Kick it like Einstein: Wie Serbien seinen Diktator gewaltlos kickte

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Er hatte sich einem nationalistischen Sozialismus verschrieben (was leicht ist – wo es extrem wird, berühren sich lechts und rinks seit je…). Er hatte sein Volk in eine Reihe von Kriegen verwickelt, und mit Kriegsverbrechen in Massenmorde verstrickt. Und seine Handlanger hatten begonnen, Medien und Universitäten gleichzuschalten, jede Opposition gewaltsam einzuschüchtern. Da erhoben sich junge Leute unter dem Banner der Faust und sammelten das Volk hinter sich. Als der schwankende Diktator seine Wiederwahl mit Gewalt und Betrug erzwingen wollte, brachen die Dämme: Am 5.Oktober 2000 beendete ein Volksaufstand die Amtszeit von Slobodan Milosevic. Er wurde 2001 an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert und starb 2006 in seiner Zelle.

 

Soweit so klar. Aber natürlich ist Geschichte immer noch ein wenig komplizierter – und damit auch interessanter -, wenn man sie sich genauer anschaut. Da ist die Bewegung Otpor selbst, die von jungen Leuten gegründet worden war, die sich auf den Politikwissenschaftler Gene Sharp und dessen Studien zu gewaltlosem Widerstand beriefen. So entwickelten sie das Otpor-Logo, aber auch Farben, T-Shirts und gezielte Aktionen, um die Heuchelei des Regimes bloßzulegen.

Ihr folgten Dutzende weitere Bewegungen, die teilweise von Otpor-"Veteranen" Tips und sogar Schulungen erhielten – von der Ukraine bis zum Libanon, vom Iran bis Weißrußland. Wie war das alles möglich? Nun – nicht ganz von alleine. Schon kurz nach dem Umsturz wurde bekannt, dass Otpor inhaltliche, organisatorische und nicht zuletzt finanzielle Unterstützung aus den USA erhalten hatte – eine Mischung aus demokratischer Entwicklungshilfe und nichtmilitärischer Regimesabotage, sozusagen.

Die diktatorischen Regime dieser Welt reagierten schnell und denunzieren entstehende Protestbewegungen heute sofort als "vom Ausland gesteuert", während sie ihnen regimetreue Varianten entgegen stellen – so im Iran oder in Thailand, wo sich heute Gelb- und Rothemden gegenüberstehen. Die Dynamik sozialer und politischer Prozesse hat an Komplexität immer weiter zugenommen – so musste das iranische Regime zeitweise das Internet lahmlegen, um seine Herrschaft mit brutaler Gewalt noch einmal sichern zu können. 

Die Empörung der vielen Serben war echt – und die mühsam errungenen Fortschritte und Freiheiten waren es auch. Serbien hat gezeigt, dass es auch heute noch möglich ist, Diktaturen auch von innen heraus zu stürzen – und dass Gewaltlosigkeit dabei auch erfolgreich sein kann. Dass das Land heute wieder als geachteter Partner bei der WM antreten kann, ist daher wichtig und richtig – man beachte nur die Angst, die das iranische Regime vor der Fußballbegeisterung der Menschen hat.

Zugleich ist der Kampf gegen den Nationalismus auch in Serbien noch nicht gewonnen. Immer noch werden jene, dies es auch nur wagen, über die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosova nachzudenken, als Verräter beschimpft und bedroht. Und den mutigen Schritt des serbischen Parlamentes in 2010, die Massaker von Srebrenica zu bedauern, bejaht laut Umfragen gerade mal ein Drittel der Wahlberechtigten. Wie wir Deutschen allzu gut wissen: Der Umgang mit den dunklen Flecken der eigenen Vergangenheit ist für jede Gesellschaft schwer – in die Opferrolle zu schlüpfen viel entlastender. In der Religionswissenschaft nennen wir die Summe aus nationalen Mythen, "Heroen", Ritualen, Jahrestagen und Überzeugungen nicht umsonst "Zivilreligion" – und sie kann gerade auch unter jenen stark ausgeprägt sein, die sonst keine religiösen Bindungen (mehr) haben. Veränderungen an Zivilreligionen sind Operationen am offenen Herzen von Gesellschaften und ausnahmslos mit massiven Emotionen, Empörung und Streit verbunden. Aber es gibt keine Alternative zu einer Aufarbeitung nationalistischer Gräuel und von Rassismus und Fremden- bzw. Minderheitenfeindlichkeit, wenn die Völker in Frieden zusammenleben wollen. Immerhin könnten der Sport – und eben auch der Fussball – ein guter Weg sein, um zu erfahren, dass das Leben in der Gemeinschaft mit anderen Nationen nicht immer leicht, aber möglich und erstrebenswert ist.

In diesem Sinne wünsche ich (auch) Serbien viel Erfolg!

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

7 Kommentare

  1. Schöner Bericht!

    Ich habe insgesamt den Eindruck, dass Serbien und auch die gesamte Region langsam aber sicher auf einem guten Weg ist. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass damit auch das militärische und politische Eingreifen u.a. Deutschlands in dieser Region insgesamt erfolgreich war. Ich vermute, hier gibt es wertvolle Lektionen für Afghanistan zu lernen.

  2. @ Lars Fischer

    Danke für das Feedback! Und, ja, so sehe ich es auch! Während der Balkan-Kriege hatte ich oft mit einer Freundin diskutiert, die als Serbin einerseits mit ihrem Volk litt (und die NATO-Angriffe ablehnte), aber andererseits auch die Diktatur und Morde der regierenden Sozialisten ablehnte. Heute haben Serbien, Kroatien, Bosnien etc. sicher, wie alle Gesellschaften, ihre Probleme. Aber es besteht die Chance auf eine friedliche Zukunft auch auf dem Balkan. Schade, dass wir Menschen uns an gute Nachrichten so schnell gewöhnen!

  3. “Some people believe football is a matter of life and death,…

    …I am very disappointed with that attitude. I can assure you it is much, much more important than that.” Bill Shankly (ehemaliger englischer Fußballtrainer)

    „In der Religionswissenschaft nennen wir die Summe aus nationalen Mythen, “Heroen”, Ritualen, Jahrestagen und Überzeugungen nicht umsonst “Zivilreligion” – und sie kann gerade auch unter jenen stark ausgeprägt sein, die sonst keine religiösen Bindungen (mehr) haben.“

    Als ob die „echten“ Religionen nicht auch ihren Anteil zum Dilemma auf dem Balkan beigetragen haben.
    Aber auch die „Zivilreligion“ Fußball hat den Hass im ehemaligen Jugoslawien kräftig geschürt.
    Manche halten das Fußballspiel zwischen Roter Stern Belgrad und Dinamo Zagreb im Mai 1990 für einen Auslöser des Balkankrieges. Nach nur zehn Minuten musste das Spiel abgebrochen werden, weil nationalistische Fangesänge eine Stadionschlacht epischen Ausmaßes angestachelt hatten. Aus den Fans bzw. Hooligans von Roter Stern schmiedete der Kriegsverbrecher Željko „Arkan“ Ražnatovi schließlich die paramilitärischen „Tiger“.

    Aber Ihre Hoffnung, dass auch der Fußball ein guter Weg sein könnte die Gemeinschaft unter den Nationen zu stärken teile ich als Sportfanatiker natürlich. Gerade Südafrika ist ein herausragendes Beispiel für die verbindende Kraft des Sports. Hoffentlich ein gutes Zeichen für die kommende WM.

    In diesem Sinne wünsche ich Serbien ein paar gute Spiele sowie eine deftige Niederlage gegen Deutschland, und überlasse das letzte Wort Berti Vogts:

    „Hass gehört nicht ins Stadion. Solche Gefühle soll man gemeinsam mit seiner Frau daheim im Wohnzimmer ausleben.“ 🙂

  4. Religion und Politik @itz

    „Als ob die „echten“ Religionen nicht auch ihren Anteil zum Dilemma auf dem Balkan beigetragen haben.“

    Die unrühmliche Verquickung zwischen Religion und Politik sollte man in der Tat nicht vergessen:
    http://www.das-weisse-pferd.com/…x/kroatien.html

    „Hass gehört nicht ins Stadion. Solche Gefühle soll man gemeinsam mit seiner Frau daheim im Wohnzimmer ausleben.“ 🙂

    Wusste gar nicht, dass Berti Vogts so einen Schmarrn erzählt.

  5. @itz, Mona: Fussball 6 Religion

    Ja, das Ganze ist eine starke Erinnerung daran, dass alles, was Gemeinschaft stiftet (wie Patriotismus, Fussball oder Religion) sowohl positiv wie negativ gelebt werden kann. Und ich habe natürlich die kleine Hoffnung, dass die Wissenschaft durch ein besseres Verstehen der Prozesse dazu beitragen könnte, positive Effekte zu stärken und negative einzugrenzen.

  6. Wie wird man einen Diktator los?

    “Schon kurz nach dem Umsturz wurde bekannt, dass Otpor inhaltliche, organisatorische und nicht zuletzt finanzielle Unterstützung aus den USA erhalten hatte – eine Mischung aus demokratischer Entwicklungshilfe und nichtmilitärischer Regimesabotage, sozusagen.”

    Wenn DAS nur die Linie westlicher Politik wäre! Es gab ja sogar jahrzehntelang im Kalten Krieg eine Doktrin (Name leider vergessen), dass man keinen direkten Angriff starten, aber Kräfte unterstützen soll, die diktatorische Regimes langsam aber sicher zu Fall bringen kann. Leider hat man das insbesondere im vergangenen Jahrzehnt vergessen.

    Dass die Serben ihren durchgeknallten Führer schlicht verkauft haben, macht die Sache nicht schlechter, eher besser. (Zur Erinnerung: Nur kurz nach der Auslieferung stellte der Westen umfangreiche wirtschaftliche Hilfen in Aussicht und dementierte, das sei eine Art “Entlohnung” für den Umsturz.)

    Man muss diese Wende aber vor allem vor dem Hintergrund des Kosovo-Krieges 1999 sehen: Damals hat der Westen gehörig versagt; was ihm militärisch nicht gelungen ist, haben die Menschen in Serbien von unten nachgeholt.

    Ich erinnere mich noch sehr gut an eine spontane Vortragsreihe eines Professors für Wirtschaftspolitik (Schwerpunkt Osteuropa). Man hier doch eine Menge gelernt. Kurioserweise hat schon damals ein amerikanischer Professor gefragt, warum man den Diktator nicht einfach abkauft.

  7. @Kunar

    Ja, und ebenso haben natürlich die kommunistischen Machthaber mächtig Geld ausgegeben, um im Westen “Verbündete” zu fördern, nicht nur die DKP. Und unter westlichen Atheisten und Humanisten fanden sie auch genügend nützliche Helfer. Was aber, wie ich derzeit auch im Nordkorea-Thread erstaunt erfahre, dort keineswegs für selbstkritische Reflektion gesorgt hat…
    http://www.chronologs.de/…heismus-und-die-folgen

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