Silberne Hochzeit – 25 Jahre christlich-islamischer Monismus mit Dank an Paula & Martin Buber

In der großen Philosophiegeschichte der Menschheit haben sich nur drei Grundfiguren herausgebildet, über die wir alle andere Menschen und unsere Mitwelt wahrnehmen: Im dialogischen Monismus erleben wir uns als vielfältige Teile einer gemeinsamen Welt. Im feind-seligen Dualismus markieren wir einen Teil der Welt und der Mitmenschen als vermeintlich absolut böse und verschwörerisch. Und im Relativismus meinen wir, es gäbe so etwas wie Wahrheit und eine gemeinsame Welt gar nicht. Während die wissenschaftlichen Erkenntnisse – zum Beispiel über die biokulturelle Evolution von Religiosität und Religionen – immer klarer für einen emergenten Monismus sprechen, bleiben Letztbeweise nach Karl Popper unmöglich und jede der drei Weltwahrnehmungen denk-bar.

Von all diesen hoch-philosophischen Begriffen hatten Zehra und ich selbstverständlich noch kaum eine Ahnung, als wir uns vor 25 Jahren das deutsch-türkische und christlich-islamische Ja-Wort gaben. Das Internet war ja noch kaum entfaltet und so konnten wir die ersten Attacken von dualistischen Rassist:innen und religiösen Dualist:innen einfach abtun und weglächeln. Und weil es immer wieder auch ehrlich interessierte Fragen gab, erlaubten wir schließlich dem Journalisten Andreas Malessa, unsere gemeinsame Geschichte in “Eine Blume für Zehra” zu recherchieren und aufzuschreiben. Wer sich also ehrlich interessierte, konnte (und kann) wissen.

Foto-Collage zu unserer Hochzeit im Juni 1997 und unserer Silbernen Hochzeit 2022. Grafik: Zehra Blume

Während wir – beide aus Arbeiterfamilien stammend – uns auch ein erfolgreiches Berufsleben aufbauten und drei Kinder großzogen (ich u.a. auch ein Sonderkontingent für über 1.000 ezidische Frauen und Kinder aus dem Irak leitete), nahm der dualistische Hass über das Internet immer weiter zu. Für Rechtsaußen-Blogger etwa der sog. “Achse des Guten” wie auch für religiöse Dualisten aller Art war und ist es einfach unvorstellbar, dass etwa gleichgeschlechtliche, aber eben auch inter-ethnische und inter-religiöse Familien gelingen können – entsprechend griffen und greifen sie LGBTQ+-Paare und auch uns als “gemischtes” Hetero-Paar mit ihren sexualisierten Fantasien immer wieder an.

Selbstverständlich haben wir uns von diesen meist älteren, verbitterten Hatern nie einschüchtern lassen, sondern deren digitale Angriffe für Aufklärung genutzt – und schicken gerade auch den SLAPPern unter ihnen gerne hin und wieder Luftballons (hihi). Und anlässlich unserer Silbernen Hochzeit erklärten wir uns daher auch zu einem Interview in der christlichen Sendung “Alpha und Omega” bereit, das nun auch auf YouTube steht.

Dank an Wegbereiter:innen wie Paula und Martin Buber

Selbstverständlich ist uns dabei völlig bewusst, dass die Freiheit, die wir leben und ausfüllen dürfen, von Generationen vor uns erkämpft wurde. Wären Zehras Eltern nicht als sogenannte Gastarbeiter aus der Türkei / Türkiye gekommen, hätte sie als Frau nie die Bildungs- und Entfaltungschancen erhalten, die sie ergriff. Und hätten sich meine Eltern nicht gegen die DDR-Diktatur aufgelehnt, hätte ich meine Kindheit gar nicht in der vielfältigen Demokratie von Baden-Württemberg verbringen können.

Unvergessen sind aber auch die Millionen evangelisch-katholischer Familien, die in Deutschland gegen den Widerstand vor allem des Vatikan staatliche, kirchen-unabhängige Standesämter erst erkämpften. (Die Republik Israel hat solche leider bis heute nicht, “gemischte”, israelische Paare heiraten daher oft in europäischen Staaten, etwa auf Zypern.)

Für mich ein persönliches Vorbild bildet aber auch die erfolgreiche Ehe des Habsburger Juden Martin Buber mit der Münchnerin, in einem Nonneninternat erzogenen Paula Winkler. Der Student und die bereits examinierte Grundschullehrerin, die gerade einer deutsch-islamischen Sekte in Tirol entkommen war, begegneten sich 1899 an der Universität Zürich. (Drei Jahre zuvor hatte an der gleichen Universität auch Albert Einstein seine erste Ehefrau, die serbische Christin Mileva Maric, kennengelernt.)

Kein Jahr nach dem Kennenlernen von Paula und Martin wurde im Juli 1900 der gemeinsame Sohn Rafael geboren – in Sils, dem langjährigen Wohnort des noch krank dämmernden Friedrich Nietzsche (1844 – 1900). Ein Jahr später folgte die gemeinsame Tochter Eva. Paula trat 1901 aus der katholischen Kirche aus, schrieb mehrere pro-zionistische Texte und Artikel und konvertierte dann 1907 auch religiös zum Judentum. Erst dann – nach dem Tod des traditionellen Großvaters Salomon Buber (1827 – 1906) – heirateten die beiden auch standesamtlich; bis dahin hatten sie in damals sogenannter “wilder Ehe” auch ihre Kinder großgezogen. Und weil Paula bei der Geburt der beiden also noch nicht zum Judentum konvertiert war, würden später nicht wenige den Buber-Kindern und -Enkelinnen die Zugehörigkeit zum Judentum absprechen.

Nach einer Scheidung des Sohnes nahmen die Bubers die beiden Enkelinnen Barbara und Judith in ihren Haushalt und es gelang ihnen am 12. März 1938 – dem Tag des “Anschlusses” Österreichs an das NS-Reich – die gemeinsame Flucht aus Heppenheim nach Jerusalem. Sie bauten sich dort eine neue Existenz auf, mussten jedoch – nachdem die arabischen Nachbarn die Staatsgründung Israels durch einen weiteren Kriegszug zu unterbinden versucht hatten, 1948 noch einmal fliehen. Zu einer neuen (erfreulicherweise noch nicht digitalen) Hass-Welle von Dualisten aller Seiten kam es, als die Bubers 1953 nach Deutschland reisten, um dort u.a. den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegen zu nehmen und das Preisgeld dem jüdisch-arabischen Dialog zu spenden.

Bei der Rückkehr von einer USA- und Europa-Reise – mit stark besuchten Vorträgen u.a. in Köln und Frankfurt – starb Paula Buber am 11. August 1958 in Venedig und wurde auf dem jüdischen Friedhof am Lido begraben. Das Leben von Martin Buber endete am 13. Juni 1965 in Jerusalem, wo ihm noch im Sterben durch den demokratisch gewählten Gemeinderat die Ehrenbürgerwürde zugesprochen wurde.

Die Bubers – und zwar beide – stehen für mich für eine Haltung des gelebten, monistischen Dialoges, die eigene, tiefe und komplexe Identitäten mit der Offenheit für andere verbinden. Auch sie ließen sich durch Widerstände verschiedenster Seiten nicht von ihrem gemeinsamen Weg abbringen und kämpften für ein freieres, dialogisches Verständnis der Religionen und Weltanschauungen. Hätte es damals bereits Internet-Trolle gegeben, hätten auch sie jeden Tag und jede Woche Schmähungen und Beschimpfungen erhalten – und wären, so nehme ich an, damit ebenfalls gelassen umgegangen.

Gerade jetzt, da sich der dualistisch radikalisierte Supreme Court der Vereinigten Staaten wieder an den Freiheitsrechten vor allem von Frauen vergreift, wundert mich der Hass gegen religiös und ethnisch gemischte sowie gleichgeschlechtliche Ehepaare auch in Europa nicht. Die Freiheiten, die bereits erkämpft wurden, werden immer wieder angegriffen. Zehra und ich haben uns nicht ausgesucht, zu einem Symbol und damit auch Hassbild eines Miteinanders zu werden. Aber wie so viele andere Herausforderungen haben wir auch diese gemeinsam angenommen – und wünschen allen den Mut, Liebe und Monismus zu wagen.

    Zehra & Michael Blume im Interview zum christlich-islamischen Familienleben, gegen jeden Hass. Foto MfG: Alpha & Omega

 

 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Lehrbeauftragter am KIT Karlsruhe, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus und für jüdisches Leben. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren für das Fediversum, Wissenschaft und Demokratie, gegen antisoziale Medien, Verschwörungsmythen und den Niedergang Europas.

18 Kommentare

  1. Sehr nett, weitere gemeinsame 25 Jahre zusammen !
    MFG
    WB (der sich gerne noch das Interview mit den beiden Feiernden gleich anschauen wird)

    • …machen wir aus Bindestrichen Bundesstriche?
      Bei allem Respekt…: thats should b sciencebased politics?

      • Ja, gerade auch in Baden-Württemberg ist der Bindestrich ein starker Bundesstrich. Vgl. ebenso Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern u.v.m.

        You might want to test this empirically. ☺️📚🙏

  2. PS :
    Da war (zumindest aus diesseitiger Sicht, Dr. W bittet darum die implizite Anmaßung dieser seiner Einschätzung zu überlesen) ja kein Wort falsch, Hut ab!

    Vielleicht geht es diesen Kommentar noch irgendwie mit dem obigen, sich noch in der Moderation befindlichen Kommentar zu verknüpfen, so dass die Diskursabfolge gewahrt bleibt ?!

      • Dr. Webbaer mochte auch die Glaubwürdigkeit des Interviews, sozialer Schmu war wohl gar nicht dabei – und sicherlich breiten Sie sich teils auch privat, lieber Herr Dr. Michael Blume, nicht deshalb aus, weil sie sich so ausbreiten möchten, sondern weil Sie eine wichtige Nachricht haben.

        Mit freundlichen Grüßen
        Dr. Webbaer (der Sie mit seinen kleinen (und ganz ernst gemeinten) Lobreden hoffentlich nicht belästigt)

        PS:
        Wenn Sie vielleicht noch von besonders “würzigen” Angriffen auf Ihre Gegner zumindest gelegentlich ablassen könnten ?

        • Danke, @Webbaer. Ja, wie auch im Interview selbst gesagt, mussten wir uns früh mit Gerüchten, aber auch echtem Interesse bezüglich unserer christlich-islamischen Ehe auseinandersetzen. Verstecken hätte nichts gebracht, distanzlose „Home Stories“ wollten wir aber auch nicht. Was Sie lasen, sahen & hörten, ist unser mittlerer Weg.

          • Ich habe jetzt drei Tage darüber nachgedacht,wie ich Sie beide beglückwünschen könnte. Ich kann @webbaer nur zustimmen. Ich ergänze es durch eine Todsünde: Neid!

  3. @Blume
    Damit wir uns nicht falsch verstehen: Neid ist definitorisch u.a. ‘auch besitzen wollen’.
    Ich sehe es als: sie haben es.

  4. Lieber Michael Blume, nach der Teilnahme an Ihrer gestrigen Otto-Hirsch-Auszeichnung im Stuttgarter Rathaus, Ihrer sprudelnden Rede und unserem kurzen Gespräch haben meine Frau und ich Ihr Ehe-Interview gerade verfolgt. Wir sind beide sehr beeindruckt von Ihrer gemeinsamen Offenheit, Klarheit und Bedachtheit. Wir wünschen Ihnen weiterhin Glück und eine gute Zukunft sowie Ihnen eine fortdauernd erfolgreiche Tätigkeit in Ihrem so wichtigen Berufsfeld. Mit besten Wünschen und Grüßen, Christian von Holst

  5. Sehr spät reiche ich noch Glückwünsche nach.
    Dann komme ich mit einer Frage: was ist die ” deutsch-islamischen Sekte in Tirol “, der Paula Winkler, verheiratete Buber entkommen ist? Da wüsste ich gern mehr darüber; sowie einer Anmerkung: mit diesem Artikel haben Sie – aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen – Herrn Broder so verärgert, dass er indirekt sogar Ihren Rücktritt fordert. https://www.achgut.com/artikel/dr._blume_und_die_republik_israel Was ist denn da passiert?

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