wird:

    „Ineluctable modality of the visible: at least that if no more, thought through my eyes. Signatures of all things I am here to read, seaspawn and seawrack, the nearing tide, that rusty boot. Snotgreen, bluesilver, rust: coloured signs. Limits of the diaphane. But he adds: in bodies. Then he was aware of them bodies before of them coloured. How? By knocking his sconce against them, sure. Go easy. Bald he was and a millionaire, maestro di color che sanno. Limit of the diaphane in. Why in? Diaphane, adiaphane. If you can put your five fingers through it it is a gate, if not a door. Shut your eyes and see.

    Stephen closed his eyes to hear his boots crush crackling wrack and shells. You are walking through it howsomever. I am, a stride at a time. A very short space of time through very short times of space. Five, six: the nacheinander. Exactly: and that is the ineluctable modality of the audible. Open your eyes. No. Jesus! If I fell over a cliff that beetles o’er his base, fell through the nebeneinander ineluctably!“

    Das „Nacheinander“ beschreibt die zeitliche Sukzession, wie Klänge oder Ereignisse in der Zeit aufeinander folgen – ein linearer Verlauf, der sich im Hören entfaltet. Der Hörsinn erzwingt die Wahrnehmung eines zeitlichen Flusses.

    Das „Nebeneinander“ hingegen steht für die simultane räumliche Anordnung, die durch den Sehsinn wahrgenommen wird. Das Sehen ermöglicht es, Dinge gleichzeitig und nebeneinander im Raum zu erfassen, während das Hören uns in eine Abfolge in der Zeit zwingt.

    Aus menschlicher Perspektive ist es also umgekehrt als weiter oben angedeutet: Das Licht steht (primär) für Wahrnehmung von Objekten im Raum, während der Ton unmittelbar und zwingend uns die Wahrnehmung einer zeit-lichen Abfolge aufzwingt.

    Ich habe den Film, wie gesagt, noch nicht gesehen, aber vielleicht sind solche Überlegungen hilfreich, um die (von Euch so eindrucksvoll bezeugte) Wirkung des Filmes besser zu verstehen. Das sind nur ein paar Ideen dazu.

    • Vielen lieben Dank, @Peter Gutsche 🙏

      Tatsächlich knüpfen Deine wertvollen Beobachtungen gleich an zwei Zeit-Themen an, die mich sehr bewegen.

      Zum einen ist da die Linearität der „westlichen“ Zeiterfahrung, die sich nur aus dem Alphabet 🆎 und der verschrifteten – mit Alphabet-Buchstaben vertonten! – Musik 🎶 ergibt: Während jeder Laut und jedes Symbol auch für sich aus der Vergangenheit spricht – und also zyklische Zeiterfahrungen bestärkt -, entstehen erst erst im Nacheinander der Buchstaben Worte und Sätze, im Nacheinander der Musik-Noten „Stücke“.

      Für mich zählt beispielsweise „Time“ von Hans Zimmer zu den größten Musikstücken ever. Aber auch etwa „Was ist Zeit? – Tausend Jahre sind ein Tag“ von Udo Jürgens drückt dies in Ton und Text aus.

      Zum zweiten gebe ich Dir Recht, dass die Zeitenumbruch-These gesprochen sehr viel stärker wirkt als geschrieben. Als ich sie etwa beim Recovery College Stuttgart in geraffter Form vortrug, gab es nicht nur Applaus. Es sprachen mich auch viele Menschen zustimmend dazu an und einer fragte sogar nach der einzigen Zeiterfahrung, die ich nicht erwähnt hatte: der mystisch-spirituellen Zeiterfahrung!

      Es scheint also wirklich so zu sein, dass unsere Emotionen besser über das gesprochene Wort erreicht werden können – was ja auch erklärt, warum auch alle (!) Schrift- und Alphabet-Religionen auf gesprochenen Auslegungen und Predigten bestehen.

      Weitere Bezüge, die mich interessieren, sind wirklich Licht und Wasser(stoff?). Ich fand es faszinierend, dass Du Deinen wunderbaren Blogpost zu den Relativitätstheorien und der Raumzeit mit dem starken Foto von Licht beschienener Wellen bebildert hast!

      Gleichwohl glaube ich, dass sich das Erkennen diese feinen Bezüge nicht erzwingen lässt, sondern Ruhe, Spiel und vor allem Dialog benötigen. Auch deswegen höre und lese ich dazu viel und gebe den Themen – Zeit.

      Dir herzlichen Dank für die dialogische, interdisziplinäre und wertschätzende Begleitung ins Feine und Leise – dies bedeutet mir viel! Frohe Weihnachten! 🙏🙌🎄

  2. Den Podcast habe ich mir angehört. Um diese Folge zu verstehen, müsste ich wahrscheinlich den Film gesehen haben. In der jetzigen Lage schaffe ich es nicht.

    Daher kann ich mich dazu auch nicht äußern. Mir ist es aber wichtig darauf hinzuweisen, dass von den geplanten Sparauflagen des Berliner Senats auch die Stiftung Topographie des Terrors und das Haus der Wannsee-Konferenz betroffen sind. Es erschüttert mich, wenn ich lese, dass bei der Topographie des Terrors auch der Erhalt der historischen Bausubstanz betroffen wäre! Von den Einschnitten ins Programm ganz zu schweigen.

    Filme wie The Zone of Interest sind wichtig, aber die historischen Orte sind es auch. Bei manchen Veranstaltungen der Topographie des Terrors gibt es einen Livestream, den ich gerne nutze. Kenntnisreiche Experten wie Michael Wildt, Peter Longerich, Manfred Görtemaker, Johannes Tuchel uvm. bringen den Zuhörern Facetten, Täter und Opfer des Nationalsozialismus nahe.

    In einer Zeit, in der Regime die Geschichte ihrer Länder umschreiben, braucht es Gedenkstätten.

    Ich kann mich noch an die Ausstrahlung von “Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß” erinnern. Dadurch wurde auch bei uns klar, was die jüdischen Menschen erlitten hatten. Es soll aber nicht unter den Tisch fallen, dass dieser Mehrteiler umstritten war. In einer vor einigen Jahren im TV gezeigten Dokumentation über die Dreharbeiten von “Holocaust” kam zur Sprache wie sehr mancher Schauspieler an seine psychischen Grenzen kam.

    Es bleibt uns unverständlich, dass das Grauen in Auschwitz von der Familie so ausgeblendet werden konnte. Daher finde ich es wichtig, sich mit dem Werdegang der Täter zu beschäftigen. Auch daraus lernt man etwas.

    Die Welt sitzt wieder auf einem Pulverfass und Leute, die die Lunte legen gibt es viele.

    • Vielen Dank für den engagierten Kommentar, @Marie H.

      Ja, ich sehe schon und mit Sorge, dass in Berlin und bundesseitig im Bereich von Erinnerungsarbeit und Zivilgesellschaft gekürzt wird. Baden-Württemberg musste gerade erst zusätzliches Geld für die Beratungsstelle OFEK für Betroffene von Antisemitismus bereitstellen. Und nicht zufällig habe ich auch persönlich einen Spendenaufruf für HateAid getätigt, deren Arbeit gegen Hass im Netz dringender ist denn je.

      Generell sehe ich schon das Problem, dass Gedenkstätten eher von den Menschen besucht werden, die bereits entsprechendes Wissen und ein Gefühl von Verantwortung haben. Filme sind ein Mittel, auch weitere, zugewanderte und junge Menschen für die Befassung mit Geschichte zu gewinnen – deswegen war mir die aktive Beteiligung an der Schulkinowoche so wichtig. Auch habe ich gegenüber dem SWR-Intendanten Kai Gniffke dafür geworben, dass Joachim A. Lang nach seinem beeindruckenden Film „Führer und Verführer“ zu Goebbels Propaganda noch den geplanten Film über das KZ Theresienstadt umsetzen kann.

      Aus meiner Sicht ergänzen sich starke Filme und Gedenkstätten also – jene informieren und prägen ihr Publikum, aus dem sich dann auch zukünftiges, ehrliches Interesse an Erinnerungskultur bildet. Wenn uns nicht beides gelingt wird, so fürchte ich, die Geschichte zu immer weniger Menschen sprechen.

      Vielen herzlichen Dank für Ihr Interesse und Ihren konstruktiven Kommentar! 🙏✅🤔

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