Scheitert der Aufbau islamischer Verbände in Deutschland? Vortrag vor der IGBD – Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
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Es fühlt sich an, als wäre ein Staudamm gebrochen. Nicht mehr nur unter vier Augen und Ohren, sondern zunehmend auch öffentlich sprechen auch Menschen muslimischer Herkunft über “Islam in der Krise” (Patmos). “Ich bin im Moscheevorstand, aber nicht einmal mehr meine eigenen Kinder wollen etwas damit zu tun haben.” – “Meine Eltern in Palästina wissen nicht, dass ich längst Agnostikerin bin. Dort redet man nicht darüber, obwohl auch dort die jungen Leute immer weniger glauben.” – “Nein, ich kann jetzt nicht sagen, wo unsere islamischen Theologinnen und Theologen einmal eine Anstellung finden können. Wir hoffen auf den Staat.” – “An den hohen Feiertagen ist unsere Moschee noch voll, aber übers Jahr kommen die Leute nicht mehr. Unsere Mitgliedsbeiträge reichen gerade noch für die Kredite und Heizkosten und die älteren Mitglieder sterben uns weg.” Das ist nur eine kleine Auswahl von Äußerungen, die ich am Rande von Lesungen und Diskussionen, aber auch auf eigenen Veranstaltungen islamischer Verbände zu hören bekomme. Auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hatte Donnerstag entschieden, der Zentralrat der Muslime und der Islamrat erfüllten noch immer nicht die Anforderungen, die unser Grundgesetz an eine Religionsgemeinschaft stelle. Die Ahmadiyya, die Bahai und sogar der hinduistische Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel in Hamm (NRW) haben dagegen neben Kirchen, jüdischen und humanistischen Gemeinschaften bereits die Anerkennung als Körperschaften öffentlichen Rechts erreicht.

Von “Weihnachtschristen” und “Ramadanmuslimen”

In einer wunderbaren Diskussion über “Islam in der Krise” mit Prof. Erdal Toprakyaran im vollbesetzten Stadtmuseum Tübingen kamen dabei auch Vergleiche zwischen den Menschen auf, die nur noch an Feiertagen die Gottesdienste besuchten.

Prof. Erdal Toprakyaran (Islam. Theologie Tübingen), Magdalena Ebertz (Moderation) und Dr. Michael Blume bei einer Diskussion über “Islam in der Krise” (Patmos 2017) im Tübinger Stadtmuseum, 11/2017. Foto: Lothar Hinderer

Auch hierbei konnte ich den muslimischen Freundinnen und Freunden aber nicht die bittere Pointe des Vergleichs ersparen: Auch wenn sog. “Weihnachtschristen” nur noch selten die Kirchen besuchen, so entrichten Millionen von ihnen dennoch ihre monatlichen Beiträge vor allem in Form von Kirchensteuern und geben zudem Spenden und Kollekten. Damit können nicht nur gottesdienstliche Gebäude, sondern auch qualifiziertes Personal von Pfarrerinnen bis zu Jugendbegleitern finanziert werden. Wo diese Beiträge weitgehend fehlen – beispielsweise in den einst zwangs-säkularisierten Gebieten der neuen Bundesländer – wirkt sich dies auch in entsprechend weniger Angeboten aus. Dagegen belassen es Hunderttausende von sog. “Ramadanmuslimen” bislang bei vereinzelten Kollekten, zu selten entrichten sie überhaupt regelmäßige Mitgliedsbeiträge. Staaten wie die Türkei oder Saudi-Arabien stoßen in diese Lücke der Selbstorganisation, indem sie den Moscheevereinen steuer- bzw. ölfinanzierte Imame anbieten. Damit behindern sie nicht nur die Integration von Musliminnen und Muslimen in das deutsche Bildungs- und Wertesystem, sondern fördern wiederum das Wegbleiben erfolgreich Angekommener, die sich nationalistische, fundamentalistische und halbgebildete Predigten nicht länger antun wollen. Der Trend zu einer Radikalisierung einer Minderheit und dem “stillen Rückzug” einer wachsenden Mehrheit wird dadurch weiter verstärkt.

Die Islammodelle in Österreich und Bosnien-Herzegowina

Aus der Erbmasse des habsburgischen Vielvölkerstaates sind im 20. Jahrhundert immerhin zwei Modelle hervorgegangen, die zunehmend auch in Deutschland diskutiert werden. Und so hatte mich auch die IGBD – Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland zu einem Bundes-Fortbildungsseminar nach Wiesbaden eingeladen, wo ich in Anwesenheit des Muftis Pašo Fetić sowie zahlreicher Imame, Moscheevorstände und Lehrerinnen “Islam in der Krise” vorstellen konnte. Besonders danke ich IGBD-Sekretär Adem Hasanović für die Organisation und dann auch die Aufnahme meines Vortrages.

In der anschließenden Diskussion mit Dr. Dževada Šuško, Direktorin des Instituts für die islamische Tradition der Bosniaken mit Sitz in Sarajevo, wurde thematisiert, dass sich der Islam in Bosnien zunehmend selbständig organisiert habe und möglicherweise ein Modell für eine religionsgemeinschaftliche Organisation von Muslimen in Deutschland sein könnte. Vereinzelt gab es aber bereits auch Stimmen, die fanden, es sei möglicherweise dafür “bereits zu spät”, die Säkularisierung einerseits und Radikalisierung andererseits zu weit fortgeschritten. Meine Prognose: Die religions- und islampolitischen Debatten 2018 werden realistischer und ehrlicher als jene der letzten Jahre.

Vorbereitung zur Podiumsdiskussion bei der IGBD in Wiesbaden mit Dr. Michael Blume und Dr. Dževada Šuško, 07.10.2017. Foto: IGBD

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

2 Kommentare

  1. Die Spaltung nach Herkunftsländern ist eine der größten Probleme. Jedes einzelne Herkunftsland hat seinen eigenen muslimischen Verein, einen für Bosnier, einen für Türken, einen für Albaner und so weiter. Es wird ein Verein gebraucht, der so weit es möglich ist, alle Muslime repräsentiert. Schiitische Muslime haben bereits einen gemeinsamen Verein (IGD e.V.), bei sunnitischen Muslimen gibt es hingegen einen Wildwuchs an Vereinen mit verschiedenen Ansichten und vor allem vielen ursprünglichen Herkunftsländern. Dieser Wildwuchs bringt keine Lösung, sondern behindert die Integration, das Erlernen der deutschen Sprache und verhindert auch vor allem die Einigung innerhalb der Muslime selbst, welche eigentlich auch im Interesse der Muslime sein sollte. Der IGBD (Islamische Gemeinschaft der Bosniaken) sowie DITIB und andere Vereine sind damit leider auch Teil des Problems, und nicht Teil der Lösung.

    • Das Problem haben die orthodoxen Christen ja aber auch mit ihren zog autokephalen Kirchen.

      Die Zersplitterung mag beklagenswerten sein, ist aber nun mal der Fakt, mit dem wir umzugehen haben. Ich denke, das OVG Münster hat Recht, wenn sie feststellen, Dachverbände wie Islamrat und ZMD können zwar politische und gesellschaftliche Lobby- und Interessensarbeit leisten, können aber nicht übergreifend eine theologische Linie, etwa für die Besetzung universitärer Lehrstühle vertreten. Das muß schon wie bei den Ahmadyya und Bahai von unten kommen, von einzelnen Gemeinden.

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