Rezension zu Gideon Böss: Deutschland, deine Götter!
BLOG: Natur des Glaubens
Hier haben wir also einen Autor, der gar nicht erst versucht, sympathisch rüberzukommen. Schon die Widmung zeigt die eingeübte Art des Skeptikers, der der Welt und sich selbst gerne demonstriert, wie weit er über den Dingen (und Menschen) stehe: „Für Christine. Warum auch nicht.“
Und gleich der erste Satz offenbart auch den Grund des böss-schen Nichtglaubens: „Kann Gott mich nicht leiden?“ Klar, dass ein solcher Gott eigentlich undenkbar, zumindest unglaubwürdig sein muss! Was bildet der/die/das sich eigentlich ein!
Und so geht es los auf insgesamt 26 Stationen durch die – zunehmend! – bunte Religionslandschaft Deutschlands, von den Wiccas über diverse große und kleine Kirchen bis zu Raelianern, Juden, Pastafarianern und vielen mehr. Vor jeder Reise hat sich Böss gut vorbereitet und seinen Gesprächspartnern die Fragen zurechtgelegt, mit denen er seine Gegenüber zerlegen wird. Die religiösen Traditionen haben keine Chance: Sind sie gegen Homosexualität, so lieben sie nicht wirklich. Akzeptieren sie Homosexuelle, dann missachten sie die Bibel. Verkünden sie ein Gericht und Jenseits, dann wird es humanistisch in Frage gestellt. Räumen die Gelehrten aber Zweifel ein, dann ist es auch nicht Recht. „Keine Ahnung vom Leben nach dem Tod habe ich ja selbst genug, dass muss ich dann nicht auch noch gemeinschaftlich zelebrieren.“ (S. 42)
Garniert werden diese Vorführungen gerne auch mit kleinen Seitenhieben auf Körper, Kleidung oder Ritualdetails des jeweiligen Bodenpersonals. Und während die Pressesprecherin von Scientology (Station 7) selbstverständlich „Frau Weber“ heißt, nennt Böss die DITIB-Moscheeführerin (Station 9) einfach „Ayse“ und mitten im Text auch mal plötzlich „Fatma“ (S. 149). Bei einem Journalisten, der laut Vorstellung öfter mal bei FOCUS, Cicero und Welt schreibt, gehört ein bisschen lässig gepflegte Herablassung gegenüber Musliminnen wohl inzwischen zum guten Ton. Immerhin: Das Judentum (Station 15) lernen wir dann schon wieder, klar, respektvollst über „Herrn Pannbacker“, „Frau Pressler“ und „Frau Knobloch“ kennen. Und Pater Hagencord vom Vatikan erhält verdientes Lob unter Bloggern.
Womöglich erwarten Sie nach diesen einleitenden Beobachtungen nun von mir die Vollendung eines Verrisses. Doch damit kann ich nicht dienen. Denn unbestreitbar ist: Böss schreibt richtig, richtig gut – gerade auch, weil er gar nicht versucht, sich zu verstellen. Ihm macht das Beobachten und Schreiben Freude und nicht selten gelingen ihm Sätze, die bleiben. Auch baut er Ergebnisse seiner Recherchen so kundig in seine Miniaturen sein, dass Unterhaltung und Information wunderbar lesbar verschmelzen. Auch lockert sich das Programm mit jeder weiteren Station, bricht Böss zunehmend aus den Vorführ-Schablonen aus, die er sich am Anfang auferlegt hat. Und siehe da: Irgendwann blättern sich die Seiten fast von alleine um, freut man sich auf die nächste Geschichte und Entdeckung.
Und auch mit Böss geschieht etwas. Schon bei der „Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters“ (Station 10) findet er sich plötzlich in der Rolle desjenigen wieder, der die Möglichkeit und das Recht zu Glauben auch verteidigt. Aus dem – auch hier bekannten – Bruder Spaghettus wird der „unnachgiebige Kalif Spaghetti, der keine Abweichung von der reinen gottlosen Lehre duldet.“, samt Gedanken zur Satire, die die Böhmermann-Kontroverse (zu dessen Ungunsten) erstaunlich vorwegnehmen.
Und Stück für Stück sieht Böss, was für ein Geschenk es ist, dass es auch in Deutschland Vielfalt und Sinnsuche gibt, dass nicht alle Menschen zu einer formlosen Masse aus Konsumenten verschmelzen. Er bemerkt die innere Freude vieler Glaubender, die wilde Kreativität und die Unterschiede beim Umgang mit Zweifeln, das gesellschaftliche Engagement, das Potential zum Kinderreichtum (bei den Mormonen, Station 26). Das Verblühen kleiner Kirchen nimmt er fast mit Bedauern zur Kenntnis (Johannische Kirche, Station 24), das Entstehen neuer Religionen fasziniert ihn (Osho, Station 25). Eine verwegene Ahnung wird sichtbar: Dass Leben freud- und sinnvoll sein kann, das – bei aller Skepsis und Kritik – doch nicht nur ums eigene Ego kreist, das Transzendenz wagt.
Nein, Böss wird nicht zum Gläubigen. Doch er reift und nimmt seine Leser dabei mit. Das Buch ist nicht nur ein gut geschriebener Katalog und Reiseführer, es ist auch ein kleiner Entwicklungsroman und ein unaufdringliches Plädoyer für die Freiheit zur Vielfalt.
Und irgendwann, zwischendurch, da geschah es: Da bedauerte ich, dass sich das Buch dem Ende zuneigte. Die Mandäer waren doch drinnen, warum nicht auch die Jesiden? Die Freimaurer? Engel- und Einhornglaubende? Ein paar Stationen noch, Gideon Böss!
Und ich merket, dass ich ihn inzwischen richtig gerne gewonnen hatte, den sich so überlegen gebenden, dabei so ehrlich suchenden Autor Böss.
Ach.
Warum auch nicht.
#Leseempfehlung!
Gideon ist sicherlich talentiert, er fiel hier schon vor vielen Jahren auf, als potentieller Nachfolger von Henryk M. Broder, jaja.
Er argumentiert nachvollziehbar, er klingt authentisch, auch weil er als klassischer Liberaler die sogenannte Politische Richtigkeit nicht kennt; seine Fehler sind hier ebenfalls bekannt, sollen aber an dieser Stelle nicht durchgekaut werden, es sind auch nicht viele an der Zahl.
MFG + Danke für das Vorlesen!
Dr. Webbaer